[35r]

Die medicinische Facultät
an der (König.)Königlichen Universität
zu Breslau wegen der
vacanten Professur der
Physiologie.

(Ew.)Euer Excellenz hatten die
Gnade uns, bei dem Ab-
gange des Professor D.
Bartels von hier, den
hohen Auftrag zu er-
theilen, Vorschläge we-
gen künftiger Bese-
tzung dieser Stelle
ehrfurchtsvoll einzu-
reichen.

Diesem hohen Befeh-
le ist von uns pflicht-
schuldigst Folge gelei-
stet worden, und nach
mehreren deshalb unter
[35v]uns Statt gefundenen Be-
rathungen, blieb uns kein
Zweifel darüber zurük,
daß wir, unter den bekann-
ten Physiologen in Deutsch-
land keinen anderen, als den
Professor und Akademiker,
Herrn Paula v. Gruithuisen
zu München, als denjeni-
gen [++]sehnansehn1 mußten, welcher,
unter allen von uns selbst
ermittelten, oder von Ander[n]
zum Theil auch durch siesich2 selbst
uns angetragenen Candidaten
zu dieser Stelle, als den wür-
digsten Nachfolger unsers
vormaligen rühmlich bekann-
ten Collegen ehrfurchtsvoll
vorschlagen durften. Uns
leitete dabei die Sorge für den
Nutzen der unserer Leitung
[36r]anvertrauten Jugend eben so
sehr, als der Wunsch in unserer
Mitte einen Mann zu sehn,
welcher, wir glauben dabei nur
der Wahrheit gemäß zu sprechen,
mit uns gemeinschaftlichgemeinschaftliche3 und gleich-
mäßig begründete Ansprüche
an die Achtung der gelehrten
Welt zu machen berechtigt ist.

(Ew.)Euer Excellenz hatten die Gna-
de diesen unsern ehrfurchtsvollen
Antrag nicht zu mißbilligen, und
befahlen, den p. v. Gruithuisen
durch einen aus unserer Facultät
zu sondiren, ob etwa derselbe ge-
neigt sei, einen Ruf nach Breslau
anzunehmen. Auch diesem Befeh-
le ist pflichtmäßig ein Genüge
geleistet, und des p. v. Gruithuisen
Erklärung deshalb fiel bejahend
aus, wie (Ew.)Euer Excellenz unter-
thänig berichtet worden ist.

Darauf geruheten (Ew)Euer Excellenz
uns zu eröffnen, wie der Vocation
[36v]des p. v. Gruithuisen nichts wei-
ter im Wege stehe, als eine Erklä-
rung des (König.)Königlichen hohen Polizei
Ministeriums, dem bestehenden
allerhöchsten Befehle gemäß.

Seit dem ist in der Sache nichts
wiederweiter4 erfolgt, als dass sich von
mehrern Seiten her im Publi-
cum das Gerücht verbreitet,
es finde in diesem Augenblicke
eine Unterhandlung mit dem
(K. K.)Kaiserlich-Königlich {Oestereichischen} Prosector
D. Purkinié zu Prag, über
dessen eventuelle Vocation
zu der vacanten Professur
der Physiologie an der hiesi-
gen (König.)Königlichen Universität Statt.
Nur die Allgemeinheit dieses
Gerüchtes ist es, welche uns
dieserhalb beunruhigt, denn
keinesweges können wir uns
d[++]davon5 überzeugen, daß (Ew.)Euer
Excellenz die Stelle eines
[37r]in Deutschland allgemein ge-
achteten Physiologen, eine
der wichtigsten {Professur} in
{unser} Facultät durch einen
Prosector von einer Böhmi-
schen Universität zu bese-
tzen gedenken mögten, welcher
sich als Physiolog bisher durch nichts
bekannt gemacht hat, als durch
einen mittelmäßigen Auf-
satz über das SehnSehen6, und durch
einen andern über den Schwin-
del, welche mit der bekannten
Schrift des seelig[en] Marcus Herz,
die vor dreißig Jahren erschien,
keinen Vergleich aushält.

Doch aber hat grade die
Allgemeinheit dieses Gerüchts,
verbunden mit dem hohen Bedürf-
niß diese Stelle welche schon
seit 5/4 Jahren unbesetzt ge-
blieben ist, endlich durch einen
[37v]ihmihrer7, unsers vormaligen Collegen
und wir glauben auch sagen zu
dürfen, unserer Facultät, wür-
digen Mannes, bekleidet zu
sehen, und veranlaßt, (Ew.)Euer Excel-
lenz diese Angelegenheit aufs
Neue ehrfurchtsvollst ins Ge-
dächtniß zurückzurufen, und
damit dem ehrerbietigen An-
trag zu verbinden:

daß dem dringenden Bedürf-
nisse unserer Facultät
durch möglichst baldige
Vocation des p v. Gruit-
huisen oder eines andern
dem8 Bedürfnisse der Facultät
entsprechenden bekann-
ten Physiologen Hochge-
neigtest abgeholfen wer-
den möge.

Wir können nicht anders, als,
durch unsere Pflicht gedrängt,
[38r] (Ew.)Euer Excellenz ehrerbietigst vorzu-
stellen, daß9 nach den bereits geschehenen
Schritten, uns die Berufung des p. v.
Gruithuisen die wünschenswertheste
sein würde, dagegen die
etwaige Anstellung des böh
mischen ProsectorProsectors10 Purkinié kei-
nem unserer billigen Wünsche
entsprechen könnte.


Decanus, Senior und Doctores
Professores der hiesigen medicinischen Facultät
WRemer.
An
Ein Hohes (König.)Königliches Ministerium
der geistlichen Unterrichts und
Medicinal-Angelegenheiten
zu
Berlin.
[++]sehnansehn]
siesich]
gemeinschaftlichgemeinschaftliche]
wiederweiter]
d[++]davon]
SehnSehen]
ihmihrer]
dem]
daß]
ProsectorProsectors]
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Rechtsinhaber*in
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 14. Januar 1823. Breslauer medizinische Fakultät an Kultusministerium (Ausfertigung). Z_1823-01-14_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-19A6-B