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Wohlgebohrner Herr Medizinalrath
Verehrter Freund!

Da Sie in Ihrem gütigen Schreiben möglichste Be-
schleunigung der Antwort und zwar mit umgehender Post
verlangt hatten, so schrieb ich, da die Post sogleich abging,
binnen 36 Minuten vorgestern Nachmittags diese Antwort;
welche Sie hoffentlich schon ein Paar Tage in Handen
haben werden.

Indem dieselbe Antwort aber wegen der Eile nur unvoll-
kommen ausfallen konnte, so will ich nachträglich noch
folgendes als meine unerschütterliche Willensmeynung
in Erwähnung bringen.

1) Ich folge unfehlbar nach Breslau für 1200 Reichs-
thaler P. Ct. (1 Karolin wie ich höre zu 6 Reichsthaler
4 Gr., oder 11 Gulden unsern Geldes) jährlichen Gehalt,
und lese dafür a) Physiologie, ganz auf die zuver-
läßigsten Entdeckungen aller Zeiten und auf meine
eigenen Untersuchungen über die niedrigsten Thier-
klassen, und nicht auf blosse Meynungen gegrün-
det, und b) Pathologie (allgemeine und besondere),
an welcher ich zur Herausgabe bereits seit 1815 arbeite,
und wovon die Fragmente, welche die mediz. chirurg.
Zeitung 1816 N. 34 etc. enthält nur un-
vollkommene Proben sind.

Obgleich die Summe des schätzbaren Offerts Ihrer Universität
die Gesammteinkünfte, welche mir die Universität Freyburg
geboten hat, vielleicht um 100 - 150 Rthlr übersteigt, so sind,
was mich besonders zu Ihnen hinzieht, es doch vorzüglich obige
[22v]Lehrgegenstände, die (ohne dabey irgend einen andern na-
turwissenschaftlichen zu vernachläßigen) von je her meine
Lieblingsgegenstände waren (was einigermaßen in allen
meinen Recensionen, welche ich mit G-th- unterzeichnet
hatte, wohl kenntlich seyn wird). In dieser Hinsicht freue
ich mich unsäglich des Schwunges, den ich in solchem Wir-
kungskreise diesen beyden Gegenständen werde geben
können. In meinen Vorträgen liebe ich sehr das Ex-
periment und überhaupt jeden logischstrengen Beweis,
zum Theil selbst durch Anschauung, wenn diese auf der
Stelle möglich ist; und ich habe von der Nothwendigkeit
beyder bereits in meinen Beyträgen zur Eauto-
gnosie gesprochen.

2) Durch das Budget beschränkt kann die hiesige
Regierung mich nicht anders halten, als durch Combi-
nation mehrerer Lehrstellen in meiner Person, sowohl
bey unserer zu reorganisirenden Schule, als auf dem
Lyceum. Allein diese Art von Verbesserung würde
mich, wenn sie weiter noch ginge, unter der Last der
Arbeit begraben. Künftig belaufen sich meine fixirten
Einkünfte hier auf 1560 f. Von dieser Seite kann also
Ihre Universität sicher seyn. Und diese Rufs-Unterhand-
lungen sind schon darum angenehmer, als jene von
Freyburg, weil ich den pecuniären Haupt-Artikel bereits
als geschlossen ansehen darf.

[23r]

3) Da ich aber nach Breslau einen zweymal so weiten
Weg, als nach Freyburg in das Breisgau habe, und hier alles
Möbelwerk mit Verlust verkauft werden muß, so zweifle ich gar
nicht, daß die Universität das Doppelte, was Freyburg an
Zuggeld geben will, bewilligen werde. Meine grossen Bücher-,
Naturalien- und Instrumenten-Sammlungen müssen ja
doch mit.

4) Allerdings habe ich eine Frau, für jetzt zwar ohne
weitere Familie, allein in Mitte September wird diese
sich zum Erstenmale und, wie ich hoffe nur um 1 vermehren.
Also als Familienvater muß ich wohl im Fall des
erfolgten Rufs, auf das Indigenat sowohl als auf alle Rechte
der Kön. Preußischen Staatsdiener und auf den durch Sie
mir angebottenen Gehalt von 1200 rl Anspruch machen.
Uebrigens glaube ich jedoch, daß ich zu Anfang des Win-
tersemesters werde eintreffen können. Kollegien-
hefte, Antrittsrede u. s. w. fertige ich bis dahin hier
noch.

Schließlich danke ich Ihnen und allen meinen
vielleicht künftigen Herrn Mitcollegen verbindlichst,
für die mir zugedachte Ehre der Vocation, ich werde
ihnen dafür mit Achtung und Freundschaft an-
hangen.

Ihr
ergebenster Freund
und Diener
Franz de Paula

Gruithuisen
Lehrer der
Physik, Chemie, Botanik
Zoonomie, Anthropologie,
Encyclopädie u Geschichte der Medizin,
allg. u. bes. Pathologie, Naturge-
schichte und mehrerer gel. Gesellschaf-
ten Mitglied.
CC-BY-NC-SA-4.0

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Rechtsinhaber*in
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 21. April 1822. Gruithuisen an Otto. Z_1822-04-21_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-1766-6