[] Agave
Aus farbloser Hülle, Agave, bist du
In Schönheit erstanden, seltsame du,
Wie Blumen im Märchen durch Zauber erweckt.
Auf zierlichem Schaft, ihn bekränzend, ragst du,
Geworden noch kaum, vollendet doch schon.
Für einen berauschenden Frühling gibst du
Die Kraft eines Lebens, Agave, dahin
Und stirbst im Erblühen – ein Wunder bist du.
1
Zu Beginn des Goldenen Zeitalters Italiens lebte im Städtchen Ariccia, unweit von Rom, der Töpfer Pietro Venesco. Er war ein kleiner, unscheinbarer Mann, der sein mürrisches Wesen nicht einmal seinen besten Kunden gegenüber ablegte. Das brachte aber seinem Geschäfte keinen Schaden. Die Ware, die er führte, war eben von ganz vorzüglicher Art, und daß dem Padrone nicht gerade Frohsinn aus den Augen blickte, nahm ihm niemand übel; es gab dafür schwerwiegende Gründe.
Dieser Venesco hatte eine schöne Frau und einen herrlich schönen Sohn. Wer den Jüngling Antonio daherkommen sah in seiner Pracht über die Piazza oder durch die Gassen des Städtchens, so hochgewachsen, so stark und so schlank, der dachte: Du Gottgeliebter! und folgte dem Beispiel des Höchsten und liebte ihn auch.
Die Frauen und Mädchen ließen es an Zeichen ihrer freundlichen Gesinnung nicht fehlen; Antonio hätte seinen Lebensweg mit zertretenen Weiberherzen pflastern können, machte indessen von seinen Zauberkräften keinen Gebrauch. Nicht etwa, daß er dem jungen Weibervolke aus dem Wege gegangen wäre; er sprach und scherzte und tanzte mit den Schönheiten, an denen [] Ariccia großen Reichtum besaß, erwies aber keiner von ihnen die geringste Bevorzugung. Wenn die Unterhaltung oder der Tanz aus war, wandte er sich von seinen Partnerinnen so gleichgültig ab wie der Marionettenspieler von seinen Püppchen nach dem Ende der Vorstellung. Sehr oft sah man ihn in die Betrachtung einer hübschen Mädchengruppe am Brunnen oder vor der Kirche, der Osteria versunken. Doch war es kein anderes Betrachten als das eines Bildes an der Wand, und die Gegenstände dieser Aufmerksamkeit fühlten sich durch sie eher beleidigt als geschmeichelt. Er täte besser, meinten sie, einen gar nicht anzusehen als mit so schweigsamen Augen. Sie fingen an ihn geringzuschätzen, zu verspotten und ihm nachzusagen, er sei überhaupt kein Mensch, sondern ein Gebilde aus Ton und könne sich nur für das erwärmen, woraus er selbst gemacht sei. Man betrachte ihn doch, wenn er vor seinem Hause sitzt, ein dummes Stück Lehm in seinen Händen, mit dem er spielt, das er knetet und streichelt. Da fährt ihm die Zärtlichkeit aus allen Fingerspitzen, da flammen ihm die Wangen, da sprüht's ihm aus den Augen. Die kleine Cencetta, die Tochter des Winzers Vinutelli, dessen Gehöft an den Garten des Töpferhauses stieß, wollte den verrückten Menschen belauscht haben, als er einen eben fertiggewordenen Krug, der den Kopf eines alten Mannes mit einem Ziegenbart und spitzen Ohren vorstellte, hoch emporhielt und lachend und entzückt zu ihm redete.
Übrigens durfte Antonio sich nie lange an dem Anblick einer seiner Arbeiten erfreuen. Kaum beendet, war sie auch schon verkauft, und es wurden so viele Nachahmungen verlangt, daß die Werkstätte Pietros bald nicht mehr ausreichte, um allen Aufträgen zu genügen. Sie mußte vergrößert, ein paar Gesellen mußten aufgenommen werden. Die Nachfrage steigerte sich noch, als Antonio begann, die Waren zu bemalen, mit Arabesken, Blumen, einzelnen Figürchen, mit Darstellungen von allerlei komischen oder ernsten Vorgängen im Leben der Leute von Ariccia.
Dem Padrone wuchs die Arbeit über den Kopf. Ihm wäre es recht gewesen, wenn sein Kundenkreis sich verkleinert hätte, und er meinte das Mittel dazu gefunden zu haben, indem er seine Preise erhöhte. Die Käufer schimpften, feilschten – bezahlten. [] Das Geschäft gedieh, förmlich gegen den Willen seines Besitzers, immer glänzender. Äußerlich stand alles zum besten, im Inneren herrschten Unzufriedenheit und Hader. Der Sohn verlangte hinaus in die Welt, wollte das Handwerk an den Nagel hängen und ein Bildhauer werden oder ein Maler. Der Vater sprach ihm das Talent zum einen und zum andern ab. Es gab Zeiten, in denen sie kein Wort wechselten, dann wieder hörte man Venesco, aufs höchste gereizt durch den kalten Trotz Antonios, bis tief in die Nacht hinein wüten und toben, hörte das Klirren von zerschelltem Geschirr. Am nächsten Morgen lasen die Gesellen die Scherben kostbarer Schüsseln und Schalen vom Boden auf, und Cecilia, die Töpfersfrau, kam noch blasser als gewöhnlich und mit rotgeweinten Augen zur Frühmesse in die Kirche.
Sie zu fragen, was es wieder gegeben habe, wagte nur noch selten jemand. Cecilia wehrte jeden Versuch, sie auszuforschen, so entschieden ab, daß die Neugierigsten sich beschämt zurückzogen, fest entschlossen, dem unnahbaren Weibe nie mehr ein Zeichen der Teilnahme zu geben. Bei jeder solchen Gelegenheit stieg die Abneigung höher, die ohnehin gegen sie herrschte, weil sie glücklicher war, als sie zu sein verdiente, und dabei der Hochmut selbst.
Ihr Mann trug sie auf Händen, er hatte für sie nie ein hartes Wort, kaufte ihr die kostbarsten Kleider, den schönsten Schmuck. Einen so guten und großmütigen Eheherrn wie ihn fand man in Ariccia und wohl in der ganzen Welt nicht wieder. Seelenstark und treu erfüllte er das Gelübde, das er in der furchtbaren Stunde getan hatte, in der Cecilia, von ihrem Verführer verlassen, vor den betrogenen Mann getreten war und ihr Schuldbekenntnis abgelegt hatte: So steht's um mich, tue, was dir zukommt. Da hatte er ein Messer vom Tisch genommen und es ihr in die Brust gestoßen. Aber beim Anblick der scheinbar tödlich Getroffenen war sein Zorn erloschen und die alte Liebe allüberwindend wieder erwacht. Und er hatte zum Himmel gerufen: Tu ein Wunder, lasse sie mir, und ich will sie halten wie mein treues Weib, und das Kind in ihrem Schoße soll mein Kind heißen.
An einem schönen Frühlingsabend saß das Ehepaar Vinutelli [] in Gesellschaft des Baders Luigi Fenderigo und einiger anderer Bekannten beim Weine im Garten des Winzers. Fenderigo war eben aus Rom zurückgekehrt und von den Eindrücken, die er dort empfangen hatte, ganz berauscht. Als der Stuhl Petri wieder in der Ewigen Stadt aufgerichtet worden, als mit dem Riesengefolge des katholischen Oberhirten Glanz, Reichtum, Pracht eingezogen waren, hatten sie einen schreienden Kontrast zu dem Trümmerfelde gebildet, auf dem sie sich entfalteten. Nun residierte Oddo Colonna, der erste seit vierzigjähriger Kirchenspaltung einmütig gewählte Papst, als Martin V. im Palaste seines edlen Geschlechtes bei den Santi Apostoli. Kühne und glückliche Condottieri eroberten der Kirche ihren Staat zurück, den Frieden sicherten kluge Verträge. Eine große Bautätigkeit war rege, der verfallene Vatikan, die zerstörten, geplünderten Gotteshäuser erstanden verjüngt wieder. Gelehrte und Künstler wurden an die Höfe des Papstes und der Kardinäle berufen. Neues Leben pulsierte im alten Rom. Eine neue Kunst war seine schönste Blüte. Fenderigo bewunderte und pries sie voll Entzücken. Nirgends aber, meinte er, entfalte sie sich so wundersam wie in San Clemente, in der vom Kardinal Branda di Castiglione gestifteten Katharinenkapelle.
Eben begann der Redselige, was er gesehen hatte, feurig zu schildern, als Pietro Venesco vorüberkam und die freundlichen Grüße, die ihm zugerufen wurden, in seiner trockenen, kurz angebundenen Art erwiderte.
»Der Unglückliche«, sagte Julia Vinutelli, lehnte sich mit ihrer ganzen Wucht in ihren Sessel zurück und kreuzte die Arme und zur Erhöhung der Behaglichkeit auch die Beine. »Am vorigen Sonntag in der Kirche habe ich ihn beobachtet. Da stand er wie eine Säule der Verkündigung gegenüber und erhob kein einziges Mal den Blick. Nun ja – um den Engel nicht sehen zu müssen, dem sein Antonio von Tag zu Tag ähnlicher wird.«
Sie hatte das »sein« spöttisch betont, und man lachte; nur Fenderigo ereiferte sich: »Einbildungen!... Der Engel hat Ringellocken wie aus Draht und ein leeres Gesicht und Gliedmaßen so dünn und steif wie der Lilienstengel, den er in der Hand hält. Der Toskaner – ich habe ihn ja auch gekannt – war glutäugig und seidenweich gelockt – und gebaut! – und eine [] Gestalt! Der heilige Georg Drachentöter hätte sich ihrer nicht zu schämen gebraucht.«
»Der ganze Antonio«, schaltete Julia ein, indes der Bader lebhaft fortfuhr: »Kann ja sein, daß der schöne Pfuscher beabsichtigt hat, uns außer dem lebendigen noch ein anderes Abbild seiner selbst zu hinterlassen, gelungen ist es ihm nicht.«
»Wieso nicht gelungen?« rief eine weißhaarige Frau, die ein klassisches Gesicht hatte und eine große, zerzauste Frisur. »Aufgeschrien haben wir, wie das Bild enthüllt worden ist: Gott verzeih ihm die Sünde, das schwere Ärgernis – da hat er sich selbst als Verkündigungsengel und seine Geliebte, die Cecilia Venesco, als künftige Heilandsmutter gemalt.«
»Gemalt! Gemalt!« entgegnete Fenderigo, »ich kann das Wort, auf solches Machwerk angewendet, nicht aussprechen hören. Geht nach San Clemente und holt Euch dort einen Begriff davon, was malen heißt. Masolino da Panicale gibt ihn Euch und sein junger Schüler Tommaso Guidi, den sie Masaccio nennen.«
»Kann ihn freuen, das Schwänzlein an seinem Namen! Paßt es auch? Ist er schmutzig und ekelhaft?« fragte die Weißhaarige.
»Besonders gepflegt freilich nicht«, erwiderte der Bader und führte unwillkürlich die Hände über seine Wangen.
»Hättet Euch seiner erbarmen und ihm den Bart scheren sollen«, sagte Vinutelli.
»Es wächst ihm keiner. Gerade nur ein bißchen am Kinn.«
»Am Kinn – wie einer Ziege?«
»Nein, nein, ganz kurz, und auf der Oberlippe ein Bärtlein wie ein Schatten. Aber sein Gesicht ist männlich und ernst und hat viele Ecken und Hügel.«
»Ecken und Hügel?«
»Über den Augenbrauen zwei große und auch oben auf der Stirn, und alles voll Genie ... Und wenn er malt, da hätten die Engel des Gerichtes gut blasen, er würde sie nicht hören. Bei der Arbeit stört ihn nichts und nichts! Und wenn ihn noch so viele umdrängen, Lernbegierige oder bloßes Gaffervolk ...«
»Zu welcher Sorte gehörtet Ihr?« fragte Julia, und wieder lachten alle.
[]»Es gibt auch Leute, die man Kunstfreunde nennt«, erwiderte der Bader, »und es gibt, Gott sei Lob und Dank, noch jugendliche Begeisterung.«
»Bei Euch doch nicht?«
»Warum nicht? – Zum Beispiel die meine für Euch, Schönste, will nicht altern«, sagte Fenderigo galant. »Übrigens dachte ich jetzt nicht an mich, sondern ...« Er machte eine Pause, blickte sich mit seinen klugen Augen im Kreise um und sprach: »Hat keiner von euch bemerkt, daß wir den Antonio am Sonntag nicht mehr zu sehen bekommen?«
Julia besann sich, daß ihre Tochter Cencetta es allerdings bemerkt habe und daß die Kleine sich einbilde, der Tonklumpen müsse am Ende doch Feuer gefangen und irgendwo in der Nähe ein Liebchen haben, bei dem er seine Sonntagsfeier halte.
»Ist richtig – bis auf die Nähe«, versetzte Fenderigo. »Er hat eine Geliebte, aber sie wohnt in Rom, und zwei Nächte muß er mit Hin- und Hergehen verbringen, um ein paar süße Stunden hindurch ihren Anblick genießen zu können.«
»Ihren Anblick? – Ach geht – nur ihren Anblick? – Sähe ihm fast ähnlich!« riefen die Männer und die Frauen durcheinander, und es hagelte zweideutige Reden und derbe Witze.
Eine Weile verging, bevor der Bader sich wieder verständlich machen konnte. »Anblick sage ich! Anblick meine ich! Und mehr vermöchte auch der Kühnste nicht von ihr zu erlangen, denn die Angebetete ist die heilige Katharina selbst und von Masaccio an die Wand der ihr geweihten Kapelle gemalt.«
Eine gemalte Geliebte! – Die Enttäuschung war groß.
»Lauter Unsinn!« sagte Julia. »Ihr könnt den Unsinn doch selbst nicht glauben.«
»Was man mit seinen Augen gesehen hat, braucht man nicht zu glauben, man weiß es. Ich habe die Verzückung gesehen, in die der Jüngling vor diesen Bildern versinkt. So merkwürdig ist sie, so schön, daß es sogar dem Maler, dem nichts auffällt, auffiel und daß er neulich, nachdem Antonio sich losgerissen und die Kapelle verlassen hatte, gefragt hat, wer der Jüngling sei, der so bescheiden und inbrünstig zur Heiligen bete. Niemand wußte es«, fuhr Fenderigo, immer mehr in Eifer geratend, fort. [] »Da trat ich auf ihn zu, verneigte mich wie vor einem Kardinal im Purpur und sprach: ›Ich kenne ihn, er ist der und der.‹ Und – jetzt staunt! bei meinen Worten fliegt eine sehr liebliche Freundlichkeit über seine Züge. ›Der Töpfer aus Ariccia‹, sagt er, ›der die hübschen Vasen und Schüsseln formt und bemalt?‹ Denkt euch das! Weiß der Masaccio von ihm und – schmeichle ich mir – will gern noch weiteres von ihm erfahren. So gibt ein Wort das andere, und ich erzähle ...«
»Das kann man sich vorstellen«, rief das dicke Ehepaar wie aus einem Munde, »was Ihr erzählt haben werdet.«
»Was Gott verboten hat, werdet Ihr erzählt haben«, fiel ein bärtiger Geselle ein, der, einen Fiasco Rotwein zärtlich im Arme haltend, hinter Vinutelli stand.
Fenderigo sprang auf und fuchtelte ihm mit ausgestrecktem Zeigefinger vor der Nase hin und her: »Nichts Verbotenes, nur Gutes! Daß der Antonio ein Künstler werden möchte und wohl auch könnte und nur nicht darf, weil der Alte es nicht will. Meint vielleicht: Stammt von einem Pfuscher, wird nur ein Pfuscher ... ›Das ist nicht ausgemacht‹, sagte der Meister und erkundigte sich mit vielen Warum und Wieso derart eindringlich und genau nach all und allem, daß es mich nicht wundernähme, wenn er heut oder morgen an die Tür des Töpfers klopfen und fragen würde: Was ist's, Padrone? Wollt Ihr Vernunft annehmen und mir den Antonio anvertrauen, damit ich einen großen Maler aus ihm mache?«
»Lauter Unsinn. Das wird ihm einfallen«, sprach Julia.
»Kann man nicht wissen, kann alles sein und alles werden«, entgegnete der Bader. »Kann sogar sein – wenn es auch unbegreiflich scheint –, daß Antonio dereinst seinen Meister überflügelt, wie dieser den seinen jetzt schon überflügelt hat – den Masolino da Panicale.«
»Wie heißt er?« fragte die Weißhaarige herausfordernd.
Fenderigo wiederholte den Namen, ohne zu bemerken, daß sie fieberig war vor Ungeduld. »Einige behaupten – es braucht freilich deshalb nicht wahr zu sein –, daß er seine Arbeiten in San Clemente nur deshalb plötzlich abgebrochen hat, weil er sah, daß sie den Vergleich mit denen seines Schülers nicht bestanden. Es braucht nicht wahr zu sein – ich wiederhol's! Mir [] aber würde es einleuchten. Was meint Ihr dazu, weiser Vinutelli?«
»Nichts. Ich meine immer ... in derlei Dingen meine ich am liebsten nichts.«
»Jetzt malt der in Florenz, der Meister Masolino, in der Kapelle der Brancacci bei den Karmelitern. An den Gewölben malt er, und Masaccio soll ihm nachfolgen, sobald er seine Bilder in Rom vollendet hat.«
»In Gottesnamen soll er!« fuhr ihn die Weißhaarige an. »Ich kenne den Masolino nicht und nicht Euren schmierigen Masaccio, und Eure Malergeschichten wachsen mir zum Halse heraus.«
»Sancta Sim-pli-ci-tas!« – Der Beredsame war so verwundert, daß er ins Stottern geriet. »So sprecht Ihr, weil Ihr die Werke dieser Wundermänner nicht gesehen habt, weil Ihr keinen Begriff habt von der neuen Kunst. Ihr werdet anders sprechen, wenn Ihr einmal in Rom wart, wenn Ihr die heilige Katharina gesehen habt, wie sie dasteht, kaum dem Kindesalter entwachsen, im Götzentempel. Eine Heidenschar zieht ein unter Tubenschall, das Idol anzubeten. Die Jungfrau aber, von himmlischer Eingebung und von himmlischem Mute beseelt, hebt den Arm so!« Er reckte den seinen empor mit der Grazie eines Elefantenrüssels. »Triff mich, wenn du kannst! spricht sie zu dem Idol; schleudere deine Blitze auf mich herab, die dich verleugnet und verabscheut ... – Und noch tausendmal schöner ist sie im Kaiserpalaste, überirdisch und doch irdisch, wie vom Himmel niedergestiegen und doch unter uns wandelnd in Fleisch und Blut. Tief im Hintergrund des Saales thront Maxentius. Zu seiner Rechten eine Reihe Philosophen, zu seiner Linken eine Reihe Philosophen. In der Mitte steht die Heilige und widerlegt ihnen ihre heidnische Weisheit vom A bis zum Z. Die Philosophen schämen sich in ihre gelehrte Haut hinein, und man sieht sie denken: Du hast uns überwunden, du mußt sterben. So deutlich sprechen ihre Mienen, ihre Gesichter, ihre Hände, und alles ist natürlich. Und wenn Masaccio mit seiner Kunst einen Tempel malt, eine Gasse, eine Landschaft, meint man, man könnte eintreten in den Tempel, man könnte spazieren in der Gasse, in der Landschaft. Es ist genau wie in der wirklichen Welt.«
[] »Und lauter Unsinn«, sagte Julia. »Ein Bild hat ein Bild zu sein, und es soll niemand in ihm spazierengehen wollen; und die Heiligen sollen nicht so gemalt werden, daß junge Männer, die einen Hausstand gründen könnten, sich in eine farbige Figur verlieben statt in ein lebendiges junges Mädchen. Wohin kämen wir? Lauter Unsinn, Eure neue Kunst.«
Der Himmel blaute, und die Sonne schien. Aber rauh kam die Tramontana über das Apenninische Gebirge herübergestrichen, schüttelte die Blüten von den Apfelbäumen und fegte sie zu einem dichten Teppich vor dem Hause des Töpfers von Ariccia zusammen. Ein Fremder, der den Weg dahin erfragt hatte, bückte sich, nahm so viele von ihnen, als er fassen konnte, vom Boden auf, betrachtete sie lange mit liebreicher Aufmerksamkeit, preßte sein Gesicht in die mit Blütenschnee gefüllten Hände und sog den lieblich feuchten Duft tief atmend ein. Dann schritt er vorwärts und zum Fenster der Werkstätte. Einige Tonwaren befanden sich dort, unter ihnen ein auffallend schön geformter Krug. Ein naiv und keck gemaltes Bildchen schmückte ihn: der angetrunkene Silen, der den kleinen Bacchus seinen Pflegerinnen, den Nymphen, entführt. Sie trugen alle, wie die Jungfrauen in Ariccia, Schleier und Halskrausen, Schnüre von Achatsteinen hingen ihnen über die Brust herab, ihre weißen Schürzen waren mit bunten Stickereien, ihre weißen Schuhe mit roten Absätzen geschmückt. Wie sie in dem gegebenen Raume Platz fanden, blieb dem Beschauer ein Rätsel, bis die papierne Dünnheit ihrer Leiber es ihm löste. Aber höchst lebendig waren ihre Gebärden und die Mienen des Schreckens, mit denen sie den Räuber verfolgten. Er raste dahin über Stock und Stein, sehr in Gefahr, eines seiner Beine zu verlieren, das er in der Hast unvernünftig weit von sich geschleudert hatte. Überraschend gelungen war dem Künstler der kleine Olympier. Er saß auf der Schulter Silens, griff ihm mit einer Hand in seine wirren Haare, hob die andere in die Luft und jauchzte; lustig strampelten seine Beinchen gegen die Brust des Alten.
Während der Fremde das Bild ansah, wurde er selbst beobachtet. Von seinem Platz am Fenster aus hatte Venesco ihn erblickt und fragte sich, wer das sei und was der wollen möge, [] der regungslos im Sturme stehenblieb und einen Krug anlächelte. Ein Händler schien es nicht und auch kein Käufer, am wenigsten ein besonders wünschenswerter. Sein Anzug war ärmlich. Das Barett aus schwarzem Sammet, der braune Mantel aus grobem Mönchstuch zeigten Spuren langer Dienstbarkeit. In dem Äußeren des Mannes lag nichts Gewinnendes. Er war von mittlerer Größe und zart gegliedert. Seine dunklen Haare flossen, hinters Ohr gestrichen, auf den Nacken herab. Die Hagerkeit des Gesichts, der scharfe Schnitt der kurzen, geraden Nase ließen ihn auf den ersten Blick älter erscheinen als er, dem Schmelz der Haut, dem jugendlichen Glanz der tiefblauen Augen nach zu schließen, wohl war. Ihn für einen von den vielen, durch die Wechselfälle der unruhvollen Zeit herabgekommenen Signoris zu halten konnte niemandem einfallen. Zu den geringen Leuten gehörte aber dieser Mensch, der so unscheinbar und ohne Geleite durchs Land zog, gewiß nicht.
Als Venesco auf die Schwelle seines Hauses trat und schroffen Tones fragte: »Was steht Euch zu Diensten?« traf ihn ein Blick aus den Augen des Fremden, der ihn überraschte – und ihn gewann. Ein merkwürdig leuchtender, in die Tiefe schauender Blick.
»Schenkt mir Gehör, Meister Venesco. Ihr seid es doch?«
Pietro nickte und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Sie stiegen über ein paar Stufen in einen Vorraum, der zu der Werkstätte führte, einem länglichen, dämmerigen Gelaß mit niedriger, aus Balken gefügter Decke. Auf breiten Borden an den Wänden lagerte der Vorrat an Geschirr. Drehscheiben, schwere Tische, die den zubereiteten Lehm und allerlei Werkzeug trugen, eine Wasserkufe standen auf dem ziegelgepflasterten Boden umher. In der Tiefe der Werkstatt, dem breiten Fenster gegenüber, das auf die Straße ging, befand sich ein kleineres mit der Aussicht in ein Gärtchen. Helles Sonnenlicht drang von dort herein, bildete einen blendend goldigen, scharf abgegrenzten Streifen und ließ die ganze Umgebung grau erscheinen. Wie eine Glorie aber lag es auf dem Haupte des Jünglings, der im weißen Arbeitskittel, ein weißes Mützchen auf dem lockigen Scheitel, am Fenster saß. Er war eifrig mit dem Bemalen einer Schüssel beschäftigt und hob den Blick nicht beim Eintreten der beiden Männer.
[] Um so mehr Interesse schenkte der Besucher ihm. Er stand und betrachtete das schöne Menschenbild, das ihm da wie in einen Lichtmantel gehüllt erschien, mit freudigem Wohlgefallen. »Euer Sohn Antonio«, sprach er.
»Ihr kennt ihn?«
»Und er mich – fragt ihn nur.«
Antonio hatte aufgehorcht. Nun sprang er empor. Die Schüssel entsank seinen Händen und lag in Stücken. Und er stürzte vor und dem Fremden zu Füßen. »Tommaso Guidi! Tommaso Guidi!« schrie er. »Ihr, Meister!... Ihr bei uns!...«
»Du hast mich oft aufgesucht, wie ich höre, nun komme ich einmal zu dir ... zu euch – um seinetwillen«, verbesserte sich Masaccio, das Wort zugleich an Venesco und an seine Frau richtend, die aus dem anstoßenden Zimmer getreten war. Groß, fast überschlank, eine königliche Erscheinung in ihrer reichen Tracht.
»Mutter, meine geliebte, süße!« rief Antonio, »das ist Meister Tommaso Guidi – er selbst – er kommt zu uns!«
Sie verneigte sich mit einer eigentümlich schüchternen Hoheit, und Masaccio dachte an seine Madonna am Fuße des Kreuzes, und sie kam ihm unedel vor im Vergleiche zu dieser herrlichen Matrone.
»Steh auf!« herrschte Pietro den Sohn an, der schweigend gehorchte. »Um seinetwillen kommt Ihr, Herr Guidi? Was soll er?«
»Mein Schüler werden, wenn Ihr es gestattet, mir folgen nach Florenz, wohin Masolino mich ruft.«
Ein Jubellaut drang aus Antonios Brust: »Nach Florenz, dem gebenedeiten!... Mit Euch, Meister ...«
»Beruhige dich«, unterbrach ihn Pietro finster. »Meint Ihr einen Maler aus ihm machen zu können?«
»Er ist es, halb und halb.«
Pietro lachte höhnisch: »Halb und halb – und was er ist, wird er bleiben.«
»Wie könnt Ihr das wissen! Seine Malereien auf Euren Schüsseln und Schalen versprechen mehr, als Ihr ahnt.«
»Gut, gut, er erfülle die Versprechungen – an anderen Schüsseln und Schalen.«
[] »Damit Euer Geschäft gedeihe«, fiel Antonio ein, fahl vor Grimm und Qual. »Ob ich darüber zugrunde gehe, danach fragt Ihr nicht ... Aber Ihr, Mutter«, er wandte sich an sie, »Ihr, die mich liebt – helft mir, ich bitte Euch, Mutter, helft!« Ein glücklicher Einfall schien ihm plötzlich gekommen: »Ihr könnt es! Hat er nicht neulich gesagt: ›Nimm ihn! Verfüge über ihn! Ich überlasse ihn dir.‹ So verfügt denn, Mutter – meine geliebte –«
»Nicht so, nicht so«, unterbrach sie ihn mit sanftem, inbrünstigem Flehen und streckte die Hand abwehrend gegen ihn aus. »Dein Vater sprach die Worte im Zorn, sie sind nicht gesprochen. Berufe dich nicht auf sie, Antonio.«
»Also nein!« Er stieß heftig mit dem Fuß gegen den Boden, zerbiß die Lippen, und Tränen, heiß wie Feuerfunken, schossen ihm in die Augen. »Auch bei Euch kein Erbarmen. Ihr verlaßt mich wieder, wie Ihr mich verlassen habt, als Lucca della Robbia um mich schickte. Also nein! Aber wißt – es ist aus! Hier zurückhalten lasse ich mich nicht mehr, sperrt mich ein, bindet mich, ich entkomme Euch doch. Darf ich nicht mit Euch gehen, Meister Guidi, so folge ich Euch nach, und Euch will ich gehorsam und untertänig sein. Den Weg zu meinem Meister finde ich, das schwöre ich Euch, Mutter, und – Euch!« mit unaussprechlichem Haß schleuderte er das letzte Wort dem Padrone zu, der verächtlich an ihm vorübergeblickt hatte und nun zusammenzuckte.
Seine Frau trat an seine Seite und berührte leise und beschwichtigend seine Schulter. »Laß ihn ziehen, Pietro«, sagte sie, »laß ihn in gutem ziehen.«
Er sah sie an. »Du willst es? Du willst dich von dem Lichte deiner Augen trennen?« fragte er mit grausamem Spott.
»Es ist Zeit. Ich bin, wenn er bei uns bleibt, weiter von ihm getrennt als durch Berge und Seen.«
Eine Weile noch kämpfte er, den Blick starr zur Erde gesenkt, die krampfhaft geballten Fäuste zusammengepreßt. Dann raffte er sich auf und sprach hart: »Die Folgen über ihn und dich! Er gehe. Er werde, was zu werden der Teufel ihn treibt, von dem er besessen ist. Ein Halber, der sich ein Ganzer dünkt und anderen weismacht, daß er es ist ... Ein Gaukler nur und lebt auf Borg, aber gut, Borgen kennt kein Ziel. Die Zukunft zahlt, die große [] Zukunft, die er hat ... Ja der! was der noch leisten wird. Wartet ... wartet nur! Und daraufhin stiehlt er und raubt, stiehlt Hochachtung und Bewunderung und das Vertrauen der Männer und die Liebe der Frauen ...«
Ein fast unhörbares Wimmern, ein Flehen um Gnade zitterte auf den Lippen seines bleichen Weibes, und plötzlich, als hätte ein Peitschenhieb ihn getroffen, hielt Pietro inne.
Antonio trat auf seine Mutter zu und schloß sie in die Arme. Sie lehnte sich an seine Brust und sah voll Leid und Liebe zu ihm empor. Masaccio war ganz vertieft in ihren Anblick. Er betrachtete die feinen Linien ihres edlen Profils, und vor sein malendes Auge trat ein Bild voll hoher und rührender Schönheit, dessen Mittelpunkt und Glanzpunkt das emporgerichtete vergeistigte Angesicht der wundervollen Matrone war.
»Merkt Euch Eure Worte!« rief Antonio über das Haupt der Mutter hinüber dem alten Manne zu. »Der Tag kommt, an dem Ihr sie bereuen werdet. Merkt Euch Eure Worte, ich vergesse sie nie!«
Außerhalb der Stadtmauer von Florenz, unfern des zypressengekrönten Monte Oliveto, stand ein schmutziggelbes Haus mit schmaler Eingangstür und breiter, niedriger Loggia. Es hatte die Form eines großen Würfels, auf dem ein kleiner thronte: der nicht mehr ganz wetterfeste Turm. Von den ärmlichen, wie aus der Wildnis emporgewachsenen Häusern in seiner Nachbarschaft unterschied es sich vorteilhaft durch seinen wohlgepflegten Garten. Eine üppig wuchernde Rosenhecke umgab ihn, und er bildete gegen den Monte Oliveto hin ein ziemlich ansehnliches Grundstück, aber nur einen Streifen zwischen dem Hause und der Straße zur Porta San Frediano, deren massigen Bau man von der Loggia aus betrachten und bewundern konnte. Das wurde redlich von der Herrin des Villino besorgt, schon aus Familienstolz. Zählte doch der Erbauer der Porta zu ihren Ahnen, war sie doch eine Pisano und durfte sich rühmen, dem Geschlecht zu entstammen, das der Welt die großen Bildhauer und Architekten dieses Namens geschenkt hat.
Ihre Vermögensverhältnisse waren bescheiden, erlaubten ihr [] aber ausschließend zu sein in der Wahl ihrer Mietsparteien. Sie nahm überhaupt nur Künstler bei sich auf, am liebsten Maler, weil sie diesen so manche launige und sogar wertvolle Ausschmückung ihrer kahlen Stubenwände verdankte.
Mit Stolz wies Jungfrau Pulcheria auf die Zeugnisse des Aufenthalts berühmter Leute unter ihrem Dache hin. In dem großen, gegen Norden gelegenen Raume, der von ihnen als Werkstatt benutzt worden, sah man unter vielen anderen Schildereien die ersten Versuche Paolo Uccellos, Reiter und Schlachtengemälde in grüner Erde auszuführen. Man sah eine Wirrnis von breiten, kühnen Strichen, in denen Pulcheria ganz deutlich die Entwürfe des Spinelli da Luca Aretino zu seinen Bildern des heiligen Benedikt erkennen wollte. Man sah auch drei sprechend ähnliche Darstellungen der Padrona selbst. Nicht zu verkennen war ihre schmächtige Gestalt und der kühn gewölbte Rücken, die stolze Adlernase und das spitzige Kinn. Gherardo Starnina hatte sie als Amazone an der Spitze eines Katzenheeres in Lebensgröße, Lorenzo Bicci als Sibylle verewigt. Da prophezeite sie ihm selbst aus einem winzigen Speiseschüsselchen, daß er sich heute nicht satt essen werde. Und dem übermütigen Karmeliternovizen Filippo Lippi, war ihm nicht jüngst eingefallen, ein Seitenstück zu dieser genialen Darbietung zu liefern? In seinem ganzen tollen Übermut war er erschienen, hatte sich über Pulcheria und ihre Schutzbefohlenen, die Katzen und die Künstler, lustig gemacht und die schätzbare Jungfrau mit Überbleibseln von Farben, die er im Atelier vorfand, abkonterfeit. Wieder als Sibylle; diesmal aber prophezeite sie aus einer reich besetzten Platte einem ruppigen Gesellen, daß er satt werden würde; und mit einem Ausbruch der Entrüstung erkannte Pulcheria in dieser elenden Figur den Liebling ihres Herzens, Tommaso di Ser Giovanni Guidi, den sie – ihr zu Gram und Schmerz – Masaccio nannten.
»Tut das weg! tut die abscheuliche Fratze sofort weg!« hatte sie dem Novizen befohlen, er aber lachend die Flucht ergriffen. Vor dem Hause war er stehengeblieben, hatte zu der Loggia, auf die Pulcheria, ihm nachscheltend, getreten war, hinaufgeschielt und laut und hastig ausgerufen: »Was ich vergaß, Euch zu melden: Steckt einen Braten an den Spieß und Euch selbst [] in ein neues Gewand. Macht Euch so schön Ihr könnt, und noch viel schöner. Er kommt.«
»Wer kommt?«
»Er. Meister Masolino läßt es Euch sagen.«
»Wer kommt? frage ich, seid Ihr taub?«
»Ihr seid's, fürchte ich. Wäre schade. Ihr kämt um alle die süßen Reden, mit denen er Euch aufzuwarten brennt, dieser Höfling, dieser Arbiter elegantiarum!«
»Wen meint Ihr, Spottvogel, Possenreißer?... Du guter Himmel!... Mir läßt Masolino sagen: Er kommt?... Da meint er am Ende gar ... Filippo, Filippino – Schatz!... Filippo – Schlingel!«
Er hörte sie nicht mehr; er war unter den Bäumen verschwunden. Ihr Geschrei unterbrach die schöne grüne Stille, weckte aber keinen Widerhall.
Die Seele Madonna Pulcherias befand sich in Aufruhr. Sie glaubte erraten zu haben, wessen Besuch Masolino ihr hatte ankündigen lassen. Es konnte sehr wohl der ihres Tommaso sein, der seine Aufgabe in Rom gelöst hatte und den Masolino nun nach Florenz berief zur Mitarbeiterschaft an der Kapelle Brancacci. Ein großer Maler, der Tommaso di Christofano Fini, genannt Masolino, wer zweifelte daran? Am wenigsten sie, die ihn vor Jahren zum Lehrer Maso Guidis erkoren, weil er kein höheres Vorbild finden konnte als ihn. Heute stand es freilich anders; heute reichte die Kunst des Lehrers zu der des Schülers nicht mehr hinan.
Ob Masolino das empfand? Wie empfand, mit Stolz oder mit Neid?
Die alte Kunstfreundin setzte sich auf einen Strohsessel, sah in die liebliche Landschaft hinaus und sah auf ihren Garten hinab, aber ziemlich zerstreut und ohne Interesse an ihren sorgfältig und eigenhändig gepflegten Blumen- und Gemüsebeeten. Ihre Gedanken wanderten in die Vergangenheit zurück.
Des Ausflugs erinnerte sie sich, den sie vor Jahren nach Castel San Giovanni di Valdarno unternommen hatte. Und wie sie dort vor einem Hause stehengeblieben, auf dem mit Kohle eine staffagenreiche Landschaft gezeichnet war. Im [] Hintergrunde ragte eine Burg empor, und auf den Wegen und Wiesen spazierten Menschen und Tiere, so gut und natürlich ausgeführt, daß man nicht nur einen Mann von einer Frau und eine Kuh von einem Hund, sondern einen Erwachsenen von einem Kind und sogar eine Gans von einem Truthahn unterscheiden konnte.
Pulcheria hielt Nachfrage und erfuhr, daß es in San Giovanni noch mancherlei Wandschmuck dieser Art gebe und daß er durch einen der fünf Söhne, die der verstorbene Notar Giovanni di Simone Guidi hinterlassen habe, hergestellt werde. Die Leute schenkten ihm dafür ein wenig Geld oder Eßwaren, und er nahm die geringste Spende voll Dankbarkeit in Empfang und trug sie heim zur Mutter. Die Familie lebte in großer Dürftigkeit, und man durfte auf eine Besserung ihrer Lage nicht hoffen, denn weder die Notarswitwe noch ihre Söhne waren danach angetan, sich durch Arbeit emporzuhelfen.
Einer unter den fünfen vielleicht doch! dachte Pulcheria Pisano und ging hin und suchte die Familie auf.
Es wurde ihr leicht, die Notarswitwe zu bestimmen, ihr den kleinen Maso, der auf den ersten Blick ihr Herz gewann, anzuvertrauen.
Der Tag, an dem sie ihn zu Masolino gebracht, war ihr wie der gestrige. Unvergeßlich die Miene und das Achselzucken des Meisters und seine Worte: »Der Käfer will schon etwas können?« Er hatte aber doch eine Kohle vom Tisch genommen und gesagt: »Hier ist eine Kohle, und dort ist die weiße Tür. Auf die zeichne, was dir gefällt.«
Und da hatte der Käfer die Kohle ergriffen und nach kurzer Überlegung erwidert: »Da will ich Euch zeichnen, Maestro«, und war zur Tür hingeschritten ...
Oh, sie sah ihn noch! Sie wußte noch, wie ihr zumute gewesen, als sie ihn dort stehen sah. Auf seinen spindeldürren Beinchen stand er, im armseligen, zerschlissenen Höslein, und schickte sich an, eine Probe seines Talents abzulegen, von der vielleicht seine ganze Zukunft abhing.
Nachdenklich hatte er den Maler angesehen, sich gestreckt, die Augenbrauen zusammengezogen wie ein Alter ... die Zungenspitze zwischen die Lippen geklemmt wie ein Kind, wenn [] es recht aufmerksam ist ... Es war so lächerlich, Pulcheria hätte weinen können, wenn sie sich entsann, wie lächerlich das war ...
Du lieber Gott!... Und die Spannung, mit der sie jeder Linie folgte, die Masos kleine Hand auf die weiße Fläche hinzog. Und ihr Stolz, als der feierliche Meister ihr lächelnd zugenickt: »Ihr habt ganz recht gesehen, Madonna. Respekt vor Eurem Auge! Aus dem Käfer kann etwas werden, laßt ihn mir da.«
Nie hatte die plötzlich erwachte Liebe des alten Fräuleins zu ihrem Schützling sich verleugnet, obwohl er ihr viel Sorgen machte und sie beständig Krieg mit ihm führte.
Von dem, was es heißt, geordnet leben, zu bestimmten Stunden essen und schlafen, seine Kleidung in leidlichem Stand halten, wußte Maso nichts und wollte nichts davon wissen. War es denn nicht völlig gleichgültig, ob er das Stück Brot, das er brauchte, um seinen Hunger zu stillen, am Morgen oder am Abend verzehrte und ob er mit dem bißchen Schlaf, das ihm nötig war, einige Tag- oder Nachtstunden verlor? Was vor allem lag daran, ob er ein Kleid nach dem oder jenem Schnitte trug und ob es braun oder blau, alt oder neu war? Er geriet in Trost- und Ratlosigkeit, wenn seine Wohltäterin ihn ermahnte, doch einige Sorgfalt auf sein Äußeres zu wenden.
»Ich kann das nicht!« rief er, »ich müßte mir dazu neue Sinne wachsen lassen. Mich hat Gott auf die Welt gesetzt, damit ich schöne Bilder mache, und nicht, damit ich den Leuten gefalle. Er hätte mich sonst ganz anders hergestellt. Ich handle in seinem Geiste, wenn ich mich um mein Aussehen nicht kümmere. Gebt das zu und kümmert auch Ihr Euch nicht darum, Mütterchen.«
So grenzenlos Maso Guidis Bewunderung für seinen Lehrer war, so unerreichbar Masolino ihm in vielen Dingen auch erschien, strebte er doch in manchem über ihn hinaus. Gerührt durch seine Bitten, ließ Brunellesco sich herbei, ihm Unterricht in der Perspektive zu erteilen, der liebenswürdige, immer hilfsbereite Donatello unterwies ihn im Aktzeichnen und in der schwierigen Kunst der Verkürzungen.
Der rastlos Strebende segnete die zwei großen Männer, die sich zu ihm herabneigten und ihm Unbezahlbares spendeten aus dem Schatz ihres Könnens und Wissens. Pulcheria hingegen [] verwünschte den Baumeister und den Bildhauer. Sie sündigten auf Masos Genie, diese zwei! Er arbeitete sich zuschanden an den Aufgaben, die er von ihnen heimbrachte.
Eines frühen Morgens, als sie in die Werkstatt trat, um nachzusehen, ob die Magd schon Anstalt getroffen hatte, auch hier ihres Reinigungsamtes zu walten, fand sie Maso am Arbeitstisch eingeschlafen. Die Mappe lag vor ihm, er hatte die Ellbogen aufgestützt und hielt den Zeichenstift in der Hand. Sein Kopf war tief auf die Brust gesunken, und sein Gesicht sah aus so blaß und schmal wie das des Heilands auf Giottos Kruzifix, vor dem die Ewige Lampe brannte.
Pulcheria stand eine Weile da, betrachtete ihn und dachte: Du stirbst jung! Ich sehe mich schon, mich Alte, Unverwüstliche, dich zu Grabe tragen. Dürfte ich dir doch etwas abgeben, mein Liebling, von der zähen Kraft, die mir geschenkt ist, ich weiß nicht warum und wozu.
Sie konnte ein schmerzliches Aufstöhnen nicht unterdrücken, und er erwachte, erblickte sie und entschuldigte sich. Er begriff nicht, daß er bei seiner eben erst begonnenen Arbeit eingeschlafen war.
»Eben begonnen?« rief Pulcheria, »die ganze Nacht hast du über ihr gesessen. Vor Erschöpfung sind dir endlich die Augen zugefallen. Die Zeichnung ist fertig, die Lampe ist ausgebrannt, der Tag guckt zum Fenster herein, er ist nur«, und jetzt gebrauchte sie einen der originellen Vergleiche, in denen sie Meisterin war: »Er ist nur noch grau wie ein eben ausgekrochenes Vögelchen.«
»Wahrhaftig«, der Jüngling richtete sich auf, erhob sich. »Ja, ja, Ihr habt recht ... die Nacht ist vergangen, ohne daß ich ein Bewußtsein davon hatte, und die Zeichnung ...« er warf einen Blick auf sie, »mag für beendet gelten. Seht den Säulengang – reicht er nicht weit zurück? Seht auch, wie die Säulen sich verjüngen ...«
»Die Säulen, ja, die wohl«, sprach sie kummervoll. »Wenn nur auch du dich verjüngen würdest! Wenn du nur so jung sein wolltest, als du wirklich bist ... Du willst nicht, du willst dich alt machen vor den Jahren, du tötest dich aus Gier, ein großer Maler zu werden ... Und«, setzte sie lebhaft und eindringlich [] hinzu, »hat man je gehört, daß ein toter Mensch ein großer Maler geworden ist?«
»Deshalb muß ich es früher geworden sein«, erwiderte er, »und wer weiß, wieviel Zeit mir dazu gegönnt ist. Laßt das gelten, Mütterchen.«
Wenn er »Mütterchen« zu ihr sagte, war die alte Jungfrau entwaffnet und widersprach nicht mehr.
»Ja«, fuhr er fort, »wenn ich nicht so elend gezimmert wäre, wenn ich auf ein langes Leben zu rechnen hätte, wie Giotto es erreichte und wie meine Lehrer es erhoffen dürfen, könnte ich behaglich schreiten. – Aber so ...« Er öffnete die Arme, er tat einen tiefen, leise keuchenden Atemzug: »So heißt es: Rastlos vorwärtsstürmen ... die Kunst ist so schwer – das Ziel ist so fern!«
Jahre waren vergangen. Sie hatten ihm Ruhm gebracht. Um welchen Preis? Wie stand es sonst mit ihm? Hatte er sich nicht aufgerieben im Kampfe?... Wie sah er aus, ihr Maso? Daß sein Name nur noch mit einem verunglimpfenden Zusatz genannt wurde, machte seiner alten Freundin schwere Sorgen.
Er war kaum wieder da, der lang Ersehnte, als der Streit zwischen ihm und Pulcheria Pisano von neuem entbrannte. Ärmer, als er gegangen war, kam er zurück. Jeder Goldgulden, den er verdient hatte, war in die Taschen der habsüchtigen Mutter oder der leichtsinnigen Brüder gewandert. Und jetzt wollte der älteste einen Hausstand gründen und hatte, um das zu ermöglichen, Masaccio dazu gebracht, seine Einnahmen auf ein Jahr hinaus zu verpfänden.
»Früher hattest du nichts. Das war glatt, das war einfach«, dozierte Pulcheria. »Jetzt aber steht zwischen dir und diesem glatten, einfachen Nichtshaben ein Berg von Arbeit und Mühsal.«
Eine schwere Enttäuschung bereitete ihr Antonio. Sie hatte seinen Eingang gesegnet und bei sich ausgemacht: Diesem Götterjüngling würden die Liebesabenteuer aus dem Boden sprießen, wie Gras im Frühling sprießt. Sein nur um wenige Jahre älterer Lehrer könnte unmöglich gleichgültig bleiben all der Lebensfreude gegenüber, die sich rings um ihn entfalten dürfte. Ein [] Widerschein dieser Lebensfreude müßte farbenhell in seine ernste Seele fallen und den Wunsch in ihm entfachen, auch sein Teil Erdenglück zu erringen.
Unmut ergriff die Jungfrau Pisano, als sie entdeckte, daß der Schüler von derselben Art war wie der Lehrer. Ebenso emsig, ebenso still, ebenso abgewendet von Zerstreuungen und Freuden. Zeichen und Wunder! da fanden sich in Italien zwei Exemplare männlicher Gattung, die mitten im Getriebe der Welt standen und freiwillig ein Mönchsleben führten und mit Fra Giovanni da Fiesole um die Tugendpalme ringen durften. Was geht vor? fragte sich Pulcheria. Hat unsere Sonne etwas von ihrer Glut eingebüßt? Vermag sie keine andere Leidenschaft mehr gar zu kochen als die, Farben aufzutragen auf Leinwand und auf Mauern?
Schon am ersten Tag nach der Ankunft in Florenz nahm Guidi den Antonio mit in die Brancaccikapelle. Der Jüngling war Zeuge des Wiedersehens Masolinos und Masaccios und fragte sich, ob denn auch wahr und denkbar sei, was er erlebe. Die er immer nur in Sternenweite über sich gesehen, unerreichbar hoch und fern, mit denen durfte er nun eine Luft atmen, sich versenken in ihren Anblick, durfte mit ihnen verkehren. Die Ehrfurcht, die Masaccio seinem ehemaligen Lehrer bezeigte, verdoppelte die Ehrfurcht Antonios für seinen Meister, der sich immer noch als Schüler fühlte.
Beide Maler hatten die Ausschmückung des Gewölbes beendigt. Guidi zeichnete den Entwurf zu den Figuren des ersten Menschenpaares nach dem Sündenfall, die am Eingangsbogen das Seitenstück zu den von Masolino gemalten Stammeltern unter dem Baume bilden sollten. Die Fresken in der Kapelle selbst waren bestimmt, eine Verherrlichung der Taten und Wunder der Apostel Petrus und Paulus zu sein, und die erste Aufgabe, die Masolino für sich wählte, war die Wiedererweckung der Tabita.
Er hatte die Arbeit eben begonnen, als ein Ruf des Kardinals Branda di Castiglione ihn nach Rom beschied.
Einige Tage nach seiner Abreise sagte Guidi zu Antonio: »Jetzt hat er den Kardinal schon gesprochen und wird nach San Clemente gegangen sein und meine Bilder kennengelernt haben.«
[] Die Unruhe und bange Spannung, die den großen Künstler erfüllten, taten seinem Jünger leid. Alles Lob, alle Bewunderung, die Masaccios Werke ihrem Schöpfer eingetragen hatten, waren vergessen. Von dem Urteil Masolinos schien allein die Entscheidung über ihren Wert oder Unwert abzuhängen.
Inzwischen verbreitete sich in Florenz ein seltsames Gerücht. Filippo Scolari, der im Dienst des Königs Sigismund stand und die Würde eines Obergespans von Temesvar bekleidete, sollte den berühmten Masolino unter glänzenden Anerbietungen eingeladen haben, nach Ungarn zu kommen, um dort seine Kunst auszuüben. Die Kühnheit dieser Zumutung erweckte allgemein Staunen, Entrüstung und Spott.
»Scolari hat den Verstand verloren«, sagten die Mitglieder der Malergilde. »Unmöglich könnte er sonst von einem, der bei uns ein großer Maler geworden ist, verlangen, daß er die Früchte seiner Meisterschaft den Barbaren vorwerfe.«
Früher, als man erwartet hatte, kam Masolino aus Rom zurück. Masaccio fand ihn eines Morgens in der Kapelle. Sein Herz klopfte, als er den Verehrten grüßte. Der betrachtete prüfend das eben beendete Bild der Vertreibung aus dem Paradiese. Er studierte jede Linie an den Gestalten des unseligen ersten Menschenpaares, die Modellierung der Körper, den Ausdruck jammervoller Verzweiflung im Angesicht des Weibes, der Trostlosigkeit und glühenden Scham, mit der der Mann das seine in den Händen vergräbt. Über ihnen schwebt der Bote des Herrn und treibt sie von der Stätte der Schönheit und des Friedens in eine fremde, feindliche Welt.
Sehnlich wartete Masaccio auf ein Wort des Lobes – oder des Tadels. Auf eine Unterbrechung nur des grausamen, beschämenden Schweigens. Und nicht minder heiß verlangte Antonio, der in seines Meisters Seele durch dieses Stummsein litt, nach einem befreienden Wort.
Masolino stieg auf das Gerüst, das an der oberen Hälfte der Linkswand vor seiner Freske angebracht war, die Schüler gingen an die Einteilung der anderen Wände nach seinen Plänen. Sie sprachen nur flüsternd miteinander. Die Verstimmung der beiden Meister teilte sich allen mit, lastete auf allen.
[] Ist er nicht in San Clemente gewesen? fragte sich Masaccio. Das ist ja undenkbar. Scheint ihm meine Arbeit nicht der Erwähnung wert? Ist der Eindruck, den sie ihm gemacht hat, schon verwischt?
Er suchte zerstreut nach einer Vorlage in seiner Mappe. Da war ihm, als ob er den Blick Masolinos auf sich ruhen fühle. Er erhob den seinen und begegnete den kalten, fast vorwurfsvollen Augen des Meisters. »Was ist?« fragte er unwillkürlich. »Was habe ich getan?«
»Du hast mich getäuscht«, erwiderte Masolino, »oder vielmehr ich täuschte mich über dich. Als wir zusammen in der Katharinenkapelle malten, dachte ich oft: Eine Zeit wird kommen, in der die Menschen sich die Köpfe darüber zerbrechen werden, ob dieses oder jenes Bild, diese oder jene Gestalt dir oder mir zugeschrieben werden soll. Möglich sogar, daß ich selbst, wenn ich nach Jahren wiederkäme, mich fragen würde: Hat das Maso Guidi, habe das ich gemalt? Nun aber ...«
»Nun aber?«
Alle blickten gespannt zu ihm hinauf. Er war stolz und prächtig und fuhr in majestätischer Gelassenheit fort: »Nun weiß ich, daß ich so nicht fragen werde, daß ich nicht mit dem Bewußtsein sterben werde, einer bleibt zurück, der mein Werk fortsetzt. Nicht nachfolgen wirst du mir, du wirst deine eigenen Wege gehen, Maso, lichtere, weiterführende Wege. So räume ich dir denn auch hier das Feld und sage Euch Lebewohl. Ich habe den Antrag Filippo Scolaris angenommen.«
Stimmen der Überraschung, der Empörung wurden laut. Von allen Seiten erhob sich heftiger Widerspruch, dringendes Beschwören.
»Unmöglich!« – »Das darf nicht geschehen!« – »Um keinen Preis!« – »Bleibt bei uns!«
Masolino gebot Schweigen, schritt langsam vom Gerüste herab, trat auf Masaccio zu und legte die Hand auf seine Schulter. »Florenz braucht mich nicht mehr, es hat einen größeren, es hat dich!«
Guidi war wie betäubt, wie geblendet durch einen plötzlich hereinbrechenden Lichtstrahl. »Mich«, wiederholte er leise und wie gewürgt, »dem der Lebensnerv der Größe fehlt: Selbstvertrauen? [] Mich, der in allem, was er schafft, nur die Fehler sieht?... Mich elenden Schwächling, der lange nicht mehr dasein wird, wenn Ihr die Welt durch Eure Werke noch in Entzücken versetzen werdet?«
Masolino sah ihn an, und etwas ihm bisher Unbekanntes regte sich in ihm: Rührung.
Sein Ton war weich, und aus seinen strengen Augen brach ein milder Strahl, als er sagte: »Sei ruhig, Tommaso, wenn du morgen von uns gingest, für deine Unsterblichkeit wäre gesorgt.«
Nach der Abreise Masolinos erweiterte und bereicherte Guidi die Komposition der »Wiedererweckung der Tabita«. Er umgab die Bahre der Heiligen mit einer lebensvollen Gruppe. Selige Beklommenheit, atemraubendes Staunen, stilles, frommes Entzücken drückte sich in den Zeugen des Wunders aus. Jede Gestalt war von eigentümlichem Leben beseelt; die Hand segnend erhoben stand der Apostel; Heilandsgröße und Heilandsmilde verklärten ihn, das todbesiegende Wort schwebte auf seinen Lippen. Und als Antonio eines Nachmittags in die Kapelle trat, da war auch die Hauptfigur des Gemäldes beendet. Das Bild seiner Mutter leuchtete ihm in Schönheit und Verklärung entgegen. Hingerissen stürzte er vor ihm auf die Knie. Guidi hatte ihr Gesicht im Profil dargestellt, wie er es sah, als sie gepeinigt an der Brust ihres Sohnes lehnte. Er ließ sie zu dem Wundertäter emporblicken mit einem erschütternden Ausdruck im großen, von tiefem Schatten verdunkelten Auge. Sie schien sich mühsam aufgerichtet zu haben, Leichenblässe lag auf ihren Zügen. Die auf der Brust gekreuzten Arme hielten noch die weißen Grabtücher fest, von denen sie umhüllt waren. Der Blick der Heiligen ruhte in dem des Apostels: Warum weckst du mich? Muß es denn sein? Du weckst mich zum Leiden.
Mit jedem Bilde, das er beendete, stieg der Ruhm Maso Guidis und zugleich – seine Unzufriedenheit mit sich selbst. Während er die letzten Striche an einer Arbeit führte, erfaßte ihn schon ein fieberhafter Drang, die nächste zu beginnen, in der es ihm gelingen müsse, die Unvollkommenheiten der früheren zu vermeiden. Gelegenheit, immer Neues zu unternehmen, bot sich ihm reichlich. Kirchenfürsten und weltliche Stifter geizten [] danach, fromme Stätten mit Werken von ihm zu schmücken. Er mußte, um nur die dringendsten Aufträge zu erfüllen, oft monatelang seine Arbeiten in dem Carmine unterbrechen. Wenn er sie dann wiederaufnahm, war der Zugang zur Kapelle mit Schau- und Lernbegierigen umlagert. Die einen vertraten ihm den Weg und sprachen ihn an, um sich rühmen zu können, daß sie einige Worte mit ihm gewechselt hatten; die anderen wiesen ihm ihre Arbeiten vor und hofften, daß er sie annehmen werde als Schüler. Sich so nennen zu dürfen war ein schwer errungenes Glück. Daß es dem Töpferssohn aus Ariccia gleichsam in den Schoß gefallen, daß er zwei Jahre nach seiner Aufnahme schon neben Guidi auf dem Gerüste stehen und Einzelheiten an seinen Fresken ausführen durfte, erregte bei den anderen Kunstbeflissenen Neid und Feindseligkeit.
Am giftigsten äußerte sie in seinen Reden und Anspielungen der viel ältere, düstere Andrea del Castagno, am übermütigsten trug Filippo Lippi sie zur Schau. Antonio nahm alles, was ihm angetan wurde, ruhig hin, als wenn es sich um Geduldproben handelte, die zu bestehen einem Schüler zukommt. Es ließ sich keine Lücke finden in dem Panzer seiner Kaltblütigkeit. Verspotteten sie ihn, schimpften sie ihn »Schüsseldreher«, klagten sie ihn, um seines Fleißes willen, der Wohldienerei an – er zuckte die Achseln. Umdrängten sie ihn und suchten sie ihn bei der Arbeit zu stören, schob er sie still und gelassen von sich. Doch verriet er dabei eine so überlegene Kraft, daß sie es für geraten hielten, ein Handgemenge mit ihm lieber zu vermeiden.
Er war nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, weil er seiner selbst, seines Talents, der großen Zukunft, der er entgegenging, sicher war. Er bereitete sich auf sie vor wie auf ein Priestertum. Er wußte wohl, mit Malen und Zeichnen ist es nicht getan. Die geschickte Hand, das sehende Auge machen den Künstler nicht aus. Er braucht mehr. Er braucht die klare Weltanschauung, die er nur aus dem Wissen schöpfen kann, er braucht das Verständnis für andere Künste, das den Blick weitet.
Mühselig lernte er lesen und schreiben, studierte, was es gab an Übersetzungen der Alten, wußte ganze Gesänge der Divina commedia und mehr Sonette Petrarcas auswendig als selbst Pulcheria, die sich einer tiefen Kenntnis der Werke des hochgefeierten [] Dichters und Humanisten rühmte. »Wohl hat er seinen Namen«, sagte sie, »und den seiner Laura unsterblich gemacht durch seine Liebesgesänge, aber bloß diese nennen, das wäre, wie wenn man von einem Heros nur wüßte, was er sich ab und zu Schönes träumen ließ.«
Eines Nachmittags war Antonio mit der Vollendung eines Studienkopfes, der ihm besonders gelungen schien, beschäftigt, als Pulcheria und Filippo in die Werkstätte traten.
Das Fräulein verlangte einmal wieder kategorisch die Übermalung von ihrer und Guidis Karikatur. Sie zog den Novizen beim Ohr zu seiner fratzenhaften Schilderei hin: »Ändert das! Übersetzt das ins Menschliche!«
»Wie soll ich?... Womit?« Wie suchend, kindliche Unbefangenheit im feinen, rosigen Gesicht, sah er sich um. »Damit vielleicht?« In einer Ecke hatte er einen Reisbesen entdeckt, sich seiner bemächtigt, war von hinten auf Antonio zugesprungen und hatte blitzschnell seine Zeichnung verwischt.
Antonio wandte sich. Er war feuerrot. »Büberei!« murmelte er.
Pulcheria kreischte, entriß Filippos Händen den Besen und führte mit ihm einen Schlag auf sein Haupt, der es in Staub hüllte: »Unheil, das Ihr seid! Ja, Unheil! Da habt Ihr dem armen Jungen die Arbeit von vielen Stunden ruiniert. Ihr aber, Ihr Allerweltschadenbringer, was könnt denn Ihr? Nichts – das könnt Ihr!«
»Freilich, freilich! Es ist so«, sagte Filippo in kläglichem Tone und senkte in affektierter Demut die Augen.
»Macht wenigstens eine Eurer Schandtaten gut – das macht gut.« Sie reichte ihm einen der großen Pinsel Guidis und wies auf die Wandmalerei.
»Wie soll ich? Wenn ich nicht kann? Sagt Ihr doch selbst, daß ich nicht kann ...«
»Versucht zu können, Heuchelkatz!«
»Ich will! ich will!« rief er, als hätte plötzlich Begeisterung ihn ergriffen. »Her mit dem flammenden Borstenbündel! Her mit dem glorreichen Werkzeug, das einem Unsterblichen dient. Etwas von ihm ist darin zurückgeblieben, es durchdringt mich – ich fühl's. Bleibt stehen, Madonna Pulcheria, und seht mich [] an, ich male Euch um, daß Ihr Euch in dieser Fratze nicht mehr erkennt, sondern ausruft: Wer ist die Herrliche? Bin das ich, oder ist es die Venus Anadyomene?«
Er tauchte den Pinsel tief in den ersten besten Farbentopf, trat vor die Karikatur der Hausfrau und war im Begriff, sie zu übertünchen, als Antonio auf ihn zusprang, ihm in den Arm fiel und mit ungewohnter Lebhaftigkeit ausrief: »Laßt das! Laßt das stehen!«
Verwundert trat Lippi einen Schritt zurück und senkte die Hand mit dem Pinsel, von dem die Farbe herabtropfte auf sein Novizenkleid. »Warum?« fragte er. »Wäre Euch leid um das Zerrbild? Gefällt es Euch?«
»Mir nicht. Aber schade wär's darum. Es soll stehenbleiben.«
»Wenn es niemandem gefällt?«
»Man muß es doch bewundern«, erwiderte Antonio. »Es ist sehr häßlich, und man muß es doch bewundern.«
Filippo brummte einige unverständliche Worte. Daß der Schüsseldreher, dem er eben eine Arbeit verdorben hatte, die seine vor ihm selbst schützte, beschämte ihn. Hinzugehen und ihm die Hand zu reichen, daran dachte er freilich nicht. Was hatte der Schüsseldreher ihn zu beschämen?
Pulcheria komplimentierte ihn kurzweg zur Tür hinaus. Zu Antonio sagte sie nichts, dachte aber lange über ihn nach. Er hatte Instinkte, die ihr äußerst wohlgefällig waren, der Mensch. Nur leider nicht mehr Blut in sich als ein Malstock und nicht mehr Courage als eine Maus in der Falle.
Neapolitanische Kaufleute, die auf dem Wege nach Genua waren, brachten Antonio die ersten Nachrichten von den Seinen. Venesco ließ ihm sagen, er möge des Abkommens eingedenk sein, das mit Meister Tommaso Guidi getroffen worden war. Mehr als die Hälfte der Zeit sei verflossen, in der es sich gezeigt haben müsse, ob Antonio bestimmt war, die Erwartungen seines Lehrers oder die Prophezeiung des Vaters zu erfüllen. Die Mutter hatte hinzugefügt, er solle nur endlich einmal Nachricht geben, und wissen solle er: ob ihr Sohn als angehender Künstler, ob als Handwerker zurückkehre, sie würde ihn mit offenen Armen und mit immer gleicher Liebe empfangen.
Sie sei schwach und kränklich, erzählten die Kaufleute, und [] Venesco schwer bekümmert. Im Geschäfte ließe sich ein arger Rückgang bemerken; die Borde ständen voll von unverkauftem Geschirr, die Lehrlinge seien entlassen.
Von alledem ging Antonio nur das wirklich nahe, was sich auf seine Mutter bezog. Er bereute, sie so lange ohne einen Gruß, ohne die kleinste Kunde gelassen zu haben, und empfand es als Trost und Glück, daß sich ihm nun Gelegenheit bot, sein schweres Versäumnis gutzumachen. Die Kaufleute, die, auf ihrer Heimkehr, in einigen Wochen Florenz wieder berühren wollten, um eingehandelte Waren abzuliefern: für die Maler Gold und Purpur, für die Reichen Seiden-und Sammetstoffe, erklärten sich bereit, eine Botschaft an seine Eltern zu übernehmen.
Antonio benutzte die kurze Frist, um einen Brief und drei Zeichnungen für seine Mutter fertigzubringen. Sie stellten drei Fresken Guidis dar, die Vertreibung aus dem Paradiese, die Wiedererweckung der Tabita und die Befreiung Petri aus dem Kerker durch den göttlichen Boten. Unter die Wiedererweckung hatte Antonio geschrieben: »Seht, Mutter, meine liebe Mutter, so habe ich Euch immer vor Augen, und wenn ich zu Euch zurückkomme als der große Künstler, der ich mit Gottes und meines Meisters Hilfe werden muß, sollt auch Ihr zu neuem Leben erwachen wie die Heilige, die Eure Züge trägt, aber viel glücklicher sein als sie, so glücklich, wie meine schwache Feder es nicht aufschreiben und wie keine Sprache es aussprechen kann.«
Masaccio spendete den Zeichnungen volles Lob. Er staunte über die Treue, mit der sie zur Anschauung brachten, daß seine Kunst als ihr höchstes Ziel anstrebte, »die Dinge nachzuahmen, wie sie sind«. Trotz des kleinen Maßstabes fehlte nichts. Die strenge Komposition, jede einzelne Gestalt, der Faltenwurf der Gewandung, der Ausdruck der Gesichter sogar fand sich auf den verjüngten Kopien wieder.
»Aber«, meinte der Meister, der alle diese Vorzüge gelten ließ, »du solltest dir doch auch selbst etwas einfallen lassen.«
Wohin ist die Keckheit gekommen, mit der er seine Tongefäße bemalte und die mich entzückte? dachte Masaccio. Gehört er zu denen, die verkümmern im Zwang der Schule? Wird ihm das Wissen zur Last statt zum Flügel? Bedeutet das Finden eines Schönheitsgesetzes ihm nicht ein Wiederfinden?
[] Der bisher so saumselige Antonio erwartete jetzt mit kaum bezähmbarer Ungeduld die Rückkehr seiner Boten. Als sie eintrafen, überraschte ihn Pulcheria mit der Nachricht, daß sie in eigener Person seine Sendung bestellen wolle. Sie konnte ihrer Sehnsucht, Masaccios Fresken in San Clemente kennenzulernen, nicht länger widerstehen, und »einmal in Rom, will ich denn auch bis nach Ariccia stoßen und«, sprach sie, »das Urbild der Tabita, Cecilia Venesco, begrüßen. Ich werde ihr von dem lieben Sohne erzählen, der die Bienen an Fleiß, die Fische an Stummheit und alle Tiere an Unfähigkeit, etwas Schriftliches von sich zu geben, übertrifft.«
»Ihr haltet das Schriftliche in Händen«, bemerkte Antonio.
Und sie rief: »Rühme dich noch!« und drehte sich so rasch gegen ihn, daß ihr Mäntelchen flog. »In Jahren ... zwei sind's und drüber – ja, drüber –, in zwei Jahren schriebst du einmal, Unhold du! und einmal ist keinmal. Das wußte schon Adam im Paradiese, und in der Arche galt's für abgedroschen.«
Wohlverpackt und mit Reisezehrung versehen, wurde Pulcheria von Guidi den Neapolitanern übergeben. Voll Wagemut zog sie aus und kehrte einen Monat später in hochgehobener Stimmung heim.
»O mein Maso, Apostel du!« waren beim Wiedersehen des Pflegesohnes ihre ersten Worte. »Fromm wie nie habe ich in San Clemente gebetet. Auch mich hätte man martern können, während ich vor deiner Heiligen stand, ich würde so wenig wie sie etwas davon gemerkt haben. Der Engel der Andacht hätte die Stacheln der Qual stumpf gemacht.«
Donna Pisano kam nicht allein aus Ariccia zurück. Sie brachte Cencetta Vinutelli mit. Im Winzerhause, in dem der Kindersegen nicht aufhörte sich einzustellen, war der Raum sehr eng geworden. Cencetta, die Erstgeborene, stellte ihren Eltern vor, daß für die Herangewachsenen die Zeit gekommen sei, dem Nachschub Platz zu machen. Sie setzte es durch, daß man sie mit Pulcheria Pisano ziehen ließ, von der sie gern als Dienerin angenommen wurde.
Nun war sie da und freudeverklärt, denn Antonio benahm sich gegen sie nicht mehr so tonklumpig wie früher. Seine Augen leuchteten und lachten, als er die anmutige Heimatsgenossin [] erblickte. Nicht satt hören konnte er sich an den Botschaften, die sie brachte, aus dem Städtchen, von den Bekannten, den Freunden und vor allem – von seiner Mutter. Entzückt war sie gewesen und gerührt von seinen Zeichnungen und von seinem Briefe. Die Zeichnungen mußte auch der Vater bewundern, tadelte nur den kleinen Maßstab, in dem sie ausgeführt waren. Aber Fenderigo belehrte ihn, in dieser Kleinheit läge eben die größte Kunst. Der gebenedeite Fra Angelico verschmähte nicht, die seine in dieser Art auszuüben und elfenbeinerne Täfelchen und Osterkerzen mit winzigen Figürchen zu bemalen.
Masaccio vollendete jetzt das Bild des taufenden Petrus auf der rechten Seite der Wand, die dem Eingang zur Brancacci-Kapelle gegenüberliegt. Die Komposition war reicher als die seiner früheren Gemälde. Eine dichte Menge umdrängte einen kristallklaren, grottenartig überwölbten Wasserspiegel. Der Heilige hatte aus ihm in eine Schale geschöpft und goß ihren Inhalt über das Haupt eines Jünglings, der, die Hände fromm gefaltet, vor ihm kniete. Edel wie auf dem Tabita-Bilde war die Erscheinung des Apostelfürsten, und wieder sprach seine hoheitsvolle Miene und Gebärde: Ich wecke dich zum Leben.
Dem Knienden zunächst und schon losgelöst von der Gruppe der anderen der Taufe Harrenden stand ein Nackter, schlank und schön, und blickte mit kindlicher Verehrung zu Petrus hinüber. Ihn fror; es durchrieselte ihn kalt vom Wirbel bis zur Sohle, er verschränkte die Arme fest um die Brust, und seine jungen Glieder zitterten.
»Herrlich!« ließ eine Stimme hinter dem Meister und seinem am Gewande Petri malenden Gehilfen sich vernehmen. »Ich weiß keinen schlimmeren Herabwürdiger der Werke Masaccios als ihn selbst. Mit jedem neuen, das er malt, setzt er den Wert des früheren in Schatten.«
Lippi hatte es ausgerufen in völliger Hingerissenheit. »Herrlich«, wiederholte er, »in hoher Schaffenslust habt Ihr das dargestellt. Herrlich alles, der Apostel, der Neophyte, herrlich die Bursche, die warten, daß die Reihe des Getauftwerdens an sie komme ... Wie dicht aneinandergepreßt sie sind, und wie doch jeder nur seinen eigenen Raum einnimmt, ihn nicht dem Nachbarn [] wegschnappt ... Das hätte Giotto nicht machen können, den Ihr in den Himmel erhebt.«
»Wohin er gehört«, versetzte Masaccio. »Wo ständen wir ohne diesen Neubegründer unserer Kunst? Was wäre ich, wenn sein Ruhmesstern mir nicht vorangeleuchtet hätte?«
»Ihr wäret, der Ihr seid!« rief der immer gern und um jeden Preis widersprechende Novize. »Eure leidige Demut will immer den anderen alles verdanken. Ihr hättet keinen Lehrer gebraucht als Euer Auge und keine Schule als die Natur.« Eine Weile sah er dem Meister zu, der sich in seiner Arbeit nicht unterbrechen ließ, und sprach dann: »O Einziger, so malen wie Ihr ist schön!«
»Lernt es doch, Talent habt Ihr; Euch fehlt nur der Fleiß.«
Da war das Wort gesprochen, das Lippi nicht hören konnte, ohne heftig zu werden. Er schob die Unterlippe trotzig vor; zornig funkelten seine freundlichen, eben noch um Wohlwollen und Sympathie werbenden Augen. »Fleiß!« rief er und deutete voll Hohn auf Antonio. »Tugend der Maulwürfe und Handwerker. Aber auch die Eure, Meister, Eure sträflich übertriebene Tugend.«
Der jähe Stimmungswechsel, dem er unterworfen war, hatte sich vollzogen; das Bedürfnis, den herabzusetzen, der ihm eben Bewunderung abgerungen, ergriff ihn. »Ich werde mich hüten, mich von der Teufelin behexen zu lassen wie Ihr; mich hüten, die Jugend, die Gesundheit ungenossen zu lassen, das Leben zu versäumen und das Glück, damit es einmal ein paar bunte Wände mehr in Kirchen und Palästen gäbe ... Ich werde nicht in geflickten Kleidern herumlaufen wie Ihr, zum Mißfallen aller schönen Frauen, ich werde Eurem Beispiel nicht folgen und mich Pipaccio nennen lassen um eines Ruhmes willen, dessen Früchte ich vielleicht nicht einmal mehr zu kosten bekäme.«
Als er das sagte, wandte Antonio sich um und maß ihn wegwerfend: »Im Wams aus Goldbrokat mit den langen Ärmeln, in dem Ihr auf und ab segelt vor den Fenstern der Schönen, Eurem Stande zum Trotz, könntet Ihr freilich nicht malen. Zum Baden und Salben hättet Ihr freilich keine Zeit.«
Antonio, der Schweigsame, der bis zum Stumpfsinn Nachsichtige, raffte sich auf, erteilte eine Zurechtweisung? Durch das [] unerhörte Ereignis gereizt, ließ Filippo seinem Übermut die Zügel schießen. Er sprang aufs Gerüst, faßte den Arglosen von rückwärts an beiden Ohren und rief: »Baden und Salben dünkt dich sträflicher Luxus, Töpferssohn? Du kennst die Reinlichkeit nur vom Hörensagen.«
»Euch haben sie schon in der Wiege gesalbt mit Schweinsfett und Ochsenblut; nicht wahr, Fleischerssohn?« entgegnete Antonio, und Guidi lachte.
Da begann Filippo zornglühend den Kopf seines Widersachers wie ein Pendel hin und her zu schwingen und schrie dabei: »Schmutzfinke, Schmutz-fin-ke, alle zwei! Schmutz-fin-ke von der Kunst Gnaden!«
»Hört auf!« sprach Antonio, und als Filippo fortfuhr, ihn zu quälen, machte er sich mit einem kräftigen Ruck von ihm los, gab keinen Laut von sich, war aber weiß vor Wut. Im Nu hatte er den schmächtigen Novizen an den Schultern gepackt, drehte ihn um die eigene Achse, preßte ihn an die Wand und bohrte ihm das Knie in den Leib. Lippi stöhnte, seine Augen quollen aus ihren Höhlen, doch rief er nicht um Hilfe, bat nicht um Gnade. – Eher sterben! stand ihm in seiner höchsten Bedrängnis noch auf dem zarten und energischen Gesicht geschrieben. Er stieß mit dem Kopf gegen Antonios Brust, mit dem Fuß gegen Antonios Fuß, er biß und kratzte, aber alle seine Wildheit vermochte nichts über den Stärkeren, der ihn bezwang, wenn auch nicht bändigte.
Guidi machte dem Kampf ein Ende mit Gewalt, denn seine Befehle waren ungehört geblieben. Nun stand er zwischen den zwei Gegnern und wollte Frieden stiften. Das sollte ihm aber nicht gelingen. Lippi, dem er sagte: »Ihr habt ausgesehen wie eine an die Mauer genagelte Fledermaus«, fraß seinen Zorn in sich hinein. Antonio, dem er zuherrschte: »Gib ihm ein gutes Wort! Versöhne ihn!« antwortete, nun wieder Herr seiner selbst, und mit der angeborenen Würde, die dem Töpferssohn von dem popolo grasso so übelgenommen und plebejischer Hochmut genannt wurde: »Verlangt etwas anderes von mir, lieber Meister. Zwischen Filippo Lippi und mir gibt es keine Versöhnung. Wir hassen einander und wollen ein anderes Gefühl nicht heucheln.«
[] »Einverstanden!« rief Filippo erleichtert. Auch er scheute die Komödie einer rein äußerlichen Versöhnung.
Pulcheria hörte mit Vergnügen von der Balgerei zwischen Lippi und ihrem jungen Hausgenossen. »Du bist mir heute geboren«, sagte sie zu ihm, »eben erst lebendig geworden. Mich freut deine plötzliche Entfaltung, du schöne Menschenknospe. Mich freut die feuerfarbige Blume des Zornes, die aus dir hervorgeschossen ist.« – –
Eines Nachmittags kehrte Maso Guidi früher als gewöhnlich heim, denn er hatte Modelle zu sich bestellt. Am Gartenpförtchen kam Pulcheria ihm entgegen und sah recht unbehaglich aus. Der kurze Mantel, der stets ein eifriges Bestreben zeigte, die Gestalt seiner Gebieterin zu umkreisen, hing in müden Falten an ihr herab. Aus den scharfen Zügen der kleinen Dame sprach eine ihr völlig ungewohnte Betroffenheit und Ratlosigkeit. Nicht laut, wie es sonst ihre Art war, sondern mit einem stummen Wink begrüßte sie ihren Schützling.
»Was ist Euch, Mütterchen?« fragte der. »Was hat sich Neues begeben bei uns?«
»Bei uns nichts. Zu uns begeben hat sich etwas, etwas Wundervolles – ob zum Verhängnis, ob zum Glück, wer das wüßte –, und dort sitzt es, auf der Bank vorm Haus.«
Der Platz, den sie bezeichnete und auf den sie und Masaccio zuschritten, war von einem jungen Mädchen eingenommen, das sich jetzt, als die beiden nahten, erhob.
Guidis Augen ruhten auf der Fremden, und es war, als ob sie Licht tränken. In diesem herrlichen Geschöpfe war das Schönheitsideal verkörpert, das ihm in solcher Vollkommenheit nur als selige Vision vor die Künstlerseele getreten. Sie stand vor ihm in Fleisch und Blut, das Mittelmaß überragend, von der Fülle irdischen Lebens durchatmet – eine göttliche Gestalt. Prachtvoll der edel gewölbte Kopf mit den dunkeln, schlicht gescheitelten Haaren, die im Nacken einen wuchtenden Knoten bildeten, prachtvoll die Farbe der wie von innerem Feuer durchschimmerten Haut, das reine, feine Oval und jeder Zug, jede Linie des Gesichtes. Im Ausdruck dieser siegreichen Schönheit aber nicht die Spur eines Machtgefühls und auch keine von Befangenheit. Die unerwartete Besucherin war gekommen, weil [] man sie geschickt hatte, und naive Zuversicht, kindliches Vertrauen lagen in dem Blicke der schwarzbraunen Augen, die sich groß und leuchtend auf Masaccio richteten.
»Wahrhaftig, das ist eine Leistung der Natur!... Verzweifle, arme Kunst!« rief Guidi plötzlich aus. Seine Stirn verdüsterte sich, sein Ton wurde rauh. »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr? Wollt Ihr gemalt werden?«
»Ich bin Margherita Guidi aus Fontana bei Castel San Giovanni. Meine Mutter schickt mich zu Euch ... meine Mutter, die gestorben ist ...« Sie hatte mit leiser, aber fester Stimme zu reden begonnen; nun stockte sie und kämpfte einen schweren Kampf mit den Tränen, die heftig hervorzubrechen drohten. Doch blieb sie siegreich und vermochte nach einer kleinen Weile hinzuzusetzen: »Sie hat Giustina Guidi geheißen, meine Mutter, und war die Witwe eines nahen Verwandten von Euch.«
»Des Jacopo Guidi?«
Sie nickte.
»Da begrüße ich also in dir meine Base Margherita«, sprach er.
Längst entschwundene Erinnerungen an vergangene Zeiten, an entschlafene Menschen stiegen vor ihm auf. Die sich da als Schutzflehende bei ihm eingefunden hatte, war die Tochter einer braven Frau und eines wüsten Gesellen und mußte Not und Entbehrung aus dem Grunde kennen. Die Reinlichkeit ihres ländlichen Anzugs täuschte nur im ersten Augenblick über seine Armut hinweg. Die Stoffe des Mieders und des Rockes waren abgenützt, ihre Farben verblaßt. In besonders traurigem Zustande befanden sich die Schuhe. Sie hatten, vielfach übernäht und geflickt, ihre ursprüngliche Gestalt verloren und verhüllten kaum noch die klassisch geformten Füße.
»Deine Mutter schickt dich?« fragte Masaccio. »Deine Mutter, die gestorben ist?«
»Ja, Messere, ja. Vor drei Tagen. Und in ihrer letzten Stunde noch hat sie zu mir gesagt: ›Bei uns, im armen Dorfe, ist niemand, der sich deiner annehmen würde, wenn ich nicht mehr da bin ...‹« Wieder rang sie mit den Tränen, und wieder siegte ihre Willenskraft, und sie weinte nicht. »›Geh nach Florenz‹, sagte meine Mutter, ›dort lebt einer, an dem du eine Stütze finden kannst, Tommaso Guidi, der ein berühmter Maler ist [] und reich. Ich habe seine Großmut nie angerufen, in den schwersten Tagen nicht; vielleicht bestimmt ihn das, sie an dir zu üben ... Geh zu ihm, erinnere ihn an Giustina Guidi, die ihr Mittagsbrot mit ihm geteilt hat, wenn er von San Giovanni herüberkam, ein magerer, dürftiger Junge, vaterlos und von der Mutter vernachlässigt ...‹«
»Weiter«, unterbrach sie Masaccio, »was sagte sie dir noch?«
»Nichts mehr. Sie meinte nur – habe ich es nicht schon gesagt?... ›Ich habe ihm von meinem wenigen gegeben‹, meinte sie, ›vielleicht gibt er dir von seinem Überfluß.‹ «
Pulcheria und Masaccio sahen einander an und lachten.
»Von deinem Überfluß, mein Maso!«
»Von meinem Überfluß, Mütterchen!«
Margherita hätte fast mitgelacht, wagte es aber nicht. Es kam ihr wirklich sehr sonderbar vor, daß dieser Vetter im Überfluß leben sollte; konnte er doch in den Zeiten, von denen ihre Mutter gesprochen hatte, kaum magerer und dürftiger gewesen sein und kaum ärmlicher gekleidet wie jetzt. Nur war er damals ein Kind und jetzt alt – unbegreiflich alt. Und das gute Frauchen, bei dem er wohnte und das er sehr zu lieben und das ihn anzubeten schien und das gewiß hundertjährig sein mußte, bot auch kein Bild des Überflusses in ihrem wetterwendischen Mäntelchen.
»Was gedenkst du nun anzufangen?« richtete Guidi wieder das Wort an seine Base. »Willst du zurück nach Fontana?«
»Ich kann nicht. Ich habe dort keine Unterkunft.«
»Wieso keine Unterkunft? Deine Mutter besaß doch ein kleines Haus.«
»Ach Gott! Das Haus gehört seit Jahren dem Bäcker Lazzaro ... und er erklärte – gleich nach dem Tode meiner Mutter erklärte er, daß er mich keine Stunde länger drin dulden würde, wenn ich nicht ... wenn ich ...« Sie vermochte nicht es auszusprechen, sie schluckte einige Male und mußte innehalten; zornige Verachtung funkelte ihr aus den Augen.
»Keine Stunde länger – wenn Ihr nicht ... das erklärte der Lazzaro, die Kanaille?« sprach Masaccio. »Und so seid Ihr ohne Dach und Fach ... Was fangen wir mit ihr an, Mütterchen Pulcheria?«
[] Sie überlegte. Guidi wußte nichts davon, daß sie ihr ohnehin nicht mehr schuldenfreies Grundeigentum mit einer neuen Hypothek belastet hatte. Ihrem armen Maso mußten doch wenigstens die dringendsten Gläubiger vom Halse geschafft werden. Der Sorglose gab immer mehr, als er hatte, willfahrte den unverschämtesten Heischern und vergaß, seine eigenen Forderungen einzutreiben. Pulcheria verarmte neben ihm. War es klug, sich unter solchen Umständen eine neue Last aufzubürden? Gewiß nicht. Aber, dachte sie – ich bin zu alt, um mich noch erst lang mit der Klugheit auseinanderzusetzen, und ihr höchster Triumph wäre es doch auch nicht, ein schönes junges Ding wie diese Margherita schutzlos in die Welt hinauszustoßen. Pulcheria seufzte und sprach zu Maso: »Was wir mit ihr anfangen? fragst du. Nun, ich denke, im Hause der Pisano wird sich Platz schaffen lassen für eine heimatlose Guidi. Wir wollen in Gottes Namen unseren ›Überfluß‹ mit ihr teilen, soweit er reicht.«
2
Antonio hatte den Tag in der Brancacci-Kapelle zugebracht mit Filippo Lippi. Dieser Sklave seiner Launen war plötzlich von der Lust angewandelt worden, die »Vertreibung aus dem Paradiese« zu kopieren. Antonio malte am Sockel unter dem Taufbilde. Sie kehrten einander die Rücken zu und wechselten kein Wort. Ohne Gruß verließ Lippi zuerst die Kirche, und bald darauf wurde auch sein Widersacher durch die Dunkelheit, die einzubrechen begann, gezwungen, von seiner Arbeit abzulassen. Filippos Staffelei stand vor dem Eingangsbogen der Kapelle. Ein letzter Tagesschein beleuchtete die Kopie schwach, aber deutlich. Antonio verweilte vor ihr, und neidische Bewunderung ergriff ihn. Wie das mühelos hingestrichen war, wie das von Talent strotzte! Wie dieser Filippo Lippi straflos alles durfte, wie er sogar zum Frevel berechtigt schien und sich vermaß, die Worte Fra Giovanni Angelicos mit der Anwendung auf sich zu wiederholen: »Ich ändere nichts, denn so wie ich's zuerst gemacht habe, so hat es Gott gewollt.«
Er genoß das Leben, seine Heiterkeit gewann ihm alle [] Herzen, er wurde gesucht und geliebt und ließ sich finden und lieben. Schenkte er hie und da auch der Arbeit einen Tag, lohnte sie ihm dieses karge Ge schenk überreich – um wie vieles reicher als dem unermüdlich strebenden Antonio! Der kannte keine andere als die herbe Wonne des Fleißes; in sie vergrub er, was jung und freudedurstig in ihm war, wie in ein Grab und hatte nur eine Sehnsucht und rang nur nach einem Ziel – nach der Macht eines großen Könnens.
Er war nicht verblendet über sich, er sah: Was ich so heiß begehre, wonach ich rastlos jage – der das gemalt hat, der hätte es, sobald er die Hand danach ausstreckte ...
Eine fressende Pein ergriff ihn. Ist denn die Kunst eine Dirne, die sich dem treuen Bewerber versagt, um ihre Gunst dem Gleichgültigen zu schenken, der ihrer in flüchtiger Laune begehrt?
»Ich Narr! ich Narr!...« Sein Schrei schlug an die Wände der leeren Kirche, die ihn dumpf widerhallten. Der unheimliche Schall sagte ihm zu; die rieselnden Schauer, die ihn durchliefen, milderten seine ätzende Qual; das leise Grauen, das ihn erfaßte, schläferte sie wohltuend ein. So fuhr er fort, in den hohen, dunklen Raum laut hineinzurufen: »Narr! Narr! Ich diene umsonst. Jahrelang umsonst. O der alte Mann, der mich haßt! O die Worte, die ich nie vergesse: Ein Halber! Ich habe den Fluch, er haftet. Hört es, ihr heiligen Mauern: Ich werde euch nie mit unsterblichen Werken schmücken. Ihr seht meine Herzensnot, meine heiße Arbeit, meinen Ruhm werdet ihr nie sehen. Ich werde sterben, wie der Schrei meiner Verzweiflung zwischen euch erstirbt.«
Er warf sich zur Erde nieder, stöhnend, rasend, in wahnsinnigem Schmerz. Er preßte sein wild klopfendes Herz an die kalten Steine und fühlte sich unsäglich elend und um alles Glück und um alle Hoffnung betrogen.
Daheim auf dem ersten Treppenabsatz traf er Cencetta.
Wie gering war die Beachtung, die er ihr schenkte, und doch wartete sie Tag für Tag geduldig auf ihn, um ihm, wenn er kam, einen leisen Gruß zu bieten, der meist unerwidert blieb. Heute einmal nicht. Sie hatte, an die Rampe des Halbstockes gelehnt, mit weit ausgestrecktem Arm die kleine Lampe über die [] Stufen gehalten, die er heraufstieg, so langsam, so merkwürdig langsam. Und nun erhob er den Kopf und richtete die Augen auf sie und lächelte sie an, die so demütig und so sehnsüchtig nach einem Blick der Güte von ihm verlangte, wie er nach einem Zeichen der Huld von seiner Göttin. Es war aber ein gar trauriges Lächeln, das ihr ebenso weh tat als wohl. Und doch hätte sie aufgejubelt beim leisesten Ahnen der Gedanken, die ihm in diesem Augenblick durch die Seele schwebten ...
Du bist jung, Cencetta, hold und gut. Und du bist arm, und vor dir liegt eine glanzlose Zukunft wie vor mir. Wär's nicht das beste, wenn wir einander die Hände reichen und fortwandern würden, weit weg von dieser Stätte des Ruhmes und des Glückes der anderen, nach dem stillen Ariccia? Dort klopfen wir an die Tür des Töpferhauses, und eine alte Frau schließt dich freudig in die Arme, wenn ich ihr sage: Da ist, die mein Weib werden soll, und ein alter Mann feiert den süßesten Triumph und vergißt darüber einen langgehegten Groll, wenn ich zu ihm sage: Da bin ich und wieder dein Geselle, gib mir Krüge und Schüsseln zum Bemalen.
Das ganze Bild stand vor ihm. Wehmütig, leidvoll, bitter kam ihm alles zu Sinne, was seiner wartete ... auch aller Spott und Hohn ... Nur zu! Dir wird, was dir gebührt, du Tor und Träumer, du hoffärtiger Selbstbetrüger!
Cencetta blickte ihm beseligt nach, als er in das Zimmer des Meisters trat. Der Gruß, den er ihr im Vorbeigehen gegönnt hatte, war zutraulich und herzlich gewesen.
Den langen Sommertag hatte die Nacht abgelöst. In Masaccios großer Stube brannte die dreiarmige Lampe. Der Meister saß am Tische mit dem Rücken gegen die Tür. Unberührt lagen Mappe, Pinsel und Stifte neben ihm, der sonst sogar während der Mahlzeiten die Arbeit nur für Augenblicke unterbrach. Er hatte sich behaglich zurückgelehnt und führte – er, der Schweigsame – ein lebhaftes Gespräch mit einem jungen Mädchen, dessen Anblick auf Antonio wie der einer himmlischen Erscheinung wirkte. Sprachlos blieb er stehen, und Masaccio, der sich nach ihm umgewandt hatte, mußte die Aufforderung, näherzukommen und am Tische Platz zu nehmen, wiederholen, bevor der Jüngling ihr stumm und zögernd gehorchte.
[] Nun saßen die zwei schönen Menschen dem Maler gegenüber. Das Licht der Lampe fiel auf sie herab, aber nicht von ihm, von ihnen schien der Glanz auszugehen, der die dämmerige Stube erhellte. Masaccio sah das verzückte Staunen, mit dem Antonio die Jungfrau betrachtete; er sah auch – und dabei beschlich ihn ein nie gekanntes, bitteres Gefühl – die Röte, die in Margheritas Wangen stieg, als sie nach einem Blick auf Antonio, der kaum weniger Staunen ausdrückte als der seine, die Augen senkte. Sie, die eben so zutraulich geschwatzt und kindlich gelacht hatte, wurde plötzlich schweigsam und befangen. Leise und rührend beschattete ein träumerischer Ernst ihre glanzvollen Züge.
Ergriffen sagte sich der Meister, daß er Zeuge eines hohen Wunders war, des ersten Erwachens von etwas Allgewaltigem, für das ganze Leben Entscheidendem in zwei jungen, erbebenden Seelen.
Ja, sie waren geboren, um einander zu beglücken, die Blühenden, Schönheitbegnadeten! – Guidi betrachtete sie, und ein bitteres Lächeln verzog seinen Mund. In dem Augenblick erlebte er an sich das Beschämendste, erlebte, daß er fähig sei zu empfinden, was er am tiefsten verachtete – Neid. Ja, ja, ja, der Meister beneidete seinen demütigsten Schüler ... Was Meister, was Schüler! Nenne dich, wie du magst, sei, was du willst, strebe den Gipfel des Ruhmes an, erreiche ihn, die Liebe eines armen Dorfkindes gewinnst du deshalb nicht im Sturme wie der. Hinunter mit dem kaum entflammten Wunsch, ertöte, ersticke, rotte ihn aus – Masaccio! Er erhob seine Hände und ließ sie, fest angepreßt, an seinen eingefallenen Schläfen, seinen hohlen Wangen herabgleiten. Ein tiefer Atemzug, ein kurzer Kampf, und er langte nach seiner Mappe und sprach: »Mädchen, der große Bursche, dein Nachbar, der dich anstarrt, aber noch vergessen hat, dich zu grüßen, ist mein Schüler, Antonio Venesco. Antonio, unser Gast, das ist Margherita Guidi, meine Base. Unterhalte sie, erzähle ihr etwas Lustiges. Ich will sie lachen sehen, und so will ich sie malen.«
»Sie malen?« rief der Jüngling und hatte auf einmal die Sprache wiedergewonnen. »Versucht das nicht, Meister, versucht [] das nicht! Das kann kein irdischer Maler, das könnt nicht einmal Ihr: Sankt Lukas müßte vom Himmel steigen, um diese himmlische Schönheit im Bilde darzustellen.«
Antonios Warnung erfüllte sich. Das erste Bild, das Maso von seiner Base entwarf, mißlang, und mit einem zweiten war er nicht glücklicher. Filippo Lippi geriet in Begeisterung, als er Margherita zum erstenmal erblickte, und schwur hoch und heilig: jetzt sei es ihm leuchtend aufgegangen, wozu ihn der Himmel mit Talent begnadet habe. Damit er Gottes vollkommenstes Werk nachschaffe – dazu! Und er malte das Dorfkind aus Fontana als heilige Rosa, als heilige Katharina, als heilige Cäcilia, und es entstanden liebenswürdige und anmutige Bilder, keines aber hatte eine mehr als flüchtige Ähnlichkeit mit Margherita. Jeder Versuch, den er mit einer bei ihm unerhörten Beharrlichkeit anstellte, ihre Züge mit dem Stift und dem Pinsel darzustellen, bedeutete einen Mißerfolg.
Ehrlich gestand Antonio seine Freude darüber ein. Was hätte es ihm auch genützt, sie verbergen zu wollen? Sie würde sich ja doch verraten haben; sie war so heilsam, diese Freude! Sie hob seinen eine furchtbare Stunde lang niedergeworfenen Mut, ließ den Glauben in ihm aufleben, daß er sich jede Fähigkeit und auch die zutrauen dürfe, die höchsten Güter des Lebens an sich zu fesseln: den heiß ersehnten Ruhm und die Liebe der Geliebten. Untrennbar erschienen ihm die beiden und eines das andere bedingend. Im Sturm war die Liebe gekommen, emporgeflammt wie eine Feuersäule; er fühlte sich von neuen Kräften durchströmt, von einem Bewußtsein seiner selbst, wie er es nie gekannt hatte.
Die Zukunft lag in strahlendem Lichte vor ihm, und er traute sich das Erreichen der fernsten Ziele zu. Masaccio überflügeln, wie der Masolino überflügelt hatte, der größte Maler Italiens und im Besitze des schönsten Weibes sein, davon träumte er, das spiegelten wonnige, kühne Phantasien ihm vor.
Arme kleine Cencetta! Während eines flüchtigen Augenblicks hatte er sie an seiner Seite und in ihr seine Lebensgefährtin sehen können, als das lang verschmähte Gut, mit dem die Resignation sich endlich bescheidet. An seinem grauen Himmel [] war sie hingezogen wie ein weißes Wölkchen, eine Labe dem in trostlose Eintönigkeit blickenden Auge ...
Jetzt schimmerte der Himmel in allverklärendem Glanze, und die Sonne leuchtete über der glücktrunkenen Erde. Wer hätte da noch einen Gedanken für dich übrig, weißes Wölkchen, armer Dunst!
Mit Blitzesschnelligkeit verbreitete sich unter den Künstlern die Nachricht, im Pisanohause sei das schönste Mädchen zu Gaste, das jemals in Florenz gesehen worden war.
Von allen Seiten eilten sie herbei und baten um die Gunst, Margherita abbilden zu dürfen. Jeder versuchte es, keiner konnte sich des Gelingens rühmen, nicht einmal Ghiberti, nicht einmal Donatello. Viel weniger noch Andrea del Castagno, der sich mit bäuerlichem Eigensinn in die Lösung der lockenden Aufgabe verbiß, und Paolo Uccello, für den sie die köstlichste Naturstudie war. Der »sienesische Angelico«, Sano di Pietro, brachte von einem Besuche in Florenz Entwürfe mit, die das ungläubige Staunen seiner Landsleute erregten. Er jedoch fühlte, daß sie kaum einen leisen Begriff von der Schönheit, die sie darstellen sollten, zu geben vermochten. Kein irdischer Meister bildet die Pracht dieser Formen, dieser Linien nach.
Verhältnismäßig am nächsten kam Benedetto Petri mit seinem zarten Pinsel dem Ziele des allgemeinen Ehrgeizes. In seinen Miniaturen spiegelte sich doch etwas von dem lieblichen Glanze wider, der Margheritas Angesicht umfloß. Die ideale Pracht und Reinheit ihrer Züge ganz treu nachzugestalten, dazu reichte auch seine Kunst nicht aus. Sie gerieten immer weniger fein oder herabgewürdigt zum Kleinlichen.
»Wenn ihr doch aufhören wolltet, stets von neuem zu unternehmen, was Masaccio als zu schwer aufgegeben hat!« sagte Antonio zu den jungen Malern. »Seht ihr nicht ein, daß eure Bemühungen zuschanden werden müssen? Atmend nur, in vergänglicher Gestalt nur wollte uns der Schöpfer die vollendete Schönheit offenbaren. Sie zu verewigen ist der Kunst nicht beschieden.«
Er hatte wohl recht. Was sie von sich verlangt hatten, war vielleicht wirklich nicht Menschensache. Um so mehr Menschensache aber war es, nach dem Besitz des Unnachahmlichen selbst [] zu streben. Die meisten fühlten sich so gut wie berechtigt, für die Niederlage, die sie als Künstler erlitten hatten, als Anbeter und Bewerber entschädigt zu werden.
Filippo Lippi hing, sobald es zu dunkeln begann, sein klösterliches Gewand an den Nagel und schlich in Goldbrokat, den Dolch im blinkenden Gürtel, um die Rosenhecke vor dem Hause herum. Die Herrin der Villa Pisano verglich ihn, aller Naturkunde spottend, mit einem »girrenden Leuchtkäfer«. Er spielte den Gekränkten und wollte sie zur Beichtmutter seiner Liebesleiden machen, was sie ablehnte.
Einen andern als Filippos tändelnden Ton stimmten Briefe und Sonette an, die täglich an der Pforte abgegeben und von Cencetta in Empfang genommen wurden zur Beförderung an die Gefeierte. Über das glückliche Haus, das ihr zur Wohnstätte diente, ging ein Blumenregen nieder, Serenaden wurden vor ihm abgehalten, die süßesten Liebeslieder stiegen zu seinen Fenstern empor. Trieben die Musikanten es gar zu toll, dann erschien Pulcheria auf der Loggia, von miauenden Katzen umringt, und dankte verbindlich für die Huldigungen, die sogleich eingestellt wurden.
Auf Margherita machte die Bewunderung, die sie erregte, anfangs keinen besonderen Eindruck. Sie staunte nur darüber, wie über so manches in Florenz, und setzte alles, was sie erlebte, auf Rechnung der Gebräuche, die in der Stadt gang und gäbe und eben ganz andere waren als die auf dem Dorfe. Daheim war es niemand eingefallen, ein Wesen aus ihrer Schönheit zu machen; niemand hatte ihr einen Vorzug eingeräumt vor ihren Gefährtinnen. Sie hatte ihr einförmiges Leben still dahingelebt. Sie hatte gesponnen und geflickt und – wenn es etwas zu kochen gab – gekocht, die Woche hindurch. Und sonntags war sie in die Kirche gegangen und in die Osteria und hatte am Morgen gebetet und am Abend getanzt. Und sie hatte ihre Eltern treu gepflegt, als sie erkrankten, und ihr Patengeschenk, ihren größten Schatz, ihr gesticktes Seidentuch, zu Gelde gemacht, um ein Kreuz auf das Grab ihrer Mutter setzen zu können.
Sie mußte an die Tränen denken, mit denen sie sich von diesem kleinen Tuche getrennt hatte, als sie eines Morgens ein [] viel schöneres am Riegel ihrer Zimmertür befestigt fand. Es war reich mit bunter Seide gestickt und mit Goldfäden durchwirkt und hatte lange, seidene Fransen. Als sie es in die Höhe hob, kam ein Paar allerniedlichster Schuhe aus feinem, rotem Leder zum Vorschein, das auf dem Boden stand und von den Fransen verdeckt worden war. Margherita stieß einen Schrei des Entzückens aus und konnte trotz Cencettas Versicherungen nicht glauben, daß auch die ihr gehörten.
»Wer schenkt mir das alles?« fragte sie endlich und küßte die Schuhe und drückte das Tuch liebkosend an ihr Gesicht. »Wem soll ich danken?«
Cencetta durfte den Geber nicht nennen; sie hatte es hoch und heilig geschworen und hielt nur zu gerne Wort.
»Versprich, versprich es mir, gib mir die Hand, leiste einen Eid darauf«, hatte Antonio gesagt, »daß du ihr nicht verraten wirst, wer diese Sachen gebracht hat. Willst du es mir versprechen, liebe, kleine, hübsche Cencetta? Tu's – und du sollst immer meine Freundin und Vertraute sein.«
So herzlich und gut redete er zu ihr und streichelte ihre erglühenden Wangen, und sie, in ihrer opfermutigen Hingebung, versprach alles, was er wollte. Durch sie erfuhr Margherita nicht, woher die Geschenke kamen, die keine emphatischen Widmungen trugen, nicht von bebänderten Pagen überbracht wurden und nicht mit höflicher Empfehlung von Donna Pulcheria an den Spender zurückbefördert werden konnten.
Sie waren und blieben da. Margherita fand sie in Gestalt von Ohrringen, Ketten, Amuletten, kostbaren Stoffen unter ihrem Kopfkissen, in ihrem Schranke, ihrer Truhe. Ohne zu fragen: Woher nehmt Ihr alle die Kostbarkeiten? ohne den geringsten Einwand zu erheben, befolgte Cencetta die Anordnungen Antonios. Nur wenn er sagte: »Du freust dich gewiß selbst an jeder Freude Margheritas. Sie ist so arm, hat nicht Dach noch Fach, nicht Vater noch Mutter« – da schwieg Cencetta, schüttelte fast unmerklich den Kopf und lächelte traurig vor sich hin.
Dach und Fach, Vater und Mutter machen es nicht aus. Die kann eines haben und doch viel ärmer sein als die arme Margherita.
[] Die Zeit verging. Der Lerneifer Antonios war allmählich erloschen. Der früher unermüdlich Emsige fand nun täglich einen Vorwand, sich spät bei der Arbeit in der Kapelle einzustellen und sich bald wieder fortzuschleichen. Daß er deshalb nicht müßig ging, schien dem Meister ausgemacht. Guidi und Pulcheria zweifelten auch nicht daran, daß die Beschäftigung, die er hinter dem Rücken Masaccios betrieb, einträglich und daß er der Spender der geheimnisvollen Geschenke sei, die der schönen Hausgenossin dargebracht wurden. Einmal hatte Pulcheria ihre offenbar in die Sache eingeweihte Dienerin ins Verhör genommen. Doch war Cencetta in so heftiges Schluchzen ausgebrochen, hatte die Gebieterin so leidenschaftlich beschworen, sie nicht zu einem Treubruch zu verleiten, daß Donna Pisano darauf verzichtete, der Kleinen ein Geständnis abzuringen. Ihrem Maso redete sie aber ins Gewissen und erklärte ihm die Notwendigkeit und die Pflicht, die Schliche seines Schülers aufzudecken.
Guidi ließ alles gelten, versprach, Antonio zur Rede zu stellen – und verschob immer wieder die Ausführung des leidigen Auftrags. Er hatte ihn noch nicht erfüllt, als ein Zufall ihm die Gelegenheit dazu in die Hand spielte.
Eines Morgens, da er sich auf dem Wege nach dem Carmine befand, sah er zwei Männer längs des mit Ölbäumen bepflanzten Hügels der Stadt zuschreiten. Sie schienen in lebhaftem Wortwechsel begriffen, gingen sehr rasch und entschwanden bald seinen Augen. In dem einen von ihnen hatte er Antonio, in dem andern den Händler Giorgio Galantuomo erkannt. Vater Galantuomo nannte der sich selbst, hatte ein breitspuriges Auftreten, biedere Manieren und ewig ein väterliches Lächeln auf dem fettglänzenden Gesicht. Offiziell vermittelte er Geschäfte zwischen Künstlern und Kunstfreunden und verkaufte allerlei Luxuswaren. Unter der Hand befaßte er sich mit dem Absatz von Geheimmitteln und – wie er glimpflich sagte – von fazetiösen Bildern.
In der Via Ginori befand sich sein wohlbekannter Laden, und dort suchte Masaccio ihn auf. Der Verdacht, den der Maler gefaßt, als er seinen Schüler in Gesellschaft des Giorgio erblickt hatte, bestätigte sich. Nach einigem Zögern und Hin- und [] Herreden gab der Händler zu, daß Antonio ihm allerlei gangbare Ware für sein stets ausverkauftes Magazin von Ergötzlichkeiten liefere. Er ließ sich sogar herbei, einiges davon vorzuzeigen, kleine, sauber ausgeführte Darstellungen unsauberer Vorgänge. Einzelne Gestalten und Gruppen erinnerten noch an die Schildereien, mit denen der Töpfer von Ariccia dereinst seine Schüsseln und Krüge geschmückt hatte.
Vater Galantuomo schrieb den tiefen Unmut, der sich in Masaccios Zügen aussprach, einem andern als seinem wirklichen Grunde zu. »Unser lieber Venesco plündert mich aus«, sagte er seufzend, »macht sich sehr kostbar. Wenn aber Ihr, Maestro, mir so ein paar Illustratiönchen liefern wolltet, der Metamorphosen Ovids zum Beispiel oder, noch besser, einiger Novellen unseres Boccaccio, nach denen schon oft gefragt worden ist ... da wäre mir kein Preis zu hoch – das Doppelte ...« Er erschrak über den Blick, den der Maler ihm zuwarf, und verbesserte sich: »Das Zehnfache würde ich Euch bezahlen. Nicht größer als diese sind, brauchten Eure Bilder zu sein. Das ist das beste Format, leicht in die Tasche zu stecken. Das kann jeder bei sich tragen, es macht jedem Vergnügen.«
»Das beste Format«, wiederholte Guidi so sanft, als die Entrüstung, die in ihm kochte, es erlaubte.
»Dürftet meinetwegen auch ein anderes wählen. Was Ihr macht, wie Ihr es macht – mir ist alles recht ... Beglücken freilich – aber wer darf Euch darum bitten? – würde mich ein Bild wie das, das unser lieber Venesco der Hexe Fidelfo auf das Wirtshausschild gemalt hat und das ihr viele Gäste anlockt. Ihr kennt es nicht? – Ja so – wart nie in der Gegend hinter la Trinità vecchia? Ein gutes Stück vom Klösterchen? Kennt das Haus der Fidelfo nicht und nicht das Werk Eures Schülers? – Ja so!« Er blinzelte ungläubig: »'s ist doch sein Meisterstück ... wird sehr gelobt, freilich nur im stillen – aber von unseren exquisitesten Persönlichkeiten. Etwas dergleichen malt mir. Ich bedecke unserem lieben Meister sein ganzes Bild mit Goldgulden«, sprach er vertraulich zuredend und wollte seine behaarte Hand auf die Schulter Guidis legen.
Der fuhr zurück wie vor der Berührung eines Aussätzigen.
Als Antonio ein nächstes Mal wieder vorzeitig Feierabend [] machen wollte, befahl ihm Masaccio zu warten, bis er selbst die Kapelle verlassen werde, und ihn dann zu begleiten. Er habe eine Entdeckung gemacht, die er ihm nicht vorenthalten dürfe, sagte er. Ungewohnte Strenge lag in seinem Tone; Antonio wagte keinen Widerspruch und folgte dem Meister auf dem Weg, den er einschlug und der zum Ponte alla Carraia führte.
Es war Nacht geworden, Schirokkoluft wehte atembeklemmend und schwer; träge wälzte der Fluß trübe Wellen durch sein halbversandetes Bett. Jenseits des Arno schritten die beiden Männer durch die Via Guelfa und weiter an einzelstehenden, armseligen Häusern vorbei und gelangten endlich zu dem zwischen Buschwerk fast verborgenen Eingang eines Gartens. Ein dichter Laubgang empfing sie, den Masaccio mit sicherem Schritte betrat. Antonio suchte ihn zurückzuhalten. »Wißt Ihr, wohin wir da kommen?« fragte er und trachtete nicht länger, seine furchtbare Unruhe zu verbergen. »Ihr wißt es nicht. Kehrt um! kehrt um!«
»Wir kommen zur Spelunke der neuen Locusta«, versetzte Guidi ruhig. »Ich kann dir die Bekanntschaft mit ihr nicht ersparen. Vorwärts!«
Der freie Raum, den sie jetzt erreichten, war fast menschenleer, nur hie und da eine Bank von stillen Leuten besetzt. Beobachter, schüchterne Neulinge, Späher vielleicht. Schwelende Öllämpchen, auf Tischen aufgestellt, bildeten rote Zünglein im Dunkel. Buschwerk und Bäume, die sich schwarz abhoben vom bleifarbigen Himmel, umgaben das, wie es schien, geräumige Haus. Verhüllte Gestalten, eng umschlungene Paare glitten vorüber, traten lautlos ein. Schwacher Lichtschein stahl sich durch einige verhangene Fenster des oberen Geschosses; die des unteren standen offen. Die Klänge einer frechen Musik drangen aus ihnen hervor und zwischendurch Gesang und wüstes Gejohle und das Jauchzen trunkener Weiber.
Mit bebender Hand umklammerte Antonio den Arm Maso Guidis: »Keinen Schritt weiter, lieber Meister!... Die Bilder, die man dort zu sehen bekommt, sind nicht für Euer Auge!«
»Und doch ist dieses lärmende Laster Unschuld im Vergleich zu dem, das da oben flüstert, buhlt und Gifte braut«, erwiderte der Meister und zog ihn unerbittlich näher zum Hause.
[] Auf der Schwelle erschien eine Frau in verschossenem Seidenkleide, Blumen und Goldflitter in der hochaufgetürmten Frisur. Ihre harten, scharfen Züge hatten etwas von der unheimlichen Starrheit einer Larve. Lauernd betrachtete sie die Herannahenden. Ein Lächeln blitzte über ihr bemaltes Gesicht, als sie in dem einen von ihnen Antonio erkannte. Sie schien reden zu wollen, besann sich aber und deutete nur grinsend auf ein buntes Schild, das, von Lampenlicht beleuchtet, über der niedrigen Haustür an einem Arm aus geschmiedetem Eisen hing.
Auch Maso Guidi erhob die Hand, und auch er deutete nach dem Schilde und sprach gebieterisch: »Sieh dorthin! Das zu sehen, habe ich dich hergeführt. Dorthin, sage ich!«
Antonio gehorchte nicht. Er hielt den Blick fest auf den Boden gesenkt und wiederholte ein Mal ums an dere: »Fort, lieber Meister, ich beschwöre Euch: fort von hier!«
»Du hast die Augen nicht erhoben und doch gesehen«, sagte Masaccio, als sie sich wieder im Freien befanden. »Ein gewissenloser Bube bestiehlt dich und verhunzt das Gestohlene. Dein Bildchen, die Entführung des kleinen Bacchus – liegt diesem schändlichen Spelunkenbild zugrunde. Und viele andere deiner Jugendwerke, an denen ich meine Freude hatte, noch bevor ich dich kannte, hat der Elende in Kupfer gestochen und alle verschändet. Oh! fröhlich scherzenden Übermut in zynische Niedertracht verwandeln, aus edler Traube Jauche pressen ist eine Kunst ... eine beliebte und einträgliche, das weiß der Unterhändler, der die Zuchtlosigkeiten unter die Leute bringt. Mache dem Treiben den Garaus, Antonio! Suche den Buben auf, der zwar besser zeichnen kann, als du vor Jahren gezeichnet hast, dem aber nichts einfällt und dessen Erfinden heißt: entadelnd wiederholen. Suche ihn auf, und wenn du ihn gefunden hast – dann erwürge ihn!«
Von dem Tage an erhielt Margherita keine anonymen Geschenke mehr, und sie war es zufrieden. Sie kam sich ohnehin schon reich genug vor, und überdies – bedurfte sie des Putzes? Wenn sie in dem einfachen Kleide ausging, das Pulcheria ihr hatte machen lassen, wurde sie dennoch Madamigella und sogar Donzella nobile tituliert, und das schmeichelte ihr. Von der Meinung, die Art, in der man ihr in Florenz begegnete, sei auf [] Rechnung der städtischen Gebräuche zu setzen, war sie nach und nach abgekommen, Sie sah, daß weder Cencetta noch andere Mädchen soviel Aufmerksamkeit erweckten wie sie, und hätte stumpfsinnig sein müssen, um sich des Vorzugs, den sie genoß, nicht bald als eines ganz persönlichen bewußt zu werden. Nicht nur die Maler und die Bildhauer blieben stehen und sahen ihr bewundernd nach, wenn sie sich an Pulcherias Seite auf der Straße blicken ließ. Jung und alt, vornehm und gering huldigte ihr, und sie machte sich ein Vergnügen daraus, den Zauber, den sie besaß, mit spielerischer Neugier zu erproben. Sie konnte es gefahrlos tun, denn mehr, als sie mit Blicken anzufunkeln oder anzuschmachten, wagte keiner; die Nähe der alten Jungfrau Pisano bot Schutz und Schirm gegen Zudringlichkeit.
Jeder wußte das, nur Antonio wollte sich davon nicht überzeugen lassen. Er war wie auf dem glühenden Roste, wenn er Margherita auswärts vermutete, und stand wie aus dem Boden gewachsen vor ihr und warnte vor dem Eintritt in diese oder jene Straße, fabelte von der oder jener drohenden Gefahr.
Pulcheria empfing ihn bei solchen Gelegenheiten durchaus ungnädig: »Gefahr hin und her! Ist eine da, bin auch ich da und Mannes genug, ihr zu begegnen! Trollt Euch zu Eurer Arbeit, die Ihr elend vernachlässigt seit einiger Zeit.«
Ach Gott, ja! Wenn die Tochter der Pisano wollte, war sie Mannes genug, Zudringliche von ihrem Schützling abzuwehren. Wollte sie aber auch in jedem Falle? Antonio fand, daß es einen gab, gegen den sie sträfliche Nachsicht übte, den Sohn einer der vornehmen Damen, die ihr ab und zu einen Besuch machten.
Er hieß Bernardino und war das einzige Kind der reichen Patrizierswitwe Isotta Montanini und ihr Abgott. Ein feines Früchtchen, das schon mit vierzehn Jahren auf Liebesabenteuer ausgegangen, sich aber heute noch, als Zwanzigjähriger, vor einem bellenden Hunde verkroch. Er bewohnte einen schönen Palast, ritt die edelsten Pferde, kleidete sich prächtig und kunstvoll, hatte ein hübsches Gesicht mit lebhaften und unruhigen Vogelaugen und war hager und schlottrig in seinen zarten Gliedern.
Dieser Montanini fand alle Augenblicke einen Vorwand, der hochverehrten Pulcheria seine Aufwartung zu machen. Er [] stiefelte hinter ihr her – allerdings nur, wenn sie mit Margherita ausging ... in respektvoller Entfernung, ja! aber doch! – und: »Was hat er hinter Euch herzuklappern, der dürre Laffe?« fragte Antonio so oft und so eindringlich, daß Pulcheria endlich ungeduldig wurde.
»Und was hat es Euch zu kümmern?« erwiderte sie. »Ich kenne ihn, seitdem er auf der Welt ist, und seine Mutter noch einmal so lange. Unsre Häuser waren einst befreundet. Ich habe keinen Grund, ihm die Tür zu weisen.«
»Tausendfachen Grund. Ihr müßt doch sehen, daß er Margherita nachstellt.«
»Nachstellt! Ich rate Euch, Jüngling, legt Eure Worte, wenn Ihr mit mir redet, auf eine empfindlichere Waage ... Nachstellt! Er ist kein Fuchs, und sie ist keine Wachtel. Ich aber bin Pulcheria Pisano!«
»O Madama, Madama!«
»Was – Madama? Ich bin keine. Was meint Ihr mit Eurer Madama? Wollt Ihr mich auf meine Weiblichkeit aufmerksam machen, die für Euch soviel heißt wie Schwäche? Ich habe trotz aller Weiblichkeit immer verstanden, mich und meine Umgebung vor Unbill zu bewahren. Dieser kleine Bernardino denkt übrigens nicht daran, uns welche zuzufügen. Margherita gefällt ihm – wie sollte sie ihm nicht gefallen? Er liebt sie vielleicht, und warum sollte er sie nicht lieben? Und wenn er sie liebt, hat er auch redliche Absichten.«
»Allmächtiger! Ein reicher Patrizier wird redliche Absichten haben einem armen Dorfkinde gegenüber! Ihr – so klug, so weise, Ihr haltet das für möglich?«
»Warum nicht, Antonio Venesco!... Popolana und Patrizier, das stimmt wieder in unserer Republik. Eine Zeitlang stimmte es nicht. Damals wäre eine Popolana zum Patrizier nicht hinabgestiegen, der sich nicht in Florenz das Bürgerrecht verdient hätte. Vieles hat sich verändert; und doch entsinne ich mich desselben Tages im selben Jahre, an dem in Santa Maria Novella ein Malespino mit einer Schreibers- und ein Giacomini mit einer Bäckerstochter getraut wurde.«
»O Monna Pulcheria!« rief Antonio in Wut und Verzweiflung. »Und so meint Ihr ... Um Gottes und aller [] Heiligen willen, meint nichts dergleichen ... Bernardino und Margherita vor dem Altare – wenn ich das denke ... ich kann es nicht denken. – Das Urbild der Schönheit in diesen dürren Armen, die weiß der Teufel wen schon umfangen haben.«
»Basta!« versetzte das Fräulein und erteilte ihm in einem Atem ein Verbot und einen Befehl. Das Verbot, in ihrer Gegenwart von unziemlichen Dingen zu sprechen, und den Befehl, sie von seinem Anblick zu befreien.
Pulcheria und Margherita pflegten regelmäßig am Sonntag dem Hochamt im Dome beizuwohnen, und immer fand Bernardino sich dort ein und reichte ihnen am Eingang und am Ausgang seine in Weihwasser getauchten Fingerspitzen. Manchmal erwartete er sie auch schon in der Nähe von San Giovanni und folgte ihnen in gemessener Entfernung. Sie auf der Straße anzusprechen, hatte er so wenig wie irgendein anderer je gewagt.
Eines Sonntagmorgens, als über Florenzia, der herrlichen, warmer Frühlingsodem hinstrich, alle Bäume und Sträucher grünten, in den Gärten die Blumen blühten und in den Herzen der Menschen die Liebesknospen schwollen, da hüpfte auch im Seelchen Bernardinos ein Funken Mannesmut empor.
Sein Schneider hatte ihm einen längst bestellten, köstlichen Anzug aus weißer Seide gebracht. Als er sich seiner Mutter darin zeigte, weinte sie vor Rührung und sprach in ihrer zärtlichen Verblendung: »O Kind, wie beglückt es mich, daß du dein Unschuldskleid mit gutem Rechte trägst!«
Es freute ihn, daß er so gut aussah. Er befahl dem Gärtner, die zwei schönsten Rosen, die es im Garten gab, abzuschneiden, nahm sie in Empfang und schlug den Weg zum Dome ein. Weil er aber in seiner blütenweißen Pracht und mit seinen Rosen in der Hand zuviel Aufmerksamkeit erweckte, zuviel spöttische Zurufe und kecke Fragen zu hören bekam, trat er in ein dunkles Sackgäßchen und wartete dort ungeduldig und lange umsonst und verlor allmählich die Hoffnung, den kühnen Streich, den er ersonnen hatte, ausführen zu können. Auch der Unternehmungstrieb, der so angenehm in ihm geprickelt hatte, begann sich zu empfehlen, als die Ersehnten endlich sichtbar wurden.
[]Pulcheria kam langsam und feierlich einher, wie sie es auf dem Weg zur Kirche schicklich fand, und trug nicht ihr leichtsinnig flatterndes Mäntelchen, sondern einen würdevollen Mantel aus schwerem dunkelgrünem Sammet.
Ein Erbstück, darauf wollte Filippo Lippi schwören, nach Niccolo Pisano, der ihn in Perugia zur Feier der Enthüllung seines berühmten Brunnens angelegt hatte.
Ihren Gang nach dem der Padrona bemessend, kam einen Schritt hinter ihr Margherita, den Rosenkranz um die Hand geschlungen, den schwarzen Schleier auf dem Haupte.
Wie schön! wie schön! dachte der Kleine, und es überrieselte ihn, und er sah, daß alle, die ihr begegneten, etwas Ähnliches empfanden wie er, ein Staunen, freudig und verwirrend, eine Bewunderung, in die sich Ehrfurcht mischte. Das blendende, prunkende Tageslicht umspielte liebkosend die Erscheinung eines Vollkommenen mitten unter Unvollkommenheiten.
Bernardino schrumpfte förmlich zusammen im Angesichte dieser Majestät und zog sich tiefer in sein Versteck zurück. Dabei streiften seine bauschigen Ärmel und sein Mantel die Wand, und da gab's ein Rauschen und Knistern von feinster Seide und von schwerer Goldstickerei, so vornehm, so stolz, daß ihm sein entflohenes Selbstbewußtsein nach und nach wiederkehrte.
Er warf sich in die ausgepolsterte Brust seines Wamses, ließ noch Pulcheria am Hause vorübergehen, trat leise und plötzlich vor Margherita hin und zwang sie stehenzubleiben. Nun aber war auch sein Heldenmut erschöpft, die Worte, die er hatte sagen wollen, blieben ihm im Halse stecken. Stumm, mit einer flehenden Gebärde bot er ihr seine Rosen an.
Margherita war überrascht. Er kam ihr komisch und auch ein wenig rührend vor; sie deutete mit dem Finger auf die Blumen und sagte scherzend: »Für mich? diese fürstlichen Rosen für mich? Nein, nein – das kann ich nicht glauben.«
»O nehmt! nehmt!« Und er suchte sie ihr aufzudrängen.
Das Geläute der Kirchenglocken ertönte.
»Nun denn, so gebt und lebt wohl!«
Sie griff nach den Rosen, und Bernardino stammelte entzückt: »Himmlische! Ihr wißt, was das bedeutet?«
[] In dem Augenblick hatte Pulcheria sich nach ihrer Begleiterin umgesehen und rief ihr streng und hastig zu: »Halt! halt! Was fällt dir ein?«
Zugleich wurde Bernardino hart angelassen. Der unsichtbare Beschützer hatte sich einmal wieder in einen sichtbaren verwandelt. Antonio faßte den Arm des ertappten Schlaukopfs. »Sie weiß es nicht«, sprach er, »und schändlich ist es von Euch, sie zu betrügen ... Margherita, diese Rosen sagen: Ich liebe dich. Wenn Ihr sie annehmt, sagt Ihr: Ich liebe dich wieder ... Wollt Ihr diesem Gesellen das sagen, Margherita?«
Sein Ton war voll Grimm und Schmerz, und aus den Augen, die er funkelnd auf sie richtete, sprach die glühendste Liebe, eine Liebe, groß und prächtig, eine lodernde Flamme, neben der Bernardinos zitterige Leidenschaftlichkeit ein schwaches Glasten schien.
Antonios nervige braune Hand lag noch immer auf dem weißen Atlas des Puffärmels und zerdrückte ihn unbarmherzig, und der magere Arm, der darin steckte, machte vergebliche Versuche, die Umklammerung loszuwerden. Auf einmal aber gab sie von selbst nach. Die starke Hand hob sich – mit einer fast entschuldigenden Bewegung.
Margherita hatte gesprochen. »Er träumt – der Jüngling da träumt, Messere, oder sieht Gespenster. Wie er sich's einbildet, war es von Euch nicht gemeint und nicht von mir. Ich für meinen Teil leugne: sagt auch Ihr nein.«
»Und wenn Ihr es auch nicht sagt, wir nehmen es für nein«, entschied Pulcheria und warf ihm ein ungnädiges »Lebt wohl!« zu.
Beschämt und gekränkt wich der Kleine zurück.
Die Frauen setzten ihren Gang zur Kirche fort; Antonio folgte ihnen. Nach einer Weile sah Margherita sich nach ihm um und sagte: »Da seid Ihr wieder erschienen wie ein Geist und habt mich aus großer Gefahr gerettet.«
»Aus einer scheinbaren hoffentlich nur«, erwiderte er.
»Wieso? Wie meint Ihr das?... War sie nicht ernst?«
»Darüber könnt nur Ihr entscheiden, es kommt auf Euch allein an.«
»Auf mich?«
»Auf den Eindruck, den Ihr empfangen habt.«
[] »Eindruck?« Sie wiegte den Kopf. Ihr Lächeln war voll holden Zaubers und schöner Rätsel.
»Es kommt darauf an, ob der Frieden Eures Herzens gestört ist, Eure Seelenruhe.«
»Wenn es darauf ankommt, bin ich nicht in Gefahr gewesen ...« und jetzt lachte sie, und Pulcheria pflegte ihr Lachen mit in Musik gesetztem Sonnenschein zu vergleichen, etwas, das nur sie sich vorstellen konnte.
Heute hatte sie nicht die gewohnte Freude an dem süßen Schall. »Schweigt, ihr zwei!« befahl sie, »und sammelt euch. Wir gehen zur Kirche und nicht zur Osteria.«
Sie war im Begriff, zwischen die jungen Leute zu treten, als sie sich plötzlich von ihnen getrennt sah. Ein Zug Sbirren bog aus einer Seitenstraße um die Ecke von Santa Maria Maggiore und schritt längs der Kirchenmauer in der Richtung des Domplatzes. Erschrocken drückte sich das Fräulein an die Wand und hatte plötzlich ihre Schutzbefohlene aus den Augen verloren. Margherita befand sich mit Antonio auf dem Platze des Baptisteriums, jenseits des Sbirrenzuges.
»Gesegnet diese wandelnde Wand!« jubelte er. »Endlich kann ich Euch sprechen ohne Zeugen ... Endlich Euch sagen – Euch sagen ... was Ihr wißt!« brach er hochatmend aus.
Und sie, mitergriffen von der Glückseligkeit, die sein ganzes Wesen ausströmte, leuchtete ihn an mit strahlendem Blick. Ich liebe dich, denn du bist schön! sprachen ihre Augen, ihre Lippen aber sprachen: »Was ich weiß und was ich errate ... alles errate ich – wer der ist, der mir immer Freude zu machen sucht, wer mir Bänder und Ketten und Ohrringe geschenkt hat und« – sie streckte die Spitze des Fußes vor – »diese schönen roten Schuhe.«
»Mehr als Bänder und Ketten und Ohrringe, mehr als er Euch geschenkt hat, Margherita, habt Ihr ihm genommen.« Er neigte seinen Kopf zu dem ihren und hauchte ihr ins Ohr: »Sein Herz, seine Seele, seine Gedanken. Er hat keine Sehnsucht mehr als die nach Euch, sein Fleiß, seine Ausdauer, sein Ehrgeiz, seine Lust an der Arbeit, alles fort ... Nur Ihr seid da, seid für ihn die Welt und alles, was ist und sein wird ...«
Sie hörte ihm zu in einem seltsamen Gewirr von Gefühlen. Geschmeichelt, wonnig erstaunt, ein wenig bang. Sie hätte seiner [] Stimme ewig lauschen mögen und seinen Worten, und erwartete doch gespannt, daß der Zug der Sbirren ein Ende nehme.
Als er vorüber war und Pulcheria wieder zum Vorschein kam, gab's ein Begrüßen wie nach langer Trennung. Margherita bedauerte die Padrona und fegte ihr den Mauerstaub vom Mantel. Pulcherias Entrüstung über die rohe Soldateska fand einen energischen Ausdruck. An die Wand gepreßt von diesen Lümmeln, die Tochter der Pisano – wie Luft! Bei lebendigem Leibe um das Bewußtsein ihrer Persönlichkeit gebracht, tödlich beschämt durch das Gefühl der Auflösung in nichts!
Im Dome kniete Antonio hinter Margherita, und als sie einmal verstohlen nach ihm blickte, sah sie ihn, die Augen in Verzückung zum Allerheiligsten auf dem Altar emporgerichtet, mit einer Sehnsucht, einer Andachtsglut, als ob er die Seligkeit des Himmels zu sich herunterbeten wollte.
Am Abend, als alles still geworden war im alten Hause am Monte Oliveto, Margherita und Cencetta in ihrer großen Stube zwischen dem Zimmer der Herrin und der Katzenresidenz schliefen, Antonio sich in seine Dachkammer begeben hatte, leistete Pulcheria ihrem Pflegesohn noch Gesellschaft beim Nachtmahl. Sie erzählte von den Vorgängen am Morgen: »Heute hat er sich erklärt, ja, heute. Im Gesicht ist es ihm geschrieben gewesen und auch ihr. Ich konnte es nicht verhüten und er selbst nicht. Ebensogut vermöchte der Vesuv seine Lava hinunterzuschlucken wie der Verliebte seine Liebesworte.«
Masaccios Lippen verzogen sich, als sie so sprach, zu einem seltsamen Lächeln. »Der Hoffnungslose muß es vermögen«, sagte er. »Das zu sein wäre aber Antonio ein Narr. Die zwei schönsten Menschen sind füreinander geschaffen, Gott selbst hat sie einander bestimmt.«
Sein Lächeln hatte der Freundin weh getan, und was ihr weh tat, wies sie von sich als das Üble und Feindliche. Göttliche Bestimmung sei freilich alles, erwiderte sie gereizt. Auf der Hand pflege sie jedoch nicht zu liegen und am wenigsten sich in der Verliebtheit zweier Grasäffchen zu offenbaren. »Jugendliebe – wer hat die Kinderkrankheit nicht einmal durchgemacht?« Sie legte den Finger an die Stirn, ein phosphoreszierendes [] Leuchten erglomm in ihren großen grauen Augen. »Und – zweimal!... dreimal!... Und« – nun schlug sie mit der flachen Hand auf ihre Knie, kreuzte dann die Arme, richtete den Kopf empor und schloß: »Und ist doch eine alte Sibylle geworden.«
»Mit einem Sohne«, sagte Masaccio.
»Mit einem großen Sohne«, wiederholte sie stolz.
Am nächsten Tage schon nahm die alte Jungfrau Margherita ins Gebet: »Liebst du den Antonio Venesco?«
O ja! – von allen Menschen gefiel er ihr am besten. Sie war ihm auch so gut, wie sie glaubte nie einem anderen sein zu können. Und dankbar, so dankbar war sie ihm! Sie wußte, daß er ihr gern alles, was er besaß, gegeben, ihr freudig jedes Opfer gebracht hätte. Ja, sie liebte ihn, von ganzem Herzen liebte sie ihn.
Seine Braut wollte sie aber noch nicht genannt werden, und wenn er sie darum bat, hatte sie hundert Ausflüchte.
»Halb Florenz würde unglücklich!« erwiderte sie ihm scherzend. »Gönne mir noch eine Weile meine Freiheit!« sagte sie ernsthaft. »Bin ich einmal Braut, dann bin ich auch bald Frau, und warum soll ich schon Frau werden? Ich bin noch so jung ... Und Madonna Pulcheria ist – wie mir scheint – dagegen. Sie fragt: ›Wovon wollt ihr leben?‹ Und ich weiß nicht, was darauf antworten.«
Sie scheute sich, dem bis zum Wahnsinn Eifersüchtigen ein Recht zu der Tyrannei einzuräumen, die er sich jetzt schon über sie anmaßte. Wenn er ihrer sicher wäre, würde er ruhiger sein, schwor Antonio ihr zu. Er würde sie nie mehr quälen, sich nie mehr so wild und unerträglich gebaren, wie es jetzt gar oft und zu seiner eigenen Bestürzung geschah. Er würde auch die Arbeit wieder aufnehmen, bei der es ihn längst nicht mehr litt. Er irrte als Tagedieb umher, den Ermahnungen Masaccios zum Trotz, der schon gedroht hatte, ihn aus der Schule zu entlassen.
Das Johannesfest nahte heran. Großartige Vorbereitungen zu der kirchlichen Feier und zu den Spielen und den Wagenrennen, die ihr folgen sollten, wurden getroffen. Ganz Florenz befand sich in freudiger Aufregung, die Betrübten vergaßen ihr Leid, die Armen ihre Sorgen, gar manche Feinde ihren Haß. [] Eine fröhliche, erwartungsvolle Stimmung war zur Herrschaft gekommen, ergriff alle, riß alle mit.
Sonnenhell spiegelte sich diese Heiterkeit im Gemüte Margheritas wider. Sie war berauscht von den Schilderungen der Dinge, die da kommen sollten, die sie mit ansehen, bei denen sie vielleicht eine Rolle spielen würde. Konnte sie sich doch nie öffentlich zeigen, ohne Aufsehen zu erregen, ohne um sich herum flüstern zu hören: »Margherita Guidi! Es ist Margherita Guidi, das schönste Mädchen von Florenz!«
Filippo Lippi hatte ihr erzählt, daß vor fünf Jahren, als beim Wagenrennen Cintia Angrovalle auf ihrem Balkon erschien, unermeßlicher Jubel sie begrüßte. Das ganze Volk brach in Zurufe aus: »Es lebe Cintia! Hoch die schönste Frau, der Stolz von Florenz!« Er selbst, obwohl er damals erst elf Jahre alt war, hatte sich sterblich in die herrliche Frau verliebt und um ihretwillen große Pein gelitten, heftige Liebespein!
Und doch – was war die Schönheit Cintia Angrovalles im Vergleich zu der Margheritas? Was ein Finklein ist im Vergleich zum Paradiesvogel, eine Feldblume zur königlichen Lilie. Filippo versprach sich vom Erscheinen Margheritas beim Feste ein unerhörtes Aufsehen. Sie lachte zwar und versicherte, sie glaube von seinen Geschichten kein Wort, redete aber von nichts anderem mehr als vom Johannistage und von den Wunderdingen, die er bringen werde. Sie hatte einen lebhaften Streit mit Antonio, der ihr das Versprechen abschmeicheln wollte, sich fernzuhalten von den Feierlichkeiten. Er verließ sie im Zorne, kam aber schon nach wenigen Stunden wieder und flehte, erschöpfte seine ganze Redekunst – umsonst. Sie hörte ihn mit komischer Aufmerksamkeit an und brach endlich in ihr silberhelles Lachen aus.
»Seid kein Narr, Antonio! Versucht nicht, was unmöglich ist – mich fernzuhalten von den Festen. Ich gehe hin«, begann sie zu singen, »ich gehe hin!
[] »Wenn Ihr mich liebtet, bliebt Ihr daheim. Ihr brächtet mir das Opfer«, sagte er.
»Wenn Ihr mich liebtet, würdet Ihr es nicht von mir verlangen«, sagte sie.
Er suchte endlich für ihre Weigerung dort Trost, wo er ihn schon lange nicht mehr gesucht hatte, bei der Arbeit.
Eines Morgens war er planlos durch die Straßen gewandert und zum Platze vor Santa Maria Novella gelangt. Dort traf er eine Menschenmenge, die den Vorbereitungen zum Wagenrennen zusah. Als er diese Leute betrachtete, einander im Äußern so unähnlich, wie sie's auch gewiß im Innern waren, und die nun ein und dasselbe Interesse vereinte, das wieder in jedem seinen eigenen Ausdruck fand – da löste sich eine besonders charakteristische Gruppe aus der Masse und gestaltete sich ihm zum Bilde. Und er ging nach Hause und zeichnete und malte, und sein alter, heiliger Feuereifer kam wieder über ihn. Er richtete sich seine Kammer als Werkstatt ein, er gedachte Masaccio mit der Frucht seiner jungen Kunst zu überraschen. Die kühnsten Hoffnungen knüpfte er an das Gelingen: die Aufnahme in die Malergilde, viele Bestellungen, hohen Sold, die Möglichkeit, Pulcheria eine stolze Antwort zu geben auf ihre Frage: Wovon wollt ihr leben?
Ein Blütenmeer lachte die Zukunft ihm entgegen, in den Himmel wuchsen seine Träume – da wurde ihm mit einem Schlag alles vernichtet.
Dem heißen Tage war ein schwüler Abend gefolgt. In der dumpfen Luft lagen die Düfte der Olivenbäume und der Buchshecken schwer wie etwas Körperliches. Antonio trat an das offene Fenster und beugte sich hinaus. Pulcheria, Masaccio und die beiden jungen Mädchen waren im Garten. Er konnte sie nicht sehen, aber er hörte ihre Stimmen. Plötzlich gellte ein Schrei – ein Freudenschrei. Cencetta hatte ihn ausgestoßen, und nun rief sie, er vernahm es deutlich: »Niccolo!« und noch einmal: »Niccolo!«
Das war ihr Bruder. Was wollte der? Was führte den nach Florenz?
Antonio stürmte die Treppe hinunter und in den Garten hinaus und rannte mit ausgebreiteten Armen auf den Ankömmling [] zu. »Junge! lieber Junge, willkommen tausendmal! Wie geht's daheim? Wie geht's meiner Mutter?« rief er und wiederholte die Frage, da Niccolo mit der Antwort zögerte.
»Deine Mutter ist krank und sehnt sich nach dir«, sprach Masaccio.
»Ist krank!« wiederholte Antonio bestürzt.
Niccolo sah ihn voll Teilnahme an: »Der Vater ruft Euch heim. Ihr sollt mit mir kommen. Ihr sollt bald kommen – gleich.«
»Gleich?... Ist Gefahr im Verzuge?«
»Hoffentlich nein, aber kommt doch ... schlagt es Euren Eltern nicht ab.«
»Ich sollte von hier fort? – – von Euch, Margherita – von meiner Arbeit, mit der ich Euch überraschen wollte, Meister ...« Er griff sich an den Kopf, seine Rede war leise und stockend: »Das kann ja nicht sein, das ist ja unmöglich ...«
»Es muß aber sein!« rief Niccolo fast mit Weinen. »Ihr müßt mit mir kommen, ich darf nicht heimkehren ohne Euch ... Eure Mutter – Ihr habt es schon gehört – ist krank ... sehnt sich nach Euch.«
Antonio schwieg und starrte zu Boden.
»Morgen in aller Frühe brechen wir auf. Fuhrwerke, die uns ein Stück Weges mitnehmen, finden wir immer auf der Straße. Ehe die Woche zu Ende geht, sind wir in Ariccia.«
»Ja denn, ja«, sprach Antonio nach einem letzten Besinnen, »wir wollen fort. Morgen, in aller Frühe.«
»Oh – zu traurig«, ließ nun eine geliebte Stimme sich vernehmen, »daß Ihr fort müßt, gerade vor den Festen!«
Ein Blitz des Zornes aus seinen Augen traf sie, die jetzt an die Feste dachte. Wie das gesagt war, wie so völlig ohne Traurigkeit, dieses »traurig«!
Margherita errötete; sie hatte seinen Blick mißverstanden und glaubte sich rechtfertigen zu sollen. »Seht mich nicht so bös an. Es fällt mir nicht ein, Euch zurückzuhalten. Gott behüte mich.«
»Dafür habe ich Euch zu danken«, erwiderte er bitter, ergriff ihre Hand und drückte sie, ohne es zu wissen und zu wollen, so [] fest, daß Margherita halb lachend, halb unwillig aufschrie: »Laßt mich, es tut weh!«
»Es tut weh, sehr weh«, murmelte er und stieß ihre Hand von sich.
Neben der großen, schmerzvollen Sorge, die ihn erfüllte, war eine kleinliche Qual emporgeschossen und vergiftete ihm die Seele. Die Trennung, die ihm so schwer wurde, empfand die Geliebte vielleicht als Erleichterung. Er hätte jeden zärtlichen Blick, der sich auf sie richtete, eifersüchtig überwacht, ihr jede Huldigung mißgönnt, ihr die Festesfreude gestört – es war gut, daß er ging.
Pulcheria und Cencetta hatten indessen lebhaft und leise miteinander verhandelt. Das junge Mädchen flehte die Gebieterin demütig und inständig um die Erfüllung einer heißen Bitte an. Pulcheria schien überrascht zu zögern, zu bedenken ... Nun aber brach die Kleine in Danksagungen und in Lobpreisungen der Padrona aus. Die Gütige, Edle, die Großmütige gab ihr Urlaub, sie durfte morgen mit Niccolo und Antonio die Reise nach Ariccia antreten. Sie würde die Ihren wiedersehen, alle Geschwister, und auf die Berge steigen würde sie wie einst als blutjunges Ding und schauen über Wälder und Hügel und Trümmer uralter Städte bis zum Monte Argento, weit, weit. Niemand kann sich vorstellen, wie weit ... »Und Ihr kommt mit, Ihr müßt!« sagte sie zu Antonio, trunken vor Freude und Glück.
Als die Glocken des Carmine zur Frühmesse läuteten, standen Niccolo und Cencetta an der Tür von Antonios Dachstube und warteten. Nichts regte sich. Es kam keine Antwort auf Niccolos Rufen und Klopfen; da öffnete er und trat ein.
Antonio stand mitten in der Stube, angekleidet, übernächtig, seine Haare waren zerrauft, seine Wangen fahl. Seine Stimme hatte einen müden, heiseren Klang: »Kommt nur, komm, Niccolo, und auch du, Cencetta; kommt, Kinder – um wieder zu gehen – – ohne mich. Ich kann nicht fort. Ich habe die ganze Nacht mit mir gerungen ... Ich müßte sterben unterwegs.«
»Antonio! Antonio!« sprach Niccolo vorwurfsvoll, »das ist nicht Euer Ernst. Sterben! Woran denn sterben?«
»An einer Herzensqual und Todesangst, vor der dich Gott [] behüte, Niccolo ... Geht, sagt meiner Mutter, daß ich mich sehne, ihre Knie zu umfassen, ihre Hände zu küssen, ihre Füße ... Früher aber muß mein Bild gemalt und meine Braut mein sein ... Und dem alten Manne sagt, daß ich seinen Abschiedssegen nicht vergessen habe, daß er mir im Ohre nachklingt, immer, immer! und daß ich als ein ganzer Künstler wiederkehre.«
»Was heißt das alles?« fragte Niccolo entrüstet. »Macht nicht soviel Worte und kommt mit.«
Cencetta war vernichtet. Einmal hatte sie zu Antonio hinaufgeblickt in starrem Entsetzen und mit zuckenden Lippen gestammelt: »Ihr kommt nicht mit? nicht mit?« Jetzt senkte sie die Augen, und unter den halbgeschlossenen Lidern quollen Tränen hervor.
Antonio zog sie an sich und küßte sie auf die Stirn: »Sage meiner Mutter, daß ich liebe und mich von der Geliebten nicht trennen kann. Meine Mutter wird mich verstehen ... meine Mutter wird mir verzeihen. Und nun geht! geht! Ich werde leichter atmen, wenn ich euch auf dem Wege zu meiner Mutter weiß ... Du sollst ihr alles sagen, Cencetta, und wenn sie krank ist, sollst du sie pflegen. Willst du, Cencetta?«
»Ich will ihr alles sagen, und wenn sie krank ist, will ich sie pflegen«, sprach die Kleine.
Der Johannistag rückte immer näher heran, und in ebensowenig festlicher Stimmung wie Antonio befand sich Bernardino. Seine unerwiderte Liebe zehrte an ihm. Er schmolz zusammen in seinen von Gold und Silberstickerei strotzenden Gewändern, und wenn er am Sonntag neben Madonna Isotta im hohen geschnitzten Kirchenstuhle saß, nahm er sich in ihm aus wie eine kleine Reliquie im Heiligenschrein. Seine Mutter konnte den Jammer endlich nicht mehr mit ansehen.
Kurz vor Johanni erhielt Pulcheria den Besuch ihrer Freundin Montanini. Er dauerte nicht lange. Die korpulente Dame war, blaß und schwerfällig wie immer, von zwei Dienern unterstützt die Stiege hinaufgekeucht und kaum eine Viertelstunde später hochrot, wie man sie nie gesehen, treppab geeilt und hatte sich atemlos in ihre Sänfte sinken lassen.
[] Welchen Zweck der Besuch gehabt und was sich dabei ereignet, wußte Margherita aufs Haar, denn sie hatte gehorcht trotz aller Ermahnungen der frommen Teresina, die jetzt im Hause die Stelle Cencettas einnahm.
»Horcht nicht! Das ist eine Sünde, das muß man beichten.«
»So beichte ich's!« war ihre leichtfertige Antwort gewesen.
Und sie hatte ihr Ohr an das Schlüsselloch gepreßt und sich gewunden vor Lachen und leise, ganz leise die schweren Seufzer nachgemacht, die dem im Miederpanzer eingeengten Busen der Madonna Isotta entstiegen. Mit einem Male war sie zurückgefahren, hatte sich emporgerichtet, stolz wie eine Hinde, den Kopf in den Nacken geworfen und mit geschlossenen Zähnen gesprochen: »Elende!«
»Was will sie?«
»Mich – zur Geliebten ihres Popanzen!« Noch funkelte der Zorn in ihren Augen, und schon trat ihr ein Scherzwort auf die Lippen.
Wenige Stunden später kam Bernardino im schärfsten Trabe einhergeritten. Er hatte seiner aufgeregten Mutter das Geständnis des unseligen Schrittes, den sie unternommen, erpreßt und war nun da, um ihn gutzumachen. Er bot der Angebeteten feierlich seine Hand, seinen Namen an, seine Paläste in der Stadt und auf dem Lande, seine Güter und Gärten, alles, was er besaß. Sein Herz konnte er ihr nicht mehr darbringen, das gehörte ihr längst, damit konnte sie tun, was sie wollte, mit ihm spielen, es brechen, es zerreißen.
Er sagte das so ehrlich aus der Tiefe seines Seelchens heraus, daß Pulcheria sich eines leisen Erbarmens mit dem rettungslos Verliebten nicht erwehren konnte.
So sprach sie zu Margherita: »Überlege! Zweimal wird dir sicher dergleichen nicht geboten werden.«
Margherita überlegte aber nicht. »Ich liebe ja den Antonio«, meinte sie, »ich bin ja beinahe seine Braut. Jetzt will ich mich noch unterhalten bei den Festen, tanzen und lachen und singen und mich freuen, und dann, wenn er mit seinem Bilde fertig sein und viel Geld und viele Bestellungen bekommen wird, dann wollen wir in Gottes Namen heiraten.«
Wenig mehr als eine Woche war seit der Abreise Niccolos [] und Cencettas vergangen, Antonio dachte nicht daran, daß ihm schon Nachricht aus Ariccia zukommen könne – da traf sie ein.
Seine Mutter war gestorben, und der Vater sandte ihm seinen Fluch.
Er brach unter dem furchtbaren Schlage nicht zusammen, schrie nicht auf, klagte nicht. Er schwieg und starrte nur jeden, der tröstende Worte an ihn richtete, stumm und fast feindselig an. Er wies sogar Margherita, die in Tränen ausgebrochen war und auf ihn zueilte, von sich. Ihr Herz krampfte sich zusammen, ihr war, als ginge eine tödliche Kälte von ihm aus. Etwas Undenkbares erschien ihr plötzlich als denkbar und erfüllte sie mit Schrecken: die Möglichkeit, daß er aufhören könne, sie zu lieben.
Drei Tage blieb er in seiner Dachstube, und Masaccio gab nicht zu, daß man ihn aufsuche oder herabrufe. »Laßt ihn! Ihr könnt ihm nicht helfen, er muß allein mit seinem Schmerze fertigwerden«, sagte er.
Margherita hielt es aber endlich nicht mehr aus. Sie war überzeugt: besser als der Meister wußte sie, was dem armen Antonio taugte. Klopfenden Herzens stieg sie die Treppe zu seiner Kammer hinauf und trat langsam und schüchtern ein.
Antonio saß auf dem Malerstuhl neben seinem Bilde. Er hatte die Arme gekreuzt und den Kopf auf die Brust gesenkt. Sein blasses Gesicht war schön wie das eines heiligen Sebastian. Todeswund erschien er ihr, von einer Trauer verzehrt, der Menschenkraft nicht widersteht. Eine namenlose Angst um ihn erfaßte sie und auch eine Scheu vor der Größe seines Leidens. Zögernd trat sie näher und flüsterte seinen Namen. Ihr bangte, daß er auffahren und sie fortweisen werde. Doch rührte er sich nicht, er sah sie ohne Überraschung an, als ob es sich von selbst verstände, daß sie zu ihm komme. Da rückte sie einen Schemel herbei, setzte sich ihm zu Füßen nieder und blieb lange still und schweigend, den Blick auf ihn gerichtet, ehe sie begann: »Lieber, Liebster, nimm mich in deine Arme, nimm mich an dein Herz ... ich bin dein.« Und jetzt kniete sie auf ihrem Bänkchen, legte den Kopf an seine Brust, und ihre Stimme schmeichelte zärtlich: »Du sagst immer, daß du mich mehr liebst als ich dich – das ist [] ein Irrtum. Ich liebe dich tausend- und tausendmal mehr. Ich weiß erst, wie ich dich liebe, seitdem du einen so großen Schmerz erfahren hast.«
»Meine Mutter ist tot«, sagte er. »In Sehnsucht nach mir gestorben. Sie hat mich gerufen, und ich bin nicht gekommen. Ich habe sie sterben lassen in Sehnsucht nach mir ... Ich wußte nicht, was ich tat, Margherita.«
»Deshalb wird uns Gott verzeihen«, erwiderte sie und bekannte sich damit als Teilnehmerin an der um ihretwillen begangenen Schuld. Sie stand auf, bettete seinen Kopf in ihren Arm und streichelte seine Stirn und seine Haare ... Und nun – plötzlich hatte sie das Bild erblickt, das er bisher verborgen gehalten. Sie stieß einen Schrei aus, schlug voll Bewunderung die Hände zusammen, sie konnte sich an dem Werke des Geliebten nicht satt sehen, nicht satt loben: »O die Neugierigen! o diese Gesichter! o der Alte im roten Wams! – Ich kenne ihn, es ist Giacomo Lanzetti, und neben ihm steht sein Schüler Ambrogio und hinter ihm der Kürschner Galliano, dem Lippi neulich den kostbaren Mantelbesatz abgekauft hat ... Und – wen erblicke ich? Den schönen Bereiter des Cavaliere Codrone. Ach, mein armes Herz! Antonio, halt es fest, es fliegt mir sonst davon, dem Unwiderstehlichen zu ... Oh, wie ähnlich! Und wie er nach dem jungen Weibe schielt, dem dort mit dem Korb auf dem Kopfe ... Wie sie sich drängen in der Ecke und schauen und blinzeln ... nun ja, das Licht blendet, 's ist Mittag und heiß. Was haben sie nur so zu gucken?... Oh, ich errate! ich errate! Da ist Santa Maria Novella und der Platz ... sie sehen den Vorbereitungen zum Wagenrennen zu ... Prächtig hast du das gemacht! prächtig!«
Er erhob sich, nahm sie bei der Hand und ließ sie einige Schritte zurücktreten und das Bild aus der richtigen Entfernung betrachten.
»Es ist gut, meinst du wirklich?« fragte er. In seine Wangen war wieder Farbe gekommen und Leben wieder in seinen Augen erwacht.
»Nur gut? Es ist herrlich, glaube mir ... Masaccio könnte es nicht besser machen und der eingebildete Lippi schon gar nicht«, entschied sie aus tiefster Überzeugung. »Und wenn es [] erst fertig sein wird, Antonio, welcher Stolz, welches Glück!... Es wird sein wie damals – wann war es nur? –, als sie das Bild eines Meisters – wie hieß er doch? – im Triumph aus seiner Werkstatt holten, die Florentiner, und singend und jubelnd durch die Straßen trugen ... O du, mein Liebster, ich seh es kommen! So, ganz so wird es sein!«
Antonio mußte lächeln: »Und der Meister – was wird der Meister sagen?«
»Das wird er sagen!« Sie breitete die Arme aus und warf sie um seinen Hals, und er preßte sie an sich und drückte einen ersten, langen, seligen Kuß auf ihren Mund, der sich ihm nicht entzog, der ihm willig und freudig den Trunk des Vergessens aller Leiden bot.
Das war die letzte glückliche Stunde, die Antonio seiner Liebe verdankte. Margheritas weiche und mitleidige Stimmung dauerte nicht über die nächsten Tage hinaus. Sie hatte mit Antonio getrauert, sie hatte ihn getröstet, nun sollte er auch getröstet bleiben und wieder Freude am Leben haben und ihr ihre Lebensfreudigkeit gönnen und – natürlich! – alle Triumphe, die ihrer warteten bei den Festen. Sie dachte nicht daran, auf die zu verzichten, und daß sie nicht daran dachte, brachte Antonio außer sich. Er weinte vor Zorn, als er sie am Johannismorgen mit Pulcheria fortgehen sah, die viel zu sehr Florentinerin war, um in Feierzeiten wie diesen das Haus zu hüten. Antonio hatte in trotziger Verzweiflung geschworen, daß er sie nicht begleiten werde, und hielt Wort, warf sich auf sein Bett und lag wie auf glühendem Roste. Als sie heimkehrte, verdarb er der Geliebten das Vergnügen an allem, was sie gesehen und erlebt hatte, durch seine Vorwürfe und durch seine finstere Laune. Pulcheria wartete, bis er seine Kammer aufgesucht hatte, um sich vor Maso der Huldigungen zu rühmen, die seiner Base und ihr dargebracht worden waren. Der Gonfaloniere hatte sie einer freundlichen Ansprache gewürdigt; der gelehrte Niccoli, dem doch niemand zutraute, er könne einen Blick übrighaben für etwas, das keine Handschrift war, hatte die Augen von Margherita nicht wenden können und sich auf einmal der guten Freundschaft erinnert, die einst zwischen ihm und Pulcheria Pisano bestand, und sie die Hüterin des Kleinods von Florenz [] genannt. »Die edle Montanini aber – ach die! Geblendet beim Anblick Margheritas, geblendet wie eine Kuh, die aus dem finstern Stall ins grelle Sonnenlicht gerät. Ihr niederträchtiger Antrag von neulich, der hat sie arg gereut. Sie hätte sich – ich sah ihr's an – ihr bißchen Haar aus Scham darüber ausraufen mögen ... Gib acht, ob die nicht bald demütig mit einem ganz anderen Antrag zu uns kommt.«
Pulcherias Prophezeiung erfüllte sich.
Von ihrem Bernardino begleitet, erschien die gewichtige Dame, und nach einer kurzen Unterredung der beiden mit Monna Pulcheria wurde Margherita gerufen und feierlich gefragt, ob sie die Gattin Bernardino Montaninis werden wolle. Einfach und geradeaus erwiderte sie: Nein, sie tauge nicht zur Gattin eines Patriziers. Wie würde sie sich ausnehmen als Patrizierin?
»Himmlisch!« rief der Verliebte und schilderte ihr die Herrlichkeiten des Lebens, das er ihr bereiten wollte. Er sah sie schon, umringt von einer glänzenden Dienerschar, die Marmortreppen seines Palastes – des ihren fortan – emporsteigen, die lange Schleppe ihres seidenen Gewandes hinter sich herschleifend. Er sah sie die hohen Säle betreten, die bildergeschmückten Galerien durchschreiten, den Vorsitz führen an der mit Silber- und Goldgeschirr besetzten Tafel, als gefeierte Hausfrau die Huldigungen der Gäste empfangen. Er schilderte ihr auch die Pracht seiner Landgüter und machte verlockende Beschreibungen des Lebens, das sie dort an seiner Seite führen und das noch mehr Freuden und Genüsse bieten werde als das Leben in der Stadt.
Margherita blieb bei ihrem Nein, aber diese Nacht und alle folgenden Nächte hindurch träumte sie von seidenen Schleppen, von goldenen Sälen, von märchenhaften Gärten. Und die Tage machte Antonio ihr schwer. Er hätte sie hinter Schloß und Riegel halten mögen. Wenn sie ausging mit Pulcheria, die er jetzt anfeindete, weil ihm schien, daß sie der Bewerbung Montaninis günstig sei, rechnete er genau nach, wie lange sie ausblieb. Zu Hause hätte sie dann Rechenschaft geben sollen von jedem Schritt, den sie gemacht, von jedem Gruß, den sie empfangen, und ganz genau auch von der Art, in der sie ihn erwidert hatte.[] Wenn sie verdrießlich wurde, war er gekränkt, wenn sie ihn auslachte, war er doppelt gekränkt. Sie sollte überhaupt nicht lachen, da er sich grämte; ihre Heiterkeit verletzte ihn, und diese Heiterkeit war ihr doch angeboren und allen Menschen lieb, sogar dem ernsten Vetter Masaccio. Sie konnte nicht plötzlich ihre Natur verleugnen, sie konnte auch nicht ewig trauern, erklärte sie rundweg, um eine alte Frau, die sie ihr Lebtag nicht gesehen hatte. Da schalt er sie herzlos und verständnislos und wechselte die längste Zeit kein Wort mit ihr. Aber gerade dann trug sie recht absichtlich die größte Munterkeit zur Schau, und wenn Pulcheria mißbilligend sprach: »Du tust ihm weh«, meinte sie achtlos: »Ein andermal tue ich ihm wieder wohl, wie niemand anderer ihm tun könnte.«
Was in dieser Zeit in ihm vorging, ahnte sie nicht, und es kränkte und empörte ihn, daß ihr Herz ihr von dem Märtyrertum, das er im stillen durchlitt, nichts verriet.
Tagelang sperrte er sich in seine Dachkammer ein und stand in Verzweiflung vor seinem Bilde. Jeder Strich, den er jetzt daran machte, war unheilvoll. Sicher und kühn hatte er begonnen und im voraus schon den Jubel des Vollendens genossen. Seine Augen hatten unfehlbar richtig gesehen, seine Hand war die Funkenträgerin des göttlichen Feuers in seinem Innern gewesen, und jetzt, da es galt, das kühn Entworfene auszuführen, versagte seine Kraft. Mit knirschender Beschämung gedachte er wieder, wie an jenem Abend im Carmine, des alten Handwerksmannes in Ariccia und seiner furchtbaren Prophezeiung. Ihrer nie zu vergessen, hatte er gelobt, sich selbst zum Fluche. Begann sie schon sich zu vollziehen? War alles, was in ihm gegoren und ans Licht gedrängt hatte, nur falscher Ehrgeiz, leere Sehnsucht gewesen? Sollte sein Leben ein Rennen werden ohne Ziel und ein Kampf ohne Sieg? Sollte – das war der bitterste Gedanke – der Meister, der so fest an ihn geglaubt hatte, in seinem Vertrauen getäuscht werden? Mit dem Gefühl eines Verbrechers ging er ihm aus dem Wege. Er hätte in den Boden sinken mögen, wenn Masaccio ihn freundlich ansprach und fragte: »Wie steht's mit der Arbeit? kann ich sie sehen? bist du bald fertig?«
Und sie, die ihm Trösterin und Vertraute hätte sein sollen, Margherita, die einzige, der seine Seelenpein zu offenbaren ihn [] dürstete, tänzelte neben ihm hin, lachte ihn aus oder schmollte, wenn er ihr mit finsterer Miene entgegentrat. Ihr fiel nicht ein, daß seine Aufregung und seine Verstimmung noch einen anderen Grund haben könne als die Eifersucht, die ihr so lästig war. Immer breiter klaffte der Riß zwischen ihnen, immer mehr Trotz, mehr Anklagen häuften sich in ihren Herzen. Und als er nach einem heftigen Streite unversöhnt fortstürmen wollte, rief sie ihm nach und schwor ihm mit den heiligsten Eiden zu, es sei aus zwischen ihnen – aus für immer.
Wieder war Isotta Montanini dagewesen und hatte noch einmal, aber so gewiß als ihre eigene Würde und die ihres Sohnes ihr heilig sei – zum letztenmal, die Werbung Bernardinos vorgebracht und dem jungen Mädchen eine dreitägige Frist zur Entscheidung gegeben.
Nun fand sie sich ein, um diese zu holen, und nahm, als sie sich empfahl, Margheritas Jawort mit.
Die schmerzliche Überraschung Masaccios, seine Vorstellungen, seine Bitten waren ihrem unwiderruflichen Entschluß gegenüber machtlos.
»Ich will endlich Ruhe haben«, erklärte sie, »und ein gutes Leben. Ich will nicht ewig nur Vorwürfe hören und meine besten Jugendjahre in Zank und Hader verbringen. Geht zu ihm, Vetter, und sagt ihm das, und daß er nicht kommen möge, mir fluchen und mir drohen oder mich anwinseln. Es ist alles umsonst. Ich will nichts mehr von ihm wissen, ich liebe ihn nicht mehr und werde mich bemühen, von nun an nur noch meinen kleinen Verlobten zu lieben.«
Wonne und Wohltat wäre es für Antonio gewesen, wenn ihm Masaccio zugleich mit der Botschaft, die er ihm brachte, sein Todesurteil verkündigt hätte. Er tobte und raste, er wühlte sich in seinen Schmerz hinein.
»Ich habe alles für sie hingegeben und hingenommen«, schrie er. »Ich habe, um Spielzeug für ihre Eitelkeit herbeizuschaffen, meine Kunst entwürdigt ... Ich habe den letzten Segen meiner Mutter versäumt, den Fluch des Vaters auf mich geladen -um sie!... Ich habe sie teuer erkauft, sie gehört mir. Ich gebe sie keinem anderen. Eher töte ich sie.«
[]»Das kannst du tun, und das täte wohl auch der erste beste Popolano. Ich dachte, du wolltest mehr als der erste beste, du wolltest überhaupt das Höchste sein, was ein Mensch sein kann: ein Künstler.« Es lohte auf in seinen Augen, als er das Wort in weihevollem Tone sprach. »Wer ist aber noch je das Höchste geworden, ohne das Schwerste gelitten zu haben?«
Fiebernd vor Ungeduld hatte sein Jünger ihm zugehört: »Und weil Qualen zur Meisterschaft reifen, soll ich ihr wohl noch danken, die mir Qualen bereitet?« Er brach in ein Gelächter aus, so furchtbar und wild, daß Masaccio ihm entsetzt zurief: »Unglücklicher! Weine, heule, tobe – aber lache nicht!«
»Ich muß lachen«, erwiderte der Jüngling, und dabei hob ein krampfhaftes Schluchzen seine Brust. »Es ist allzu komisch und allzu dumm!... Sie begeht ein Verbrechen an mir, macht mich unselig – um selbst unselig zu werden. Mißhandeln wird sie dieser Montanini, wenn er ihrer satt geworden. Und das wird bald sein. Die Leidenschaft eines Zärtlings verraucht schnell. Jetzt schon – ich habe es bemerkt – will ihm manches, das sie tut oder sagt, nicht gefallen. Sie ist ein armes Dorfkind und aufgewachsen unter ihresgleichen; er ist ein seidenes, verwöhntes Herrchen. Jetzt freilich fliegt das Mißfallen nur an ihm vorüber, er gibt sich davon kaum Rechenschaft, liegt bald wieder auf den Knien und lechzt nach einem Wort aus ihrem Munde und stellt sich vor, wie das wäre, wenn dieser süße Mund den seinen küssen würde ... Aber dann ...« Er stieß einen markerschütternden Schrei aus. »O die himmlische, die vermaledeite Schönheit, die er für unsterblich hält!«
»Jeder Verliebte hält den Augenblick für die Ewigkeit«, sprach Masaccio, »und ein Verliebter bist auch du.«
»Ja, ja!« versetzte Antonio, »aber einer, bei dem die Liebe die Verliebtheit überdauert hätte. Ihre Schönheit war es, die mich zuerst bezwang, und dann allmählich war es ihr ganzes Wesen. Sie war's mit all ihrem Guten und Unguten, ihren Vorzügen und Fehlern. Und wenn eine Krankheit oder das Alter sie entstellt hätten, ich hätte sie immer gleich geliebt. Er aber – heute würde er sich von ihr wenden, wenn er sie sehen könnte, wie sie sein wird in zehn, in zwanzig Jahren ... Herrgott im Himmel!« brach er plötzlich aus, »tu ein Wunder!... [] Zeige sie ihm, beraubt von dem Glanz ihrer Jugend und ihrer Schönheit. Zeige sie ihm, wie sie in Jahren sein wird, bei ihm geworden, an den sie sich verkauft hat ...« Er stockte, trat einen Schritt zurück und stand wie gelähmt mit erhobenen, vorgestreckten Händen, mit weit geöffneten Augen, die, starr auf einen Punkt gerichtet, Unsichtbares zu erblicken schienen. »Seht, Meister! seht!« stöhnte er leise. Eine durchsichtige Blässe bedeckte sein Angesicht, es schimmerte wie erhellt von einem inneren Lichte. Den Meister überlief's. Unheimlich fast war der Anblick des Jünglings, der in Verzückung dastand. Was sah er? Wenn er malen könnte, was er jetzt sieht, es wäre eine Offenbarung ...
»Antonio!« schrie Masaccio ihn an. Da erwachte er, tat einen tiefen Atemzug und drückte wie ein Geblendeter beide Hände vor die Augen. Lange Zeit verging, bevor er sie wieder sinken ließ. Dann blickte er um sich, fragend, befremdet. Ein schweres Röcheln entstieg seiner Brust, und plötzlich lag er zu Füßen Masaccios und umklammerte schluchzend seine Knie. »Dank!« preßte er hervor. »Dank, Lieber, Großer, Bester! Dank für Euer Vertrauen, Eure Güte! Dank dafür, daß ich leben durfte in Eurer Nähe, daß ich Euch am Werke sehen durfte, sehen, wie ins Leben tritt, was nicht sterben wird. Dank! Dank!« Er ergriff die Hand des Meisters, küßte sie heiß und inbrünstig und stürzte aus der Stube.
Monat um Monat verging. Antonio ließ sich nicht mehr sehen, und alles Suchen nach ihm blieb vergeblich.
Bernardino führte seine Braut täglich zu seiner Mutter, und diese gefiel sich darin, ihre zukünftige Schwiegertochter in köstliche Gewänder zu kleiden, mit Schmuck zu behängen, mit ihr zu spielen wie mit einer Puppe.
»Deine Schönheit«, sagte sie, »muß ins hellste Licht gesetzt werden, sie ist dir statt des Reichtums und des Adels. Sie soll unsere Entschuldigung dafür sein, daß wir dich in unser Haus aufnehmen und seiner Ehren teilhaftig werden lassen.«
Dergleichen Reden wollten zwar Margherita nicht gefallen, doch sagte sie sich: Wenn eine hohe Dame sie hält, werden sie wohl die richtigen sein. Manchmal kamen Streitigkeiten zwischen [] den Brautleuten vor. Die Standesgenossen Bernardinos machten ihm Vorwürfe über die Wahl, die er getroffen hatte, teils aus Hochmut, teils aus Mißgunst. Wie kam der unbedeutende Junge dazu, das schönste Mädchen von Florenz heimzuführen?... Da erschien er tief verstimmt bei seiner Braut und beklagte sich, daß er ihretwegen Tadel und Spott erdulden müsse.
»So laßt mich stehen und heiratet eine Ebenbürtige«, erwiderte sie beleidigt. »Es wird unter den edlen Fräulein doch eine geben, die ebenso schön ist wie ich armes Bauernkind.«
Sie wendeten sich im Groll voneinander, er aber kehrte nach jedem Zerwürfnis gar bald demütig und voll Reue zu Margherita zurück. Wenn er dann zärtlich werden wollte, sie in seine hageren Arme schloß und ihren Kopf an sein begehrliches Herzchen drückte, lief es ihr eiskalt durch die Glieder, und sie entwand sich ihm, so rasch sie nur konnte.
Einmal, da er ihr in höchst gesteigerten Ausdrücken von seiner Liebe vorschwärmte, unterbrach sie ihn: »Schon gut! schon gut! Ich weiß, was ich zu halten habe von dieser großen Liebe. Wo wäre sie, wenn ich die Blattern bekäme und häßlich würde?«
Er war entsetzt: »Ihr werdet aber nicht die Blattern bekommen, der Himmel wird sich hüten, ein Meisterwerk, wie Ihr seid, zu zerstören.«
»Früher oder später muß es doch geschehen«, sagte sie voll Schadenfreude an der Bestürzung, in die er bei ihrer Prophezeiung geriet. »Wer nicht stirbt, wird alt, wer alt wird, wird häßlich. Ich werde dann mager sein und voll Falten wie Monna Pulcheria oder dick und unförmlich wie Eure Mutter.«
»Schweigt!« rief er und stopfte sich die Finger in die Ohren. Er war im Innersten verletzt und dachte: Sie hat das Gesicht und die Gestalt eines Engels, aber kein Zartgefühl.
Viel schlimmer noch als seine Meinung von ihr war die ihre von ihm. Im stillen nannte sie den Bräutigam einen kindischen Laffen und versteckte sich manchmal vor ihm in einem Winkel des Hauses, warf sich nieder, preßte das Gesicht auf den Boden und schluchzte: »Antonio, Antonio, komm zurück! Ich will deine Knie umfassen, und du wirst mir verzeihen oder mich töten, und was du auch tust, ich werde dich [] segnen!« Ein paar Stunden später konnte sie dann wieder neugierig und beinahe vergnügt die Zurüstungen verfolgen, die zu ihrer Hochzeit getroffen wurden.
Madonna Isotta ahnte nichts von den häufigen Zwistigkeiten des Brautpaares. Sie hatte sich in den Gedanken verliebt, ihrer Vaterstadt Florenz die Verbindung des Adels und des Reichtums mit der Schönheit in einem wunderbaren allegorischen Schaustück vorzustellen. Künstler und Handwerker wurden zu Rate gezogen und übertrafen sich selbst an glücklichen Einfällen und deren sinnreicher Ausführung. Margherita sah, wie die Gold- und Silberschätze des Hauses aus den Kellern und Schränken herbeigetragen wurden, um vor der schaulustigen und kunstsinnigen Menge ausgestellt zu werden. Sie sah die Landleute von den Gütern Montaninis in hellen Scharen einherziehen, um ihr beim Hochzeitsfeste zu huldigen. Und eines Tages mußte sie sich zur Probe das Brautkleid anlegen lassen, das Kleid aus weißem Damast, in dem sie zum Altare schreiten sollte ... Und dort würde sie einem Manne ewige Treue schwören, den sie in tiefster Seele heute schon betrog.
Der Gedanke, mit dem sie fast vertraut zu sein glaubte, trat ihr plötzlich wie ein neuer, fremder entgegen und erfüllte sie mit Grauen vor sich selbst.
Voll Sehnsucht, sich anzuklagen, Rat, Hilfe zu suchen, kam sie heim. Aber da war niemand, zu dem sie flüchten konnte in ihrer Seelenpein. Pulcheria wollte keine Klage hören. »Du hast aus eigner Machtvollkommenheit entschieden, von keinem beeinflußt, aus freiem Willen. Jetzt ist dein Wort gegeben, jetzt halte Wort«, sagte sie.
Im stillen hoffte Margherita immer noch auf Antonio.
Es war vermessen; aber sie konnte nicht anders. Ach, sie liebte ihn viel mehr, als sie geahnt hatte, da sie seiner noch so sicher war! Sie hatte sich furchtbar getäuscht, als sie wähnte, ohne ihn leben und glücklich sein zu können. Jetzt erst begriff sie, was seine immer wache, ob zürnend oder schmeichelnd, immer gleich heiße Liebe ihr gewesen, und sie meinte: er muß es erraten, sein Herz muß ihm sagen, daß sie zur Einsicht gekommen ist ... Er will sie nur warten und schmachten lassen und sie strafen, wie sie es verdient. Im letzten Augenblick daran [] glaubt sie, darauf baut sie – wird er kommen und sie vom Altar wegreißen. Und sie wird ihn küssen, wie sie ihn damals zum ersten- und letztenmal geküßt hat, und wird ihm sagen: Verzeih! Ich wußte nicht, wie unaussprechlich lieb du mir bist ...
Kommt er aber nicht, dann ... dann stehle ich mich fort vom Hochzeitsfeste, dachte sie, und – Herrgott im Himmel, verzeih mir, gebenedeite Jungfrau Maria, all ihr guten und lieben Heiligen, betet für mich!... Dann renne ich, renne und stürze mich in den Arno!
Sich ihrem Vetter anzuvertrauen, wagte sie nicht. Masaccio war immer unzugänglicher geworden. Er hatte ihr nie einen Vorwurf gemacht, ihr aber sein Wohlwollen gänzlich entzogen. Wenn er ihr zufällig begegnete, blickte er sie so finster, so unerbittlich grollend an, daß sie voll Schrecken davonlief. Es war übrigens leicht, ihm auszuweichen, denn man sah ihn kaum noch zu Hause.
Er hatte die Arbeiten in der Brancacci-Kapelle abermals unterbrechen müssen. Neue und dringende Aufträge zwangen ihn dazu. Aber auch – das eiserne Müssen. Immer größer wurden die Anforderungen der Seinen an ihn. Arme Schüler riefen die Großmut des Meisters an, und er gab, wenn er hatte, was er hatte, gab, ohne zu zählen.
»Ich habe nicht Zeit dazu«, antwortete er der Pflegemutter, die oft nicht mehr wußte, wie sie die Gläubiger ihres Maso vertrösten sollte. Erbittert warf sie ihm seinen Leichtsinn vor und drohte ihm sogar mit der Hölle.
»In den vierten Kreis kommst du, Verschwender, dorthin, wo blinde Schuld ihren Lohn empfängt!«
Eine Reihe Tafelbilder, Predellenstücke, Altarwerke für verschiedene Kirchen waren unter der Hand des unermüdlichen Arbeiters entstanden, bevor er wieder, nach schwerer Trennung, mit verzehnfachter Liebe und Schaffenslust zu seinem Lebenswerk zurückkehren konnte. Dann mußte Pulcheria ihm das Essen in die Kapelle schicken; er verschlang es hastig auf dem Gerüst. Wenn er müde und erschöpft heimkam, suchte er sogleich sein Lager auf und fiel in einen todähnlichen Schlaf. Sobald der Morgen graute, sprang er auf, kleidete sich rasch an und stürzte [] fort wie gejagt. Seine alte Freundin sah ihm oft seufzend nach. So eilig er ging, es war nicht der geschmeidige Schritt der Jugend, der ihn vorwärts trug, es war ein unsicheres Hasten. Die Gewänder schlotterten an seinem Leibe. In dünn gewordenen Strähnen umflog das wirre Haar seinen mageren Nacken.
An Antonios Stelle war Filippo Lippi von Masaccio als Gehilfe angenommen worden. Sie malten zusammen an den Fresken in der Kapelle Brancacci, und Lippi suchte die Malweise des Meisters nachzuahmen, was ihm in Einzelheiten überraschend gelang.
Aber noch waren die Vorzüge, die er sich aneignete, mehr äußerliche als innerliche, noch spielte er mit der Kunst, die ihm bisher nur gnädig zugelächelt, deren Ernst er noch nicht geschaut. Überhaupt wußte der maßlos lebensfreudige Jüngling nichts von Ernst außer in einem: der Bewunderung für den Meister. Sie wuchs mit dem Verständnis für ihn.
Stundenlang konnte er müßig, die Arme gekreuzt, ihm zusehen, wie er den Pinsel führte. Als Masaccio ihn einmal mit geschwungenem Malstock zur Arbeit antrieb, empfing er ohne Zucken den kräftigen Schlag, der auf ihn niedersank.
»Ihr seid die Fackel, ich bin ein Funke«, sagte er. »Was liegt der Fackel daran, ob einer ihrer Funken erlischt.«
»Der eine Funke kann ein Licht entzünden, das die Welt erhellt; vielleicht gelingt dem Funken, was der Fackel mißlingt«, erwiderte Maso Guidi.
Als er die Worte sprach, stand er vor seinem eben vollendeten Gemälde – Der Zinsgroschen.
3
Eines Morgens fand Masaccio den Platz vor der Kirche del Carmine ungewöhnlich belebt. Eine Menschenmenge hatte sich dort angesammelt, und einige Mönche redeten, die einen aufreizend, wie es schien, die anderen besänftigend, auf die Leute ein. Als Masaccio sich näherte, rief man ihm zu, ein Frevel, ein abscheulicher Frevel sei begangen worden. Er hatte Mühe, aus [] dem Gewirr durcheinanderschreiender Stimmen zu verstehen, daß es sich um ein ärgerniserregendes Bild handle.
»Kommt, Meister! kommt und seht!« rief ihm ein junger Mönch zu. »Seht, was ein Kirchenschänder getan hat.«
»Er hat, wie Euch und Euren frommen Malereien zum Hohne«, fiel ein zweiter Karmeliter ein, »schamlos eine sinnbetörende Pinselei vor Eurer Kapelle ausgestellt.«
»Ich wollte das Bild entfernen lassen«, sprach ein ehrwürdiger, alter Geistlicher mit großer Glatze und schneeweißem Bart leise zu Masaccio, »es hatten sich aber schon Leute gefunden, die es bewunderten und gegen jeden, sogar gegen uns, leidenschaftlich verteidigten – Eure Schüler«, schloß er vorwurfsvoll. »Kommt mit und seht zum Rechten.«
Sie traten ein, und ihnen nach strömte die lärmende Menge. Von weitem schon, als Masaccio die Kirche eilends durchschritt, leuchtete ihm ein Gemälde, das einige Mönche und einige seiner Schüler streitend umstanden, groß und herrlich entgegen. Ein Schrei der Freude entrang sich ihm.
»Zurück! zurück!« befahl er, flehte er die Menschen an, die ihm nachdrängten. »Dies ist ein Kunstwerk, ihr Leute!«
»Teufelswerk! verruchtes Teufelswerk!« riefen die Mönche, und hundert- und hundertstimmig klang es wider: »Teufelswerk!« – »Ins Feuer damit, ins Feuer!« – »Verdammt, der es vollbrachte! Verdammt sein Urheber!«
»Auf den Scheiterhaufen mit ihm!« Männer und Weiber wetteiferten, steigerten sich in Ausbrüchen des Fanatismus.
»Verdammt auch, der es lobt und beschützt!« erscholl es aus dem Kreise der Mönche, und zornfunkelnde Augen richteten sich auf Masaccio und seine Schüler, geballte Fäuste erhoben sich gegen sie. Vergeblich rangen sie, der Anprall der Übermacht war zu heftig, ihr Kampf war verloren ... Da kam Sukkurs!
Aus der Sakristei stürzte Filippo Lippi, und ihm folgten einige Freunde, unter ihnen Paolo Uccello und Andrea del Castagno.
»Herbei! Herbei!« rief Guidi, »herbei, wer sich einen Maler nennt!« und im Laufe eilten sie dem Bild entgegen, dessen Gefährdung den Meister mit Herzensangst erfüllte.
[] Jetzt standen sie davor, umgaben es mit einem lebenden Walle und hielten den Volkshaufen von ihm getrennt, dem der alte Mönch ruhig und eindringlich zusprach: »Hört das Urteil auch anderer Künstler, Männer und Frauen von Florenz. Hört das Urteil der Maßgebenden an, bevor ihr das eure vollzieht.«
Einen Augenblick trat Stille ein. Gespannte Aufmerksamkeit richtete sich auf die Gruppe der Maler. Ihre Mienen verrieten die verschiedensten Empfindungen: Verblüffung, neidisches Staunen, reines Entzücken.
»Wer hat das gemalt?« fragte Uccello.
»Ich weiß es nicht, ich ahne es nur«, erwiderte Masaccio.
Lippi sprach, und seinen Mund umzog ein seltsames Lächeln: »Auch ich ahne es. Ein Wunder, Freunde! Es ist ein Wunder!«
»Ein teuflisches!« fiel Andrea del Castagno unter dem lauten Beifall der Menge ein. – »Und Ihr«, wandte er sich an Masaccio, »seid der allerletzte, der diese Schamlosigkeit in Schutz nehmen darf. Gar zu nah geht sie Euch an.«
»Schamlosigkeit?... Was nennt Ihr so?... Die Darstellung eines vollkommenen Weibes?... Masolino hat sie angestrebt in der Eva dort, die Euch zur Andacht stimmt; hier ist sie gelungen, hier hat einer erreicht, was uns allen unerreichbar war.«
»Schamlosigkeit nenne ich, daß der eine gewagt hat, in diesem Triptychon die Perle von Florenz als Männerjägerin darzustellen. Der Satan hat ihm die Hand geführt bei diesem zur Sünde reizenden Farbenbacchanal ... So malt kein christlicher Maler weibliches Fleisch ...«
»Du Schönheitsblinder, aus dir spricht der Neid«, unterbrach ihn ein junger Maler; aber er wurde nicht gehört, dem düsteren Castagno jauchten sie zu.
»Recht habt Ihr! Recht! Vernichtung dem Satanswerke! Reißt es in Stücke!«
Masaccio und die Seinen wurden verdrängt, ein erster Faustschlag traf das Bild.
Da gellte ein Schrei. Messerscharf durchschnitt er die Luft. »Halt! Schonung! Erbarmen!« Ein Mensch – der Schatten eines Menschen – stürzte aus der Kapelle hervor: »Martert mich, tötet mich, aber verschont mein Bild!«
Erschöpft sank er zu Boden, wie vom Fieber geschüttelt [] zuckten seine Glieder, sein Atem ging schwer, die blanken Zähne klapperten. Das zerknüllte Hemd ließ den hageren Hals, die magere Brust sehen; staubbedeckt und zerrissen hingen die Kleider an ihm.
Beim Anblick dieser Jammergestalt waren die Leute zurückgewichen.
Masaccio hatte, im Zweifel, ob er recht sehe, geschwankt. Nun sprach er tief erschüttert: »Antonio!« beugte sich über ihn und sah ihm in die verglasten Augen: »Antonio, so kommst du mir zurück? Woher, du Armer?«
Überstürzt und hastig war die Antwort und glich der Rede eines Irren. »Ich habe gemalt, gemalt! mein Bild gemalt und es Euch in den Weg gestellt, daß Ihr es seht und ganz Florenz, daß jeder einzelne sich daran betöre und in Verzweiflung sterbe, so wie ich!«
»Betören soll sein Teufelswerk, zur Verzweiflung treiben ... Er rühmt sich noch! Der Satan spricht aus ihm!« riefen die Mönche und suchten die fanatische Wut der Masse, die Staunen, Neugier, Mitleid einen Augenblick gedämpft hatten, von neuem anzufachen. Es gelang. In wilder Zerstörungslust stürmten die Aufgereizten auf das Bild ein.
Nun schien es verloren ...
Aber noch einmal staute die Menge. Aus der Reihe der Geistlichen selbst war der Heidengöttin ein Beschützer erstanden; Filippo Lippi deckte sie mit seinem Leibe vor den Andringenden. »Florentiner!« flehte er sie an, »dies ist ein Kunstwerk! Schön, wie euch noch keines dargebracht wurde. Achtung vor dem Kunstwerke, Florentiner, Freunde der Kunst!«
Die Kapuze war ihm vom Haupte zurückgeglitten. Sein liebliches Kindergesicht glühte, seine sonst so lachenden blauen Augen leuchteten in ernstem, edlem Feuer, sie überredeten und baten. An den erhobenen, ausgebreiteten Armen waren die weiten Ärmel herabgesunken. Wie Mädchenarme so zart und weiß schimmerten sie, die den Kampf gegen Hunderte aufgenommen hatten. Die lichte, dünne Gestalt, die sich streckte und auf die Fußspitzen stellte und größer zu werden strebte, und die junge Stimme, die reine, helle, die da predigte und beschwor – machten Eindruck auf die beweglichen Gemüter, [] besänftigten, gewannen. Der Novize fühlte es, sein Mut wuchs, eine zärtliche Liebe ergriff ihn für diese Aufgeregten, die ihm Gehör schenkten, sich von ihm beschwichtigen ließen.
»Meine Florentiner!« schmeichelte er. »Kinder meiner Mutter Florentia! Eure Ehre ist meine Ehre, eure Schande zerreißt mir das Herz ... Schande wär's, dieses Bild zu zerstören. Seht es an, seht seinen Urheber an und glaubt mir – o glaubt! Nicht freveln wollen sie – sie flehen um Schutz. Wurde jemals ein Heiligtum entweiht, weil ein Schutzflehender sich seiner Hut befahl?... Schont dieses Werk – es bringt euch neuen Ruhm, ruhmvolle Bürger von Florenz!«
Er schwieg, horchte gespannt in das Summen und Schwirren der Stimmen, das sich erhob, als er seine Rede beendet hatte.
»Was denn? soll es verschont werden?« fragten einige.
»Verschont, verschont«, antworteten andere. Eine lebhafte Beratung begann, und einzelne Hochrufe auf Lippi ließen sich schüchtern vernehmen, wurden aber bald laut und zahlreich.
Er schickte sich an, noch einmal das Wort zu ergreifen. Die zürnenden, entrüsteten Mönche drohten dem Novizen und geboten ihm Schweigen.
Er gehorchte, er hatte sein Ziel erreicht, die Olympierin war gerettet.
Antonio stand auf und trat an ihn heran. »Dank!« preßte er hervor, und ein lang unterdrücktes Schluchzen brach aus seiner Brust.
Der alte Mönch ergriff seinen Arm. »Kommt«, sprach er. »Ihr müßt Euch erholen, müßt ruhen.«
»Nehmt ihn in Eure Obhut, Bruder«, sprach Masaccio, »sorgt für ihn, ich folge Euch.«
»Nur noch mein Bild ansehen!« rief Antonio. »In solchem Lichte sah ich es noch nie.«
Es war eine zauberhafte Beleuchtung, in der es prangte. Aus dem hohen Fenster in der Tiefe der Kapelle drang ein Sonnenstrahl, von Millionen glitzernder Pünktchen durchzittert, schräg herein und glitt über das Gemälde hin wie ein verklärender Glorienschein.
Die sprachlos gespannte Aufmerksamkeit aller war darauf gerichtet. Die Mönche hatten die Kirche verlassen.
[] Masaccio verwandte kein Auge mehr von dem Werke seines Jüngers. »Dein Bild?« sagte er und schüttelte den Kopf. »Dieses Bild, diese drei Bilder, drei Phasen im Leben einer Frau, Morgen, Mittag, Abend, die hast nicht du, die haben Naturkräfte gemalt – die Liebe, die Leidenschaft, der Haß ...« Langsam und schwer war die Rede seinem wortkargen Munde entquollen, allmählich kam sie in raschen, leichten Fluß: »Margherita, die darzustellen in ihrer Schönheit wir alle verzweifelten – da, auf deinem ersten Bilde, ist sie! da lebt sie! Ich sehe ihre zarte Brust sich heben, ich lese die Gedanken von ihrer klaren Stirn – noch sind sie unentweiht, noch lacht Kindesunschuld aus diesen strahlenden Augen ... Antonio – du Unglaublicher, das malt dir keiner nach – diese jugendliche Weichheit, diese blühende Kraft, diesen Schmelz der Farbe ... Sie hat ihrem Köcher einen Pfeil entnommen und legt ihn schüchtern und zagend auf die Sehne ihres goldenen Bogens ... Send ich ihn ab? fragt sie, darf ich? soll ich? Sie weiß noch nicht, daß sie muß, wie die Spinne spinnen, wie der Adler kreisen muß, daß es ihr Beruf ist, edles Wild zu jagen – Menschenwild. Hier aber, in ihrer zweiten Gestalt, da fragt sie nicht mehr – sie weiß. Die herrliche Knospe hat sich ganz erschlossen, die Verheißung ist Erfüllung geworden. Edler noch als in der Mädchenblüte erscheint die ausgebildete Pracht der Züge, der Gestalt. Dieses Bild hat die Leidenschaft gemalt, und es entflammt Leidenschaft. Halbgeleert ist schon ihr Köcher, ihre Pfeile fliegen, sie verdunkeln das Blau des Himmels ... So recht, Weib! Siegerin! – Ziele, triff! Verwunde, töte Hunderte, ehe du einen beglückst. Daß jeder hoffte, der eine zu sein, ist Seligkeit genug für den Erdensohn.«
Er hielt inne. Ein Gemurmel der Unzufriedenheit, des Grimmes, hervorgerufen durch das dritte Bild, hatte sich erhoben. Man vernahm die Worte: »Abscheulich!« – »Mißbrauch der Kunst!« – »Verhängt das!« – »Tut es ganz weg!« – »Noch besser, verwischen! vertilgen!«
»Doch erst, wenn ganz Florenz es gesehen haben wird, nicht wahr, Freunde?« rief Filippo. »Greift nur in euer Herz, meine geliebten, schadenfrohen, in Zorn und Tränen noch lachenden Florentiner, das größte Aufsehen wird nicht eures jüngsten [] Meisters erstes, nicht sein zweites, sein drittes Bild wird es erregen!«
Masaccio hatte die Arme verschränkt. Finster und gequält haftete sein Blick auf diesem dritten, den Menschen abstoßenden, den Meister zur Bewunderung zwingenden Bilde.
»Das Werk des Hasses!« sprach er langsam mit laut tönender Stimme. »Des Hasses, der einst Liebe war; ihr Kind und ihr Widerspiel. Da ist das heilige Licht der Schönheit in diesem Weibe bis auf den letzten Schimmer ausgetilgt ... Nicht mehr schön!...« Es klang wie Trauern um ein Gestorbenes. »Und doch unverkennbar sie!... Alles dahin, was sie reizvoll machte und begehrenswert, verwelkt die Blühende, entadelt die Königliche. Ins Gemeine heruntergezerrt, was wir angebetet haben ... Dein größtes Kunststück, Maler! Deine schnödeste Rache, verschmähter Liebhaber! Nichts lässest du uns übrig für die Gesunkene, nicht einmal den Bettelpfennig des Mitleids. Sie weiß es. Kein süßer Wahn umschmeichelt sie, Bitterkeit und Verzweiflung sind des Triumphliedes Ende. Sie hat ihrem Köcher den letzten Pfeil entnommen – er ist stumpf. Der letzten Enttäuschung wird sie ihn nachsenden ins Leere. Mit entnervtem Arm spannt sie den Bogen ... Du Schrecklicher! Hier hast du die Schönheit gemordet, die Liebe.«
Antonio hatte jeden Laut, Lob und Vorwurf, dürstend eingesogen. Ein Echo dessen, was er in sein Werk hineingelegt, tönten ihm die Worte des Meisters entgegen. Alles Gute, alles Böse war von dem verstanden und nachgefühlt worden. So wie er wird die Welt es verstehen und nachfühlen, es wird ins Bewußtsein treten, ins Leben!
Und nun, als wäre die Rede Masaccios der Halt gewesen, an dem er sich aufgerichtet hatte, stürzte er, da jener schwieg, plötzlich zusammen.
Einige Stunden später war in der Stadt die Kunde verbreitet, daß ein junger unbekannter Maler mit seinem Erstlingsbilde die Werke der großen Meister übertroffen habe. Das Gemälde sei zu Uccello gebracht worden, der ihm in seinem Häuschen eine Stube eingeräumt; dort könne man es sehen.
Traurig nur und ewig schade, daß dem Schöpfer der erstaunlichen [] Arbeit die ruhmreiche Zukunft nicht blühen werde, die ein solcher Beginn verheiße. Er lag sterbend im Kloster der Karmeliter. Jeden Augenblick konnte das Totenglöcklein sein Ende verkündigen.
Der Zudrang zu dem neuen Wunder der Kunst war ungeheuer. Nicht weniger allgemein aber als die Begeisterung, die es erregte, war der Tadel, den es erfuhr. Schnöde entstellen, wie auf dem letzten der Gemälde des Triptychons, hätte Antonio das Schönheitskleinod der Stadt nicht dürfen, die Braut des jungen Montanini.
Ein verlegenes Geflüster ging von Mund zu Mund, als man unter den Neugierigen, die in das Haus Uccellos gekommen waren, Bernardino und seine Mutter bemerkte. Sie hatten das Bildnis, das, Stadtgespräch geworden, das Hauptinteresse von Florenz auszumachen schien, auch sehen wollen. Nun standen sie davor – Bernardino ganz versteinert, Madonna Isotta wie aufs Haupt geschlagen. Ihre zukünftige Schwiegertochter hatte sich dazu hergegeben, als Diana auf der Männerjagd dargestellt zu werden. Schrecknis über alle Schrecknisse! Wußte sie denn nicht, daß damit jede Verbindung zwischen ihr und dem edlen und frommen Hause, in das sie als Herrin hätte einziehen sollen, abgeschnitten war? Daß Bernardino den Besitz einer Frau, deren Schönheit in solcher Weise öffentlich zur Schau gebracht worden, verschmähen mußte und werde? Sagte ihr Gefühl ihr nicht, daß Isotta Montanini sie nie mehr an ihrer Seite würde sehen können ohne die schamvolle Empfindung: eine Entkleidete steht, geht, sitzt neben mir?
Bernardino hatte die beiden ersten Gemälde keines Blickes gewürdigt, er betrachtete nur das dritte unverwandt mit stieren Augen. In seinem Gehirn wirbelten die Gedanken, in seiner Seele die Gefühle durcheinander. »Mutter, Mutter!« stammelte er. »Wer hat mir das getan?... Das ist entsetzlich, was man mir getan hat, Mutter ... Mir meine Braut so zu malen ist entsetzlich, Mutter!«
Er sah Margherita in dieser Gestalt, reizlos, welk, alt, den Vorsitz führen an seiner Tafel, durch seine Säle wandeln, seine Gärten und die Balkone seines Palastes verunzieren ... Lachen würde man über ihn, lachen müßte er selbst über sich, der eine [] Popolana um ihrer Schönheit willen heimgeführt hatte. Eine Schönheit, die sich, wer weiß wie bald, in ihr Gegen teil verwandeln und ihm Grauen erwecken würde und Haß.
»Mutter – so wird sie werden«, flüsterte er schaudernd. »Und – denkt nur, denkt! – sie weiß es, sie hat es mir vorhergesagt ... O Mutter! so wird sie werden und meine Frau sein ... O Mutter, warum habt Ihr zugegeben, daß sie meine Frau werde? Ihr durftet nicht!«
»Ich durfte nicht«, erwiderte sie, in Tränen zerfließend, »du sagst es ... Ich gebe es nicht mehr zu, um keinen Preis geb ich's zu, mein armer Bernardino.«
Das Bild Antonios lockte viele Käufer heran, doch war die Forderung, die Masaccio im Namen seines Schülers stellte, so hoch, daß sich die meisten enttäuscht zurückzogen. Um die Ehre des köstlichen Besitzes rangen bald nur noch einige reiche Edelleute und große Kaufherren. Jetzt schlug der Herzog von Ventimiglia alle aus dem Felde, indem er den Preis, den der Meister forderte, großmütig verdoppelte.
Als Antonio aus der Bewußtlosigkeit, in der er lange Zeit gelegen, erwachte, konnten seine gütigen Pfleger ihm sagen, daß er wohlhabend und berühmt geworden sei.
Der Herzog hatte öfters Erkundigungen nach ihm einholen lassen während seiner Krankheit; den Genesenden lud er zu sich in seine Sommerresidenz Setalla. Antonio sollte dort alles finden, was sein Herz begehren könne. Jede Sehnsucht seiner schönheitsdürstenden Seele sollte erfüllt werden an der Stätte, die wohl danach angetan war, ihm als die Verwirklichung eines Künstlertraumes zu erscheinen. Sie verdankte ihren Glanz einer Reihe hoch- und feinsinniger Fürsten, und ein günstiges Schicksal hatte sie unversehrt erhalten, während die Greuel des Krieges sie rings umtobten.
»Schickt ihn mir«, schrieb der Herzog an die Brüder, »daß er in Setalla wieder auflebe und Werke schaffe, die ihm und dem Hause, in dem sie entstanden sind, Ruhm bringen.«
Als er kam, wurde er aufs beste empfangen und gewann die Männer durch seine Anspruchslosigkeit, seinen Ernst, die Frauen [] durch seine Schönheit und durch sein träumerisches und weltfremdes Wesen. Seltsam anziehend sprach etwas aus ihm: Ich war diesem Leben schon entrückt und muß mich erst wieder hineinfinden lernen.
Der Herzog und seine Gemahlin hatten ihren Hof zu einer Schule feiner Sitten und würdiger Geselligkeit gemacht. Sie hatten Gelehrte und Künstler herangezogen und ihnen durch großartige Gastfreundschaft gedankt für den Vorzug, sich ihres Umganges erfreuen zu dürfen. Seit dem Tode der Herzogin nahm ihre Tochter, die verwitwete Fürstin Judith Altoviti, die Stelle der ersten Frau am Hofe ein, und sein Glanz wurde durch sie noch erhöht.
Antonio bewunderte die Pracht und den durch die Kunst veredelten Luxus, von dem er sich umgeben sah. Von den Säulenhallen und weißen Marmortürmen des Schlosses bis zur Kleidung, in der jeder einzelne sein Äußeres zur höchsten Geltung brachte, alles köstlich. Das Leben, das mitzuführen er eingeladen war, so überreich! Der Verkehr zwischen auserlesenen Geistern und hochgebildeten Weltkindern so schön! Was immer diese Menschen betrieben, den Dienst der Wissenschaft, eine schöpferische Tätigkeit, Gesang und Musik, Jagd und Vogelbeize oder bloßes Spiel – in allem strebten sie Vollendung an.
Bald nach Antonios Ankunft hatte ihn der Herzog in einen Prunksaal geleitet, dessen Wände der malerischen Ausschmückung harrten. Vielgestaltig und farbenprächtig sollte auf ihnen der Einzug der Königin von Saba in Jerusalem dargestellt werden und die Personen des Gemäldes treue Abbilder der Angehörigen des Schloßherrn, seiner Gäste und Hofleute sein. Die Aufgabe war lockend, und ohne Zögern bejahte Antonio die Frage, ob er sie übernehmen wolle. Er blieb den Morgen über im Saale, betrachtete den Raum, den zu beleben seiner Kunst zugetraut wurde, ermaß die Größe der Anforderung und fühlte sich von ihr bedrückt.
Munter und laut drangen Zurufe, drang Rosseschnauben und Degenklirren zu den Fenstern herauf. Unter ihnen befanden sich die Spielplätze und die Fecht- und Reitschule. Da wurde der Ball geschleudert, da wurde nach dem Ziele geschossen, da übten sich die jungen Leute im Wettlauf, im Ringen und Springen, im [] Fechten und in kühnen Reiterkünsten und kämpften um den Sieg im Spiele wie um einen höchsten Triumph.
Lange stand Antonio und betrachtete sie mit einer Teilnahme, die sich bis zum Entzücken, bis zu leidenschaftlichem Neide steigerte. Jeder Blutstropfen in ihm wallte, seine unverbrauchte Kraft schrie nach Betätigung.
Die nächsten Tage fanden ihn auf dem Plane als eifrigsten Schüler der Fecht- und Reitlehrer und unermüdlich in der Pflege ritterlicher Übungen. Er überraschte alle durch seine Gewandtheit, seinen Mut.
Im Saale wurden die Wände zur Bemalung hergerichtet, die Gerüste aufgeschlagen, indes der Maler Antonio vergessen zu haben schien, daß er nach Setalla gekommen war, um da seinen Beruf auszuüben. Sein edler Wirt mochte ihn nicht mahnen, ein innerer Antrieb fand sich nicht ein. Ihm war es recht, er scheute ihn wie die Krankheit, wie das Übel. Die glänzenden Fertigkeiten, die er sich aneignete, die Vergnügungen, denen er sich hingab, berauschten ihn, erlösten ihn wenigstens stundenlang von einer fressenden Pein: der unüberwindlichen Sehnsucht nach Margherita. Glühend erfüllte ihn der Wunsch, zu erfahren, ob sie ihm fluche, ob sie in einer neuen Liebe Trost gefunden habe oder sich vor den Augen der Menschen und ihrer Neugier verberge. Ob sie die Schmach und Erniedrigung, die er ihr angetan, ganz empfinde?
Selbstquälerisch antwortete er sich: Was Schmach – was Erniedrigung! Die kommen nicht an sie heran. Ihre Schönheit ist ihr Schild. Ihre Schönheit behütet ihre Schuld vor Strafe. Auch von ihr hält die zyprische Göttin die Rache fern wie einst von der treubrüchigen Helena. Aber doch nur die gewalttätige Rache. Vor der still nagenden Pein erlischt ihre Macht. Die bleibt dir nicht erspart, Margherita! sagte er sich zu kümmerlichem Troste. Wo du auch weilst, überallhin wird der Glanz meines Ruhmes dringen und der Klang meines Namens dich verfolgen. Und wenn auch die Liebe erloschen und nicht mehr verwundbar ist, durch deine verletzte Eitelkeit wirst du leiden. Du wirst andere Frauen in meinen Werken verewigt sehen und ermessen, welch ein Glück du verscherztest. Über alle Fürstlichkeiten hätte ich dich erhoben, mit dem Erfolg wäre der Reichtum [] mir zugeflossen. Ein Palast, wie dieser ist, wäre deine Wohnung gewesen, ich hätte dich in Sammet und Seide gehüllt. Auf goldgestickten Schuhen wärest du durch Zaubergärten gewandelt, eine Halbgöttin – mein Weib, das Weib des einzigen, der das Geheimnis besaß, deine Schönheit im Bilde wiederzugeben, und sie in allen Gestalten, in denen die Frau auf Erden unsterblich geworden ist, der Nachwelt erhalten hätte: als Venus und Andromache, als Cornelia und Madonna ...
Einmal nach langer Zeit nahm er den Stift zur Hand und versuchte wieder die geliebten Züge nachzubilden. Aber sie wollten sich nicht gestalten lassen. Am nächsten Tage ging es nicht besser und in allen folgenden Tagen nicht, und immer ließ er entmutigt von der Arbeit ab, die immer mißlang. Endlich erwachte der Eigensinn, narren mochte er sich nicht lassen. War nicht die Kunst seine Dienerin? Hatte er sie nicht unterworfen? Sein Können hatte zu kommen, wenn er es rief.
Er zeichnete rasch, heftig, mit fliegendem Stift, und was entstand, war eine Verzerrung. Er zerriß das Blatt und trat es mit Füßen.
Am Abend dieses Tages wurde ein Fest bei Hofe mit Musik und Tanz gefeiert, und Antonio bemühte sich, seine Seelenqualen hinter übermütiger Lustigkeit zu verbergen. Er riß viele mit und täuschte alle – nur eine nicht. Die Fürstin Judith Altoviti trat auf ihn zu, legte die Finger auf seinen Arm, sah ihm fest und zutraulich ins Gesicht und fragte: »Was ist Euch, Venesco?«
Von Anfang an hatte sie ihn mit Auszeichnung behandelt, und er hatte sich mehr zu ihr hingezogen gefühlt als zu einer der jugendlichen Schönheiten in ihrer Umgebung.
Die Fürstin war eine gebietende Erscheinung, eine blonde Italienerin, groß, von fast allzu üppigen Formen. »Nicht eigentlich schön, aber unwiderstehlich«, hieß es von ihr. Sie flößte heftige Leidenschaften ein, obwohl sie nicht mehr in der Blüte der Jugend stand. Ihre angeborene Liebenswürdigkeit gewann ihr die Herzen im Fluge, ihr edles Wesen, ihr Geist sicherten ihr den Besitz der raschen und leichten Eroberungen. In ihrer ersten Ehe hatte sie kein Glück gefunden und eine [] zweite einzugehen sich bisher nicht bewegen lassen. Endlich – kurz vor Antonios Ankunft – schien sie ihren Sinn zugunsten eines neuen Freiers, des ruhmvollen Feldherrn Alfonsos von Aragon, des Grafen Del Nero, geändert zu haben.
Ihr Vater, ihr Bruder Camillo, der mit stolzer Zärtlichkeit an der älteren Schwester hing, wünschten sehnlich diese glückverheißende Verbindung und begannen schon eine beschlossene Sache in ihr zu sehen, als Judith ihr Benehmen gegen den ernsten und feierlichen Bewerber änderte. Sie brachte seinen Gesprächen nicht mehr das frühere Interesse entgegen und fand selten noch für ihn ein schmeichelhaftes Wort.
Es fügte sich, daß der Graf, wie viele andere, Zeuge war der unbefangen gütevollen Art, in der die Fürstin Antonio gefragt hatte, was ihm sei.
Camillo sah die richtende Miene, mit der Del Nero den nichtssagenden Vorfall beobachtete, und ihn verdroß die Regung kleinlicher Eifersucht in dem hochstehenden Manne. Er war aber auch unzufrieden mit seiner Schwester. Sie hätte, meinte er, Rücksicht nehmen müssen auf des Grafen ihr wohlbekannte Empfindlichkeit.
Der Tanz war zu Ende, die Musik verstummt, und die Gesellschaft strömte in den Garten.
Das Parterre vor dem Schlosse, ein großes architektonisches Blumengemälde, war von Hunderten von Fackeln beleuchtet. Am dunkelblauen Himmel glitzerten die Sterne. Leise Lüftchen, durchwürzt vom Dufte der nahen Zypressen-, Granat- und Orangenbäume, strichen kühlend über heiße Stirnen, glühende Wangen.
Damen und Herren nahmen im Kreise Platz vor einem Hemizykel, in dessen Mitte ein durchsichtiger Wasserschleier fast unhörbar vom Haupte einer Amphitrite in den Muschelwagen niederglitt, in dem sie, ihre Delphine lenkend, stand. Vor dem schneeigen Götterbilde saß auf einer teppichbelegten Marmorbank Judith zwischen Del Nero und ihrem Bruder, und ihr zu Füßen hatte sich Cintia gelagert, ihre Lieblingsdame und ihr Widerspiel, klein, schwarzgelockt und lebhaft.
»Spielen wir Decameron, erlauchte Frau!« rief sie der Fürstin zu. »Ihr seid Pampinea, die Königin, und befehlt einer oder [] einem von uns, eine Novelle zu erzählen; je lustiger, um so besser!«
»Das wäre Eure Sache, Graf«, wandte die Fürstin sich lächelnd an Del Nero, der, statt auf ihren Scherz einzugehen, ablehnend erwiderte: »Ihr seid vom Gegenteil überzeugt, Madonna.«
»So führt meine Überzeugung ad absurdum!«
»Schon der Versuch erschiene mir frevelhaft.«
Die Reden waren harmlos, doch herrschte in ihnen ein gereizter Ton. Camillo fiel ein: »Del Nero ist nicht aufgelegt, eine lustige Novelle zu erzählen oder zu hören. Ich schlage eine Disputa vor über den Einfluß der Gestirne auf unser Schicksal.«
Alle waren einverstanden, alle stimmten bei; nur Del Nero schwieg.
»Da seid Ihr in Eurem Elemente, Lionardo. Ihr redet pro, Ihr beginnt.«
Judith hatte einen ältlichen Mann angeredet, eine schmächtige Figur, in dunklen Sammet gekleidet. Es war ein gelehrter Humanist, den die eingesogene ciceronische Weisheit nicht vor Aberglauben und nicht vor der Torheit bewahrte, nach einem unerreichbaren Besitz, dem der Fürstin, zu streben.
»Über den Einfluß der Gestirne. Beginnt! beginnt!« wiederholte Cintia und unterdrückte ein leichtes Gähnen.
Lionardo erhob sich, lüftete sein Barett vor der Herrin und schickte sich eben an zu sprechen, als sie ausrief: »Halt! halt! Es ist jemand unter uns, der Euch vielleicht nicht hören will. Ihr, Graf«, sagte sie, dieses Mal unverhohlen spöttisch, zu Del Nero, »obwohl Ihr als großer Condottiere eigentlich nicht zweifeln solltet, daß unser Schicksal in den Sternen geschrieben ist.«
Er zögerte mit der Antwort. Er richtete seine tiefliegenden Augen fest mit eindringlicher Frage auf die ihren. Sie hielten, groß geöffnet, stumm und kalt seinen Blick aus.
»Ich zweifle nicht, noch glaube ich«, sprach er. »Ich bin auch in diesem Punkte ein Verzichtender. Mögen die Sterne für Andersgeartete eine Sprache haben, mir schweigen sie.«
Am nächsten Tage war er abgereist, und kurze Zeit darauf [] kam die Kunde nach Setalla, daß er sich mit einem jungen, schönen Edelfräulein verlobt habe.
Der Herzog verbarg seine Enttäuschung hinter dem Scheine äußerer Gleichgültigkeit. Camillo überhäufte die Schwester mit Vorwürfen. Er verwünschte ihren Wankelmut und den Leichtsinn, mit dem sie einen Ehebund von sich gewiesen, der dem Hause zur Ehre gereicht und ihm neuen Reichtum zugebracht hätte.
Doch hielt er Judith viel zu hoch, um in die Neckereien einzustimmen, deren Gegenstand sie nun wurde und die sie ergötzten, statt sie zu verdrießen.
»Super-superklug ist Del Nero!« sagte Lionardo. »Statt zu verzweifeln, heiratet er. Ein Adonis wurde ihm vorgezogen, er sucht Trost in den Armen einer Grazie.«
Die Fürstin lachte, sie ging mit großartiger Gelassenheit auf die Scherze ein, die über ihre unverhohlene Bevorzugung Antonios gemacht wurden. Sie wies kurzweg die Vorwürfe einiger Mißgünstiger und Neider ab: »Seid so schön wie der Jüngling aus Ariccia, habt soviel Talent wie er, und ihr sollt durch mich dieselbe Auszeichnung erfahren.«
Einmal war sie seinetwegen von der Jagd ferngeblieben. Sie hatte die Verstimmung bekämpfen wollen, deren Beute er war, und das rechte Mittel dazu gefunden: gute, kluge Worte, die ihm einleuchteten und wohltaten. Sie nahm seinen Arm, und sie schritten über die von Rasenbändern eingefaßten Wege vor dem Schlosse dem dichten, dunklen Laubgange zu, der zur Pineta führte. Seine Wände aus Buchs und Steineichen beherbergten in ausgeschnittenen Nischen edelschlanke Marmorgestalten.
Die Fürstin deutete zu einer von ihnen, einem Adonis, empor. »Wißt Ihr«, fragte sie, »daß man Euch mit dem Namen dieses Lieblings der Venus bezeichnet?«
»Man quält mich damit«, erwiderte er.
»Quält Euch? Ist es kein Glück, mit dem Schönsten verglichen und bewundert zu werden?«
»Ich wollte, es gäbe an mir nur eines zu bewundern – den Maler. Ich wollte«, brach er aus, »ich wäre ein Scheusal und könnte malen wie Masaccio!«
[] »Habt Ihr ihn nicht schon übertroffen?«
»Er hat es behauptet, und die andern haben es ihm nachgeredet ... Masaccio übertroffen – den Schöpfer einer neuen Welt! Mit einem armen Bilde, einem einzigen, bei dem es vielleicht bleiben wird.«
»Welche Drohung! So plant Ihr Untreue an Eurer Kunst?«
»Ich – an ihr?... Sie hat sich von mir gewendet, ich weine, schmachte, sehne mich nach ihr.«
All und alles, was ihn bedrückte, sprudelte er in verworrener Rede hervor. Er schüttete sein ganzes schweres Herz vor ihr aus, und das ihre schlug, während er sprach und sie ihm mitfühlend zuhörte, heftig und beklommen.
Sie waren an einem der köstlichsten Aussichtspunkte des Gartens angelangt. Eine Steinbalustrade begrenzte hier seinen steil abfallenden Rand. Aus dem Erdreiche ragten Felsstücke hervor, und zwischen ihnen strömten rauschende Kaskaden hinab, tief unten im Wiesengrunde drei Teiche bildend, kristallklar, in Marmor gefaßt, von hehren Götterbildern umgeben. Eine Landschaft, in der klassische Kunst die Natur zum Garten gemacht, breitete sich in der Ferne, auf dem nahen Abhang ein Meer von Wipfeln und Baumkronen, und der sanfte Wind, der über sie hinstrich, trug ihre feinen und edlen Düfte herauf wie einen Opfergruß.
Die Fürstin hatte sich unter eine Steineiche auf eine der Bänke gesetzt, die das Geländer abschlossen. Antonio lehnte an ihm, die Wange in die Hand des aufgestützten Armes geschmiegt, und sah finster und unbeweglich zu den brausenden Wassern nieder.
Eine leise und unsichere Stimme, die nach langem Schweigen seinen Namen sprach, weckte ihn. Erstaunt wandte er sich und begegnete dem Blick zweier tiefblauer Augen, der unaussprechlich liebevoll auf ihm ruhte.
Das Blut schoß ihm ins Gesicht. Was dieser Blick deutlich sagte, war ihm schon mehr als einmal durch den Sinn geflogen als kaum eingestandene Frage, die er mit herber Selbstverhöhnung von sich gewiesen.
Freude, Stolz, geschmeichelte Eitelkeit flammten in ihm auf. [] Er machte einen raschen Schritt auf die Fürstin zu ... doch schon hatte der Ausdruck ihrer Züge sich verändert. Sie warf den Kopf etwas zurück, sah an Antonio vorüber in den Schatten der Bäume und schien dem zärtlichen Gesang einer Drossel zu lauschen.
Ihre Stimme hatte wieder den gewohnten tiefen und sicheren Klang, als sie sprach: »Setzt Euch zu mir. Wir wollen von ernsten Dingen miteinander reden. Ich habe einen Auftrag meines Vaters an Euch zu bestellen. Er fragt durch mich an: Wie steht es mit den Skizzen zu den Fresken, mit denen Ihr den Festsaal schmücken wolltet? Mein Vater will Euch nicht mahnen. Ihr kennt seine rücksichtsvolle Art. Doch versprach er sich und anderen soviel von diesen Bildern, sah im Geiste sie schon meisterlich von Euch ausgeführt. Wir alle«, fuhr sie fort, da er schwieg, »wir alle dachten: Antonio, kaum wiederhergestellt, wird sich über die Arbeit stürzen wie ein Löwe. Statt dessen übt Ihr Euch in ritterlichen Spielen und nehmt den Pinsel nur zur Hand, um immer von neuem das Bild Eures ungetreuen. Liebchens hervorzuzaubern. Kein Wunder, daß Eure große Geliebte – die Kunst – dazu nicht lächeln will. Laßt das gelten, junger Freund, laßt meine Weisheit gelten und auch meine prophetischen Worte: Ihr werdet die Fresken im Festsaal malen und uns die schöne Königin, die an der Spitze eines glänzenden Gefolges im Gepränge ihrer Reichtümer auszog nach Erkenntnis, herrlich und unübertrefflich darstellen.«
»Wäret Ihr doch nicht eine schöne Fürstin, sondern eine alte Sibylle, daß ich Eurer Prophezeiung Glauben schenken könnte!« rief Antonio. Er hatte versucht, es leichthin zu sagen, doch entrang sich ein schneidender Schmerzenslaut seiner Brust und verriet, was in ihm vorging.
»Mut!« sprach die Fürstin, und er beugte sich und drückte seinen Mund auf ihre Hand, die sich auf die seine gelegt hatte. Sein Kopf wurde festgehalten, als er ihn wieder erheben wollte, weiche Lippen näherten sich seinem Ohr und flüsterten: »Könnt Ihr nicht vergessen, Antonio? Vergessen hieße frei sein, wieder erwachen zur Schaffensfreude und schwelgen in Schaffenskraft. Vergeßt! Euer Können geht unter in Träumen und Sehnen. Vergeßt! Es gibt noch andere Frauen außer Margherita, unkluges [] Kind, das den Himmel haben könnte und immer nur nach einem versunkenen Stern ausblickt.«
»Das den Himmel haben könnte?« wiederholte er und ließ sich auf die Knie vor ihr niedergleiten.
»Den Himmel haben und in den Himmel versetzen, statt zu leiden und leiden zu machen.«
»Wodurch leiden, Madonna? Antwortet mir! Ihr verwirrt mich, Ihr macht mich wahnsinnig, ich weiß nicht mehr, was ich rede – wodurch leiden?« Mit Scheu, mit aufflammendem Entzücken sah er sie an, und sie zog ihn an sich, strich ihm die Haare aus der Stirn und ließ die Hand auf ihr ruhen, und er glaubte, ein leises Beben dieser Hand und das Fliegen ihrer Pulse zu fühlen.
»Ich will Euch nicht wahnsinnig machen, ich will Euch heilen«, sprach die Fürstin, sich mühsam zu überlegener Gelassenheit zwingend. »Eurer Kunst und damit dem einzigen, das Euch beglücken kann, will ich Euch wiedergewinnen. Morgen, Antonio, versucht Ihr einmal eine andere als Margherita, versucht Ihr mich zu malen, als eine der Gestalten im Zuge der Königin von Saba.«
Immer näher hatte sie sich ihm zugeneigt, indes sie redete, und in einem heißen, langen Kuß begegnete nun ihr Mund dem seinen. Antonio umfing sie wonneberauscht.
»Als die Königin selbst will ich Euch malen!« rief er. »Eure goldenen Haare, Euer schimmerndes Antlitz sollen alles übrige verdunkeln ... Aus Euren Augen soll Euer hoher, herrlicher Geist leuchten, als die Seele der Welt will ich Euch malen, durch die alles atmet, Farbe, Licht und Leben erhält.«
»Nicht so, nicht so«, unterbrach sie ihn. »Eine im Zuge will ich sein, nicht mehr. In Euerm Bilde darf sich nicht verraten, was unser tiefstes Geheimnis bleiben muß. Schweigen und Vorsicht heißen die Hüter unseres Bundes. Niemand darf eifersüchtig gemacht werden, Eifersucht sieht zu scharf ... Und vor allem darf Camillo nicht ahnen ...«
Ein Schauer durchrieselte ihren Leib; mit unaussprechlicher Zärtlichkeit drückte sie den Jüngling an ihre Brust: »Er würde dich töten, du mein geliebtes, schönes, törichtes Kind!«
Und hingerissen und geblendet von seinem unbegreiflichen, [] märchenhaften Glück in den Armen des königlichen Weibes, dachte Antonio mit knabenhaftem Triumphe: Wenn sie wüßte! wenn Margherita wüßte! –
Als die Fürstin am nächsten Tage zur ersten Sitzung in den zur Werkstatt umgewandelten Saal kam, wurde die Aufregung, in die ihr Erscheinen den Maler versetzte, von ihrem Gefolge bemerkt und belächelt. Wie bewegt war der Arme! Wie schüttelte ihn das Schaffensfieber! Die Künstlerschaft, man muß es gelten lassen, hat ihre unbequemen Seiten.
Über die Haltung, die Stellung, die Judith einnehmen sollte, wurde lange beraten; Antonio ließ sie den Kopf heben, senken, zur Seite neigen, die Augen auf den, auf jenen Gegenstand richten. Er vermochte keinen Entschluß zu fassen, sah sie ganz verzückt an und geriet in Bestürzung, wenn ihr strafender Blick seinem Verzeihung erflehenden begegnete. Die Fürstin selbst bestimmte endlich, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf eine Kopie der Himmelfahrt Johannes des Evangelisten von Giotto, die seitwärts an der Wand hing, richten wolle. Ihre Begleiterinnen forderte sie auf, sie zu unterhalten, während Antonio zeichnete, ihr vorzulesen, zu singen, zu musizieren. Er wußte kaum, was um ihn her vorging, sah nur sie, empfand nur die berauschende Nähe der Herrin und Gebieterin, die ihn vor wenigen Stunden ihren Herrn und Gebieter genannt hatte. Er saß wie betäubt vor seiner Staffelei, und als ein neugieriges junges Mädchen sich zu ihm schlich und ihm bei der Arbeit ein wenig auf die Finger sehen wollte, wurde er böse und erklärte, niemand den Anblick des Bildes zu gestatten, bevor es vollendet sei.
»O Venesco, Lieber!« rief die Fürstin, »mich werdet Ihr doch ausnehmen von diesem grausamen Verbote!« Sie erhob sich und trat hinter Antonio und sah auf der Tafel nur ein wüstes Durcheinander, ein Wirrsal von Strichen. »Nehmt Euch zusammen«, flüsterte sie ihm zu. »Wollt Ihr mich heute schon verraten?«
Ihre Worte brachten ihn zu sich. Mit dem Aufgebot seiner ganzen Willenskraft begann er zu zeichnen. Seine Anfänge kamen ihm in den Sinn, er gedachte seiner ersten Lehrzeit bei Masaccio und hatte die Empfindung eines halbblinden, tastenden [] Lehrlings; er zog seine Linien langsam und – stümperhaft, fühlte er. Der Kopf, der da entstand, war der einer zierlichen Puppe und ähnelte kaum von fern dem edlen Kopfe der Fürstin.
Sie jedoch, als sie den Entwurf sah, war überschwenglich im Lobe. Sie fand sich zwar sehr geschmeichelt, meinte aber: »Ich werde sterben, mein Bildnis wird leben; um so besser, wenn das Dauernde die verschönerte Gestalt des Vergänglichen ist.«
Als das nichtssagende Gesicht Farbe bekam, steigerte sich die Zufriedenheit der Fürstin mit dem Werke Antonios, und ihre Umgebung, gewöhnt, ihr Urteil dem der kunstverständigen Frau zu unterwerfen, wagte keinen Widerspruch. Bald wurden den Arbeiten des jungen Malers alle Vorzüge zugestanden, die die Augen der Liebe in ihnen entdeckten. Er begann außer einem zweiten Bilde der Fürstin, dieses Mal in ganzer Figur, die Bilder der meisten Hofherren und Hofdamen zu malen und erntete so viel Bewunderung, daß er sich dem Glauben, sie zu verdienen, nicht mehr verschloß. Schon empörte es ihn, wenn ein Unüberzeugter schwieg, ein Unbeirrter fragte: »Warum werdet Ihr Euch selbst untreu und behaltet Eure frühere Malweise nicht bei? Warum verfolgt Ihr nicht Eure so glorreich betretenen Pfade?«
Der Herzog hielt mit seiner Meinung zurück, hatte sich noch immer nicht für einen der Entwürfe zu den Fresken entschieden, die Antonio ihm vorlegte. Dafür aber verging kein Tag, an dem er der männerjagenden Diana nicht neue Bewunderung zollte.
Er hatte sie in einer ehemaligen Kapelle aufstellen lassen, zwischen der Werkstätte und der Galerie, die zu seinen eigenen Gemächern führte. Der halbrunde Raum mit den hohen Fenstern war mit graugrünen Vorhängen und Stoffen verkleidet und bildete eine Art Heiligtum, das den Schatz des Hauses verwahrte und nur in Begleitung des Herzogs oder Antonios betreten werden durfte. Dieser aber begann sein Werk zu hassen, wie er das Werk eines verabscheuten Rivalen gehaßt hätte. Es beirrte, es machte blind für den Wert seiner jetzigen Schöpfungen, die ihm nun doch als die höheren und reiferen erschienen.
Und als die höheren und reiferen wurden sie auch von ihr erklärt, die er auf seinen Knien verehrte, für die er eine flammende und grenzenlose Dankbarkeit empfand, von der teuren [] Frau, die ihn ins Leben eingeführt hatte, an deren Herzen er herangereift war vom Jüngling zum Manne.
In einem Taumel des Selbstbewußtseins lebte er dahin, schuf hastig Bild auf Bild und wies jeden Zweifel, der in ihm aufsteigen wollte, gewaltsam von sich. Die Werkstätte hatte sich allmählich in einen Gesellschaftsraum verwandelt, in dem die Fürstin Hof hielt, Besuche empfing, Sänger und Musiker einlud, sich hören zu lassen. Regelmäßig kam auch Camillo, trieb Kurzweil mit den jungen Mädchen und Frauen, forderte einen der Männer zu einem Waffengange heraus, in dem er stets Sieger blieb unter dem lauten Applaus der Damen. Dann neigte er die schlanke, geschmeidige Gestalt vor ihnen, lachte sie an und dankte, daß sie doch auch noch für ihn unbedeutenden Menschen, der nicht einmal eine Spinne porträtähnlich malen könne, etwas Teilnahme übrig hätten. Mit gekreuzten Armen ging er von einer der Skizzen und Malereien zur andern, betrachtete sie, nahm eine gewollt wichtige Miene an, nickte feierlich und empfahl sich schweigend.
Die Fürstin litt nicht weniger als Antonio unter diesem zur Schau getragenen Hohne. Sie machte ihrem Bruder Vorstellungen: »In deinem Benehmen liegt eine Mißachtung, die Venesco schwer erträgt.«
»Hat er sich beklagt?«
»Das nicht, aber sieh ihn doch nur an. Was in ihm vorgeht, kannst du auf seinem Gesichte lesen.«
»Wenn mir aber der Sinn nicht steht nach der Lektüre? Wenn ich diesen Menschen überhaupt fortwünsche aus meinen Augen? Bald jährt sich der Tag, an dem er nach Setalla kam, um es durch Kunstwerke zu bereichern. Wie lange wird er noch zögern, an seine Aufgabe zu gehen?«
»Als ob er nicht längst begonnen hätte!«
»Womit? Soll das ernste Arbeit sein, die Puppengesichter, die er pinselt bei Spiel und Musik? Es scheint ihm nicht der Mühe wert, seine Kunst bei uns auszuüben; er geht hier nur seinen Freuden nach.« Durchdringend blickte er Judith an. »Ich weiß nicht, ob es dir angenehm sein wird zu hören, daß heute sein Zimmer leer, sein Bett unberührt gefunden wurde, als ich vor [] Morgengrauen zu ihm schickte und ihn fragen ließ, ob er mit mir zur Jagd nach Cascina ausreiten wolle.«
Die Fürstin verfärbte sich, behielt aber ihr stolze Fassung. »Er ist kein Mönch und wird Abenteuer haben so gut wie du und wie ihr alle.«
»Mag er! Nur das Haus zu verunehren hüte er sich.«
»Woher vermutest du, daß er es tut?«
»Es fehlte kein Pferd im Stalle, der Pförtner hat seit gestern das Tor nicht aufgeschlossen.«
»Das beweist mir nichts.« Sie zuckte die Achseln, sie brach das Gespräch plötzlich mit kalter Miene ab. Doch hatte sie von dieser Stunde an ihre Seelenruhe eingebüßt. Der Verdacht war da, umgab sie, erfüllte sie mit Bangen. Vermochte sie's dem Geliebten zu verbergen und – wie lange noch? Gepeinigt ging sie mit sich selbst zu Rate; da kam Botschaft von Antonio, der sie in die Werkstätte bitten ließ. Zugleich wurde ihr durch einen Abgesandten ihres Vaters gemeldet, Gentile da Fabriano sei in Setalla eingetroffen.
Der Künstler befand sich auf der Heimreise von Venedig, wo er reiche Lorbeeren geerntet hatte. Sein Wandgemälde ›Die Seeschlacht zwischen den Flotten der Republik Venedig und des Kaisers Friedrich Barbarossa‹ war vom Senat mit der Verleihung eines Jahresgehaltes und der des venetianischen Patriziats belohnt worden.
In dem Arbeitssaale herrschte lebhaftes Treiben. Die Herren und Damen waren beschäftigt, ihre Bilder an den Wänden und auf den Staffeleien in neue Ordnung zu hängen und zu rücken. Unter Streiten und Scherzen verlangte jedes für sein Konterfei den besten Platz, das günstigste Licht.
Antonio kam der Fürstin mit raschen Schritten entgegen. »Gentile da Fabriano ist hier«, sagte er und flocht nur für sie verständlich ein: »Das Messer schon gezückt, das mir ins Herz gestoßen wird. Er kann für den Schüler Masaccios kein Wohlwollen übrig haben. Zu verschieden sind seine Wege von denen meines Meisters. – Der Herzog«, fuhr er laut fort, »bringt ihn hierher. Wollt Ihr die Gnade haben, Fürstin, Eure gestrige Stellung wieder einzunehmen. Wir bilden den Zug, wie es bestimmt gewesen, und werden dann Gentiles Meinung hören.«
[] Nun entstand ein lustiges Durcheinander von Stimmen und ein Drängen und Schwirren: »Das war gestern mein Platz!«
»Nein, der meine!«
»Ich stehe neben der Fürstin!« rief Cintia.
»Immer Ihr! Gönnt einmal einer anderen den Vorzug!«
»Gut, da will ich selbst der Mittelpunkt einer Gruppe sein. Euern Arm, Camillo! Zu mir, Messer Lionardo! Ihr bildet meinen dunkeln Hintergrund!«
An eine strenge Anordnung war nicht mehr zu denken, aber anmutig und voll Leben war das Bild, das all diese jungen, schönen, nach eigener Willkür aufgestellten Geschöpfe boten, als der Herzog und Gentile eintraten. Stattliche Erscheinungen und kostbar gekleidet, die beiden. Der Künstler den Fürsten noch überragend, von hagerer Gestalt und stolzer Haltung.
Im ersten Augenblicke wagte niemand sich zu rühren, tiefste Stille herrschte.
»Bravo!« rief der Herzog. »Jetzt habt Ihr's getroffen, Antonio. So ist der Zug richtig gestellt und nimmt sich prachtvoll aus.«
»Bravo!« wiederholte Gentile, »der Schüler Masaccios verrät sich in diesen schön komponierten Gruppen!«
»Nicht mein Verdienst. Dieses Bild hat sich von selbst, der Zufall hat es gemacht«, erwiderte Antonio.
Gentile ging auf ihn zu und drückte ihm die Hand: »Wohl dem Künstler, der sieht und benützt, was sich von selbst gemacht hat ... Ein glücklicher Zufall? Ergreif ihn, unterwirf ihn, er wird ein glückliches Schicksal.«
Ein lautes Auflachen antwortete ihm. Camillo hatte es ausgestoßen und sprach: »Daß nicht eine Idee unseres Antonio über diesem lebenden Bilde schwebt, darauf schwöre ich. Seht die Entwürfe zu seinem großen Gemälde, die er uns bisher beschert hat. Mein Vater konnte sich zu einer Wahl unter ihnen noch nicht entschließen.«
Er ließ einige Rollen, die Antonio an die Wand gelehnt hatte, herbeibringen und auf einem Tische vor Gentile ausbreiten.
Das waren mehr als Entwürfe, es waren mit peinlicher Sorgfalt bis ins kleinste ausgeführte Zeichnungen, figurenreich und [] gedankenarm, leblos und hölzern, eine Frucht, die eigensinniger Fleiß der Ohnmacht abgerungen.
Sprachlos betrachtete Gentile die Blätter, und Camillo spottete: »Die Bewunderung macht den Meister stumm. Seid stolz, Antonio! Er sucht umsonst nach Worten für sein Entzücken und – seine Beschämung. Nicht wahr, Meister Gentile? Ins Feuer mit Eurer Anbetung der Könige! Was ist der Zug Eurer Morgenländer im Vergleich zu diesem Zuge der Königin von Saba? Versunken die ideale Welt, in der Ihr heimisch seid! Eine neue Kunst steigt auf. Sie stürmt den Himmel nicht, um Eingebungen zu erobern, sie holt sich die ihren aus – dem Marionettentheater.«
»Warum so grausam?« fragte Gentile, und Antonio, seinen Zorn bemeisternd, bemühte sich, ruhigen Tones zu sagen: »Ich lege keinen Wert auf diese Versuche und hätte sie Euch nie vorgelegt. Hier ist Besseres, wie ich glaube und hoffe.«
Er führte Gentile zu den Staffeleien mit den Bildern der Fürstin und zu den Porträts und Skizzen, die an den Wänden hingen. Judith hatte mit bezwingender Liebenswürdigkeit den Arm des fremden Meisters genommen. Sie überhäufte ihn mit zarten Schmeicheleien und wagte ein schüchternes Lob der Werke des Geliebten. Bestätigt es, stimmt ein, flehten ihre Augen. Gentile senkte die seinen.
»Ein Wort der Ermunterung – aus Erbarmen!« flüsterte sie.
»Ich kann nicht lügen, Fürstin«, erwiderte er leise. »Besser nicht malen, als so zu malen.«
Der Herzog sah das tiefe Unbehagen des Meisters und die Pein, die Antonio litt, und wollte ein Ende machen. »Ihr seid nicht einverstanden mit den neuen Arbeiten Venescos«, sagte er. »Wir wollen Euch eine seiner früheren zeigen. Tretet hierher, Gentile, und seht!«
Auf seinen Befehl wurden die Flügel der Kapellentür geöffnet, Margherita-Diana leuchtete dem Maler in ihrer Schönheit entgegen. Das letzte Bild des Triptychons hatte der Herzog verdecken lassen.
Gentile stieß einen Schrei aus. »Herrlich!« rief er. »Euer Werk, Venesco?... Aber nicht ein früheres, der Herzog scherzt – Euer jüngstes und ein unsterbliches! Von diesen Schildereien [] da«, er beschrieb einen Kreis mit der erhobenen Hand, »ein Sprung, nein, ein Flug ... Venesco – ich beuge mich!«
Alle waren ergriffen durch diese Huldigung, die der große Maler und strenge Richter einem jungen Kunstgenossen darbrachte. Der Herzog winkte seiner Tochter.
»Ich erwarte viel«, sagte er zu ihr, »von dem Einfluß Gentiles auf unsern in die Irre geratenen armen Freund. Lassen wir die beiden sich beraten. Unsere Anwesenheit behindert sie, komm!«
»Ihr wolltet mich ehren, Messere Gentile«, begann Antonio, als sie allein geblieben waren, »und Ihr habt mich gedemütigt. Was ich jetzt vermag, gilt Euch nichts, was ich früher vermochte, soviel!... Ihr seid geblendet wie die anderen, Meister, durch die Schönheit des Modells, das mir vor Augen schwebte, als ich jenes unselige Bild malte.«
»Unselig?« wiederholte Gentile gedehnt. Lang und fest heftete sich sein scharfer, klarer Blick auf den Jüngling, und mit dem Ausdruck innigster Wahrhaftigkeit setzte er hinzu: »Ich gäbe alles, was ich bisher als Künstler geleistet habe, dahin, um dieses Werk, das Ihr unselig nennt, geschaffen zu haben.«
»Auch wenn Ihr wüßtet –« rief Antonio aus –, »es wird sich auf Euern Weg legen wie ein Block, einen unübersteiglichen Wall bilden, Euch zurückschleudern, wenn Ihr gegen ihn anrennt, zurück zu Euren Anfängen, immer, immer! indes Ihr vorwärtsstrebt um jeden Preis, und wär's das Seelenheil!«
»Vielleicht sogar auch dann!« erwiderte Gentile, der dem Wunderbild um einen Schritt näher getreten war. »Vielleicht gelänge es mir, die Einsicht zu gewinnen, daß die Kraft, der eine solche Schöpfung entsprang, fortan ruhen soll.«
»Und der, dem diese Kraft gegeben war – was soll der?« Mit wildem Ungestüm stürzte er auf Gentile zu und faßte ihn an beiden Händen: »Sterben. Er hat nichts mehr vor sich.«
»Das Leben, das ganze, reiche Leben«, lautete die Antwort. Gentile kreuzte die Arme und sah den blühenden Jüngling vorwurfsvoll an, der sterben wollte, weil ihm kein Bild mehr gelang. »Soll ich Euch raten, Freund? Werft Eure Pinsel in die Ecke, gürtet ein Schwert um, nehmt Dienst bei einem siegreichen Feldherrn. Ihr habt als Künstler vollbracht, was Ihr nie mehr [] übertreffen, vermutlich nie mehr erreichen werdet; vollbringt Eure nächsten Taten mit dem Schwerte. Kriegshandwerk und Künstlerschaft sind einander nicht allzu unähnlich, nähren sich beide vom Kampf, sind Kampf ... Der Größte, der je der Kunst gedient, der Gibelline mit der Heldenseele und dem Feuergeist, stand als Soldat im Schlachtgewühl. Bevor Ihr aber Setalla verlaßt, Neues zu beginnen ...«
»Ein Kriegsknecht zu werden, meint Ihr –«
»Blutige Lorbeeren zu pflücken, meine ich, oder, wenn Euch das widerstrebt, vielleicht fern vom Weltgetümmel« – Gentile lächelte – »den goldenen Brautkranz um ein geliebtes Mädchenhaupt zu schlingen. Aber bevor Ihr Setalla verlaßt, sage ich – glaubt mir: errichtet einen Scheiterhaufen und verbrennt alle Eure hier entstandenen Werke ... die ersten, im blutigen Schweiß des Angesichts zusammengestrichelten Entwürfe, die Ihr selbst verwerft, die Skizzen und Bilder, die Ihr später, hinter das Geheimnis des Kunstgriffs gekommen, aus dem Ärmel geschüttelt habt. Die gütige Fürstin rühmte die allmählich erworbene, geniale Leichtigkeit Eures Schaffens ... O Freund, vor die Geburt alles Lebendigen ist der Schmerz gesetzt. Diese da« – er deutete auf Margheritas atmende Gestalt – »habt Ihr nicht spielend hervorgebracht.«
Wieder stand Gentile vor ihr, versunken, gefangen, im Banne ihres zauberhaften Reizes. Schwer nur riß er sich endlich los.
In Verzweiflung, in Entrüstung gegen ihn, der gekommen war, ihm allen Mut und alle Schaffensfreudigkeit in der Seele zu ersticken, blieb Antonio zurück.
Warum? fragte er, warum?... Aus wirklicher Überzeugung? Oder – ein schnöder Verdacht ergriff ihn. Wahrlich, Gentile brauchte keinen zu beneiden; schleicht sich aber der Neid nicht auch in die Seelen derer ein, die angetan wären, ihn zu erregen?
Die Nebenbuhlerschaft Masaccios war nicht die, die er zu fürchten hatte. Zu verschieden war das Gebiet, auf dem jeder von ihnen groß geworden. Antonio hatte unrecht gehabt zu fürchten, daß Gentile den Schüler Tommaso Guidis nicht gelten lassen würde. Im Gegenteil, den Nebenbuhler, der sich zu seiner eigenen idealisierenden Richtung hinneigte, den künftigen Rivalen, den wollte er aus dem Wege räumen. Kehr um! zu [] deinen Anfängen zurück oder werde ein Söldling ... Vorher aber vertilge, verbrenne, was meine Werke in Schatten stellen könnte!
Er griff sich an den Kopf. Wie sah es darin aus? Wurden Gedanken des Wahnsinns da drinnen geboren? Nein, er sah und dachte klar. Mochte Camillo höhnen und Gentile schmähen, die Bewunderung einer erhabenen Frau hatte seine Bilder zu ewigem Leben geweiht.
»Ihr seid ich«, sprach er zu ihnen, »ihr seid, der ich immer war.« Voll naiven Entzückens fand er das unbeholfene und doch so beglückend zuversichtliche Walten der Knabenhand in seinen neuen Werken wieder. Das ihm allein Eigentümliche war auch das für ihn allein Rechte. Sein Selbst zu wahren ist das oberste Gesetz des Künstlers. Das sollst du sein, was kein anderer sein könnte. So sollst du es machen, wie kein anderer es machen könnte. »Du bist noch von fremdem Geiste eingegeben und beseelt«, rief er dem Bildnis in der Kapelle zu, »und sollst mir jetzt herüber zu den Meinen!«
Hochatmend, in jagenden Gedanken stierte er die Göttliche an. Wie alles um ihn her sich hob und senkte, wie Blitze durch die Luft fuhren und dicht an ihm vorüber, und wie der Boden schwankte ... Und nun war ihm, als ob er ein Klopfen an der Tür vernähme, und mit leisen, unhörbaren Schritten schlich er hin und zog den Riegel geräuschlos vor. Dann wandte er sich zu der Kapellentür, die nach den herzoglichen Gemächern führte, und verschloß auch die, und jetzt fühlte er sich als Herr in seinem Gebiete und trat vor die Abbilder Margheritas und ging ans Werk. Unsicher hastend führte er den Pinsel, setzte ihn zuerst an die Augen, die zu flehen schienen: Schone uns, und die nicht flehen und berücken durften, nicht schauen durften wie lebendige Augen, sondern so wie die Augen derer, die im Saal von den Wänden herablächelten. Und als es geschehen war, nahm er den Lippen ihren verführerischen Liebreiz und der Haut ihren Schmelz und jugendwarmen Ton. Auch an das zweite Bild und an das dritte legte er die verbessernde Hand. Und dann schien ihm, was er da getan, doch nicht das Rechte, und er suchte einzelne Linien, die nun verwischt waren, wiederzufinden und – fand sie nicht. Ein Schleier tanzte ihm vor den [] Augen, in die Hand war ihm Blei gegossen worden; er ließ sie todmüde sinken.
Stunden waren verronnen, es begann zu dämmern. Antonio zog die Vorhänge von allen Fenstern der Kapelle zurück und betrachtete seine Arbeit im letzten Tagesschein. Erst meinte er, nicht recht zu sehen. Das falsche Licht trog, täuschte ihm einen widerlichen Anblick vor. Die Gestalten auf seinen Bildern trugen Larven, fahl, mit roten Lippen und leeren Augenhöhlen. Antonio schrie auf: »Maskenscherz!... Grausamer, schlechter Maskenscherz!... Versteckst du dich, Margherita? – Vor mir, kindische Törin?... Du bist da – zeige dich! Herunter mit der Larve!... Du willst nicht? So zwing ich dich! Ich kann! Ich bin der Schöpfer, du bist das Geschöpf, aus dem Nichts durch mich hervorgerufen!«
Auf dem Gange war es laut geworden, an die Tür des Saales wurde gepocht.
»Öffnet!« rief Camillo, und da keine Antwort kam: »Öffnet, oder wir brechen ein.«
Drohungen wechselten ab mit Bitten. »Öffnet, lieber Meister! Öffnet, Antonio!« und er, der eben noch schaudernd gefühlt hatte: Eines Haares Breite trennt dich vom Wahnsinn – behielt Besinnung genug, um sich zu sagen: Eher sterben, als sie einen Blick tun lassen auf die entwürdigend übertünchte Diana ...
Er faßte alle Kraft zusammen, um der Stimme, die aus seiner glühenden Kehle kam, einen menschlichen Laut abzugewinnen, und: »Ruhe!« stieß er hervor, »gönnt mir Ruhe!«
Sie berieten lange.
Und er sah sich hastig, in furchtbarer Angst, im Gemache um. Wo gab es Rettung?... Da plötzlich blinkte sie ihm entgegen, süß und verheißend wie dem Hoffnungslosen ein Liebesblick: die nackte Klinge eines in einer Panoplie befestigten Dolches. Er riß ihn an sich und küßte ihn heiß. Wenn sie kommen, rettet der, wird sein Befreier!
Doch kamen sie nicht, waren eine Weile noch unschlüssig; endlich entschied Camillo: »Lassen wir ihn, den Narren. Er durchschwelge die Nacht mit seinen herrlichen Frauenbildern.« Lustig lachend zogen sie weiter.
[] Nun war Ruhe, Todesruhe. Nach einer Weile aber klopfte es wieder, diesmal vorsichtig und leise.
Die vertraute Zofe Judiths drückte die Lippen an die Türspalte und sprach: »Venesco! Lieber! Ich habe Speise und Wein gebracht und hierhergestellt, holt sie, wenn Euch hungert und dürstet.«
O ja. Ihn hungerte, und er lechzte. Nur nicht nach irdischer Speise und irdischem Trank, und nie mehr sollten, nie mehr, der Hunger und der Durst, die ihn verzehrten, gestillt werden. Noch einmal hatte er sein Werkzeug zur Hand genommen und sich wieder angekrochen gefühlt vom Scheusal Ohnmacht.
Vorbei! Alles Wahn, was ihn darüber täuschte! Aus dem Ringe seines Lebens ist der Edelstein gebrochen, gelähmt seine Schöpferkraft.
Ein Haß gegen die Treulose wirbelte wie Sturm in ihm auf. Kargst du nun? Willst nichts mehr geben? Nimm denn auch, was du schon gabst, zurück! Zerstörungswut ergriff ihn. Er warf den Pinsel fort und begann mit dem Dolche über seine Diana zu streichen, wuchtig, mit der breiten, scharfen Schneide, strich und strich, bis nur noch einzelne Überbleibsel, schwache Umrisse, zarte Farbentöne verrieten, daß hier ein Schönes gelebt hatte.
Dann ging's an die Zwittergeburten eines falschen Könnens. Bild um Bild trug er herbei und schichtete eines über das andere auf die Steinfliesen. Im Kamin – die Jahreszeit war vorgerückt – hatten am Morgen mächtige Baumstämme in hellem Feuer gelodert. Antonio holte Kohlen, die noch glimmten, aus der Asche und schob sie unter die Bilder. Langsam, stoßweise stiegen weiße Rauchwölkchen aus den Zwischenräumen des Scheiterhaufens hervor. Winzige Flammenzungen wurden sichtbar, erloschen aber bald. Nur Qualm und Rauch verbreitete sich, kroch auf dem Boden weiter, klebte an den Wänden, formte gespensterhafte, ineinander verschwimmende Gestalten.
Stumpfsinnig, einer Art Halbschlaf hingegeben, sah der Maler zu, bis ein rasender Schmerz ihn plötzlich durchdrang und aufstachelte. Er stürzte taumelnd bis zur Kapelle, streckte die Arme aus und schrie: »Verzeih mir, Margherita!... Im Sterben noch geliebte, verzeih!« Ein Schwindel erfaßte, die Besinnung[] verließ ihn, er vernahm nur noch ein gräßliches Röcheln, das seiner eigenen Brust entstieg.
Wachen, die am frühen Morgen die Gänge durchschritten, sahen unter der Tür der Werkstätte Rauch hervorquellen. Sie sprengten das Schloß, traten ein und fanden den ganzen Raum wie von Nebel erfüllt. Als sie die Fenster öffneten und frische Luft hereinströmen ließen, schlugen aus dem kleinen, auf dem Boden errichteten Scheiterhaufen schmale Flämmchen heraus. Mit geringer Mühe wurden sie unterdrückt. Still und ohne Lichterscheinung hatte die Glut, leise glostend, ihr Werk getan. Antonios Bilder zerfielen in Zunder bei der ersten Berührung. Ihn selbst fand man leblos zu Füßen des verstümmelten Dianabildes ausgestreckt.
Er wurde in sein Zimmer getragen, gelabt, zu sich gebracht. Lange Zeit blieb er allein, dann bestellte ihm ein Page den Befehl, das Schloß zu verlassen beim nächsten Tagesgrauen. Ein Wagen, der ihn bis Carrara bringen sollte, werde bereitstehen. Was Antonio getan, könne nur ein Wahnsinniger getan haben, und als solcher müsse er gefangengehalten und bewacht werden.
Daß der Herzog ihn nicht vor sein Angesicht forderte, war die letzte Wohltat, die er ihm erwies. Antonio faßte seinen Dank an den Edlen und an die hohe Frau, die ihn mit unverdienter Huld begnadet hatte, in wenige unberedte, auf ein offenes Blatt hingekritzelte Zeilen.
Kein Blick in die Zukunft. Es gab kein Morgen, an das eine Hoffnung sich knüpfte. Er empfand keine Ungeduld, keine Sehnsucht. Er war ganz ruhig, ganz kühl, er kam sich vor wie sein eigener Schatten, und wie im Traume wandelnd, rüstete er sich zur Reise, legte, was sein war, zu einem Bündel zusammen. Den reichen, für sein Bild erhaltenen Sold, die Geschenke, die man ihm gemacht hatte, die Ketten und Schaumünzen, die er so kindisch stolz getragen, ließ er zurück. Der Künstler, den sie hatten ehren sollen, war tot; sie gehörten denen, die sie gespendet.
Als es zu dunkeln begann, trug ein Diener eine Lampe herein, brachte das Abendessen. Es geschah schweigend, und schweigend und scheu wandte Antonio sich ab. Er empfand die Anwesenheit eines Menschen als Qual. Oh, wenn es nicht so [] schändlich wäre, das edle Haus, das sich ihm wie ein Vaterhaus geöffnet, mit Selbstmörderblut zu besudeln!... Jetzt, mit gutem Bedacht, würde er getan haben, was zu tun er gestern nahe war.
Er setzte sich an den Tisch, legte das Gesicht auf die gekreuzten Arme und spann sich allmählich in stumpfes, ödes Gefühlsdämmern ein.
Das Geräusch der Tür, die wieder geöffnet und geschlossen wurde, weckte ihn nicht. Erst als eine Hand, deren Berührung er immer als Wohltat und Heilung empfunden hatte, sich liebkosend auf sein Haupt legte, fuhr er empor und rief mit wonnigem Entzücken: »Judith!... Oh – du!« und wollte sie heranziehen – und stieß sie im selben Augenblick von sich. Alle eingeschläferten Furien waren erwacht. »Fort! Fort!« stöhnte er. »Meine Nähe beschmutzt ... Ihr dürft nicht in meine Nähe, Fürstin. Fort!... Wenn man es erführe!«
»Die Wächter sind nicht blind, Antonio, sie werden auch kaum stumm sein. Ich habe ihnen nicht Schweigen auferlegt«, sagte sie gelassen.
Er staunte sie mit verglasten Augen an. Ihre sonst so rosig gefärbten Wangen waren marmorweiß, und der Stolz ihrer Haltung war gebrochen.
»Erst dann würde ich es tun«, fuhr sie fort, »wenn ich diese Schwelle wieder überschritte, wie ich kam – allein. Wenn wir uns trennen müßten, Freund!«
»Müßten? Müßten?... Müssen wir denn nicht?«
»Es steht bei dir. Ich nehme dir im Unglück nicht, was ich dir im Glück geschenkt. Ich war dein, ich bleibe dein.« Sie sprach es sanft, feierlich, mit einer Hingebung, inniger fast als in den Stunden höchster Leidenschaft.
Hingerissen sprang er auf und nahm sie in die Arme, und ohne Widerstand duldete Judith seine brennenden Küsse.
»Ruhig, Viel- Vielgeliebter«, sprach sie endlich und nahm seinen früheren Platz ein, und Antonio kniete vor ihr und hielt sie umfangen. »Du hast gelitten in all den Tagen. Ich habe auch gelitten und nachgedacht und mein ganzes Leben an mir vorüberziehen lassen. Die Krone dieses Lebens, mein Antonio, sein höchstes Gut ist deine Liebe.« Eine unendliche Zärtlichkeit [] klang aus ihrem Ton und ein wehmütiger, scherzender Vorwurf: »Deine am Feuer der meinen entzündete Liebe. Mein Tag hat kein Licht ohne sie und mein Dasein keinen Wert. Sie hat meine Jugend, die entschwinden wollte, festgebannt, mir den übermütigen Frohsinn der Mädchenjahre zurückgezaubert. Ich kann dem Tod ins Auge sehen, aber nicht der Trennung. Du gehst – ich gehe mit dir. Ich werde dein Weib, Antonio.«
»Mein Weib?« In namenloser Überraschung, zweifelnd, ungläubig wiederholte er: »Mein Weib?... O Judith, du Große! Großmütige!... das würdest du? zu mir herabsteigen würdest du?«
Hastig unterbrach sie ihn, hielt ihn von sich mit beiden, in kaum noch bemeisterter Aufregung zuckenden Händen: »Herabsteigen? Deine Geliebte konnte ich nur im geheimen sein. Als deine Verlobte trete ich erhobenen Hauptes vor die Meinen. Welchen Grund hätte ich zur Demut, wenn du mir gesagt hättest: Komm!«
Er starrte zu ihr hinauf, er verstand sie nicht. »Wenn ich dir gesagt hätte ...«
»Das Wort, auf das ich warte ... das du nur sprechen wirst, wenn du darfst.« Sie richtete sich auf, glanzvoll und herrlich leuchtete wieder ihr alter Stolz aus ihrem Angesicht. »Du darfst es nur sprechen, wenn du mich liebst, wie ich dich liebe und immer lieben werde, ausschließend und heiß ... sonst wäre ja, was jetzt mein Ruhm ist: dir folgen als dein Weib – meine Schmach ... und die und deinen Undank ertrüg ich nicht!«
Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände, ihr forschender Blick drang ihm ins innerste Herz.
»Fürchte nicht, mir wehe zu tun, fürchte nur, mich zu betrügen. Bei Gottes Erbarmungen antworte mir wahr und rücksichtslos. Bin ich für dich die Einzige und Eine, ohne die dein Leben arm und ein Stückwerk wäre? Du sagst ja, wenn du sagst: Komm! Dein Schweigen heißt: Bleibe – und stirb. Habe die Kraft zu schweigen, wenn du nicht sagen darfst: Komm!«
Ein ächzender Laut drang an ihr Ohr, ein grelles Stöhnen. Antonio verbarg sein Angesicht in ihrem Schoße. Er küßte schluchzend ihre Hände, küßte den Saum ihres Kleides. Sie verstand ihn wohl; er durfte nicht sagen: Komm!
[]4
Monatelang führte Antonio ein planloses Wanderleben. Es brachte ihn endlich in die Nähe von Florenz. Sehnsucht nach dem Meister und ein unaussprechliches, zaghaftes Bangen vor dem Wiedersehen kämpften in ihm einen qualvollen Kampf. Ratlos trieb er sich in der Umgegend herum und stieg eines Tages zum Kloster der Mönche von Oliveto Maggiore empor. Da lag vor ihm, die seine zweite Heimat gewesen, und mit heißer Liebe begrüßte er sie: »Florentia! Deinen Namen aussprechen ist Wonne der Stimme, ihn hören ist Wohllaut dem Ohr. Florentia, du Zaubermächtige! Hundertjähriger Frieden hat dich geboren, der Krieg war deine Amme, Heroen, Künstler und Weise haben dich erzogen. In weicher Umarmung umfängt dich der rauhe Apennin, auf seinen Kuppen strahlt der Sonnenschein, und sein Glanz spiegelt sich wider in den Gemütern deiner Kinder. An Launen reich wie sie, trag oder wild, schmeichelnd oder zerstörend, durchgleitet – durchbraust dich dein Arno auf seinem Wege vom Gebirge zum Meer. Die dunklen Wälder von Vallombrosa bilden den samtenen Hintergrund zu deiner Marmorpracht.«
Er blickte lange sinnend hinab zur Stadt der Blumen und der Kunst, der Üppigkeit und der Askese, der Bluttaten und der Liebe, in der sein Schicksal sich vorbereitet hatte. Sein armes, kleines Menschenschicksal. Am nächsten Morgen stahl er sich noch vor den frühesten Betern in die Kirche del Carmine und betrat die Brancacci-Kapelle. An ihren Wänden ragten die ehrwürdigen, vertrauten Gestalten, und Segen war, eine erhabene Rührung, was ihm in der Seele taute vor seines Meisters gebenedeiter Kunst. Da waren ihre unsterblichen Früchte, da prangte Masaccios letztes, vollkommenstes Werk: der von seinen Jüngern umgebene Heiland, der Petrus befiehlt, den Fährmannslohn aus dem Bauche des Fisches zu nehmen. Petrus gehorcht, und Zuversicht, Zweifel, Spannung äußern sich in den Gebärden und Mienen der Apostel. Einer steht da, den der Heiligenschein nicht umschimmert, seine Züge sind wie aus Erz geformt, wie gehämmert. In ruhigem Glanze leuchten die dunkeln Augen, den schmalen Mund umzieht ein Schatten ein [] unterdrücktes herbes Wort scheint auf seinen Lippen gestorben. Es ist der Meister in seiner Hoheit, seiner Güte, seinem Ernst. Der wohlbekannte Mantel aus grobem Mönchstuch hüllt ihn ein, und jede Falte dieses Mantels lebt und spricht zu seinem Schüler.
Masaccio hatte ihn getragen, als er nach Ariccia gekommen war. Die Stunde mit ihrem Entzücken und ihrem Leid erwachte wieder in der Erinnerung Antonios, und er sagte sich, daß er doch nichts auf Erden bewundert und verehrt hatte wie diesen Reichsten und Ärmsten, diesen König in der Kunst und Enterbten im Leben. Unwiderstehlich riß es ihn zu ihm hin. Der oft gegangene Weg lag vor ihm, er eilte. So lange hatte er unentschlossen gesäumt, nun schien ihm plötzlich eine Sekunde unschätzbar, die ihn dem Meister näher brachte.
Ich habe Eure Erwartungen getäuscht, wollte er zu ihm sprechen. Duldet mich dennoch bei Euch. Laßt mich als Handlanger im tiefen Schatten stehen neben Euerm hellen Lichte.
Wie der Anblick der Heimat war ihm der des alten Pisanohauses zwischen den Steineichen am Fuße des Monte Oliveto. Wie ein geliebtes Greisenangesicht grüßten ihn die verwitterten Mauern. Er pochte an die Tür, doch niemand kam, kein Laut ließ sich hören. Umsonst auch rief er zur Loggia hinauf. Die Laden der Fenster waren geschlossen, alles war wie ausgestorben. Nun lief er um das Haus herum in den Garten. Da regte es sich im Gebüsch, runde, gelbe Augen leuchteten aus dem Dunkel; einige der Lieblingskatzen Pulcherias kamen hervorgeglitten. Sie lauerten, warteten und sprangen auf einmal alle dem schmalen Pfade zu, der zum Gitterpförtchen führte.
Sie kommt! ihre Pflegerin kommt, dachte Antonio und eilte ihnen nach und – stand vor Teresina, der Nachfolgerin Cencettas. Aus dem benachbarten, dem Hause ihres Vaters, des Panzerschmieds, war sie getreten und trug eine Schüssel mit Futter, zu der die Katzen gierig emporschmachteten.
Die jungen Leute begrüßten einander freudig, als aber Antonio nach dem Meister und nach Monna Pulcheria fragte, wurde Teresina sehr betrübt und sagte zögernd und leise: »Sie sind fort.«
»Sie sind fort?« wiederholte er bestürzt. »Wohin?«
[] »Das weiß man nicht und darf es nicht wissen ... Sie sind entflohen.«
»Entflohen ... Vor wem?«
»Vor den Gläubigern des armen Meisters, ja, ja! Sie ließen ihm keine Ruhe mehr. Seine Geschwister machten Schulden auf seinen Namen, und er und Monna Pulcheria sollten aushelfen. Halfen auch, solange sie konnten, zuletzt aber konnten sie nicht mehr. Zu arg war, was die trieben in Castel San Giovanni ... Hat sich nicht der Jacopo, der Affe, ein Wams machen lassen aus grünem Samt mit gelben Schlitzen ... Und der Meister, der übergute! noch gelacht. – Aber bald ist das Lachen ihm vergangen ... Platz, du Grobian!« unterbrach sie sich und stieß mit dem Fuße eine Tigerkatze, die sich gar zu breit machte, von der Schüssel weg, »laß den anderen auch etwas! – Glaubt mir oder nicht«, begann sie wieder, während Antonio, wie vom Blitz gerührt, kein Wort über die Lippen brachte. »Es ist, wie ich Euch sage. Schulden ge macht, um die der Familie zu bezahlen, und, was die Leute ihm schuldig waren für seine Bilder, nicht eingetrieben, vergessen ganz einfach. Da kommt ein Maler an den Bettelstab, sagt mein Vater, wenn er auch noch so viele Bestellungen hat. Und der Meister hat immer neue angenommen, kaum gegessen, kaum geschlafen – und ausgesehen! Nur noch Haut und Knochen, das Gesicht wie von einem Toten ... Ihr könnt mir glauben oder nicht.«
»Ich glaube Euch ja alles, Teresina!« erwiderte Antonio. »Entflohen wie ein Missetäter, der Gottbegnadete! Aus Florenz, das ihm Unsterbliches verdankt ... Und sie?« stieß er mit einem Schrei hervor. »Ist sie bei ihm? Sagt! Ist sie bei ihm? Ihr wißt, wen ich meine.«
»Ich weiß – die Ihr geliebt habt und die der arme Meister auch geliebt hat. – O wie sehr!«
»Das meint Ihr, Teresina?... Großer Gott, das meint Ihr?«
»Wie soll ich es nicht meinen? Ich war allein da, als er nach Hause kam zu ungewohnter Stunde – Ihr könnt mir glauben oder nicht –, von einer bösen Ahnung heimgetrieben. ›Wo ist Margherita?‹ fragte er, und ich gab ihm zur Antwort: ›Wo soll sie sein? Auf ihrer Stube wird sie sein. – Seht nach ...‹ Nun, Messere, sie war nicht auf ihrer Stube, war im ganzen Hause [] nicht ... Sie war fort, und man brauchte nicht erst zu fragen mit wem.«
Teresina stockte. Der Ausdruck von Antonios Augen schreckte sie.
»Weiter, weiter! Der erste Schluck des Gifttranks ist getan, hinunter den Rest!«
»Der Cesare, der Neffe des Fortebraccio, dem der große Condottiere seinen Namen vererbt hat und seine Wildheit, der Cesare hat sie entführt.«
»So? Der – der Bandenhauptmann?...«
»Er sieht Euch ähnlich zum Verkennen. Legt eine Rüstung an, und jeder Mensch hält Euch für ihn. Jeder! jeder! Und daß es auch Margherita so ergangen ist – das war das Unglück.«
»Weiter! weiter!« rief Antonio noch einmal.
»Wir stehen auf der Loggia, ich, sie und Monna Pulcheria, und er kommt dahergeritten mit einem großen Troß, und ihn erblicken und ihm die Arme entgegenbreiten war für Margherita eins. ›Antonio!‹ schreit sie ganz glückselig. ›Mein Antonio!...‹ Der Braccio sein Pferd angehalten mit einem Riß, daß es sich hoch aufbäumt, und zu ihr hinaufgelacht, laut und frech: ›Antonio bin ich nicht, aber der Eure will ich werden, und wenn ich Florenz darüber in Asche legen müßte!‹«
»Teresina, Teresina!« stöhnte Antonio, von den widersprechendsten Empfindungen gequält. »Ihr möchtet mir jetzt Balsam einträufeln, nachdem Ihr mir Gift gereicht ... Umsonst! umsonst! Ich fühle nur das Brennen des Giftes ... Teresina, mich hat sie verlassen, verstoßen – an den Rottenführer hat sie sich weggeworfen.«
Teresina schüttelte den Kopf. »Sie hat sich? Nichts hat sie sich! Der Braccio ist im Bunde mit dem Teufel ... Nur die Dummen zweifeln daran«, schlug sie kurzweg den Einwand, den er machte, aus dem Felde. »Der Teufel führt ihm jede zu, die er haben will.«
»Da hätte er's bequem, hätte nicht erst gebraucht mit dem Brande von Florenz zu drohen.«
»Es ist, wie es ist«, entschied sie. »Da wird eben der Satan aus ihm geredet haben.«
[] Antonio hatte die Spitze seines Stabes in die Erde gebohrt und den Kopf tief auf die Brust gepreßt: »Was ist jetzt mit ihr?« fragte er, vor sich hinstarrend, und zuckte nicht, blieb regungslos und wie versteinert, als er vernahm, daß Margherita, wie man höre, herrlich und in Freuden mit Cesare Braccio lebe in Rom und in Montone und daß Braccio, der sonst nie weniger als ein halbes Dutzend Liebchen auf einmal gehabt, sich mit ihr allein begnüge und ihr zu Füßen liege wie ein gezähmter Löwe.
»Wer weiß, vielleicht heiratet er sie, und wir tanzen noch auf ihrer Hochzeit, Teresina«, sagte Antonio, und dabei klang Verzweiflung aus seiner Stimme. Die Augen Teresinas füllten sich mit Tränen, und sie jammerte: »Hätte ich doch geschwiegen, jetzt reut mich jedes Wort!«
Er tröstete sie: »Erfahren mußte ich's. Besser, es geschah durch Euch als durch einen plumpen Gesellen, der mich verhöhnt und den ich erschlagen hätte. Der bloße Gedanke daran treibt zur Wut«, brach er aus, ermannte sich und streckte ihr die Hand hin. »Eines noch sagt mir. Wohin haben der Meister und sein Mütterchen sich gewendet? Ich will sie aufsuchen und ihnen eine Stütze sein; meine Arme sind noch stark.«
Da vertraute ihm Teresina an, was sie ihrem eigenen Vater verschwieg, daß Masaccio und Pulcheria den Weg nach Rom genommen hätten.
Ihre Bitte, wenigstens zu kurzer Rast in ihr Elternhaus zu treten, schlug er ab. Die Vorstellung, daß er einem Bekannten aus früherer Zeit begegnen könne, erweckte ihm Grauen. So gab ihm denn Teresina das Geleite eine Strecke längs des Arno und ließ ihre Beredsamkeit wie ein munteres Quellchen sprudeln. Unendlich viele Grüße gab sie ihm mit für den Herrn und für die Frau, und ja nicht versäumen möge er, ihnen zu bestellen, wie viele Stimmen schon laut geworden über die Schande, die es sei für Florenz, daß der große Maler habe fliehen müssen um ein paar hundert Goldgulden willen. Und daß die Colomba vier wunderschöne Junge bekommen, sollte er der Monna Pulcheria melden und ganz gewiß sie und den Meister zur baldigen Rückkehr mahnen. Im Triumphe würden sie eingeholt werden, das könne er ihr glauben oder nicht.
[] Tag um Tag, Woche um Woche verrann. Antonio hatte Rom, von dem er bisher nicht mehr gekannt als den Weg von der Porta San Giovanni nach San Clemente, in dem Wahne betreten, daß ihn nur noch Tage, wenige vielleicht, von dem Augenblick trennten, in dem er seinen Meister wiederfinden werde. Bald mußte er einsehen, wie kindisch diese Zuversicht gewesen war.
Im Kloster von San Clemente, wo er zuerst nach Masaccio gefragt hatte, wußten die Mönche nichts von ihm. Sie entsannen sich des jungen Künstlers, der zuerst an der Seite seines Lehrers Masolino, später allein mit so heiligem Eifer an dem Stolz ihrer Kirche, den Fresken der Katharinenkapelle, gemalt, und konnten kaum glauben, daß er in Rom sei und seine Bilder nicht besucht haben sollte. Auch Antonio erschien das unmöglich, und so kam er denn immer wieder nach San Clemente zurück, nachdem er die Siebenhügelstadt nach allen Richtungen durchstreift hatte. Die Hoffnung, mit Maso Guidi endlich doch bei den Werken seiner Jugend zusammenzutreffen, verließ ihn nicht.
In einem der nahe vom Kolosseum aus seinen Trümmerstürzen erbauten Häuser hatte Antonio sich eingemietet. Der Barbier Lorenzo, sein Wirt, bekam ihn selten zu Gesicht. Immer war die Nacht angebrochen, bevor er heimkehrte, immer fand der grauende Morgen ihn auf der Wanderung. Nach wenigen Stunden der Rast scheuchte ein Schreckensgedanke ihn auf: Du schläfst, versäumst die Zeit, und dein Meister stirbt.
Manchmal glaubte er eine Spur der Verschwundenen entdeckt zu haben und verfolgte sie unverdrossen, bis sie sich als falsch erwies. Manchmal auch geschah's, daß die Angst und die Sehnsucht, die ihn umherjagten, von einem mächtigen Eindruck überwältigt, schwiegen. Der hielt ihn fest und ließ ihn sich selbst und das Teuerste vergessen. Woran das Herz hängen, was lieben, was bewundern angesichts der alles Große bedrohenden, alles verschlingenden Vernichtung?
Von den verödeten Hügeln, von den Gewölben der Diokletiansthermen, von der Trümmerwelt des Palatins hinab schweifte Antonios Blick über »die Stadt«, über ihre versunkenen Tempel, ihre durch Söldnerbanden geschändeten Kirchen, ihre unter Sümpfen und üppigem Pflanzenwuchs verschwundenen [] Foren. In Steinbrüche verwandelt die Denkmäler einer Vergangenheit voll unsterblichen Ruhms, in Festungen ihre Riesengrabstätten und die Triumphbogen, auf denen einst die Quadrigen der Weltbesieger prangten. Am Fuße des Kapitols, rauchend und gähnend, die Kalkgruben, in denen Portiken und Säulen, Architrave und Statuen verschwanden.
Mit einer bis zu physischem Schmerze gesteigerten Seelenpein sah Antonio dem Zerstörungswerke zu: Jahrhunderte werden kommen, und kunstbegnadete Menschen werden leben und schaffen, nie und niemals aber etwas an Schönheit dem Gleiches, was da versinkt!
Eine schmerzvolle Entrüstung verdüsterte die Seele des einsamen Mannes, der umherirrte auf fieberdurchseuchten Stätten, von Gefahren umringt. Er hatte gelernt, nicht mehr unbewaffnet aus dem Hause zu treten. Im Gewirr der Gassen, die überall noch die Spuren der letzten Plünderungen und Brandstiftungen trugen, war die Sicherheit nicht größer als auf öden Pfaden. Antonio bestand mit Strolchen und Räubern manchen Kampf, in dem er nur seinem kalten Mute den Sieg verdankte. Die Gleichgültigkeit gegen das Leben erhielt ihm das Leben. Es kam vor, daß ihn der Zufall am nächsten Tage mit seinen Angreifern in einer Kirche zusammenführte. Dort lagen sie vor einem Gnadenbilde auf ihrem Angesicht, und lächelnd fragte er sich: Flehen sie um Vergebung ihres letzten Mordanschlages oder um besseres Gelingen des nächsten?
Eines Morgens gelangte er nach San Giovanni in Laterano, seit einem halben Jahrtausend Mutter und Haupt aller Kirchen. Erdbeben und Feuer hatten sie zerstört, und die aber und abermals neu erstandene, von der Hand Giottos mit Malereien geschmückte war, deckenlos, jeder Unbill preisgegeben, zerfallen, und bis an den Hochaltar hin hatten Schafe geweidet. Nun erhob sie sich stolzer denn je als Hüterin der Apostelhäupter und ragte herrlich und beherrschend auf ihrem Hügel. Feierliche Heiligenbilder hoben sich auf ihrer Fassade von goldenem Hintergrunde ab. Die Schöpfer der weithin leuchtenden Gemälde standen auf dem Gerüste und legten die letzte Hand an ihr prangendes Werk.
Der eine war Pisanello, der andere Gentile da Fabriano.
[] Ja, du dort oben im weißen Malerkittel! Da schwelgte er im Genusse seines großen Könnens, der ihm gesagt hatte: Nehmt Dienst bei einem Condottiere ... Werden wie einer von denen! dachte Antonio, als ein Trupp Söldner Francesco Sforzas, bewaffnet und reich gekleidet, durch das Stadttor geschritten kam. Leicht angetrunken, hoffärtiger als je eine Fürstlichkeit, stießen sie mit den Füßen von sich, was ihnen im Wege war: die Müßiggänger, die Vagabunden, die in Scharen um die Kirche lagerten, die Bettler und Krüppel, die ihre Gebreste in der warmen Frühlingssonne pflegten. Einige Bravi, von denen wohl jeder sich so manches in hohem Auftrag ausgeführten Mordes rühmen durfte, kamen ihnen entgegen.
Aus den Reihen dieser Leute ertönte immer lauter, immer frecher, unter beifälligem Gelächter wiederholt, ein Liedchen, das aus Florenz herübergeflogen war:
Plötzlich hielten sie inne. Ihre übermütige Lustigkeit wich einer kläglichen Bestürzung. Einer von ihnen hatte sich umgesehen und deutete auf einen Zug Berittener, der die Straße von Santa Maria Maggiore langsam heraufgekommen war. Seine Anführer konnten die Melodie, nach der die Spottverse gesungen wurden, leicht unterschieden haben. Und der erste von ihnen, der hinter zwei Lanzenträgern im roten Mantel, das dunkle Angesicht von breitgerandetem Hut beschattet, auf schneeweißem, rotgezäumtem Maultiere ritt, war der Königspapst selbst, der große Oddo Colonna. Im Gefolge des Wiederherstellers des Kirchenstaates befanden sich Abgeordnete der besiegten Städte und Angehörige der Adelsgeschlechter, die, teils unterworfen, teils versöhnt, sich der Herrschaft der dreifachen Krone gebeugt hatten.
Man kannte die Empfindlichkeit des Papstes gegen die Hohngesänge, die ihm mitten im Jubel der Feierlichkeiten bei seinem Einzuge in Florenz mißtönend ans Ohr geklungen. Schrecken ergriff, da er nun herannahte, die Sänger und ihr dankbares Publikum. Alle warfen sich zur Erde, am demütigsten, die am lautesten gewesen waren. Der Blick des Heiligen Vaters glitt [] verächtlich über sie hinweg, um mit Wohlgefallen auf dem Bilderschmuck des zweiten Zion zu ruhen, und segnend erhob er die Rechte, als die Maler bei seinem Anblick auf dem Gerüste niederknieten.
Antonios geringe Barschaft war aufgebraucht, er suchte Arbeit und fand sie bei seinem Hausherrn, dem der Sinn nach einem schönen, deutungsreichen Schilde stand. Bald sah er sich darauf als der Wundertäter dargestellt, der den geschundenen Marsyas mit balsamgetränkten Händen heilt. Das Werk errang Erfolg und verschaffte dem Antonio neue Bestellungen. Sie trugen ihm Lob und Geld und die Ehre ein, zum Bannermaler erhoben zu werden. Er malte einen Hirsch in Weiß für die siebente und einen Löwenkopf in Rot für die dreizehnte Region. Als die Zeit der Karnevalsfeste herannahte, war er damit beschäftigt, die Loggia einer Weinschenke in der Nähe des Monte Testaccio mit Schildereien zu versehen. Die Züge der Masken, der Stier- und Ringkämpfer kamen da vorbei und sollten durch den Anblick der farbigen Pracht überrascht werden. Trotz der Kühle und des umwölkten Himmels hatten sich Gäste eingefunden und saßen im Freien, trinkend und plaudernd, an Tischen vor dem Hause.
Antonio führte eben die letzten Striche an einer rohen Darstellung der Zirkusspiele, als er plötzlich innehielt und verhaltenen Atems lauschte. Am Eingang unter der Loggia wurde ein Wortwechsel geführt zwischen zweien, die über ungleiche Stimmittel verfügten: dem Wirte und einer, wie es schien, alten, schwachen Frau.
»Packt Euch zum Teufel!« schrie der Wirt. »Nicht einen Tropfen bekommt Ihr mehr. Wo ist das Geld für meine zwei Fiasconi, Säuferin?«
»O Messere, es ist nicht für mich«, war die demütige Antwort, »und um Euer Geld braucht Euch nicht bange zu sein, ich schicke es Euch. Nicht einen Bajocco sollt Ihr verlieren. Helft mir nur das eine Mal aus ... Es ist gewiß das letztemal.«
Antonios Herz klopfte heftig. Jetzt eiskalt, jetzt siedendheiß überlief es ihn. Er schwang sich über die Brüstung der Loggia und kam mit einem mächtigen Satze auf dem Boden an in dem [] Augenblick, als der Wirt eine alte Frau in flatterndem Mäntelchen unsanft über die Schwelle drängte.
Ein Faustschlag traf ihn, der ihn ein paar Schritte weit zurückwarf; die alte Frau aber wurde, ehe sie sich's versah, von zwei kräftigen Armen umfangen. Wie ein jubelnder Vater sein wiedergefundenes Kind, hob Antonio Monna Pulcheria hoch empor und jauchzte und schluchzte, außer sich vor Rührung und Entzücken: »Mütterchen, mein liebes Mütterchen!«
Und sie konnte nicht sprechen, sie weinte auch nicht. Sie sah nur still zu ihm hinauf, als sie wieder festen Grund unter ihren Füßen fühlte, und streichelte sanft und zärtlich seine Hände.
Die Männer lachten, die Frauen lächelten dem guten Sohne zu, der sich so überschwenglich über sein Mütterchen freute. Er sah und wußte nichts von dem, was um ihn her vorging.
»Und der Meister?« fragte er, »ist er da?«
»Noch da, was sterblich an ihm ist ... Der Geist schon im Entfliehen in eine andere Welt«, erwiderte Pulcheria.
Von Verfolgungswahn ergriffen, hatte Masaccio mit krankhafter Heftigkeit jeden Versuch Pulcherias vereitelt, ihm in seiner Bedrängnis Hilfe zu schaffen. Es wäre leicht gewesen. Der Weg zum kunstsinnigen Papst stand einem Masaccio offen. Aber der bloße Gedanke, daß er ihn betreten solle, brachte den Menschenscheuen in zitternde Aufregung.
Pulcheria sprach ihm zu: »Du brauchst nicht selbst zu gehen, ich gehe an deiner Statt. Ich fürchte keinen, vor den ich als Abgesandte Maso Guidis trete.«
»Da müßtet Ihr Euch doch ausweisen können«, sagte er. »Ich gebe Euch ein Bild mit, zwei Bilder. Das der Muttergottes, das beinahe fertig ist, und das des Heiligen Vaters selbst. Ich habe ihn gut gesehen, gleich nach unserer Ankunft, als er in Sankt Peter so aufmerksam der Predigt Bernardinos von Siena zuhörte, und eine Skizze von ihm gemacht.«
Sie mußte ihm schwören, daß sie hinter seinem Rücken keinen Schritt für ihn tun wolle, bevor er seine Bilder vollendet habe. Und der vom Tode schon gestreifte Mann hielt sich an die Arbeit, malte mit schwindender Kraft, bis er fieberglühend, irreredend an der Staffelei zusammenbrach.
[] Ein kleiner Geldbetrag, den Pulcheria zu erwarten hatte, blieb aus. Der benachbarte Wirt, bei dem sie bisher ihren und ihres Kranken bescheidenen Lebensunterhalt gefunden, verlor die Geduld, als die pünktliche Zahlerin säumig zu werden begann.
Nun war mit einem Schlage alles verändert. Antonios Guthaben überstieg hundertfach den Betrag des kleinen Anlehens, mit dem das Mütterchen in der Schuld des Wirtes stand.
Unweit des Hauses, in dem seit Tagen Antonio seiner Beschäftigung nachging, waren die Flüchtlinge bei armen Leuten eingemietet. Dort fand der Schüler seinen Meister wieder. Kümmerlich gebettet lag er in einer fast leeren Stube im Halbschlaf tödlicher Ermattung. Von allem, was von Stunde an für ihn geschah, kam ihm nichts mehr zum Bewußtsein. Seine Lebensflamme war aufgezehrt, aber verklärend spiegelten ihre letzten Funken sich in seinen Zügen, und aus diesen sprach ein Frieden, den der große Künstler früher nicht gekannt hatte. Die Gestalten, an denen Masaccio, als er sie schuf, nur die Mängel gesehen, umschwebten ihn jetzt in ihrer Schönheit. Er winkte sie heran, er richtete Worte der Verheißung an sie: »Ihr seid und werdet sein. Und wenn ihr dem Menschenauge bis auf die schwächste Spur entschwindet, wenn die Mauern, die euch tragen, in Staub zerfallen, dennoch werdet ihr leben. In denen, die nach euch kommen, wird der Atem eures Geistes leben.«
Er schien sich aufrichten zu wollen, Antonio umfaßte ihn, hob ihn empor und lehnte den Kopf des Sterbenden an seine Brust. Sein Blick suchte nach einem Blick des Meisters, einem kleinsten Zeichen des Erkennens. Umsonst; der Meister sah nur die Spiegelbilder seines eigenen Innern. Offenbarung war, was er durch sie empfing. Seine Augen öffneten sich weit und starrten ins Leere, das sich für ihn mit Erscheinungen füllte. »Du -Margherita!« flüsterte er. »Ist einem zweiten das Wunderwerk gelungen ... Du, Margherita!... Schön wie damals – aber jetzt als Himmelskönigin. An deine Brust geschmiegt das Kind mit den Prophetenaugen. Göttliches Kind, dein Sehen ist ein Schauen. Du weißt: das Leiden kommt – die du liebst und erlösest, werden dich geißeln und mit Dornen krönen ... Aber dort ...« Er bog sich zurück, seine Glieder streckten sich, »das [] Weltgericht ... Ihr müßt Rechenschaft geben, ihr müßt!... Er kommt, er steht wie ein Fels in Gewittern. Die Heiligen, die Märtyrer erschaudern. Unerbittlicher, wen richtest du? Die da stürzen? Die da fliegen?... Herr, Herr! für zeitliche Schuld die ewige Strafe? Die Posaunen deiner Engel, die himmlischen Gesänge übertönen den Verzweiflungsschrei der Verdammten nicht ... O ungeheures, o mehr als Menschenwerk ... Nein, nein!« rief er plötzlich und versuchte die matte Hand beschwörend zu erheben, »weicht nicht zurück, ihr Meinen! Auch vor dieser Größe nicht. Sie ist nicht euer Widerspruch, zermalmt euch nicht. Eure höchste Entfaltung ist sie, Wegweiser ihr!« Seine schweren Lider sanken, er seufzte tief und wonnig auf. Antonio legte ihn sachte auf das Kissen zurück.
Sein Sterben war wie das Sterben eines Kindes. Als holder Traumgott erschien der Tod und küßte ihn auf die reinen Lippen. Es dauerte lange, bis sein Jünger endlich begriff, daß sich das furchtbare Wunder so sanft vollziehen konnte, daß alles vorüber war und daß kein Wunsch, keine Liebe, keine Macht dieser edlen Hülle eines Unsterblichen auch nur einen Atemzug abzuringen vermochte. Er brach in wildes Schluchzen aus und wollte sich über die Leiche werfen.
Pulcheria wehrte ihn ab. Da sah er sie an. Sie bot ein erschütterndes Bild stummen, in sich gekehrten Leides.
»Daß Ihr weinen würdet, Mütterchen«, sprach Antonio, »könnt Ihr nicht weinen?«
»Es ist mir nicht gegeben. Ich möchte auch nicht«, erwiderte sie und kniete am Sterbelager nieder. »Laß uns ihm danken, der meinem Maso des Ende eines Begnadeten schenkte.«
Vor dem Hause, in das der Tod mit majestätischem Ernst getreten, machten sie Ernst aus dem Spiele. Der Senat zog in Pomp nach dem Monte Testaccio, wo der Gonfaloniere die Fahne der Stadt aufzupflanzen und damit das Zeichen zur Eröffnung des Karnevals mit seinen rohen Ergötzlichkeiten zu geben hatte. Trommelwirbel und Trompetengeschmetter verkündeten das Nahen des Zuges. Vierzig junge Edelleute, reich gekleidet und für die Stierkämpfe ausgerüstet, ritten an seiner Spitze. Diener folgten ihnen, und ihr Putz überstrahlte noch [] den der Herren. Und das Volk von Rom, kaum erstanden aus tiefstem Elend und tiefster Not, belohnte die zur Befriedigung seiner Schaulust entfaltete Pracht durch jubelnde Zurufe und verhöhnte und bewarf mit Steinen die Kavaliere, die sich ihm nicht zu Dank geschmückt hatten.
Der wüste Lärm, in dem der Pöbel schwelgte, drang zum Sterbezimmer hinauf, kam aber den beiden, die dort standen, in den Anblick ihres Toten versunken, nicht zum Bewußtsein.
Am dritten Tage fand Antonio sich wieder in San Clemente ein. Er kam, eine Ruhestätte für seinen entschlafenen Meister im Frieden des Klosters zu erbitten. Sie wurde gewährt, und die Mönche schickten vier Laienbrüder, die Leiche einzuholen. Sie hoben den Sarg, in dem Masaccio ruhte, auf ihre Schultern, Pulcheria und Antonio folgten; ein weiter Weg lag vor ihnen. Von dem Platze am Fuße des Scherbenberges, den die Hufe der Rosse und der gehetzten Tiere zerstampft hatten, wandten sie sich der Cestius-Pyramide zu. Sie ragte dunkel aus sumpfigem Grunde. Die Sonne, die im Scheitel stand, ließ einzelne Stellen zwischen den Wucherpflanzen wie bunte Spiegel schimmern. Über zerstörte Burgen, vorbei an den ehrwürdigen Mauern von San Saba und Santa Prisca flog der Blick und ruhte erlabt auf den Bergen, die in unwandelbarer Lieblichkeit die Stätte ruheloser Kämpfe und wilder Verheerungen umschlossen.
Auf dem Wege zum Kolosseum kam eine lärmende Rotte Angetrunkener den stillen Wanderern entgegen. Männer und Dirnen in eklen Verkleidungen, von johlender Straßenjugend begleitet. Einige Anführer der Bande glaubten in dem kleinen Trauerzuge eine Faschingsposse vor sich zu haben.
»Wen tragt ihr da?« rief ein langer Bengel in Arlecchino-Maske, »den Bräutigam dieser jungen Braut?« Er deutete auf Pulcheria. »Weint nicht, schöne Jungfrau, ich wecke ihn mit meiner Pritsche. Setzt nieder eure Scatola!« befahl er den Trägern, und die Weiber riefen mit Gelächter: »Setzt nieder! setzt nieder!«
Die frechsten hingen sich den Laienbrüdern an die Arme, ein dicker Buffone begann am Sarge zu rütteln. Antonio stieß ihn zurück; für und wider ihn bildeten sich Parteien.
[] »Ruhe! Ruhe!« riefen einige, »es ist Ernst.« Aber schon war es zum Handgemenge gekommen. Der Arlecchino stellte einem der Brüder ein Bein, der stolperte, der Sarg mußte niedergelassen werden. Antonio schützte ihn mit seinem Leibe. Der Lärm war ohrenbetäubend, der Kampf immer heftiger geworden, schon gab's blutige Köpfe. Da trat plötzlich Waffenstillstand ein. Ein neues Schauspiel fesselte die Aufmerksamkeit des erregten Gesindels.
Man sah eine Schar zerlumpter Männer, Weiber, Kinder und hörte sie schreien: »Geld! Geld!«
Sie liefen neben und hinter einem selten geschauten Prachtstück, einer Karosse, her, umringten sie, bettelten, drohten. Die Arme hoben sich mit flehender, mit heischender Gebärde, gierige Augen funkelten zu den Glücklichen hinauf, die im Wagen saßen, jung, schön, fröhlich. Die Kutsche rollte langsam im Trabe zweier herrlicher andalusischer Rappen, die schnaubten, Schaum umherspritzten und bei jedem Aufschlag ihrer Hufe den Boden wie etwas Verächtliches von sich zu stoßen schienen. Es glänzten die Beschläge der Geschirre und die vergoldeten Schnitzereien an den Stangen des purpurnen Baldachins, es glitzerten die Tressen der Pagen, die auf den Wagentritten standen.
Nun – ein aus dem Innern dringender Befehl. Die Karosse stand mitten im Schwarm des Pöbels, der sie verfolgte, der Masken und Possenreißer. Die Pagen sprangen ab. Lustig und kräftig geschleudert, flogen Hunderte von Münzen in die Menge, die wie rasend über sie herfiel. Männer und Frauen warfen sich auf den Boden, balgten sich, fluchten und kreischten. Einer suchte dem andern seinen Fund abzuringen. Der Streit wurde bitterer, hitziger, als ein neuer Münzenregen niederging.
Antonio benützte den Augenblick, schlang den Arm schützend um Pulcheria und winkte den Trägern, den Sarg aufzunehmen. Sie hoben ihn, und er gab einen dumpfen Ton. Ein schweres Geldstück war gegen ihn angeflogen. Pulcheria wandte sich mit Ekel.
Empört, mit donnernder Stimme, rief Antonio: »Achtung vor der Leiche Masaccios!«
Da drang aus dem Wagen ein Schrei zu ihm. In der Karosse [] hatte sich eine Frau erhoben. Selig überrascht, hangend und bangend, im Begriff, ihm entgegenzustürzen, starrte sie ihn an.
Und er bäumte sich auf, seine Augen rollten, auf seine Lippen trat eine Verwünschung. Wie von einer grellen Flamme beleuchtet, glühte sein Angesicht. Abwehrend und dräuend ballte er die Faust.
Man sah die Frau in der Karosse zusammenbrechen ... Ein kurzer, rasch erteilter Befehl. Die Pagen sprangen auf, das schimmernde Gefährt entschwand wie eine schöne Vision.
Die Armen und die Masken rauften noch um die Spenden, die der Überfluß ausgestreut, während die Träger des Sarges Masaccios und die zwei, die ihm folgten, sich längst wieder in Bewegung gesetzt hatten.
»Antonio, lieber Sohn«, sprach Pulcheria endlich nach tiefem, lastendem Schweigen, »das war Margherita. Hast du gehört, wie sie aufschrie, und gesehen, wie sie zu uns strebte? Zu uns armen Leuten zog es sie zurück aus ihrem Reichtum und ihrem Glanz.«
»Mütterchen«, stieß Antonio hervor. »Mütterchen!« Mit verzweifelter Anstrengung rang er den Zorn nieder, der in ihm kochte: »Sprecht nicht, um Gottes willen sprecht nicht!«
Im Kloster herrschte große Aufregung, als sie dort ankamen. Vor einer Stunde war der Kaufherr Pietro Peruzzi aus Florenz eingetroffen, um Maso Guidi aufzusuchen. Wie Antonio hatte auch er zuerst in San Clemente nach ihm gefragt und mit leidvoller Bestürzung die Nachricht von seinem Tode empfangen.
Sobald die Flucht des Meisters bekannt geworden, war auch niemand im Zweifel über ihren Grund. Der Unmut gegen die Reichen, die von den Verlegenheiten, in denen Guidi sich befand, gewußt und ihnen nicht abgeholfen hatten, äußerte sich laut. Peruzzi empfand die Schmach bitterer als andere. Im Grunde sparsam, galt er doch gern für großmütig und strebte eifrig nach dem Rufe eines Mäzen. Als nun sogar eine Botschaft des Papstes anlangte, der Masaccio zu sich berief, beschloß Peruzzi die Fahrt nach Rom. Reisende Handelsleute, die den Meister dort gesehen, hatten von seiner augenscheinlichen Dürftigkeit erzählt und von der Scheu, mit der er ihnen auswich, als sie Miene machten, ihn anzureden.
[] Peruzzi war schon völlig in der schönen Rolle des Erretters eines berühmten Künstlers aus der Not des Lebens aufgegangen, als er die Demütigung erfuhr, zu spät gekommen zu sein und vor dem unwiederbringlich Versäumten zu stehen.
Ergriffen betrachtete er den armen Sarg, der die Reste des großen Malers barg, und mit tiefem Schuldgefühl im Herzen schloß er sich dem Grabgeleite an.
Pulcheria Pisano hatte kein Wort des Vorwurfs zu ihm gesagt, und mit innigster Ehrfurcht erfüllte ihn der Anblick der kleinen, alten Frau, die im Innersten gebrochen und äußerlich doch so standhaft ihr Um und Auf in die Erde senken sah. Er empfand es als eine Gnade, als sie ihm vertraute, daß ihr Tommaso zwei Bilder hinterlassen hatte, die für den Papst bestimmt waren. Freudig erklärte er sich bereit, sie mit Gold aufzuwiegen, wenn ihm das Glück gegönnt würde, ihr Überbringer sein zu dürfen. Er übernahm auch die Sorge, mit den Gläubigern des Meisters abzurechnen.
Nachdem alles geordnet war, was Masaccios zeitliche Ehre betraf, widmete Pulcheria ihre Aufmerksamkeit dem, was seine ewige Ehre ausmachte. Sie betete in der Katharinen-Kapelle mit so heiterer Frömmigkeit an Antonios Seite, daß er von neuem fragte: »Müßt Ihr nicht weinen, Mütterchen, rühren Euch diese Bilder nicht?«
»Sie rühren mich«, erwiderte sie, »aber ich muß nur, was ich will – und ich will die Werke, die mein Maso in Hellsichtigkeit schuf, nicht durch einen Tränenschleier sehen. Blick empor zu der Heiligen – deiner ersten Liebe! Zwischen den stacheligen Rädern, die sie zerfleischen sollen, steht sie unversehrt. Verstehst du, was das heißt? An ihrer Seelenreinheit stumpfen sich die Stacheln irdischer Leiden ab.«
»Was nun, Mütterchen?« fragte Antonio, als er sich endlich zum Aufbruch anschickte. »Bleiben wir in Rom? Wollt Ihr das Grab des teuren Meisters hüten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Dazu bin ich selbst dem Grabe zu nahe. Ich gehe heim, im Hause der Pisano zu sterben.«
»Soll ich Euch geleiten, Mütterchen?«
»Das sollst du nicht. Ich reise mit Peruzzi; es ist abgemacht. Er möchte mir jetzt die Hände unter die Füße legen. Jajetzt[] ... Wir müssen Abschied nehmen, denn auch du sollst heim.«
»Wohin sollt ich da?« fragte er. »Ich habe kein Heim.«
»Doch!« Ihre Hand legte sich sanft auf seine Rechte. »In Ariccia lebt, wie sie sagen in Armut, ein alter Mann, der deine Mutter geliebt hat und gütig für sie war bis zu ihrer letzten Stunde. Zu ihm zurückzukehren, um die Not von ihm fernzuhalten und seinen Fluch von deinem Haupte zu lösen, wäre dir das allzu schwer?«
»Mir wird gar nichts mehr schwer, Mütterchen«, antwortete er mit einem traurigen Lächeln. »Es mag ja sein, mag der alte Mann die Genugtuung haben zu sehen, daß aus mir nichts geworden ist, daß ich wiederkomme als der, der ich gegangen bin.«
Als sie die Kapelle verließen, kniete ein Weib auf der Schwelle, der Kleidung nach ein Weib aus dem Volke. Sie hatte das dunkle Schleiertuch um die Stirn und um die Wangen geschlungen und beugte sich bis zur Erde, als Pulcheria und Antonio an ihr vorübergingen. Dann stand sie auf und folgte ihnen von weitem.
Tag für Tag kam Pietro Venesco in seine Werkstatt, warf ein Stück Lehm auf die Drehscheibe und ging unlustig an die Arbeit. Er hätte sie auch sparen können, der Vorräte waren genug, Abnehmer gab es wenige. Eben nur noch für den gewöhnlichen Hausgebrauch wurde die Ware, die der alte Mann herstellte, gut genug gefunden. Er war sich dessen bewußt, und es lähmte ihn. Stundenlang konnte er dasitzen, die Hände im Schoß, und seine Gedanken den gewohnten Ringeltanz aufführen lassen. Sie riefen ihm die Leidensjahre zurück, in denen sein Weib sich in stillem Gram um den Sohn verzehrt hatte ... O der furchtbaren Stunde, in der die Lippen der Sterbenden den Namen des Sohnes gehaucht, in der ihre brechenden Augen noch sehnsüchtig nach ihm ausgeschaut hatten ... O des Verfluchten, der die Mutter in Trostlosigkeit und Armut sterben ließ, indes er sich in seinem Ruhme sonnte und in Reichtum schwelgte.
Fenderigo war's, der Kunstenthusiast und Neuigkeitskrämer, der die Kunde aus Rom mitgebracht, daß Antonio in Florenz unglaublichen Erfolg errungen hatte. Kaufherren und Edelleute [] bezahlten seine Bilder mit den höchsten Preisen, Kardinäle überhäuften ihn mit Aufträgen; man sprach davon, daß ihn der Papst demnächst nach Rom bescheiden werde.
Der Barbier war am Tage, an dem er mit dieser Freudenbotschaft von Haus zu Haus lief, der Held des Städtchens Ariccia. Nicht nur, daß man dem stillen und sanftmütigen Antonio alles Gute gönnte, man gönnte auch dem borstigen Venesco einige Widerwärtigkeit. Beschämt werde er nun eingestehen müssen, daß er unrecht gehabt hatte mit seiner Mißachtung des Talentes Antonios. In jeder Art, von der katzenfreundlichsten bis zur derbsten, wurde ihm beigebracht, was man von ihm erwartete. Aus jedem Gruß, den Bekannte ihm boten, konnte er ihre Schadenfreude herausfühlen.
Er floh die Menschen, die nur noch verstanden, ihm weh zu tun, er vergrub sich in die Einsamkeit seiner Werkstätte. Den kleinen Haushalt bestellte ihm Cencetta und ließ sich's auch angelegen sein, für seine Unterhaltung zu sorgen. Am meisten und liebsten erzählte sie von ihren Freiern. Das waren Leute! Diese Ungeduld, dieser Ungestüm, sie konnte nur staunen, wie viele ihrer waren. Und wenn sie dann fragte: »Staunt Ihr nicht auch, Padrone?« irrte doch manchmal ein Lächeln über sein vergrämtes Gesicht, und er antwortete: »Ich nicht, nein.«
Das Gerücht, daß Antonio demnächst in Ariccia eintreffen werde, tauchte von Zeit zu Zeit aus unbekannter Tiefe auf und versetzte den Töpfermeister jedesmal in angstvolle Empörung. Cencetta beschwichtigte ihn: »Vornehmen wird er sich die Reise, ja, o ja! Er wird auch von ihr sprechen wie von etwas Ausgemachtem. Aber – diese Künstler! Die muß man nur kennen, wie ich ihrer in Florenz genug gekannt habe. Da kriegen sie auf einmal das Heimweh, fluchen und seufzen, bilden sich ein, sie müssen alles liegen und stehen lassen und nur heim, nur heim!... Es wird aber nichts daraus, sie haben ja nie Zeit. Verschieben die Reise von einem Jahr zum andern und sterben in der Werkstatt.«
»Daß er stirbt, erlebe ich nicht«, sagte dann Venesco und betete: Möge er nicht kommen! Herrgott, nur das eine erspare mir!
Und nun begab es sich an einem Vorfrühlingsmorgen, daß [] Venesco zum Werktisch trat und am gegenüberliegenden Fenster Antonio auf seinem alten Platze sitzen sah. Er stand auf, als sich der Blick des Vaters mit finsterem Entsetzen auf ihn richtete, und trat heran, sonnverbrannt, in schlechten Kleidern.
»Du – du?« stammelte der Greis nach langem, erdrückendem Schweigen. »Was willst du?«
Eine gequetschte, bebende Stimme, die er kaum noch erkannte, antwortete ihm: »Ich will wieder Euer Geselle sein, wenn Ihr mich annehmt.«
So war denn nichts aus ihm geworden! So war das Traumbild von Künstlerruhm und Künstlerglück zerronnen, so behielt Venesco recht. Er hatte seine heißersehnte Rache und konnte seinem armen Weibe noch in die Grube nachrufen, daß der Sohn sich nicht ungestraft an ihr versündigt. Ein Triumphgefühl schwellte sein Herz, es gab eine Gerechtigkeit, sein Fluch hatte sie heraufbeschworen.
Diese erste, aber völlige Genugtuung wurde dem alten Manne am Ende seines herben Lebens zuteil.
Dem verzeihen, der sie so spät gebracht, konnte er nicht, aber er duldete ihn neben sich.
Beim Meßopfer am nächsten Sonntag war die Andacht der Kirchenbesucher sehr gestört. Die Mädchen und Frauen stießen einander verstohlen an, blinzelten und guckten. Da stand ja der Antonio leibhaftig wieder unter dem Verkündigungsengel und sah ihm ähnlicher denn je. Und daß er nicht so albern siegreich dreinblickte wie der, sondern furchtbar ernst und traurig, kam seiner Schönheit nur zugute.
Er hätte wieder in hundert Mädchenaugen lesen können:
Wenn du um mich freist, bekommst du keinen Korb. Er freite aber nicht, er kümmerte sich nicht einmal soviel wie früher um das Treiben des jungen Weibervolkes. Cencetta war die einzige, mit der er verkehrte, und wenn man sie fragte: »Wovon sprecht ihr denn?« erwiderte sie mit großer Wichtigkeit: »Von meinen Verehrern.«
Eine ausführliche Antwort konnte auch die geschickteste Fragerin ihr nicht abgewinnen. Die allgemeine Neugier blieb auf die schmale Kost der Vermutungen angewiesen. Daß [] zwischen Antonios Abreise und seiner Heimkehr allerlei wundersame Erlebnisse lagen, war außer Zweifel. Jahrelang erhielt sich die Sage, daß er ein großer Maler gewesen, ein sündhaftes Bild gemalt habe und, vom Bannstrahl bedroht, von Reue gefoltert, zu seinem Handwerk zurückgekehrt sei.
Und dies war wirklich der Fall.
Bald nach seiner Ankunft hatte er einige Schalen, mißglückte Versuche aus längst vergangener Zeit, von dem Borde genommen, auf dem sie stehengeblieben waren, und dabei in einer Ecke, beschädigt und verstaubt, einen alten Bekannten gefunden, den Krug, dem er die Form eines Silenkopfes gegeben. Ein häßlicher Geselle, der betrunkene Halbgott, aber ein Bild der Lebenslust. Aus diesen zusammengekniffenen Augen, diesem breiten Munde lachte Antonio die naive Schaffenswonne seiner Jugend an. Unbekannt mit den Schönheitsgesetzen, also durch keines gebunden, hatte er in glückseligem Hervorbringen geschwelgt, in freier, jubelnder Eingebung.
O verlernen! Wissen ist Tod für den, dem die Kraft fehlt, es sich zu unterwerfen. Wieder sein wie einst! Kneten, bilden, bemalen in kindlicher Unschuld und kindlicher Verwegenheit, spielen, und spielend – vergessen.
Es war Frühlingszeit. Der Lenz des Südens brannte sein farbenblitzendes Feuerwerk ab. Unter dem sonnigen Himmel, von lauen Lüften zärtlich umkost, prangte die Erde in Schönheit und Duft. Die Pfirsichbäume und die Palmen blühten, über und über schmückten sich die Zweige der Liebesbäume mit zarten fliederblauen Glocken. Rubinrot leuchteten die aufgesprungenen Knospen der Granaten aus dem Blätterdunkel ihres Gesträuchs. Wie Sterne und Flammen erschimmerten auf den Wiesen Narzissen und Violen. Weiße und gelbe und rote Rosen rankten an den Schäften der Zypressen, der Steineichen, der Pinien empor, bedeckten wuchernd Hecken und Gemäuer.
Antonios Herz schwoll vor wehmütigem Entzücken. Inmitten dieses überquellenden Reichtums, wie arm fühlte er sich, wie zurückgesetzt! Er war unlängst in Subiaco gewesen und hatte vor dem Dornenstrauch gestanden, der, einst von wundertätiger Hand berührt, nach Jahrhunderten noch Frühling um Frühling heilbringende Rosen trägt. Das geschah für dich, du Unbewußter, [] dachte er, und für mich Denkenden, Fühlenden und Ringenden gab's nur ein Erblühen, für meinen Schaffenstrieb nur eine unter den Stacheln der Werdensqual entstandene, in Qualen wieder vernichtete Frucht.
Aus Florenz war ein Brief von Pulcheria Pisano angelangt, der ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Endlich, hieß es darin, wird das verdorrte Gras, das der Schnitter übersah zur Zeit der Mahd, zu Staub werden. Du erhältst Botschaft, teurer Sohn, sobald alles vorüber ist, durch eine, die uns sehr lieb gewesen ist. Nur dessen sollst du dich erinnern und die nicht ungehört von dir weisen, die meine Abschiedsgrüße bringt.
Nun erwachte er jeden Morgen, schlief jeden Abend mit dem Gedanken ein: Wäre sie schon dagewesen, wär's vorüber. Dann erst würde für ihn das Stück Leben völlig abgeschlossen sein, das er in der Fremde durchgemacht hatte. Gar oft wollte es ihm wie ein Traum erscheinen. War das in Wirklichkeit er gewesen, den Masaccio allen Schülern vorgezogen hatte, der das Unerreichbare angestrebt, das Unvergleichliche geschaffen, die Liebe eines hohen Weibes genossen, von fürstlichem Glanz umgeben, sich der Gesellschaft erlesener Menschen erfreut? War das er, der nun wieder eine Schale geformt, wie sie zu Hunderten aus den Werkstätten von Faenza hervorgingen, und sich ihrer freute, er, der das einzige hatte hervorbringen wollen? Er war aufgestanden, hielt sie von sich, betrachtete sie, und sie gefiel ihm; und doch hätte er weinen mögen, daß sie ihm gefiel und daß er ein Genügen an ihrer Herstellung fand.
Über den blendenden Fleck, den der Sonnenschein durchs Straßenfenster auf den Boden warf, glitt ein Schatten. Bald darauf pochte es an der Tür, und die er erwartet hatte, Margherita, trat ein. Wegmüde und blaß, in ihrer alten Tracht der Frauen von Fontana. Das schwarzsamtene Mieder war zu weit geworden, der Rock schlotterte an ihr herab. Sie hatte das dunkle Schleiertuch sorglos um den Kopf und um den Hals gewunden und war noch königlich schön in dieser stolzen Vernachlässigung. Die Spuren des Leidens, der schwere Ernst in ihren Zügen rührten ihn nicht; nur Zorn und Schmerz flammten in ihm auf. Die Erinnerung an alles, was er durch sie gelitten hatte, packte ihn, umklammerte ihn wie mit eisernen Griffen. [] Wild und feindselig war der Blick, mit dem er sie anfunkelte und sie festbannte auf die Stelle, die sie beim ersten Schritt betreten.
»Ich komme nicht aus eigenem Antrieb«, sprach sie, und ihre Stimme hatte einen ruhigen, merkwürdig harten Ton. »Ich komme, weil Pulcheria Pisano es gewünscht hat und weil man den letzten Wunsch einer Sterbenden erfüllen muß.«
»Weil man den letzten Wunsch einer Sterbenden erfüllen muß«, wiederholte er halb abgewendet. »Ihr wißt einen, der das nicht getan hat, meint Ihr?«
Sie sah ihn mit großen Augen an, sie verstand ihn nicht gleich. Plötzlich geriet sie in Bestürzung und sagte hastig: »Das habe ich nicht gemeint, bei der heiligen Madonna, nein!«
Er war auf sie zugeschritten. Übte sie denn immer noch ihre unüberwindliche Anziehungskraft auf ihn aus? Liebte er sie denn noch? Bewunderte er sie noch? Nein! überredete er sich. Mochte der sie bewundern, der sie nicht gekannt hatte in der tauklaren Reinheit ihrer Mädchenjahre, in ihrer herrlichen Blüte. Mochte der sie lieben, der nicht wußte oder doch vergaß, daß sie die Genossin eines ausschweifenden Kondottiere gewesen. Was Antonios ganzes Wesen in Aufruhr versetzte, ihn mit rieselnden Gluten durchdrang, war noch derselbe Haß, der ihm die Hand geführt, als er das letzte Bild seines Triptychons malte.
»Bestellt Eure Botschaft!« rief er aus, nahm sich zusammen und setzte ruhiger und beinahe bittend hinzu: »Und geht.«
Sie war nicht aus der Fassung gebracht, nicht überrascht, sie schien den Empfang gefunden zu haben, den sie erwartet hatte: »Pulcheria Pisano hat mir befohlen, zu Euch zu gehen und Euch alles zu sagen, wie ich ihr alles gesagt habe und wie es war.«
»Mir alles zu sagen?... Alles – von Euch?«
Sie nickte und lehnte sich mit einer Schulter an die Wand. »Alles. Einmal, schon früher, hat sie es mir befohlen, und kurz bevor ihr liebes Leben erlosch, befahl sie es abermals. In die Hand habe ich es ihr schwören müssen, daß ich es tun werde.« Margherita seufzte, ihre Lippen zitterten leise. »Ich muß Euch alles sagen, es ist ihr Wille.«
»Ist es auch der meine, Euch anzuhören?« fuhr er heraus, [] und ein Blitz des Mißtrauens schoß aus seinen Augen. »Seid Ihr sicher, Glauben bei mir zu finden?«
Nun verriet sich in ihrer Miene doch ein großes Staunen. »Ja – wenn Ihr mir nicht glaubt ...« versetzte sie nach einer Pause, »dann muß ich nur wieder fort, und Pulcheria wird mir verzeihen.« Sie raffte sich auf, stand frei und gerade und schien erleichtert aufzuatmen. Etwas von der naiven Sicherheit ihrer früheren Jahre regte sich in ihr. »Eines nur hört, und das werdet Ihr mir glauben: Pulcheria Pisano hat Euch im Sterben noch innig und liebreich gesegnet.«
Mit einem raschen Schritte wandte sie sich zur Tür.
Da fiel Antonios Blick auf ihren ausgetretenen, geflickten Schuh. Zugleich entsann er sich eines anderen, eines wunderhübschen, roten, und des Fußes, der ihn getragen und sich in übermütiger Fröhlichkeit vorgestreckt, und der Stimme, die gesagt hatte: »Ich weiß, wer mir immer Freude zu machen sucht und mir Bänder schenkt und Ketten und schöne rote Schuhe.« Ein silberhelles Lachen klang aus traumhaft weiter Ferne hold und köstlich an sein Ohr ... Er sah sich an der Seite einer Vielgeliebten auf dem Wege zum schimmernden Dom, und die Welt und sein Herz und die Augen der Vielgeliebten waren voll Sonnenschein ...
»Bleibt!« rief er plötzlich und deutete auf einen Stuhl neben dem Eingang. »Was hat Euch die Sterbende mir zu sagen befohlen?«
Margherita seufzte. So war das Schwere, dem sie entronnen zu sein glaubte, ihr nicht erlassen. Sie setzte sich und faltete die Hände auf ihrem Schoße: »Was ich ihr selbst gesagt habe, damals, als ich zu ihr kam ... Ihr wißt! Tut nicht, als ob Ihr nicht wüßtet.« Ihre anfangs kaum vernehmbare Stimme befestigte sich, in ihren Klang stahl sich etwas von dem schmerzhaften Trotz eines gekränkten Kindes. »Ihr wißt, wer damals auf der Schwelle der Sankt Katharinen-Kapelle kniete, als Ihr mit Monna Pulcheria heraustratet. Ihr wißt, wer Euch damals von weitem folgte ... Ihr könnt Euch denken, wer zu ihr gekommen ist, nachdem Ihr fortgegangen waret ... Alles könnt Ihr Euch denken, wenn Ihr nur wollt ... Wie mir gewesen ist, als ich Euren Schrei gehört habe und Euch gesehen habe und [] den Sarg ... und Pulcheria in ihrem Mäntelchen ... Oh, das besonders! ganz besonders – das! Und noch jetzt, wenn ich daran denke ... Ihr habe ich es nicht gesagt, denn sie hielt etwas auf ihr Mäntelchen ... Euch aber sage ich: ganz besonders – das! Sie, so arm – und wie sie humpelte hinter dem Sarg, in dem ihr Liebstes lag, und ich – in goldgestickten Kleidern!...« Sie schloß die Augen, lehnte den Kopf zurück, Fieberfrost schüttelte sie. »Wie eine Schlangenhaut, scheußlich gleißend, sind sie mir vorgekommen ... Erst als ich sie in Fetzen von mir gerissen hatte, ist mir wieder ein bißchen wohl geworden ... und dann bei ihr ...« – sie atmete leichter und wie befreit von einer gräßlich beklemmenden Erinnerung –, »als ich ihr habe dienen dürfen.«
»Euch ist wohl geworden?« fragte er spöttisch. »Ohne Euern Liebhaber? Wie kann das sein?«
»Er war mein Liebhaber nicht mehr.«
»So war's ein anderer.«
»Nein.«
Antonio wollte widersprechen, sah ihr ins Gesicht – und schwieg.
»Kein anderer. Als Braccio an unserer Loggia vorüberritt, da habe ich ihm die Arme entgegengestreckt, ja! Da habe ich geglaubt, Ihr seid's, Ihr kommt in einer Verkleidung ... Da war ich ihm ausgeliefert.«
»Wenn er mir nicht ähnlich gesehen hätte, würdet Ihr ihm widerstanden haben?«
»Das weiß ich nicht. Der Braccio ist wie der Sturm, er fragt nicht: Willst du? Er will und nimmt.«
»Und wenn er heute wiederkommen und wieder sagen würde: Ich will, müßtet Ihr wieder zu ihm!«
»Jetzt nicht mehr. Mir hat zu oft vor ihm gegraut.«
Die Überzeugung, mit der sie sprach, durchdrang auch ihn. Aber sie durfte ihn nicht für überzeugt halten, sie durfte nur seinen Unglauben und seine Geringschätzung erfahren: »Gegraut hat Euch vor ihm, der Euch alles brachte, wonach Ihr Euch von jeher gesehnt, bei dem Ihr Euer Glück gefunden habt?«
»Es war kein Glück«, erwiderte sie langsam und völlig verständnislos für seine bittere Ironie. »Ich habe der heiligen [] Muttergottes gedankt, als seine Küsse anfingen weniger heiß zu werden.«
»Schweigt!« herrschte er ihr zu und wand sich in Qualen. »Schweigt!... Seine Küsse ... Oh ...!«
Sie erhob die Augen. Rätselhaft erschien er ihr. »Was kann Euch jetzt noch daran liegen?« fragte sie.
»Was mir daran ...« Er lachte wild auf, rückwirkende Eifersucht zerfleischte sein Herz. Eine rasende Versuchung ergriff ihn, die einstige Geliebte an sich zu reißen, zu küssen, zu töten und mit ihr zu sterben. Ein Schritt nur trennte ihn von ihr, er sah in ihre dunkeln, so seltsam ruhigen Augen, die ihn verstanden, die sprachen: Tu's! Du nimmst mir nichts, wenn du mir das Leben nimmst. Nun stand er wieder ringend, unentschlossen. Er wußte selbst nicht, wie die Frage ihm auf die Lippen trat: »Ihr habt den doch bitter gehaßt, der Euch nicht Marchesa Montanini werden ließ?«
»Irrtum!« erwiderte sie in ihrer müden Gelassenheit. »Gesegnet habe ich ihn. Ich habe auch immer gewußt, daß Ihr mich vor ihm retten würdet und daß ich mich nicht selbst vor ihm zu retten brauchen würde – in den Arno.«
»Auch das soll ich Euch glauben?«
»Wie Ihr wollt. Zwingen kann ich Euch nicht dazu. Es ist auch ganz gleich. Die Botschaft Pulcherias habe ich Euch bestellt. Und nun -« sie stand auf ...
»Nun sagt mir noch«, stammelte er hastig, »waret Ihr allein bei ihr in ihrer letzten Stunde?«
»Pietro Peruzzi war da und Fra Angelico und Fra Filippo Lippi. Das Pisanohaus fällt der Malergilde zu. Darüber sprachen sie.«
»Fra Filippo! So ist er wirklich Priester geworden. Ein schlechter Priester, aber ein guter Maler.«
»Ja, o ja!«
»Und ich – bin wieder Töpferlehrling. Seht Euch um.«
Sie tat, wie ihr geheißen, sah die Schüsseln und Schalen, die auf seinem Werktisch standen, und naive Bewunderung erheiterte ihr ernstes Gesicht. »Kein Lehrling«, sagte sie, »das ist ja schön.«
»Schön – Ihr findet wirklich?«
[] Derselbe Gedanke lebte in beiden auf. Der Gedanke an den Morgen, an dem sie zu ihm gekommen war, zu trösten, und in Entzücken geraten war über sein Bild Die Neugierigen auf der Piazza Santa Maria Novella, und wie er sie in die Arme geschlossen hatte und wie er aus ihrem Kusse und sie aus dem seinen die Fülle des Glückes getrunken.
Sie hatte seitdem das Leben und alle irdischen Freuden kennengelernt, aber nie eine Regung, die auch nur von fern der Seligkeit jenes Augenblicks vergleichbar gewesen wäre. Und die einander das Köstlichste verdankten, hatten einander am wehesten getan und nichts mehr vor sich als die Trennung.
»Lebt wohl«, sagte Margherita. »Meine Reisegefährten wollen in Ariccia nur eine Stunde haltmachen. Die Zeit ist um. Lebt wohl, Antonio.« Ohne umzublicken, schritt sie dem Ausgange zu.
»Lebt wohl, sagt Ihr?« rief er ihr nach, »und reicht mir nicht einmal die Hand?«
Sie kehrte um und blieb stehen und fragte: »Würdet Ihr meine Hand denn berühren?«
Es griff ihm ans Herz. So tief verachtet fühlte sie sich, zu so scheuem Zweifel getrieben?
Da war sie gekommen, ihr Bekenntnis abzulegen. Ohne Reue – was hatte sie zu bereuen? Ohne Zweck – was hatte sie zu hoffen? und wollte nun wieder fort, und Antonio, der das Wiedersehen gefürchtet hatte, blickte schaudernd in die Leere, die ihr Scheiden hinterlassen werde. O Pulcheria, du Kluge! dachte er, du wußtest, was du tatest, als du sie mir gesandt, die unschuldig Schuldige, die noch in Untreue Getreue. Halb besiegt, kämpfte er aber noch und sprach gewürgt und rauh: »Wohin wollt Ihr?«
»Nach Velletri. Monna Pulcheria hat mich dem Schutze ihrer Verwandten, der Oberin des Klosters, empfohlen.«
»Nach Velletri – weil der Weg über Ariccia führt und Ihr Euch bei mir aufhalten solltet?«
»Ich habe es getan.«
»Und wollt nun fort? Und gebt Euch keine Rechenschaft davon, warum Pulcheria Euch zu mir schickte und wollte, daß Ihr mir alles sagen solltet, alles von Euch?«
»Sie dachte vielleicht ...« Margherita sann nach, zuckte die [] Achseln und setzte nach einer Weile ratlos hinzu: »Ich weiß nicht, was sie dachte.« Ihre Hände glitten herab, ihr Haupt neigte sich, Antonio sah ihre gesenkten Lider sich röten.
Mitleidige und heiße Zärtlichkeit wallte in ihm empor und riß alle Dämme nieder, die er gegen den Glutstrom der höchsten und tiefsten Leidenschaft seines Lebens aufgerichtet. Ihm war alles gestorben, er hatte seine Kunst und seinen Ehrgeiz begraben und seine Liebe in das Gewand des Hasses gehüllt. Aber die verkleidete Göttin hatte darin fortgelebt und trat nun hervor, siegreich und unsterblich. Sein Hohn erschien ihm töricht, seine Grausamkeit frevelhaft.
»Margherita!« rief er, und all sein niedergepreßtes Gefühl klang aus seiner Stimme und stürmte und liebkoste.
Ein leiser, zagender Jubelton antwortete ihm. Wie plötzlich befreit von einem tödlichen Banne staunte die Geliebte ihn glückselig an. Zwei Erlöste hielten einander umfangen und sprachen zugleich: »Kannst du mir verzeihen?«
- Rechtsinhaber*in
- ELTeC conversion
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2022). German Novel Corpus (ELTeC-deu). Agave : ELTeC ausgabe. Agave : ELTeC ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001B-D4BC-0