1. Primel
24. April 1834
Man legt oft etwas dem Menschen zur Last, woran eigentlich die Chemie alle Schuld hat. Es ist offenbar, daß, wenn ein Mensch zu wenig Metalle, zum Beispiel Eisen, in sein Blut bekommen hat, die andern Atome gleichsam darnach lechzen müssen, um, damit verbunden, das chemisch heilsame Gleichgewicht herstellen zu können. Nur mißversteht aber der so schlimm Begabte meistens seinen Drang, und statt ins Blut, schleppt er unbeholfen die Metalle in seine Stube und in die Kästen, und greift hierbei ganz ungeschickt nach Silber und dergleichen. Wir heißen den armen Schelm dann einen Geizhals; – sei's um den Namen – aber verachten soll man ihn nicht so leichtfertig, als sei er selber schuld, was sich doch offenbar durch die Tatsache widerlegt, daß gerade der echteste darunter alles Papiergeld haßt und durchaus nicht nach Zinsen trachtet, sondern das einfache, reine, schöne Metallgeld aufhebt und hütet.
Andere haben andere Verwandtschaften, lieber Titus! zum Beispiel ich und Du, denen man es übel nahm, daß sie die Damen, und darunter wieder die schönsten, oft unbillig anstarren; – aber bei mir wenigstens ist es nicht abzustellen, weil ich, so zu sagen, ein Schönheitsgeizhals bin. Ich habe es jetzt heraus, wie mich das Ding schon als Kind verfolgte, wo ich oft um lichte Steinchen raufte, oder als Knabe mit dicken, rotgeweinten Augen von dem Taubenschlage herabkam, in dem ich stundenlang gekauert [] saß, um die schönsten Romane zu lesen, die mein seliger Vater gar so sehr verbot, weil er es lieber hatte, daß ich das Quae maribus und solches Zeug lernte, was ich zwar auch tat, so daß ich das Ding der Länge nach herzusagen vermochte; – aber ich hatte es millionenmal lieber, wenn ich mich aus einem schönen Ritterbuche abängstigen konnte, oder wenn mir einmal – ich habe seitdem das Werk nicht mehr gelesen – geradezu das Herz brach, da Ludwig der Strenge sofort seine wunderschöne, unschuldige Gattin hinrichten ließ, die bloß verleumdet war, und die niemand retten konnte als ich, der ich aus dem Buche die ganze Schlechtigkeit ihrer Feinde gelesen hatte, aber unglücklicher Weise dreihundert Jahre zu spät. Damals, da ich bis zur letzten Seite auf Rettung baute und traute, und endlich keine kam, rieb ich mich fast auf vor Schmerz. Aus jenem unbewohnten, staubigen Taubenschlage, Titus, trug ich wundersame, liebe Gefühle bis in die spätesten Zeiten meines Lebens hinüber, und wurde nach der Hand für und für kein anderer; immer suche ich noch, bildlich gesprochen, solche Taubenschläge, spanne mich aus der Gewerkswelt los und buhle um die Braut des Schönen.
Freilich werde ich hierbei nicht reich; aber mein Vetter, der Metallgeizhals, kümmert sich auch nicht um Schönheit. – Die Dinge sind eben ganz entgegengesetzt; nur können wir uns beide die Sache nicht ausschlagen, weil das Leben keinen Dreier mehr wert ist, sobald man unser Streben daraus wegnimmt. Darum sollte man es jedem lassen, keinen fremden Maßstab und leichtfertigen Tadel an unser Tun legen, weil man die Chemie nicht einsieht. Da bin ich milder und schreie nicht gleich Zeter, wenn mein ehrlicher Doppelgänger einigen zweckmäßigen Hunger leidet, weil noch eine Prachtsumme zurückzulegen ist, die seiner Sammlung zur wahren Zierde gereichen wird; – aber er und andere sollen dafür auch nicht murren, [] wenn ich Geld und Gut nicht achte, in Konzerte, unter den Sonnenhimmel, in Theater, Bildersäle laufe und die Dinge anhöre und ansehe, besonders aber gern die Augen in lieben, feinen, jungen weiblichen Gesichtchen stecken lasse; es ist ja keine Selbstsucht – wahrlich keine. – – – Das ist eben das komisch Ärgerliche bei uns Geizhälsen, daß die andern uns so viel Selbstsucht andichten, während wir doch (er und ich) nur die reine Form anbeten und den stofflichen Besitz endlich immer jemand anderm lassen, – er freilich etwas spät und ungern, nämlich bei seinem Lebensende, – ich aber jeden Augenblick und mit größter Heiterkeit.
Ich will aber jetzt von dieser Vergleichung aufhören und Dir andere Dinge in diesem Tageblatte berichten. Ich habe mein Modell wieder gesehen. Sie ist noch immer dieselbe. Aus Zufall sah ich sie mit ihrer Mutter in die Annenkirche gehen, und ich ging dann auch hinein. Sollte ich sie hier öfter sehen können, so will ich suchen, mir ihre Züge zu stehlen und in einer glücklichen Stunde auf die Leinwand zu werfen; dann sende ich Dir ein Miniaturbild davon für deine Sammlung schöner Menschenköpfe. Vielleicht kann ich Dir gleich zwei erlesene Stücke senden; denn Aston versprach, daß ich in den nächsten Tagen bei seiner Familie eine der größten Schönheiten sehen solle – ja, die größte, wie er unumwunden erklärte, welche die Luft innerhalb der Mauern Wiens atme – und daß er es so veranstalten wolle, daß ich unvermerkt ihr Bild in meine Mappe bekomme, da sie außer andern tausend Torheiten auch die besitze, nie einem Maler sitzen zu wollen. Sie ist die vertraute Freundin seiner Töchter, denen sie, wie er sagt, den Kopf eben so albern mache, wie der ihrige ist. Jetzt kommt sie nicht, weil ihre Tante krank ist. Ihr Vorname ist Angela, welchem Vornamen sie wohl körperlich, aber nicht geistig entsprechen soll. Nun, ich bin neugierig – toll wäre es, wenn sie meine Antike wäre.[] Noch muß ich Dir sagen, ehe ich schließe, daß ich gestern wieder einmal recht spazieren war, so zu sagen unendlich, auf allen Landen herum, um Heerschau über alle Schönheiten zu halten, über lebende und leblose. Da waren die lichten, klaren, glänzenden Lüfte mit den wunderlichen Aprilwolken voll Sonnenblicken – das Zittern der anbrütenden Lenzwärme über den noch schwarzen Feldern – die schönen, grünen Streifen der Wintersaat dazwischen; – dann waren die rötlich fahlen Wälder, die an den Bergen hinanziehen, mit dem sanften, blauen Lufthauch darüber, und überall auf der farblosen Erde die geputzten Menschen wandelnd, die so gern die ersten Strahlen der schwachen Lenzsonne und der reinen Luft genießen wollten. Eine Mutter sah ich mit mehreren schönen Töchtern, die sehr jung waren und in allen Abstufungen bis zur Kindheit herab auf den lieben, runden Wangen das Rot der Unschuld und Gesundheit trugen, welches Rot noch röter wurde, als ich sie unversehens anblickte. Ich habe diese Gattung Scham so gern – gleichsam rotseidne Vorhänge zieht die junge Seele plötzlich vor dem fremden Auge über, das unberufen will hineinsehen. Auch Männer sah ich viele, aber wenig von Wert; – nur einen fand ich, der mich fesselte, einen sehr jungen Mann: er zeichnete die Aussicht in ein Gedenkbuch, und ich sah ihn mit Muße an – ein Gesicht voll Ernst und Güte, mit klugen, unschuldigen Augen. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, und ich ging endlich weiter. Da dachte ich so, wie denn Gott mit den Linien und Formen des Menschenangesichts so eigen und am wunderbarsten den Geist der Schönheit verband, daß wir so mit Liebe hineinsehen und von Rührung getroffen werden; – aber kein Mensch, dachte ich, kann eigentlich dieses wundervolle Titelblatt der Seele so verstehen als ein Künstler, ein echter, rechter, wie er uns beiden oft im Ideale vorschwebte; denn der Weltmensch schaut nur oberflächlich [] oder selbstsüchtig, und der Verliebte verfälscht, nur zu sehr am irdischen Geschöpfe hangend; aber der reine, einfältige Meister in seiner Werkstätte, tagelang denselben zwei Augen gegenüber, die er bildet und rundet, – der sieht den Finger Gottes aus den toten Farben wachsen, und was er doch selber gemacht hat, scheint ihm nun nicht bloß ein fremdes Gesicht, sondern auch eine fremde Seele, der er Achtung schuldig ist, – und öfters mag es geschehen, daß mit einem leichten ungefähren Zug des Pinsels plötzlich ein neuer Engel in die Züge tritt, davor er fast erschrickt und von Sehnsucht überkommen wird. Ferner dachte ich an Galerien, wo die Augen und Wangen längst vergangener Geschlechter noch immer ihre Freude und ihr Weh erzählen – – – – dann dachte ich an unser eignes Sterben und an den Glanz derer, die nachher sein werden – – und in dem Fortspinnen desselben düster schönen Gedankens zog ich die sanften Fäden planlosen Phantasierens um mein Haupt und über die große, stille Landschaft vor mir, – ich ging herum ins Weite und Breite und ließ von Gedanken und Phantasieen kommen, was da wollte. Ach! ein sanftes Eden liegt im Menschenherzen, und es blühen darin leuchtende und dunkle Blumen. Meine gewöhnliche Frühlingstrauer stellte sich ein. Ich weiß nicht, ob die schönen allerersten Frühlingstage auch andere traurig machen. Ist es etwa die Ruhe nach den Winterstürmen, die lächelnd in der ungeheuern Bläue liegt, und darunter auch ruhig die tote Erde und das schwarze Baumgitter, das des Keimens harrt – oder ist es physischer Einfluß der weichen Luft nach der Winterhärte, oder beides? – – –
Weithin über den Horizont Ungarns schweiften trübe, gedehnte Streifen – der Abend kam endlich – ein weißlicher Rauch trank die Stadt ein – Frühlingsabenddünste beschmutzten das Gold des Himmels, und ein dumpfer, roter Mond kämpfte sich langsam herauf. – Ich aber [] dachte und dachte- – so geht es immer – und so geht es immer.
2. Veilchen
25. April 1834
Heute ist weithin heiterer Himmel mit tiefem Blau, die Sonne scheint durch mein geöffnetes Fenster; das draußen schallende Leben dringt klarer herein, und ich höre das Rufen spielender Kinder. Gegen Süden stellen sich kleine Wolkenballen auf, die nur der Frühling so schön färben kann; die Metalldächer der Stadt glänzen und schillern, der Vorstadtturm wirft goldne Funken, und ein ferner Taubenflug läßt aus dem Blau zu Zeiten weiße Schwenkungen vortauchen.
Wäre ich ein Vogel, ich sänge heute ohne Aufhören auf jedem Zweige, auf jedem Zaunpfahle, auf jeder Scholle, nur in keinem Käfig – und dennoch hat mich der Arzt in einen gesperrt und mir Bewegung untersagt; deshalb sitze ich nun da, dem Fenster gegenüber, und sehe in den Lenz hinaus, von dem ein Stück gütig zu mir hereinkommt. Auf dem Fenstergesimse stehen Töpfe mit Levkojenpflänzchen, die sich vergnüglich sonnen und ordentlich jede Sekunde grüner werden; einige Zweige aus des Nachbars Garten ragen um die Ecke und zeigen mir, wie frohe Kinder, ihre kleinen, lichtgrünen, unschuldigen Blättchen.
Zwei alte Wünsche meines Herzens stehen auf. Ich möchte eine Wohnung von zwei großen Zimmern haben, mit wohlgebohnten Fußböden, auf denen kein Stäubchen liegt; sanft grüne oder perlgraue Wände, daran neue Geräte, edel, massiv, antik einfach, scharfkantig und glänzend; seidne, graue Fenstervorhänge, wie matt geschliffenes Glas, in kleine Falten gespannt und von seitwärts gegen die Mitte zu ziehen. In dem einen der Zimmer wären ungeheure Fenster, um Lichtmassen hereinzulassen [] und mit obigen Vorhängen für trauliche Nachmittagsdämmerung. Rings im Halbkreise stände eine Blumenwildnis, und mitten darin säße ich mit meiner Staffelei und versuchte endlich jene Farben zu erhaschen, die mir ewig im Gemüte schweben und nachts durch meine Träume dämmern – ach, jene Wunder, die in Wüsten prangen, über Ozeanen schweben und den Gottesdienst der Alpen feiern helfen. An den Wänden hinge ein oder der andere Ruysdael oder ein Claude, ein sanfter Guido und Kindergesichtchen von Murillo. In dieses Paphos und Eldorado ginge ich dann nie anders, als nur mit der unschuldigsten, glänzendsten Seele, um zu malen oder mir sonst dichterische Feste zu geben. Ständen noch etwa zwischen dunkelblättrigen Tropengewächsen ein paar weiße, ruhige Marmorbilder alter Zeit, dann wäre freilich des Vergnügens letztes Ziel und Ende erreicht.
Sommerabends, wenn ich für die Blumen die Fenster öffnete, daß ein Luftbad hereinströme, säße ich im zweiten Zimmer, das das gemeine Wohngehäuse mit Tisch und Bett und Schrank und Schreibtisch ist, nähme auf ein Stündchen Vater Goethe zu Handen oder schriebe, oder ginge hin und wieder, oder säße weit weg von der Abendlampe und schaute durch die geöffneten Türflügel nach Paphos, in dem bereits die Dämmerung anginge oder gar schon Mondenschein wäre, der im Gegensatze zu dem trübgelben Erze meines Lampenlichtes schöne, weiße Lilientafeln draußen auf die Wände legte, durch das Gezweig spielte, über die Steinbilder glitte und Silbermosaik auf den Fußboden setzte. Dann stellte ich wohl den guten Refraktor von Fraunhofer, den ich auch hätte, auf, um in den Licht- und Nebelauen des Mondes eine halbe Stunde zu wandeln; dann suchte ich den Jupiter, die Vesta und andere, dann unersättlich den Sirius, die Milchstraße, die Nebelflecken; dann neue, nur mit dem Rohre sichtbare Nebelflecken; gleichsam durch tausend Himmel [] zurückgeworfene Milchstraßen. In der erhabenen Stimmung, die ich hätte, ginge ich dann gar nicht mehr, wie ich leider jetzt abends tun muß, in das Gastbaus, sondern....
Doch dies fahrt mich auf den zweiten Wunsch: nämlich außer obiger Wohnung von zwei Zimmern noch drei anstoßende zu haben, in denen die allerschönste, holdeste, liebevollste Gattin der Welt ihr Paphos hätte, aus dem sie zuweilen hinter meinen Stuhl träte und sagte: diesen Berg, dieses Wasser, diese Augen hast du schön gemacht. Zu dieser Außerordentlichen ihres Geschlechts ginge ich nun an jenem Abende hinein, führte sie heraus vor den Fraunhofer, zeigte ihr die Welten des Himmels, und ginge von einer zur andern, bis auch sie ergriffen würde von dem Schauder dieser Unendlichkeit – und dann fingen begeisterte Gespräche an, und wir schauten gegenseitig in unsere Herzen, die auch ein Abgrund sind, wie der Himmel, aber auch einer voll lauter Licht und Liebe, nur einige Nebelflecke abgerechnet; – oder wir gingen dann zu ihrem Pianoforte hinein, zündeten kein Licht an (denn der Mond gießt breite Ströme desselben bei den Fenstern herein), und sie spielte herrliche Mozart, die sie auswendig weiß, oder ein Lied von Schubert, oder schwärmte in eigenen Phantasieen herum – ich ginge auf und ab oder öffnete die Glastüren, die auf den Balkon führen, träte hinaus, ließe mir die Töne nachrauschen und sähe über das unendliche Funkengewimmel auf allen Blättern und Wipfeln unseres Gartens, oder wenn mein Haus an einem See stände – – –
Aber, siehst Du, so bin ich – da wachsen die zwei Wünsche, daß sie mir am Ende kein König mehr verwirklichen könnte. Freilich wäre alles das sehr himmlisch, selbst wenn vor der Hand nur die zwei Zimmer da wären, auch mit etwas geringern Bildern; denn die Herrliche, die ich mir einbilde, wäre ja ohnedies nicht für mich leidenschaftlichen [] Menschen, der ich sie vielleicht täglich verletzte, wenn mich nicht etwa die Liebe zu einem völligen sanften Engel umwandelte. Indessen aber stehe ich noch hier und habe Mitleid mit meiner Behausung, die nur eine allereinzige Stube ist mit zwei Fenstern, durch die ich auf den Frühling hinausschaue, zu dem ich nicht einmal hinaus darf, und an Wipfeln und Gärten ist auch nichts Hinreichendes, außer den paar Zweigen des Nachbars, sondern die Höhe der Stube über andern Wohnungen läßt mich wohl ein sattsames Stück Himmel erblicken, aber auch Rauchfänge genug und mehrere Dächer, und ein paar Vorstadttürme. Die südlichen Wolken stellten sich indessen zu artigen Partieen zusammen und gewinnen immer liebere und wärmere Farben. Ich will, da ich schon nicht hinaus darf, einige abzustehlen suchen und auf der Leinwand aufzubewahren. – – Ich schrieb las Obenstehende heute morgens und malte fast den ganzen Tag Luftstudien. Abends begegnete mir ein artiger Vorfall. Auch moralischen und sogar zufälligen Erscheinungen gehen manchmal ihre Morgenröten vorher. Schon eit vielen Wochen ist mir die Bekanntschaft eines jungen Künstlers versprochen worden. Heute wurde er als Krankenbesuch von zwei Freunden gebracht, und siehe da! es war derselbe junge, schöne Mann, den ich vor zwei Tagen auf dem Spaziergange, der mir mein jetziges Halsweh zuzog, gefunden hatte. Ich erkannte ihn augenblicklich und war fast verlegen; er gab kein Zeichen, daß er auf den Spaziergänger geachtet habe, der so dreist in sein Gesicht und Studienbuch geschaut hat. Der Besuch war in sehr angenehmer, und die Bitte um Wiederholung wurde zugesagt. Sein Name ist Lothar Disson, und sein vorzugsweises Fach die Landschaft; doch soll er auch sehr glücklich porträtieren.
[]3. Kleinwinziger Zentunkel
29. April 1834
Ein Tagebuch ist eigentlich nur für den Führer desselben ansprechend, und ich müßte Dich schlecht lieben, mein Titus, wenn ich Dich erbarmungslos durch alle Tage meines Kalenders schleppte. Als wir an jenem Abende auf dem Rigi, mitten unter kalten Reisebeispielen von Engländern, beide zwar so arm wie Kirchenmäuse, aber toll und lustig genug, Abschiedsfeste feierten und in unsrer Lyrik erst unsre Namen tauschen wollten, dann aber dieses sogar zu dürftig fanden, sondern versprachen, unser ganzes künftiges Leben auszuwechseln, das heißt uns gegenseitige gewissenhafte Tagebücher zu senden – als alles dies vorfiel, konnte es doch unmöglich so gemeint sein, daß ich Dir jeden kahlen Tag übermache, der mich in dieser Hauptstadt überfällt, welche Hauptstadt mir oft kleinstädtisch genug und abgeschabt vorkommt gegen die freie, gewaltige Residenzstadt der Natur, insonderheit, da mir Deine Pyrenäenreise ganze Prachteindrücke übersendet. Du bist wohl noch der alte Narr, und ein hiesiger Freund oder, besser gesagt, nur ein Bekannter, den ich unlängst erwarb, Anselm Ruffo, sagte, ich sei auch ein großer, aber unschädlicher, das heißt für andere, mir selber aber beständig im Lichte. Es kann sein, und wenn Du eine stichhaltige Beschreibung eines Narren auftreibst, so sende sie schleunigst; dann läßt sich die Sache eher entscheiden – bisher wußte ich keine. Bleibe fürerst nur der liebe, gute, treue und schönheitsbegeisterte Narr, als welchen ich Dich kenne, und ich will Dich einige millionenmal mehr lieben, als die andern gescheiten Leute. Sende fleißig Pyrenäentage und zürne nicht, wenn Dir unser Lyoner Spediteur von mir ein Päckchen sendet, in denen nicht jeder Tag ein Gesicht zeigt – es hat eben nicht jeder eines.
Disson war während der Zeit wieder bei mir, und wir gefielen [] uns so, daß wir nicht nur volle drei Stunden verplauderten, sondern auf den ersten Mai, falls es meine Gesundheit zuläßt, einen Spaziergang von einem ganzen Tage verabredeten.
Ich habe richtig jenes Mädchen in der Annenkirche wieder gesehen; sie geht täglich um zehn Uhr dahin in Begleitung einer alten Frau, die ich für ihre Mutter halte. Du würdest Dich wundern, ganz eigen ist der ruhige, große, fromme Blick der blauen Augen.
Sie wäre, wie ich anfangs scherzte, in der Tat ein antikes Modell. Als ich sie der Gasse entlang schreiten sah und ihr nachblickte, dachte ich: so müßte ein altgriechisches Marmorbild ausgesehen haben, das wandeln könnte und Augen gehabt hätte. Da kamen mir allerlei Spintisierungen über sie: ich möchte sie einmal beten sehen; aber nicht in der Kirche, wo sie die Augen mit den Wimpern kalt verhüllt, sondern wenn sie in ihrem Zimmer einsam Gott dankt oder um Abwendung eines entsetzlichen Wehes bittet; – oder ich möchte sie in Liebesfreude schwärmen sehen oder im Schmerze das Auge aufschlagen – oder tanzen – oder eine Gebirgspartie machen – lachen – ihren Vogel kosen – eine kleine Schwester belehren; oder wenn sie Tee bietet; wenn ihr etwas sehr komisch erscheint – und so weiter – und so weiter.
Aston will Bilder aus Wiens Umgebungen von mir, und findet sie immer sehr schön, wenn ich ihm auch noch so sehr (nach meiner alten Untugend, wie Du sie nennst) die Fehler darin aufdecke – – aber siehe, Titus, ich muß es ja tun, sonst meinen fürwahr die Leute, ich sehe die Fehler nicht ein und wolle mich nicht bessern – – also er findet die Bilder immer schön, und wir sind in voller Arbeit – ich mit Malen und er mit Anordnungen, die ich immer nicht befolge. Im August wird eine Alpenreise gemacht, und vielleicht berede ich Lothar auch dazu, wenn nämlich der Verlauf der Bekanntschaft mit ihm so [] glücklich fortgeht, wie der Anfang ist. Wir wollen den Großglockner besteigen. Zum Schlusse noch eins: Du hast dreißig Dukaten angewiesen; ich habe sie erhalten. Es hat sich hierbei die Lächerlichkeit ereignet, daß mein Kontingent, nämlich die Hälfte meiner diesmonatlichen Einkünfte, welche Dir gebührt, gerade eben so viel beträgt. Laß uns also in Zukunft lieber Gegenrechnungen machen und bloß die Überschüsse senden. Ich glaube wir erfüllen so unsern Bruder- und Teilungsvertrag auch und mit weniger Umständen.
Lebe wohl und bleib mein treues Bruderherz.
Das heutige Tagebuchblatt ist nur dieser Brief an Dich; aber ich dachte auch nichts als Dich. Lebe wohl!
4. Glockenblume
3. Mai 1834
Ich hasse eigentlich keinen Menschen auf Gottes ganzer grüner Erde – aber da ist ein junger Mann, der mir nachgerade zuwider wird, wie die ärgste meiner Sünden. Er ist ein Begegner, deren fast jeder einen hat, so wie ich ihn; ob aber der andern ihre auch so emsig und unermüdlich sind, daran zweifle ich. Gehe ich in den Prater, so sitzt er auf einer Bank, fliege ich von da ins Belveder, so geht er schon am Rennwege herein. Wenn Dir etwa in den Pyrenäen ein langer Herr vorfällt, der kein Halstuch umhat, und schlechthin den Mylord spielt, der ist es und kein anderer. Es ist mir, als suche er mich ordentlich. Entweder ist er der ewige Jude, oder jener Reisende, dessen Name überall steht, oder, weil dieser gestorben sein soll, sein Geist. Es wäre das vernünftigste, wir grüßten uns gegenseitig höflich.
Ich hätte mich weniger über ihn aufgehalten – aber am ersten Mai, da ich mit Lothar von Dornbach den so schönen Weg nach Haimbach machte und eben dort ankam, [] war er auch da, jedoch zum Glücke gerade im Begriffe, in den Wagen zu steigen zu einer Dame, die schon darinnen saß und – stelle Dir vor – mein Griechenbild aus der St. Annenkirche war. Es saß noch die alte, schöne Frau bei ihr, ihre gewöhnliche Begleiterin, und dann eine junge, schlanke Gestalt, die aber einen ganzen Wolkenbruch von Schleiern über dem Gesichte hatte. Wie kommt er nun zu dieser?
Daß wir alle Wirtsleute fragten, wer die Abfahrenden wären, war sehr natürlich; daß es aber niemand wußte, ärgerlich.
Wir blieben fast den ganzen Nachmittag in dem lieblichen Tale, und als ich, wie zur Spielerei, die Wirtsfrau, ein mitteljähriges, gutmütiges Gesicht, in meine Mappe zeichnete, so lächelte sie unbeholfen verschämt und meinte, wenn ich und der andere Herr in unsere Bücher da Gesichter und Leute abmalten, so hätten wir um zwei Stunden früher kommen sollen, als noch die zwei jungen Fräulein da waren, die wären der Mühe wert gewesen; denn von allen Stadtjungfern sei noch keine so schöne da gewesen, wie Milch und Blut, und so freundlich wie zwei Engel – auch der junge Herr sei sanft und stille, wie die andern alle nicht, die aus der Stadt kommen (außer uns beiden, die wir auch recht gutherzig aussähen) und die alte Frau habe so viele Freude über die jungen Leute, daß sie immer lächle. Die gute Wirtsfrau wurde zutraulich, und freute sich, daß sie ihr Gesicht in dem schönen, großen Buche habe neben den schönen Fräulein und vornehmen Herren, die wohl alle noch darin wären – dabei sah sie neugierig die Mappen an, daß ich sie ihr endlich aufschlug, und ihr Erstaunen auf das höchste trieb, als sie ihr eigenes Haus fand, und die Bäume um dasselbe in netten Farben und die Berge und den Himmel mit leibhaftigen Lämmerwolken (wie sie sie nannte) und noch dazu Leute, die unter dem Apfelbaume frühstückten – [] dann auf andern Blättern ihren Hund, dann den Knecht mit dem Schimmel, den blinden Zitherspieler, den Bach mit dem Stege usw. Das hätte sie nie geglaubt, meinte sie; denn in diese Bücher mit dem schneeweißen Papiere paßten eher die prächtigen Stadthäuser und schöne Spaziergänger und Reiter und Wagenzüge. Schade, da wären noch leere Blätter genug, und auf einem würde die Gesellschaft dieser schönen Fräulein recht gut Platz gehabt haben, und aus dem Fenster der Gaststube hätten wir es recht leicht abmalen können, wie sie an dem weißen Tische mitten auf der Wiese frühstückten und scherzten. Sie wundere sich nur, daß heute, als am ersten Mai, jemand da herausgekommen sei, da ja alles bei dem Frühlingsfeste im Prater sein werde. Wir lachten und sagten, daß es uns selber hinreichend freuen würde, wenn wir die zwei Engel konterfeien konnten. »Wer weiß es«, versetzte die Wirtin; »Berg und Tal kommen nicht zusammen, aber die Menschen.«
»Jawohl,« lachte Lothar, »wir wollen sogar zuversichtlich hoffen, daß gerade diese zwei Engel, welche am ersten Mai anno domini 1834 in Haimbach frühstückten, dereinst noch unsere Frauen werden, und wieder eines schönen Tages in unsrer Gesellschaft frühstücken werden. Was meinen Sie dazu, Herr Kollege?«
»Topp«, rief ich; »aber mir muß die Unverschleierte bleiben.«
»Die andere ist noch schöner«, rief die Wirtin.
Ich meinte, das sei nicht möglich, und halte mich an das Gewisse.
»Gut,« sagte Lothar, »von heute binnen drei Jahren, Frau Wirtin, rüsten Sie ein wackeres Frühstück und Mittagsmahl; denn wir werden den ganzen Tag mit den zwei Engeln, unsern lieben, rechtschaffenen Ehefrauen, in Haimbach zubringen. Ich nehme in Gottes Namen die Verschleierte, da ich keine von beiden von Angesicht [] kenne und mich ganz auf den Geschmack unserer Frau Wirtin verlasse.«
»Und ich dagegen«, fiel ich ein, »will diese besagte Frau Wirtin zum Andenken an diesen Tag recht sauber auf schneeweißes Papier malen und in einem schmucken Goldrahmen mitbringen.«
Ei, das wäre für sie alte Frau viel zu viel Ehre, vermeinte sie, und übrigens könnte ich so etwas leicht versprechen, ohne deswegen mein Farbenzeug aufmachen zu dürfen, da zwei solche lustige Herren gewiß ohne dies schon jeder eine Fräulein Liebste in der Stadt haben würden, die schon unter den schönen Gesichtern des Buches sein werde.
Wir sahen uns beide an, und lachten: denn wahrhaftig, keiner hatte nicht im geringsten ein derlei Wesen aufzuweisen. – Übrigens fingen wir zwei dann selber an, die Sache weiter auszumalen, und dichteten den zwei Huldinnen eine unaussprechliche Sehnsucht nach uns an, stießen die Gläser an, ließen sie hoch leben und entwarfen Plane, ihnen den Ehestand zu versüßen.
Nach Tische wurde gezeichnet.
Spät erst, als schon das Abendrot an allen Bergen hing und im jungen Buchengrün von Laub zu Laub neben uns hüpfte, gingen wir selig durch die Loudonischen Anlagen nach Hadersdorf, wo wir übernachteten, weil wir am andern Tage Tiergartenpartieen malen wollten, wozu uns Lothar die Erlaubnis ausgewirkt hatte. Noch beim Einschlafen neckten wir uns mit den Vorzügen unserer neuen Liebchen ein gut Stück in die Nacht hinein, und spintisierten über den Engländer, der ein Anbeter zu sein drohe.
Wir schliefen fest, und zeichneten am zweiten Mai tüchtig darauf los, und rückten meilenweit in gegenseitige Bekanntschaft und Freundschaft hinein.
Ich hätte die Sache gar nicht erwähnt und sie gewiß heute [] schon vergessen, wenn ich sie eben vergessen hätte. Aber in meiner närrischen Phantasie nimmt die Holde ordentlich eine rührende Miene an, bloß weil wir so lange von ihr geredet haben, weil ich sie Dir gar beschrieben und weil sie lustiger Weise nicht ein Sterbenswörtchen davon weiß. Aber in der Tat, so ist unsre Einbildung, und meine erst vollends: wenn wir einen Menschen in nahen Verhältnissen mit uns dichten, so wird er uns fast lieb, besonders wenn er ein schönes Mädchen ist, und wir eben fünfundzwanzig Jahre alt werden. Ich gehöre da zu den Narren, die so sehr aus dem Häuschen sind, daß sie am Ende die Sache auch gar noch glauben. Neulich zum Beispiel geschah es, daß ich einem armen Teufel durch mäßiges Lob zu einer Bedienstung helfen sollte – anfangs lobte ich auch gewissenhaft und empfahl ordentlich aber endlich ging ich immer weiter, bis er ein gänzliches Genie war. Ich erstaunte in der Tat, wie ich so viel Talent und Kraft bisher so wenig beachtet haben konnte. Er bekam auch den Dienst und mich als Freund und Gönner dazu. Meiner einstigen Geliebten wird dieser Zug von mir zu Statten kommen, – aber da sehe ich schon, daß Du verstockt sein wirst und kaum die Hälfte glaubst, wenn ich sie Dir vormale – – aber siehe, Titus, glaube, was Du willst – – was kann denn am Ende der arme Mensch von einem andern Nebenmenschen abmalen, sich selbst vorstellen, – lieben oder hassen – als das Bild, das er sich von ihm zu machen versteht, da das Ich des andern so wüstenweit von ihm getrennt ist, wie kaum Weltsysteme, die wir doch durch Gläser aus ihrem Himmel ziehen?
Lasse mich dem Gedanken nachhängen.
Seit der ersten Kindheit, wie viel tausend verschwimmende Gestalten von kleinen Gedanken, Ahnungen, dann halbgeborne Dichtungen, Träume, Ideen, Kleinode von Empfindungen, mögen das lange Leben eines Menschen [] durchwandeln, ohne daß Kunde davon wird! Man denke nur an das innere, namenlose Gewimmel des erwachenden Jünglings – an die langen träumenden, erinnernden, wortkargen Tage des einschlummernden Greises – an die Liebestage der schamvollen Jungfrau, an die innere, unausgesprochene Traumwelt phantasiereicher Weiber überhaupt, die durchgängig mehr mit Empfindungen handeln, ohne immer das Glöckchen derselben zur Hand zu haben, was wir hingegen häufiger können und tun. In dem reichsten wie ärmsten Menschen geht eine Bibliothek von Dichtungen zu Grabe, die nie erschienen sind – nur aus den drei Stanzen, die er herausgab, machen wir ein Urteil zusammen und sagen, seht, das ist der Dichter. Und glückselig der, der ein Ohr hat, auch nur die drei Stanzen recht zu hören und sich ein schönes Bild zu machen – so hat er dann eine schöne Welt: es gibt aber Leute, die aus den wenigen Farbenkörnern, die dem andern entspringen, nur Fratzen bilden und diese bedaure ich – sie sagen freilich, sie kennen die Welt, aber es ist nicht wahr, sie bekennen nur wider Willen ihr kleines Innere, und haben noch dazu eine Zerrwelt. – – Vor dem Hohlspiegel unsrer Sinne hängt nur das Luftbild einer Welt, die wahre hat Gott allein.
Titus! Dieser Gedanke hat mich ernst gemacht!! Als wir auf dem Rigi, umgeben von dem Abendglühen der Alpen, standen und Abschied nahmen, als mein Mund an Deinem brannte, als wir uns an die Brust drückten, daß wir meinten, sie müsse knirschen – was hatten wir von einander, und wie nahe waren wir uns?
Ein Sirius sandte zwei einsame Strahlen, und diese wurden auf einem andern Sirius gesehen – aber es waren zwei Weltkörper, und eine Wucht von Leben trugen sie ungekannt durch ihren öden Weltraum.
Oft und oft, wenn ich die ewigen Sterne sah, diese glänzenden Tropfen, von dem äußeren, großen Weltenozeane [] auf das innere, blaue Glöcklein hereingespritzt, das man über uns Infusionstierchen gedeckt hat – wenn ich sie sah und mir auf ihnen dachte dieses Unmaß von Kräften und Wirkungen, die zu sehen und zu lieben ich hienieden ewig ausgeschlossen bin; so fühlte ich mich fürchterlich einsam auf der Insel ›Erde‹ – – und sind denn nicht die Herzen eben so einsam in der Insel ›Körper‹? Können sie einander mehr zusenden, als manchen Strahl, der noch dazu nicht immer so freundlich funkelt, als der von den schönen Sternen? Wie jene Herzen des Himmels durch ein einziges, ungeheures Band verbunden sind, durch die Schwerkraft, sollten auch die Herzen der Erde verbunden sein durch ein einziges, ungeheures Band – die Liebe – – aber sind sie es immer??
Noch sind Kriege, noch ist Reichtum und Armut.
Was hat denn der unergründliche Werkmeister vor mit dem Goldkorne, Mensch, das er an einen wüsten Felsen klebt, dem gegenüber der glänzende Sand einer endlosen Küste schimmert, der Saum eines unentdeckten Weltteils? und wenn dereinst ein Nachen hinüberträgt, wird da nicht etwa wieder eine neue, schönere Küste herüberschimmern? –
Ich weiß nur das eine, Titus, daß ich alle Menschen, die eine Welle dieses Meeres an mein Herz trägt, für dies kurze Dasein lieben und schonen will, so sehr es nur ein Mensch vermag – ich muß es tun, daß nur etwas, etwas von dem Ungeheuren geschehe, wozu mich dieses Herz treibt. – Ich werde oft getäuscht sein, aber ich werde wieder Liebe geben, auch wenn ich nicht Liebe glaube nicht aus Schwäche werde ich es tun, sondern aus Pflicht. Haß und Zank zu hegen oder zu erwidern ist Schwäche, – sie übersehen und mit Liebe zurückzuzahlen ist Stärke. Es ist tief in der Nacht, lebe wohl, guter, geliebter Mensch.
[]5. Nachtviole
11. Mai 1834
Schon wieder muß ich die Nacht zu Hilfe nehmen, und wer weiß es, ob ich sie nicht verschreibe, bis die helle Morgendämmerung durch meine Fenster scheint; in dieser gehobenen Stimmung ist an keinen Schlaf zu denken. Und sollte ich töricht und lächerlich im höchsten Grade sein, – Titus, Dir muß mein Herz offen liegen – aber es ist geschwellt, schwärmend und genugsam verrückt. Ich spielte und scherzte in Haimbach mit gewissen Wünschen und Verhältnissen, und der Himmel strafte mich mit einer verkehrten Gewährung. Höre nur. Ich weiß nicht, ob damals, als wir beide zugleich in Wien waren, in der Mitte des Paradiesgartens ein schwarzer erhabner Spiegel auf einem Untersatze angebracht war – den Garten kennst Du – kurz, jetzt ist ein solcher Spiegel da, und ein Teil der Stadt, die grünen Bäume und der Rasenplatz vor derselben und der Ring der Vorstädte steht in niedlicher Kleinheit darinnen, durch die Schwärze des Spiegels in einer Art Dämmerungsdüster schwimmend. An diesem Spiegel stand, als mich heute mittags, wo fast gar keine Menschen in dem Garten sind, meine gewöhnliche Frühlingsspaziersucht vorbeiführte, ein Weib, durch ihren Bau, den ich nur von rückwärts sah, große Schönheit versprechend, und sah hinein. Ich blieb stehen und zeichnete mit den Augen die wirklich ausnehmend schöne Gestalt – deshalb war ich fest entschlossen, auch ihr Angesicht zu sehen. Ich stellte mich ruhig hinter sie, um ihr Weggehen zu erwarten; denn mich ihr gegenüber zu stellen, war ich nicht dreist genug.
Als sie immer und immer stehen blieb, malte ich im Gedanken die lächerliche Gruppe, die wir bildeten, und hierdurch kam mir der Mut, sie zum Umsehen zu zwingen, nämlich ich sagte plötzlich: »Eine wahre Unterweltbeleuchtung schwebt über diesem kleinen Nachbilde.« Sie [] sah auch um – und ich prallte fast zurück. – – Von meiner Kindheit an war immer etwas in mir, wie eine schwermütig schöne Dichtung, dunkel und halbbewußt, in Schönheitsträumen sich abmühend – oder soll ich es anders nennen, ein ungeborner Engel, ein unhebbarer Schatz, den selber die Musik nicht hob – – in diesem Augenblicke hatte ich das Ding zwei Spannen breit meinen Augen sichtbar gegenüber.
War sie so unermeßlich schön?
Ich weiß es nicht, aber es war mir wie einem Menschen, der in dunkler Nacht wandert in vermeintlich unbekannter Gegend – auf einmal geschieht ein Blitz – und siehe, wunderbar vergoldet steht sein Vaterhaus und seine Kindesfluren vor den Augen.
Ein Blick von mir war es, ein einziger, ein heftiger, der die ganze Dichtung dieses Angesichts in sich schlingen wollte – dann schnell ein zweiter und dritter. Sie sah mich ernst und unverwirrt an, und ließ dann einen dichten Schleier herabfallen. In mein Angesicht flog die brennende Röte der Scham, daß ich ihr aufgelauert hatte.
Ob ich in sie verliebt wurde? – Nein, in diese war ich es seit meinem ganzen Leben schon gewesen.
Sie ging langsam, wie eine stolze Südländerin – wie jene Zenobia, die Königin der Wüstenstadt – zu einer Gruppe Herren und Frauen und mischte sich unter sie – und ich auf einmal unendlich verarmt schritt aus dem Garten, und als ich die Steintreppe in die düstre Stadtgasse hinabstieg, wallte mir das vorher erschrockene Herz erst recht auf, und es wurde mir, als sollt' ich sie ohne Maß und ohne Grenzen lieben. Eine Ahnung solchen Gefühles vermag Beethoven zu geben, wenn er dir den schönsten unbekannten Demant aus deinem eigenen Herzen hebt und ihn dir glänzend und lichtersprühend vor die Augen hält. Ich ging noch sehr lange in den lärmenden Gassen und auf den Basteien herum, und suchte erst, als schon alle [] Laternen brannten, meine Stube und trug das neuerworbene Bild mit hinein.
Diese ist es.
Alle, die mir sonst so sehr gefielen, selbst die aus der Annenkirche – sie sind gar nicht mehr. –
Und nun erkläre mir ein Erdenmensch die Heftigkeit eines solchen Eindruckes. Es ist im Leben schon öfters dagewesen – auch zwischen Mann und Mann war es schon. Ich bin kein Kind, das sich überraschen läßt, ich bin kein Weichling, der sich Gefühle vorlügt – das Leben hat mich wacker durchgerüttelt – aber ihr Erscheinen in dem Kreis meiner Vorstellungen wirkte wie ein Riß in dieselben. Ist es ein Schönheitseindruck, den ich nur verkenne? wie etwa alle Gemälde, Musiken, Dichtungen flach werden, sobald etwas Außerordentliches dieser Art an unser Herz tritt? Aber ich sah ja Raffaele, Guidos, Correggios – sie waren wunderschön, aber anders. Ich sah ungewöhnlich schöne Weiber, und fühlte etwas anderes. – Aber Schönheit war es ja nicht, was eben wirkte; denn ich erinnere mich keines Zuges ihres Angesichtes, selbst wenn ich alle Nerven des Gehirns martere; nur das eine, das ganze Bild liegt auf ihnen, wie eingebrannt dem Spiegel meiner Augen, und wenn ich sie beide schließe, so sehe ich es noch immer vor mir schweben. Ich kann nicht sagen, daß ich sie liebe; denn man liebt ja nur, was man kennt und doch ists, als wäre sie vor ungezählten Jahren in einem andern Sterne meine Gattin gewesen.
Sind das Wechselseitigkeiten der Geister, sind es Seelenwahlverwandtschaften? Ist es gänzliche Narrheit?
O Titus, Titus! da gehe ich in meinem Zimmer auf und ab, draußen am Himmel liegt eine schwere, warme Wolkennacht, ganz ruhig, ganz ruhig – – und ich herinnen bin ein heftiger, schwärmerischer Tor und trage mich selber in ein immer heißeres Gefühl hinein.
Ich mag nun Astons versprochene Angela gar nicht ein [] mal sehen und werde auch gar nicht hingehen – mir ekelt vor den sogenannten Schönheiten. Warum ich mich um sie gar nicht weiter erkundigte? – ich weiß es nicht aber es schien mir so unwesentlich und nicht zu meiner Empfindung gehörig, daß ich auf den Gedanken nicht verfiel, und jetzt mache ich mir doch Vorwürfe, daß ich es nicht tat. Du wirst wohl lächeln, daß ich wieder einmal außer mir bin; aber siehe, es ist herrlich um ein schwärmendes, hochwallendes Herz – es sind das Augenblicke, in denen wir uns ohne Vorwurf lieben dürfen auch die Nacht stimmt zu der Feier. Ich habe den Schreibtisch an das Fenster gerückt und dasselbe geöffnet, und sternenlos schaut sie zu mir herein; aber selbst so ist sie großartig, besonders wenn, wie eben, am Himmel geheime Rüstung ist. Es schlägt zwölf Uhr, kein Lüftchen geht, die Lenznacht wird immer stiller und wärmer, immer seltner kommt ans Ohr das schwache Rollen verspäteter Wagen aus mancher träumenden Gasse, und am Rande des Gesichtskreises lechzen die Erstlingsblitze, wie flüchtige Küsse der Mitternacht.
Ich war ans Fenster getreten.
Du große, weite, dämmervolle Stadt unter mir, ruhe wohl – auch ihr Herz, ein lebender, klopfender, fühlender Punkt unter den andern tausenden, pocht schlummernd in einem deiner Häuser. Über all die Dome und Paläste und Türme breitet sich stumm und elektrisch der Gewitterhimmel und brütet Fruchtbarkeit. In den Wohnungen der Menschen gehen die Träume aus und ein, und die Nacht fördert ihr Werk. Erst hatte sie über alle Dächer sanft das große Tuch des Schlummers ausgebreitet, und als sie alles zur Ruhe gebracht, und das Schweigen kam, dann löste sie hoch über den Lagern der begrabenen Menschen von ihrer erhabenen Trauerfahne sachte eine Falte nach der andern und ließ dieselbe endlich schwer und breit vom Himmel niederhängen.
[] Ich sah noch lange zum Fenster hinaus, und es ergriff mich, daß nun nicht ein Laut ertönte in diesem Vulkane menschlichen Treibens – selbst die Luft stand unbeweglich still. Endlich schlug es ein Uhr morgens, und es war, als hätte dieser eine Klang die hängende Lawine gelöst; denn gleich nach dem Glockenschlage wallte schlaftrunken durch den ganzen Himmelsschleier das erste tiefe, schwache Donnern, wie ein Traumreden der schlummernden Frühlingsnacht.
So ruhet wohl, alle Menschenherzen – und auch Du, unbekanntes Herz in Deinem schönen Busen, schlummre wohl – und auch Du, des fernen lieben Reisenden, schlummre wohl!
6. Wiesenbocksbart
12. Mai 1834
Die Nacht ist vorübergegangen und hat mancherlei geändert. Vom Himmel hat sie die Perlen der Fruchtbarkeit herabgeschüttet und ihn gänzlich rein gefegt, daß er mit dem klaren, frühen Morgengelb zu mir hereinsieht – die Schornsteine und nassen Dächer schneiden sich scharf gegen ihn, und die kühle Luft regt die Nachbarzweige und strömt zu meinem offen gebliebenen Fenster herein. – Ich schreibe noch im Bette.
Was ist es nun mit dem Menschen, wenn er heute dieser ist und morgen jener? Auch mein Herz, wie der Himmel, ist frisch und kühl und sucht sich auf gestern zu besinnen. Was ists nun weiter?
Hat die Flasche Rüdesheimer, die ich gestern zu meinen Nachteinbildungen getrunken, die Seele so voll Sehnsucht angeschwellt – und ist sie heute leer, so wie die Flasche, die dort so wesenlos auf dem Tische steht, daß das Morgenlicht hindurch scheint?
Was ists nun weiter?
[] Ein prachtvoller Blitz, eine schöne Rakete, eine ausbrennende Abendröte, ein verhallendes Jauchzen, eine gehörte Harmonie, ein ausschwingendes Pendel, – – und wer weiß, was es noch alles ist.
Mein Herz ist kraftvoll und jede Fiber daran gesund, und Du darfst schon heute auf Scherze rechnen, lieber Titus; denn wenn auch die zauberische Armida noch im Spiegel meines Innern schwebt, so ist derselbe doch ein fester, blanker Stahlspiegel, nicht das weiche Ding von gestern. Vor der Hand bleibt sie als Studie, als neue Kunstblüte da, als schönes Bild im Odeon, wo die andern stehen. Heute muß noch versucht werden, ob ich den Eindruck nicht in Farben herstellen kann, um mir seine reine Schönheit in alle Zukunft hinüber zu retten.
Da fällt mir nun ein närrischer Gedanke ein. Außerordentlich schwärmerische Menschen, Genies und Narren sollten gar nicht heiraten, aber die erste Liebe äußerst heiß, just bis zum ersten Kusse treiben – und dann auf und davon gehen. Warte mit dem Zorne, die Gründe kommen. Der Narr nämlich und das Genie, und der besagte schwärmerische Mensch tragen so ein Himmelsbild der Geliebten für alle künftigen Zeiten davon, und es wird immer himmlischer, je länger es der Phantasie vermählt ist; denn bei dieser ist es unglaublich gut aufgehoben; die Unglückliche aber, der er so entflieht, ist eben auch nicht unglücklich, denn solche herrliche Menschen, wie der Flüchtling, werden meist spottschlechte Ehegemahle, weil sie über vierzig Jahre immer den ersten Kuß und die erste Liebe von ihrer Frau verlangen und die dazu gehörige Glut und Schwärmerei – und weil er ihr nicht durch die Flucht so zuwider wird, wie er es als Ehemann mit seinen Launen und Überschwenglichkeiten würde, sondern sie sieht auch durch alle Zukunft in ihm den liebenswürdigen, schönen, geistvollen, starken, göttergleichen Mann, der sie gewiß höchst beseligt hätte, [] wenn er nur nicht früher fortgegangen wäre. Und ist eine solche Phantasie-Ehe nicht besser und beglückender, als wenn sie beide im Schweiße des Angesichts an dem Joche der Ehe tragen und den verhaßten Wechselbalg der erloschenen Liebe langsam und ärgerlich dem Grabe hätten entgegenschleifen müssen. – Bei Gott, Titus, da ich auch so ein Stück eines Phantasten bin, so wäre ich im Stande, wenn ich die Unbekannte je fände, mich immer tiefer hineinzuflammen, und wenn dann einmal eine Stunde vom Himmel fällt, wo ihr Herz und mein Herz entzündet, selig in einander überstürmen – – – dann sag ich ihr: »Nun drücken wir auf diese Herrlichkeit noch das Siegel des Trennungsschmerzes, daß sie vollendet werde, und sehen uns ewig nicht mehr – sonst wird dieser Augenblick durch die folgende Alltäglichkeit abgenützt, und wir fragen einst unser Herz vergeblich nach ihm; denn auch in der Erinnerung ist er verfälscht und abgesiecht.« So spräche ich; denn mir graut es, sollte ich auch einmal die Zahl jener Gestalten von Eheleuten vermehren, wie ich viele kenne, die mit ausgeleerten Herzen bloß neben einander leben, bis eines stirbt und das andere ihm ein schönes Leichenbegängnis veranstaltet. Himmel! lieber eine echte unglückliche Ehe, als solch ein Zwitterding.
Alle Millionen Jungfrauen Europas habe ich hier zu Gegnerinnen, weil sie meinen, alle künftigen Himmelreiche würden ja durch einen solchen Entschluß freiwillig bei Seite gestellt, und diese müßten gerade jetzt erst recht angehen, da die Aufschrift an dem Tore schon so schön gewesen sei – aber das Prachttor führt nur zu oft in einen artigen Garten, der sich in Steppen verflacht oder leider oft in einem Sumpf vergeht.
Groß müssen zwei Herzen sein, die, dem leise nagenden Zahn der Alltäglichkeit nicht untertan, sich in ein reiches Leben schauen lassen, wo die Grazie täglich in einer andern Gestalt auf dem Throne sitzt; – groß müssen sie [] sein und ohne Sünde. Dann dürfen sie getrost eingehen durch das Prachttor; für sie führt der Garten ins Unendliche.
Ein närrischer Gedanke heckt den andern aus. Ein solches Ehepaar – nein, zwei, drei, vier solche Ehepaare möchte ich an einem schönen See haben, zum Beispiel dem Traunsee, der so reizend aus schönem Hügellande ins Hochgebirge zieht. Dort baue ich zwei, drei Landhäuser fast altgriechisch einfach, mit Säulenreihen gegen den See, nur durch einen schönen Blumengarten von ihm getrennt. Aus dem Garten führen zehn breite Marmorstufen zu ihm hinunter, wo unter Hallen die Kähne angebunden sind, die zu Lustfahrten bereit stehen. Der Garten hat Glashäuser für die Tropengewächse – sie sind ganz aus Glas, mit eisernem Gerippe, nur äußerlich mit einem Drahtgitter gegen den Hagel überspannt. – Auch ganz gläserne Säle fehlen in ihm nicht, daß man wie in einer Laterne mitten in der Paradiesesaussicht schwebe. Von dem Garten wieder auf zehn Stufen steigt man zum Landhause, das den Eintretenden mit einer Säulenrundung empfängt. Diese Rundung ist durch Glas zu schließen, hat an der Hinterwand Sitze, und rings stehen dunkelblättrige Topfpflanzen, als da sind: Oleander, Kamelien, Orangen usw.
Zwischen diesen glänzen Marmorbilder. Zu den Seiten dieser Halle und über ihr sind die Zimmer, zu denen breite, sanfte, lichte Treppen mit Standbildern führen. Das ebene Dach ist ganz mit Blumen, Bäumchen und Sitzen bedeckt. Von ihm ragt der astronomische Saal empor. Auch ein paar Spiegelzimmer dürfen nicht fehlen, – von dem Fußboden bis zur Decke Spiegelebenen, im Vieleck gestellt, mit veränderlichem Neigungswinkel, daß man im lustigen Humor die Aussicht durch einander wirren und stückweise zerwerfen kann. Der naturwissenschaftliche Saal ist hinten im Baumgarten. Am Hause [] rückwärts bilden zwei Flügel einen Hof mit – nicht Ställen, sondern – Zimmern für die Tiere, die fast ängstlich rein gehalten werden. Man hegt deren allerlei, und jede Gattung hat ihren geräumigen Spielplatz. Der Obst- und Gemüsegarten ist sehr groß und liefert durch gute Pflege genug und erlesenes Obst in die Winterbehältnisse. Park ist keiner, weil ohnehin einer da ist, den die Natur meilenweit umhergelegt hat mit Seen, Strömen, Alpenwässern, Matten, Felsen, Wäldern, Schneebergen usw. – nur mit kunstlosen Pfaden und Ruheplätzen wird nachgeholfen, aber nur äußerst vorsichtig, daß ja nichts verkleinlicht werde. Die einzelnen Landhäuser – denn die Ehepaare sind die besten Freunde – sind durch Säulengänge verbunden, in denen im Sommer die Orangensammlung steht.
In diesem Tuskulum nun wird gelebt und eine Schönheitswelt gebaut. Der Himmel segnete die Ansiedlung mit Weltgütern (sonst hätten sie die Landhäuser gar nicht erbauen können), und keiner der Männer ist an ein sogenanntes Geschäft gebunden, das ihm die allerschönsten Lebensjahre wegfrißt und das Herz ertötet, sondern jeder weiht seine Tätigkeit nur dem Allerschönsten und sucht, so viel an ihm ist, das Reich der Vernunft auf Erden zu gründen. Wissenschaft und Kunst werden gepflegt, und jede rohe Leidenschaft, die sich äußert, hat Verbannung aus dem Tuskulum zur Folge. Kurz, ein wahres Götterleben beginnt in dieser großartigen Natur unter lauter großen, sanften Menschen. Auch für ihre etwa kommenden Kinder ist mir nicht bange; sie werden schon recht erzogen werden.
Ich gehe hin und bitte die Eheleute um des Himmels willen, sie möchten mich bei sich leben, malen und dichten lassen, als Kebsmann des Bildes meiner getrennten Zenobia, die ihrerseits wieder anderswo mit meinem Bilde in geistiger Ehe lebt.
[] Du siehst schon daraus, Titus, daß ich sehr bald überschnappe.
Aber der Gedanke von den Landhäusern ist nicht neu nur die trefflichen Ehepaare habe ich erst jetzt dorthin versetzt. Die Landhäuser sind schon seit 1830 fertig, das heißt ich suchte den Platz dazu aus, als ich im besagten Jahre den Juli, August und September an den Ufern dieses Sees zubrachte. Ich lebte damals abwechselnd fast an allen Punkten seiner Umgebung und oft ganze Tage auf ihm selber. Ja, ich muß nur meine ganze Schwäche eingestehen – ich malte das Traunkirchner Ufer dazumal und die fertigen Häuser bereits hinein. Sie stehen der Landschaft trefflich zu Gesichte. Vom Traunsteiner Ufer gesehen, sind sie weißglänzende Punkte; aber dem Näherschiffenden wachsen liebliche Säulen aus dem Wasser und flattern umgekehrt, wie leichtfertige Bänder, in dem schwanken Spiegel. Es sind ihrer mehrere gezeichnet worden, und ein Billionär, der sie etwa auf das großartigste ausführen wollte, kann täglich bei mir die Plane und Gemälde einsehen; ja ich wäre erbötig, dem Manne noch mehrere, die bis jetzt nur in meinem Kopfe sind, auf schönes Bristolpapier zu werfen. – –
Nun, Freund, da ich ausgeschwärmt, stehe ich Deiner letzten Frage und Klage Rede, daß ich nämlich immer in Phantasieen und Späßen herumjage und in meinem Tagebuche nichts von meinen persönlichen Verhältnissen anmerke. – Liebster, ich habe aber gar keine persönlichen Verhältnisse. Meine Seele bin ich, das heißt eben jenes spaßige, phantasierende Ding, das nebenher oft wieder gerührter ist, als kluge Leute leiden können. Willst Du aber auch von der Fassung dieses Dinges etwas wissen, so horche nur: Vier Treppen hoch liegt eine Stube Schreib-, Wohn-, Schlaf- und Kunstgemach – lächerlich sieht es drinnen aus! Dichter, Geschichtschreiber, Philosophen, auch Mathematiker und Naturforscher liegen [] broschiert auf dem ungeheuren Schreibtische – dann Rechentafeln – Griffel, Federn, Messer, ein Kinderballen – mein kleiner Hund braucht ihn zum Spielen – ein Fidibusbecher, Handschriften, Tintenkleckse- – – daneben zwei bis drei Staffeleien in voller Rüstung; an den Wänden Bilder, auf den Fenstern Blumen, und noch eigens eine Menge derselben auf einem Gestelle; dann eine Geige, die ich abends peinige, und rings Studien, Skizzen, Papiere, Folianten – Fuggers Ehrenspiegel des Erzhauses Österreich mit Stichen – dann noch anderes, woraus dem Eintretenden sofort klar wird, daß hier gelehrt gelebt werde und ein Junggesellenstand sei, in welchem eine große Anzahl Gulden Jahr aus, Jahr ein nicht da ist, wo aber Künste und Wissenschaften blühen und an Gefühlen ein wahrer Überfluß herrscht. – Hier nun lebt Dein Freund und verlegt sich auf das Schöne. Er liest eine Menge Bücher, läuft spazieren – ja, der Unglückliche geht oft drei Tage spazieren und gelangt zum Schneeberge, was dann zur Folge hat, daß er wieder drei Tage zurückspazieren muß; aber er tut es gern, und begeht da gerade die besten Pfingstfeste seines Herzens. Dann malt er fleißig an Vormittagen – dann wohnt er wieder einen Tag in einer Bilder- oder Büchersammlung macht abends Besuche oder geht gar in eine Schenke, wo ein Kränzchen von Bekannten wacker plaudern und alle Wissenschaften handhaben – oder er nimmt sein Geräte zur Hand und sitzt wochenlang auf den Bergen um Wien herum und will dort die Natur abkonterfeien. Wenn sie einen oder den andern Helden im Theater aufführen, so sitzt der frohe Kauz schon viel zu früh darinnen – manches Konzert kann er kaum erwarten; in die Oper und in das Ballett geht er gar nicht, der Einseitige – und in diesem Augenblicke wird er häufig in der Gemäldeausstellung und im Paradiesgarten gesehen. In manchen Familien haben sie ihn lieb, und er geht oft hin; in andern [] können sie ihn nicht ganz gut leiden, und er geht auch hin, wenn er sie gleich durch verschrobene Begriffe ärgert. Nun, ich denke, hier hast Du persönliche Verhältnisse genug – aber da ich einmal im Zuge bin, so fahre ich fort. Bekannte habe ich eine Menge, worunter zwei fast Freunde sind, – Lothar und der drollige alte Engländer Aston. Er scheint mit mir einen Plan zu haben – er hat überhaupt für sein Leben gern Plane – ich weiß zwar nicht was für einen, aber daß ein solcher in voller Blüte steht, leuchtet wie ein Zeichenfeuer aus seinem ganzen Wesen. Kein Mensch auf Erden leitet und ordnet so gerne als er. »Ich bitte Euch flehentlich,« sagt er, »lasset nur mich gewähren und verderbet nichts;« – dafür, wenn man ihm die Sache überläßt, darf man aber auch rechnen, daß sie bis ins kleinste meisterhaft ist – nur darf es nichts Wichtiges sein; das verpfuscht er. Er überrascht auch gerne und hat seine Heimlichkeiten; nur weiß man sie immer, meist aus den Schildwachen, die er mit Angst um das Geheimnis stellt. Sein Herz ist wie Gold, und ich kenne mehrere Züge des anspruchlosesten Edelmutes von ihm. Im übrigen reitet er unterschiedliche Steckenpferde und tut seiner Kappe jährlich ein paar Schellen und sauberes Pelzwerk zu, was ihm wohl Du und ich am wenigsten verargen können, denen gewiß derlei Glocken und Streitrosse nicht ausbleiben werden. Und am Ende ist mir ein phantasiereicher Greis mit seinen paar zugehörigen Narrheiten lieber, als jene erloschenen Menschen, die sich vorgestorben sind und ihren Körper wie das leere Fach der Seele hinfristen. Gegen mich ist er väterlich warm und will mein Glück machen, da er mich wirklich mehr liebt, als ich es verdiene; er traut mir nämlich des Guten nicht weniger als alles zu, was mich manchmal sehr beschämt; daher, wenn ihn andere Leute seiner Eigenheiten willen unleidlich finden oder lächerlich machen, liebe ich ihn dafür von ganzem Herzen – und[] kann stundenlang mit ihm spazieren gehen und ihn gewähren lassen, wie er teils erzählt, teils Plane dartut, teils verworrene Stücke seiner Vergangenheit herbeischiebt und im naiven Fortplaudern – weil er sich vor mir gehen läßt – arglos eine wahre Rumpelkammer eines Herzens auftut, worin Plunder und Kleinodien liegen, die nur niemand geordnet hat, weil die einzige Hand, die es konnte, und der er es mit geduldigster Liebe überlassen hätte, längst schon im Grabe liegt, – die seiner Gattin, deren leise, schöne Schritte in der Plunderkammer oft deutlich sichtbar werden, wenn der Zufall das eine oder andere unnütze Tuch von ihnen abhebt. Diese meine Schonung seiner Eigentümlichkeit mag ihm oft halb klar vorschweben und eigentlich das Band zwischen uns sein; denn das Anerkennen seiner Trefflichkeit teile ich mit vielen seines Umgangs – jene Schonung mit wenigen. So gut ist er gegen mich, daß, wenn ich so schlecht wäre, seines Vermögens halber einer seiner zwei Mädchen Liebe vorzuheucheln und sie zu gewinnen, er freudig sein Ja dazu sagen würde. Ohnehin weiß Wien nicht anders, als daß ich in die bedeutend schöne und noch dazu geistreiche Lucie, die ältere seiner Töchter, verliebt sei und deshalb sein Haus besuche. Man macht mir artige Worte über meinen Geschmack und lobt hinter meinem Rücken meinen Berechnungsgeist und mein Unterhandeltalent, mit dem ich den Vater gewinne.
Sonderbar ist mir noch eines, was ich hier anmerken muß, daß ich mich nämlich schon seit einiger Zeit mit einem Netze von Heimlichkeiten umgeben fühle, dessen Fäden ich oft sichtbar vor mir zu haben wähne, und wenn ich danach greife, so ist nichts da. Gestalten von Bedeutung sind zuweilen in meinem Bereiche, wiederholen sich und verlieren sich. Wünsche, die ich nie ausgesprochen habe, finde ich oft in meinem Zimmer verwirklicht. Nachfragen werden gehalten, Bestellungen gemacht, von denen [] ich nicht weiß, für wen, und so andere Dinge, die ich fühle, aber für den Augenblick nicht darstellen kann.
Das Allerverkehrteste ist aber das, daß meine unbekannte Südländerin, die stolze Zenobia, nichts weniger als eine Südländerin ist, sondern die russische Fürstin Fodor. Sie reist bloß durch, und zwar aus Frankreich kommend, wo sie mit ihrem Gemahle das Grab ihrer Eltern besuchte, die dort vor vielen Jahren auf eine gewaltsame und geheimnisvolle Weise umgekommen sein sollen. Sie wird in einigen Tagen nach Petersburg abreisen, um die dortigen Gesellschaften zu verherrlichen, wo sie mit ihrem Gemahle das schönste Paar sein soll. Woher ich dies alles weiß? – – Ja, noch mehr – – während ich hier schreibe, liegt ihr äußerst gelungenes kleines Abbild neben dem Papiere auf dem Schreibtische. Niemand anders nämlich wurde mit dem Auftrage beglückt, sie lebensgroß zu malen, als Freund Lothar. Er malte sie in ihrer Wohnung und färbte sich heimlich das kleine Bildchen zusammen, als einen Schönheits-Diebstahl, und lief sogleich zu mir, um damit meine Paradiesgartenschönheit, von der ich ihm erzählte, auszustechen.
Wie staunte er, als ich ihm sagte, die sei es eben – und beide wunderten wir uns über den Zufall. Er verschaffte mir später sogar, daß ich das große Bild selbst sehen konnte, zu welchem Zwecke er ein Mädchen der Fürstin mit Geld und Liebesworten bestach. Die Arbeit war schön, und obwohl er sagte, daß sie nicht von weitem an das Urbild reiche, so wiederholte sich doch an mir fast dieselbe Wirkung, wie damals vor jenem erhabnen Spiegel. Er ergötzte sich herzlich an meinem elektrischen Funkeln, teilte es aber nicht im mindesten, obwohl er zugab, daß diese Arbeit die schönste Belohnung seines Pinsels sei, die er je zu hoffen habe, und er wolle nun recht geduldig viele der häßlichsten Gesichter nachbilden. Er schenkte mir das kleine Gemälde, und ich bewahre [] es als Denkmal der sonderbarsten Wirkungen unserer Phantasie auf; denn die Fürstin soll hart und alt sein und von dem echtesten Ahnenstolze besessen; ich aber hatte alle Weichheit und Güte der schönsten Seele in die Züge dieses Bildes getragen. – Wenn sie längst in ihrem Norden ist, dann nehme ich erst das Bild echt her und dichte ihm alles an, was mir nur immer beliebt – ich wüßte nicht, wer mirs wehren könnte! Gute Nacht, Titus!
7. Himmelblauer Enzian
3. Juni 1834
Seit dem zwölften Mai gab es gar nichts; aber das Ende dieses Monats war eigentümlich genug. Das Wetter hatte sich lange zusammengezogen, und Anzeichen und Wahrsagungen und Ahnungen und alles ging vorher; nun ist es da – ich bin verliebt, und, bei Gott! ich nehme mir vor, es ganz unmäßig zu sein und den Becher tüchtig rasch hineinzutrinken, in den sie uns das himmlisch süße Gift tun.
Höre mich – ich will Dir alles schreiben. Am letzten Mai war ich bei Aston geladen und ging hin. Die Pastoralsymphonie wurde von lauter feurigen Verehrern des toten Meisters vortrefflich ausgeführt. Ich floh in sein Schreibstübchen, in das keine andere Beleuchtung floß, als eine sanfte Dämmerung aus einem dritten Zimmer, in welchem vier dicht bei einander stehende Lampen aus matt geschliffenem Glase die Milch ihres Lichtes ergossen. An dieses ferne Zimmer erst stieß der Saal, wo die Musik und die Gesellschaft war; ich war also so gut wie allein. Auf dem weichen, weißen Samte dieses Lichtes nun wallte die Symphonie zu mir herein und brachte alle Idyllen und Kindheitsträume mit, und je mehr sie schwoll und rauschte, um so mehr zog sie gleichsam goldne Fäden um das Herz. Wie ist diese Musik rein und sittlich gegen[] den leichtfertigen Jubel unserer meisten Opern! Auf unbefleckten, weißen Taubenschwingen zieht sie siegreich in die Seele.
Ich wäre ohne weiteres mit ihrem Ende fortgegangen, wenn dies auf eine andere Weise möglich gewesen wäre, als mitten durch alle Anwesende, deren Grüße, Fragen, Anreden, Gutenachtwünsche usw. mir unangenehm waren. Der letzte Ton war verhallt, und sogleich ging draußen ein Brausen an und ein Sesselrücken, und ein leidiges Tanzen begann. Im Lampenzimmer wurden gar Spieltische gestellt, und bis zu mir herein drangen die Streifenden. Sofort hob für mich die Langeweile an. Emma, die jüngere Tochter Astons, wollte, ich solle tanzen. Ich erwiderte, daß ich nicht starker Geist genug sei zu solchen Übergängen, wie unser Jungfrauengeschlecht, das dicht an Beethoven das Tanzen nicht verachte. »Doch ist jemand aus dem Geschlechte so stark,« sagte Emma lächelnd, »und sogar zwei sind es. Lucie und ihre altrömische Freundin, die Sie heute werden kennen lernen, – der weibliche Cato von Utika – oder von wo – sie sind sogar in den Garten hinabgegangen. Übrigens,« fügte sie bei, »mir hat die Symphonie sehr gut gefallen; aber jetzt gefallen mir sämtliche Tänzer auch, und ich kann mit meiner Empfindung nicht so breit tun, wie mit einem steifseidenen Gewande, und wie die andern, und so ade, Herr Aristoteles.« Sie knickste ernsthaft und schwebte künstlich zwischen all den Klippen der Spieltische, wie ein leichtes Fahrzeug, hinaus in die wogende See des Tanzsaales.
Nach dem Garten hätte ich wohl auch ein Gelüste getragen, aber ich mußte es nun aufgeben, um die zwei Freundinnen nicht zu stören, die ihn wahrscheinlich für ganz unbesucht hielten. Ich trat daher, wie gewöhnlich, Reisen durch alle Zimmer und durch die Gruppen darin an, und als ich im Bedientenzimmer die Pulte und Reste [] der Symphonie, wie ein kahles Feuerwerksgerüste, antraf, hatte ich eine Art Schmerzempfindung, wie bei dem Anblicke eines abgebrannten Hauses. Auf dem Rückwege geriet ich zwischen die Wimpel und Fahnen mehrerer Putzhauben, die zusammenstaken und verleumdeten. »Beide«, hörte ich sie sagen, »sind im Garten, und sie macht die Lucie noch zu derselben unnatürlichen Figur, wie sie selbsten ist. – Gott genade dem Manne, der eine solche verschrobene....« Mehr hörte und wollte ich nicht hören.
Arme Angela, dies ist nun seit einer kleinen halben Stunde schon die zweite harte Äußerung über dich – noch dazu an deinem Namenstage – so dachte ich und nahm mir vor, sobald sie heraufkäme, sie mir zeigen zu lassen und sie gerade recht mit Auszeichnung zu behandeln, namentlich auch, um die Putzhauben zu ärgern.
Ich trat wieder unter die Tanzenden – alles – die herumfliegenden Gestalten, die glühenden Wangen und strahlenden Augen der Mädchen, das Vergnügen der zusehenden Mütter, selbst die spielenden Herren – alles nimmt nun in meiner Erinnerung eine rührende Gestalt an. Ich werde den Grund angeben. Als ich nämlich sattsam wie ein Irrstern unter diesen Wandelsternen herumgeschweift war, ließ ich mich endlich häuslich nieder vor einer Rheinweinflasche, die mir Aston immer aus Vorliebe gibt, und rief einen Bekannten herzu, der ebenfalls ein Fremdling in der Tanz- und Spielwelt war. Wir gerieten ins Plaudern, während der Tanz draußen schleifte und schwirrte und rauschte. Unser Tisch war gleichsam ein Landsitz außerhalb dieses Stadtgewühls; denn er stand im Schreibstübchen, das aber jetzt beleuchtet war. Im Zimmer daneben und im dritten, im Lampenzimmer, saßen hartnäckige Whistgesellen. Wir hatten bereits die zweite Flasche angebrochen und handelten den Virgil ab, die musikalischste Muse der Römer, als sich folgendes [] ergab. Mein Nachbar pries seine Zartheit in der sinnlichen Malerei, in der er fast an die Griechen reiche, und sagte die Stelle als Beleg:
Aber weder er noch ich wußten den schönen Vers zu Ende – da sprach unglaublich sanft eine weibliche Stimme hinter mir:
et dono divum gratissima serpit.
Ich sah neugierig um und – lege den größten Maßstab an mein Erschrecken – dicht hinter meiner Stuhllehne an der Seite Luciens, von unserer Lampe scharf beleuchtet, schwebt das Gesicht aus dem Paradiesgarten – dasselbe edle, sanfte, unbeschreiblich schöne Angesicht in der ersten Blüte der Jugend, dieselben Augen, zwei Sonnenräder, nur darüber dämmernd die langen, feinen Wimpern, wie Mondesstrahlen. Ich war aufgesprungen und starrte sie töricht an, während sie mit tiefem Purpur übergossen wurde.
»So schlagen Sie mich überall aus dem Felde, schöne Feindin«, sagte mein Nachbar, der auch aufgestanden war und sich artig lächelnd verbeugte; »auch im Virgil sind Sie mir überlegen.«
»Hier führe ich Ihnen«, sprach Lucie, »meine liebste Freundin auf, die längst versprochene Angela« – und dann zu ihr gewendet – »dies ist der bescheidene Maler der Umgebungen Wiens.«
Wir verbeugten uns gegenseitig.
Mein Nachbar sprach sogleich darein und benahm sich überhaupt wie ein Bekannter Angelas.
In diesem Augenblicke trat auch Aston herbei, und in seinem Angesichte war ein Weltmeer von Freude zu sehen über die gänzlich gelungene Überraschung, von der er alles und jedes auf seine Rechnung setzte, was an Ratlosigkeit in meinem Gesichte mußte sichtbar gewesen [] sein. Freilich konnte er den Grund meiner lächerlichen Verlegenheit nicht ahnen, die mich immer von neuem erfaßte, wenn ich sie ansah und die in mir herumringenden Gestalten in eine erträgliche Ordnung zu bringen versuchte. Diese also ist die verschrobene Angela, sie ist aber auch die Fürstin – und wer stand denn nun vor dem Hochspiegel – wer ist denn das lebensgroße Bild, wer das kleine Abbild? und Lothar sitzt höllischer Weise auf dem Hochschwab und malt dort Naturstudien und kann keinen Teufel aufklären – wenn er nicht gar selber im Komplotte steckt und sich zu guter Zeit auf und davon gemacht hat. Im ganzen goldnen Lamme wohnt ja die Fürstin, wenn sie nicht schon davon gefahren ist; das weiß ja ganz Wien, und daß sie von dem jungen Maler außerordentlich getroffen wurde, erzählt auch ganz Wien – und daß ich das lebensgroße Bild selber im goldnen Lamme sah, schon im Rahmen, schon an den Boden der Reisekiste geschraubt, weiß ich mit Gottes Hilfe auch, und hier steht sie im einfachsten Kleide und lächelt mich an! – In meinem Zimmer – wenn es sich nicht unterdessen in eine Kohle verwandelt hat – liegt das kleine Bild, auf dem sie auch steht! – Dann die seltsame Lage hilft ihr auch noch, mich zum Narren zu machen, daß nämlich zweimal dasselbe ungewöhnlich schöne Angesicht allemal dicht vor meinen Augen in der Luft hing und zauberte, statt daß es ordentlich in der deutlichen Sehweite gesessen wäre zu verständiger Betrachtung und Anschauung. Und alle machten sie so unschuldige Gesichter, als wäre auf dem ganzen Erdboden kein trübes Wässerlein – oder gelang dem Aston dieses Mal eine meisterhafte Verwirrung? Wenn nur die Fürstin noch da ist, so warte ich morgen tausend Stunden vor dem goldnen Lamme, daß ich sie ausfahren sehe, und Lucie – denn das Teufelchen Emma sagt nichts – muß heute noch Rede und Antwort stehen. Eine solche Ähnlichkeit zwischen [] zwei wildfremden Menschen ist gar ganz unmöglich; das muß ich verstehen, der ich schon über hundert Angesichter malte.
So dachte ich ungefähr in dem Augenblicke, als ich vor ihr stand; was ich aber geredet habe, weiß ich nicht mehr. Ersprießlich muß es nicht gewesen sein; denn sie wurde sichtbar verwirrt und errötete wiederholt, und Lucie machte immer größere Augen.
Aston sprang uns allen, wie ein Engel des Himmels, bei, als er die Nachricht brachte, draußen stehe alles aufgedeckt, und man warte schon auf uns zum Speisen.
Auf dem Wege ins Tafelzimmer nahm er mich am Arm, während die zwei schönen Mädchengestalten vor uns gingen, und flüsterte mir ins Ohr: »Hab ich Ihnen mit dieser das Konzept verrückt? – und sie wird Ihnen sogar zu einem Bilde sitzen, wenn es Lucien gelingt, sie vollends zu überreden; denn nur ihr, als Freundin, wolle sie ein Bild von sich als Andenken überlassen. Dann wird sie gleich lebensgroß gemacht; die Kleiderverhältnisse wählen Sie selber, und ich stehe Ihnen bei, und wenn wir sie überreden, daß sie Ihnen zu Ruhm und Glück dadurch verhelfen kann, so erlaubt sie auch, daß das Bild in die Ausstellung darf, und dann ist Ihr Ruf gegründet, Freund. Diese ist einmal ein Gegenstand, durch den sich ein Künstler Ehre gewinnen kann. Die ganze Männerschaft ist verloren, wenn sie das Bild anschaut, und verliebt sich bei dieser Gelegenheit auch in den Künstler, und die Weiber werden sofort alle von Ihnen gemalt sein wollen, weil sie meinen, sie würden dann auch so hübsch aussehen und so prachtvoll zwischen dem Goldrahmen sitzen. Wären Sie nur letzte Zeit nicht so halsstarrig gewesen – sie hat sogar einige Male nach Ihnen gefragt so hätten Sie sie schon längst sehen können; denn mein Plan war es schon vom Winter her, Ihnen mit ihr den Verstand zu zerrütten. Aber es ist nicht aller Tage Abend[] – ich könnte Ihnen noch allerlei Dinge sagen; aber gegebene Worte muß man halten – man muß sie halten.«
Mittlerweile gelangten wir an den Tisch, und er setzte mich ihr gegenüber. Meine Ruhe war durch den Gang ziemlich hergestellt, und ich saß voll Gelassenheit zwischen zwei schönen angewiesenen Tischnachbarinnen nieder, um mein Gegenüber auch einmal mit Ordnung und Verstand zu betrachten und über selbes zu richten.
Aber gefährlich blieb es; denn selbst jetzt, in dieser Prosa des Anschauens – das Himmelsbild setzte gar eine Tasse mit Rindsuppe an den Mund – verspürte ich doch gleich beim ersten Blicke wieder etwas von jener Zauberei, wie vor drei Wochen im Paradiesgarten. Ich sprach daher mit meiner Nachbarin rechts über das auserlesene Wetter; dann mit meiner Nachbarin links auch über das auserlesene Wetter – es ist aber auch wirklich auserlesen, wie es hier seit dem Jahre 1811 nicht gewesen ist; so sagen die Weinkenner – dann aß ich, reichte Teller herum, mischte mich in Gespräche und verlegte mich überhaupt auf die Unbefangenheit. Aston sah verschmitzt aus. Man sprach über die Symphonie und stritt. Ich mischte mich ein. Auf einmal, mitten in dem allgemeinen Brausen, tönte wieder die unglückselige, sanfte lateinische Stimme, aber diesmal deutsch. – Ohne Verzug lagen meine Augen drüben und begegneten einem großen, unschuldig schönen Blick voll Männerernstes. Sie fing eben an, den armen Ludwig gegen zwei ältliche Frauen zu verteidigen, die ihm Überspanntheit und Verworrenheit vorwarfen. Ein alter Herr mit schneeweißen Haaren – er hatte das Violoncell gespielt – stimmte ihr bei und ereiferte sich jugendlich für seinen Liebling, wofür ihn das schönste Augenpaar des Saales einigemal recht töchterlich lieb ansah. Der ewig alte Hader, in den man allezeit gerät, wenn man von Beethoven spricht, ob er oder Mozart vorzuziehen sei, entstand auch hier und ward mit Hast verfochten. [] Alle Damen waren Mozartistinnen und ein großer Teil der Männer – Angela stand für Beethoven, unterstützt von dem greisen Violoncellisten und mir. Lucie mischte sich nicht ein; aber Emma sehr heftig für Mozart. Aber es war von beiden Seiten wenig zu gewinnen; denn gleich nach dem ersten Worte bemächtigte sich das mit starken Herren besetzte Südende des Tisches der Frage, und eine lärmende Kriegsfurie brach los. Sogleich schwieg Angela, und nur gleichsam sich entschuldigend und dankend wandte sie sich zu mir und sagte: »Ich bin nicht Kennerin genug, um anders als nach meinem Eindrucke zu urteilen; aber mich reißt es hin, wo, wie in der Natur, großartige Verschwendung ist. Mozart teilt mit freundlichem Angesichte unschätzbare Edelsteine aus und schenkt jedem etwas; Beethoven aber stürzt gleich einem Wolkenbruch von Juwelen über das Volk; dann hält es sich die Hände vor den Kopf, damit es nicht blutig geschlagen wird, und geht am Ende fort, ohne den kleinsten Diamanten erhascht zu haben.«
Mir war das Urteil aus der Seele gesprochen; aber ich war eigentlich nicht im Stande, etwas recht zu genießen, weil es in mir noch immer durcheinander ging und mir niemand gutstehen konnte, daß ich nicht jeden Augenblick mit der Frage herausfahre, ob sie denn ganz und gar und ohne weiteres die Fürstin Fodor sei, die mit ihrem Gemahle nach Rußland gehen werde, um dort die Leute zu bezaubern; aber dies ist ja unmöglich, denn sie ist Luciens Jugendfreundin, und ich werde sie diesen Sommer malen; aber dennoch ist sie mit jeder Linie und Färbung des Angesichtes mein kleines Abbild, das ich von Lothar erhalten hatte. Diese Doppelgängerei fing nun an, etwas Unheimliches zu gewinnen. Ich mußte sie mir hier und zugleich beim goldnen Lamme oder gar bereits in einer polnischen Herberge schlafend denken. Das beklagenswerte Essen nahm auch kein Ende, und da der [] Streit noch immer heftig währte, so konnte auch kein vernünftiges Wort aufkommen. Deshalb blieb mir nichts übrig, als daß ich sie mit Muße betrachtete.
Titus, sie ist wahrlich und wahrhaftig unbegreiflich schön, zumal im Profil; da zeichnet sich die schönste Linie in die Luft, welche das Weltall besitzt, und die man versucht wird, sich nur ein Mal daseiend zu denken. Hinter ihr war an den Wänden dunkelsamtnes Gehänge, und bei jeder Wendung schnitt sich das hellbeleuchtete Angesicht aus rabenschwarzem Grunde. In unsern Zeichenbüchern ist diese Linie noch nicht; sie stammt aus der schönsten Zeit des alten Perikles – und wenn sie sich dann plötzlich zu dir wendet und die beiden Augen auf dich richtet, in denen etwas Treuherziges und Schwärmerisches ist, so wird das Bild wieder ein ganz neues, und aus der Antike springt eine romantische Shakespearesgestalt. Wenn unter dem eine törichte und verschrobene Seele voll Albernheit wohnt, wie Aston und jeder von ihr sagt, so ist es die schmerzlichste Ironie, und ich möchte dann den Apoll von Belvedere zertrümmern; denn was hat denn Schönheit dann für eine Bedeutung, als daß sie geradehin nur Grimm des Herzens aufrühren mag? Aber ich glaube es nun und in Ewigkeit nicht. Ich wollte nur, Du könntest sie sehen, mein Titus; eine Last dunkler Haare, daraus hervorleuchtend die weiße Stirn voll Sittlichkeit, adelig geschnitten von zwei feinen Bogen, und darunter die zwei ungewöhnlich großen, lavaschwarzen Augen, brennend und lodernd, aber mit jenem keuschen Madonnenblicke, den ich an feurigen Augen so sehr liebe, sittsam und ruhevoll – Du würdest wähnen, in dieser Klarheit müsse man bis auf den Grund der Seele blicken können – und wenn sie mit dem weichen, klugen Munde doch so blöde lächelt, so meint man Pallas Athene als Kind zu sehen.
Wie ich ihr so gegenüber saß, schwoll mir das Herz wehmütig [] an und sehnsuchtsweich, und ich hatte das Gefühl, hinter allem diesem berge sich vielleicht ein seltener Glanz, dem sich kein Mann nahen dürfe, als nur mit dem schönsten Geistesschmucke; sie aber stehe unter der Menge wie eine Fremde, deren Sprache man nicht kennt. Jedenfalls muß ihre Erziehung von der gewöhnlichen abgewichen sein; denn in all ihrem Tun war ein gewisser Zuschnitt, der etwas Fremdes hatte. Dies gab ihr einen Schein von Unbeholfenheit oder Ziererei – besonders da sie, wie oft pedantische Gelehrte, zuweilen geradezu gegen alle gewöhnliche Art verstieß, wie es das seichteste Gänschen nicht gemacht hätte, während oft ein Schimmer hervorbrach, den freilich das Gänschen auch nicht machen konnte, ja, ihr verargte. Mir erschien sie dadurch noch reizender, wie jene Tropenblumen, die dem ersten Blicke des Nordländers fremdartig, ja lächerlich sind, dem öftern Beschauer aber immer dichterischer werden und die fernen Wunder ihres heißen Vaterlandes erzählen.
Champagner kam; denn von Astons Sitze schollen dessen Begrüßungsschüsse, und bald, da jene schlanksten aller Gläser rings gefüllt waren, tönte es: »der Namenstag hoch!« Sie stand auf und dankte; ein Knäuel von Gläsern drängte sich an ihres, um anzustoßen; sie stand mild, wie eine Märtyrerin, und ließ den Wirrwarr über sich ergehen. Manche kamen zwei-, dreimal, um anzustoßen, ich weiß nicht, ihretwegen oder wegen des Champagners. Endlich, wie alles in der Welt, nahm auch dieses Glockenspiel ein Ende, und sie setzte ihr Glas nieder, ohne einen Tropfen zu kosten.
Auch andere Sprüche brachen los; man stand schon teilweise an dem Tische, – da kamen zwei schöne Arme von rückwärts um sie geschlungen und zogen sie küssend in eine Umarmung und in einen Glückwunsch – Lucie war es – auch Emma kam, und Rosa und Clara und Lina, und wie sie alle heißen: auch die verleumdenden Putzhauben, [] und zogen sie in Wünsche hinein und von dem Tische hinweg.
Deinem armen Freunde war es nun, als hätte man alles Licht aus dem Saale fortgetragen, in welchem es bereits lustig und laut zu werden begann. Dichte Gruppen taten sich um die Flasche zusammen, und alle redeten wie die Apostel am Pfingstfeste, in lauter fremden Zungen, daß ein eitel Gebrause und Gesause wurde. Ein junger Mann mit dem richtigst gezeichneten Angesichte, was ich je sah, schritt auf mich mit seinem Glase zu, um anzustoßen. »Auf Ihr schönes Gegenüber«, sagte er; »wir zwei allein stießen vorher mit ihr nicht an.« Also hatte er es auch bemerkt – ich habe wohl gesehen, wie er nicht anstieß, – vielleicht aus demselben Grunde wie ich, weil ich ihr nämlich nicht auch noch zur Last sein wollte.
Ein neues Tanzen jubelte draußen los, vom Champagner angezündet, und trieb seine hochgehenden Wogen herein in den trüben Schwemmteich von Reden, Streiten, Lachen, Scherzen, daß ein tosendes Meer um die Ohren kochte.
Ich stand auf, unendlich erleichtert, daß ich von dem Tische losgeschmiedet sei und dem sinnverwirrenden Klingen und Schleifen und Schweifen und Reden und Brausen entfliehen könne. Mein Weg führte durch das Tanzzimmer, und es kam mir vor, als seien der Paare noch einmal so viel geworden, und als würden sie ohne Ende mehr, wie sie von einer tollen Galoppe herumgeschleudert wurden, immer schneller und schneller, weil einer, der auf dem armen Piano wie mit Keulen hämmerte, den Kreisel wie zur Lust immer bacchantischer drehte, vom Fieber angesteckt und alles ansteckend. Ich haschte mit den Augen nach Gesichtern, und wie die Mädchen vorüberjagten mit dem wilden Wangenfeuer, unschön, mit den hartroten Antlitzen, so fürchtete ich, auch ihres in dem Zustande zu sehen – aber es war nicht [] darunter. Ich war, wie allemal beim Anblicke solches Überschäumens bloßer Lustigkeit, traurig geworden und ging gerne weiter.
Im Lampenzimmer endlich, wo noch die Kartenruinen lagen, stand sie, aber eingewickelt in einen Ballen von Freundinnen und Feindinnen, die Glück wünschten, und von Männern, die den Hof machten. – So hat denn heute Aston, wie jener König im Evangelio, die Blinden und Lahmen und die ganze Wiener Stadt und den Erdkreis zu diesem Feste eingeladen, daß die Menschen kein Ende nehmen wollten!! Ich ging noch weiter in das nächste Zimmer, wo endlich bloß drei waren, die Langeweile hatten, und ich setzte mich dort in einem Winkel als vierter nieder.
Ich war unsäglich traurig und konnte mich der tiefsten Schwermut fast nicht erwehren. Ich sah durch die Türen in alle Zimmer zurück, die ich durchwandelt hatte, und lud meinen armen Augen die Last aller Bilder derselben auf: den fernen, schwarzen Grund der Männer im Tafelzimmer, undeutlich wogend und im Lichterrauche schwimmend – auf diesem Grunde gedreht, gewirbelt, gejagt der weiße Kranz der Galoppe, seinerseits wieder zerschnitten durch die stehenden Gestalten und Gruppen im nächsten Zimmer herwärts – durch die wieder manche ganz im Vordergrund wandelnde Gestalt bald eine schwarze, bald eine weiße Linie zog – und auf diesen Wust von Bildern und Farben, noch dazu wankend und wallend in einem betäubenden Lichterglanze, zeichnete sich ihre Gestalt, die einzig ruhige, wie in die wimmelnde, zitternde Luft eine liebliche, feste fata morgana.
Leider kam nun Aston zu mir herein, der mich suchte, und fing zu reden an. Er glänzte von Wein und Freude und unterhielt sich nach seinem Ausdrucke ›köstlich‹. Er sagte, wenn er reden dürfte, so könnte er mir Dinge sagen – Dinge – aber es werde sich alles, alles aufklären, [] und da irgendein anderer Mensch, den er nicht nennen dürfe, schon einmal verrückt sei und das eigne Unglück wolle, so werde alle Welt sehen, daß sein Plan, Daniel Astons Plan, der beste war und von Alpha bis Omega in Erfüllung gehe. Was Angela betreffe, müsse er bemerken, daß es eben kein Wunder sei, wenn ich mich in sie verliebe; das taten schon sehr viele; aber ein großes wäre es, wenn sie sich in mich verliebte – das tat sie noch nie. Er traue mir zwar viel zu, was Weiberherzen gewinnen könne; aber sie sei auch nicht wie andere Weiber, sondern ihr Lehrer habe ihr allerlei Dinge beigebracht, die seltsam und ungewöhnlich seien – für eine gute Hausfrau tauge sie gar nicht, weil ihr alles und jedes Praktische fehle – jedoch sie wäre schon abzurichten, da sie in allen Narrheiten, wozu sie sich gelegentlich wende, mit der musterhaftesten Ordnung und mit größtem Erfolge vorgehe; nur seien leider das Dinge, die alle nichts nützen und gegen Herkommen und Brauch seien. »Unter uns gesagt: sie kann gar nicht einmal kochen. Aber verlieben Sie sich immerhin.« Er wollte mich durchaus hinausführen, aber ich lehnte es entschieden ab und war froh, als er endlich von dannen ging. Mittlerweile entführte der Tanz eine Freundin nach der andern von Angela, und sie stand zuletzt nur noch mit einem Manne im Gespräche, demselben jungen, schönen Manne, der mit mir auf ihre Gesundheit angestoßen hatte. Auch Emma schwirrte einmal durch das Lampenzimmer in den Tanz, der unaufhörlich toller und toller hereintönte.
Da trat der Violoncellist zu mir und fing an, über Beethoven zu sprechen und über den guten Takt des schönen, fremden Fräuleins in Beurteilung des größten aller Tondichter.
Das schöne, fremde Fräulein hatte sich indes auf einen Diwan niedergesetzt, und der schöne, fremde Herr stand vor ihr.
[] Mein Nachbar zerlegte mitten im Klingen und Singen der Tanzmusik kunstgerecht die Pastoralsymphonie und zog mich doch zuletzt ins Interesse, weil er aus dem Tonstücke Erinnerungen zurückrief, die sich eben jetzt an mein gewitterschwüles Herz wie Engelsflügel legten, weil sie wie reine Lichtstrahlen abstanden von der roten Pechfackel der Tanzmusik, die eben draußen in jubilierender Sinneslust geschwungen wurde. Ich sprach endlich hingerissen einige heiße Worte über die Symphonie, und als meine Empfindung in der Stimme erkennbar geworden sein mußte, drückte mir mein begeisterter Nachbar, wie ein Kind gerührt, beide Hände, und mir kam das Haarsilber auf seinem schönen Greisenhaupte doppelt ehrwürdig vor.
Auch er schied endlich, und als ich aufblickte, war auch sie und ihr Gesellschafter fort, vielleicht gar zum Tanze; auch meine Genossen, die drei langweilenden Gesellen, waren verschwunden, und das Zimmer stand ganz leer; nur aus dem Spiegel gegenüber starrte mein eigenes Angesicht.
Da saß ich nun und wußte durchaus nicht, was in der nächsten Zeit zu tun sein werde.
Endlich ging ich wieder in das Tanzzimmer, ob ihr denn nicht auch das Tanzen anders lasse als den andern. Man führte jetzt eben Figuren aus, was ich viel lieber sehe als das leere Galoppjagen – aber sie war nicht bei den Figuren. Bei einer alten Frau saß sie und redete äußerst freundlich mit ihr.
Ich weiß es nicht, was mich denn so zauberisch bindet. In ihren Augen – in der Art, sie zu heben oder zu senken, oder hinträumen zu lassen in dichterischer Ruhe – in dem Munde, wenn auf ihm das Licht des Lächelns aufgeht selbst in der Hand, die eben jetzt wie ein weißes Apfelblütenblatt auf ihrem schwarzseidnen Kleide lag – – in allem, in allem ist ein Stück meines eignen Herzens, was [] mir hier nur unsäglich reizender und inniger zur Anschauung kam.
Ich ging wieder in das leere Zimmer zurück. Fraget mich nicht, warum ich denn eine so große, feierliche, unabweisbare Empfindung in mir zurücktrug – ich weiß es nicht. Unter allen, die da freudig hüpften und freudig zusahen, ist nur ein einzig Herz, mein Herz ist es, das bitterlich weinen möchte. Sie ist der unschuldige Gegenstand, daß eine Empfindung in mir emporschwoll, ungeheuer, riesig, wohl- und wehmütig, verwaist und einsam in dem Herzen liegend – mir war, als hätte ich bisher keinen Freund und keine Freundin gehabt!!
Endlich war der Tanz aus, und die erhitzten Paare fluteten herein.
Jetzt mußt' ich Lucien sprechen. Sie trat auch zu mir, Angela und die hochatmende Emma am Arme führend.
Wie ganz anders sind die Worte, die man einer geliebten Gestalt in Gedanken sagt, als wenn sie dann vor uns tritt und das dumme Herz erschrocken zurücksinkt und eine Flachheit vorbringt.
Emma sagte, ich sei heute der unerträglichste Mensch; auch Lucie fand mich verstimmt. Ich entschuldigte mich, daß ich nicht tanze und also nichts zum allgemeinen Vergnügen beitragen könne. Angela sagte, daß sie mich schon lange aus meinen Bildern und aus den Beschreibungen kenne! die ihre zwei Freundinnen von mir machten, und es sei gar nicht schön von mir, daß ich ihr fast absichtlich auswich; – ich errötete heftig und konnte es zu keiner Entschuldigung bringen. Indessen kamen wir zu einem Sitze; alle drei setzten sich, und ich blieb vor ihnen stehen.
»Jetzt müssen Sie aber sehr oft kommen«, sagte Lucie, »und unsere liebe Freundin kennen lernen; sie ist es wohl ein wenig wert.« Hierbei sah sie dieser lieben Freundin zärtlich ins Antlitz und nahm ihre weiße Hand.
[] »Und er ist es auch erschrecklich wert«, entgegnete Emma; »denn er ist der liebenswürdigste Pedant, der je einem Mädchen Langeweile machte.« Unverzüglich nahm sie auch meine Hand, ihre Schwester äffend, und legte alle vier Hände aufeinander, so daß meine auf Angelas kam, und denke Dir, Titus! dies war mir peinlich ich zog sie fast unartig zurück. Angela zog ihre auch weg und legte sie wie dankend auf die Schulter Luciens und hob dabei, wie eine griechische Priesterin, das schöne Haupt.
Plötzlich, als sie meiner Phantasie das Bild einer antiken Priesterin bot, fiel mir ihr Latein ein, und ich griff hastig nach diesem Gesprächsanker, mit der Bemerkung, daß es wohl ein seltner Fall sein möge, daß ein Mädchen den Virgil in der Ursprache lese.
»In gar keiner sollte man den langweiligen Menschen lesen«, meinte die ewig dareinsprechende Emma.
»Als nur in der Ursprache«, entgegnete Angela; »weil selbst in der besten Übersetzung drei Vierteile verloren gehen und das vierte seelenlos bleibt.« Dann, zu mir gewendet, fuhr sie wie entschuldigend fort: »Ich kann aber auch sehr wenig; mein gütiger Lehrer erzählte mir eine so schöne Geschichte von den Taten der alten Heiden, daß ich ihn bat, mich auch ihre Sprache zu lehren, ihre Seele, wie er sagte. Er tat es, und ich lernte auf diese Weise ein weniges.«
»Also können Sie auch Griechisch?« platzte ich heraus, sie mit offenen Augen anstarrend.
Jungfräulich errötend und fast erschrocken durch meine Hast, sagte sie verwundert: »Ja« und sah mich verlegen an.
Emma, die einen Instinkt hat, zu rechter Zeit drollig zu sein, sagte: »Sie lernt noch die Taktik, wenn Sie ihr einen Meister auftreiben.«
»Warum nicht?« entgegnete Angela; »wenn man nicht so [] traurig werden müßte, daß es unter vernünftigen Geschöpfen noch eine solche Wissenschaft geben kann.« – – »Habe ich etwas Unschickliches gesagt?« fragte sie plötzlich Lucien, wahrscheinlich weil sie an mir die äußerste Verwunderung merkte und nicht deuten konnte.
Die sanfte Lucie nahm nun das Wort, indem sie den früher um Angelas Nacken geschlungenen Arm herabzog und die schöne Gruppe auflöste und sagte: »Sie müssen nämlich erfahren, daß unsere Freundin nicht in Wien erzogen worden ist und auch nicht von einem Manne, der mit unsern Sitten sehr einverstanden wäre. Wenn Sie uns nicht schon geraume Zeit her so sehr vernachlässigt hätten, so hätten Sie ihn kennen gelernt, da er die letzte Zeit fast täglich in unser Haus kam; aber eine seiner ewigen Reisen führte ihn mit seiner Schwester nach Frankreich, von wo er kaum vor September zurück sein wird. Der Vater hat ihm von Ihnen so viel Gutes gesagt, daß er Ihre Bekanntschaft verlangte. Aber er mußte abreisen, ehe dies bewerkstelligt werden konnte. Seine Schülerin kennen Sie jetzt in unserer Angela; seiner Tante werden wir Sie später vorstellen; auf ihn und die Schwester aber müssen Sie bis zum Herbste warten. Ich bin der vollsten Überzeugung, daß ihr euch gegenseitig sehr gefallen werdet.«
»O, ich auch der vollsten«, sprach Emma drein; »da wird ein Leben losgehen, närrische Leute die Hülle und Fülle: Sie, er, seine Schwester, Fräulein Natalie, Angela, ich, die zärtliche Schwester Lucie beginnt auch schon, der Vater obendrein, – die Plane sollen sich kreuzen und mehren und verwirren; wir müssen noch mehr solches Zeug herbeischaffen – Sie haben ja da einen neuen Freund angeworben – Disson, glaub ich, heißt er – den Sie so sehr lobten – der wird doch auch einen oder den andern Sinn verkehrt haben – diesen bringen Sie – und in den Pyrenäen reist auch einer, den Sie neulich lobposaunt [] haben: der muß auch herbei, und wenn der Vater so fortsammelt, dann erleben wir die lichte Freude: auf Erhabenheit verlegt, Überschwenglichkeit getrieben – und zuletzt Lieb' und Heiraten aller Orten und Wegen: Sie mich, Angela ihren Lehrer, – – nein, der ist für sie zu ruhig: ich den Lehrer, Sie die Angela, Lucie den Lothar, Natalie den spanischen Reisenden – – nun, ich denke: dann sind alle unter Dach gebracht.«
Lucie, die seit dem Tode der Mutter eine Art sanfter Vormundschaft über den jungen Wildfang übte, verwies ihr lächelnd ihre unartige Übermütigkeit. In den lebhaften jugendlichen Augen glänzte so eben ein neuer Übermut; aber in dem Augenblicke stob eine ganze Spreu von weißen Mädchen herbei, gefolgt von jungen Männern, die alle über den Schlußtanz unterhandelten. Emma war sogleich mitten drinnen, hielt kurze Staats-Versammlungsreden und stimmte unmittelbar darauf. In diesem Augenblicke ergriff ich die Gelegenheit, endlich einmal mit meiner Paradiesgartenbegegnung hervorzukommen – vor Emma wollte ich nicht. – Ich erzählte etwas lügnerischer Weise, daß es wahrscheinlich eine russische Fürstin gewesen sei, die ich unlängst im Paradiesgarten vor dem schwarzen Hochspiegel sah und die mit dem gegenwärtigen Fräulein die vollständigste Ähnlichkeit habe, die ich je auf Erden gefunden; darum habe es mich so sehr verwirrt, als ich heute dieselbe Gestalt und dasselbe Angesicht hinter meiner Stuhllehne sah und sogleich als Freundin Luciens und Emmas aufgeführt bekam. »Und«, schloß ich, »doppelt überraschend war mir Ihr Anblick, weil ich neulich durch Zufall ein lebensgroßes Bild der Fürstin zu sehen bekam, auf dem sie in einem schwarzseidnen Kleide saß, gerade so, wie Sie hier eines anhaben; ja, was mir beinahe Schreck einjagte, war noch, daß Sie auch das kleine goldne Kreuzchen tragen, wie jene Fürstin mit einem abgebildet ist. Ich besitze ein kleines [] Nachbild von dem Gemälde, wo all das noch jeden Augenblick zu sehen ist.«
Beide Schwestern sahen sich seltsam an, als ich dieses sprach – Angela aber mußte bis zu Tode erschrocken sein, denn sie stand weiß wie eine getünchte Wand da und wankte; mit unbeholfener Verlegenheit suchte sie das äußerst kleine Kreuzchen in ihrem Busen zu bergen – es gelang – eine Sekunde nur wars, sie bezwang sich, und die ernsten, schönen Augen auf mich richtend, sprach Angela, daß sie mit dieser Fürstin nichts gemein habe; ich möge sie nur als ein einfaches Mädchen ansehen und behandeln, das nie einen Adelsbrief gehabt habe, noch je einen haben werde.
»Außer den lilienweißen des allerschönsten und liebsten Herzens, das auf dieser Erde schlägt«, rief Lucie mit sonderbarer Rührung, die mir für diese Veranlassung zu heftig vorkam, und küßte sie auf die Augen und suchte sie hinwegzuziehen; allein es war nicht möglich, denn in demselben Augenblicke erschien ein Mann und erinnerte Lucien an ihr Versprechen, die dritte Figur mitzumachen – und – so ist der Mensch – in höchster Verwirrung und Not tut er noch immer eher das Schickliche als das Rechte: Lucie ließ sich in der Betäubung fortziehen; sie fand das Wort der Widerrede nicht, und die Fremde stand verlassen in ihrer so seltsamen Erregung vor dem Fremden – aber so klar es war, daß ich irgendein unheimlich Sonderbares getroffen haben mußte: so klar war es auch, daß in dem Augenblicke keine Spur mehr davon in ihrem Antlitze übrig war. Wie ich nämlich beklommen scheu in dasselbe blickte, war das sanfte Rot wieder in die vorher lilienweiße Wange geflossen, und das große Auge sah freundlich auf mich, als sie die Worte sagte: »Mir ist nicht unwohl geworden, wie Sie etwa denken können, sondern, wie es wohl öfters bei Menschen geschieht, es ist plötzlich ein sehr wichtiges Ereignis meines [] Lebens eingetreten, und das hat mir die kindische Erregung gemacht, die Sie gesehen haben.«
Mir war diese ruhige Aufrichtigkeit bei einer Sache, die jede andere verborgen, ja, gerade unter Unwohlsein verborgen hätte, sonderbar, zum mindesten neu; ich blieb daher befangen stehen und sagte kein Wort.
»Ich werde jetzt fortgehen«, sagte sie nach einem Augenblicke; »aber vorher muß ich Ihnen noch sagen: daß ich es gewesen bin, die Sie an dem erhabenen Spiegel gesehen haben – nannten Sie nicht die Beleuchtung eine Unterweltsbeleuchtung?«
»Ja, ja, ich nannte sie so«, antwortete ich freudig, als wir bereits im Hinausgehen waren, wo sie sich dann verneigte und wieder zu jener ältlichen Frau ging, bei der ich sie heute schon einmal gesehen hatte. Später, als der Tanz aus war, sah ich sie noch einmal hinter einem Vorhange in Luciens Armen und heftig mit ihr reden – dann sah ich sie nicht mehr; denn sie war fortgefahren – nur ein schönes, liebes, süßes Bild schwebte mir im Haupte und im Herzen.
Also war es doch sie gewesen!
Welch schöne Größe und Milde sah ich damals in ihrem Angesichte; wie wahr hatte meine Empfindung geredet! nun ist sie fort; das Rollen ihrer Räder hörte ich herauf; ich hörte es mit dem Herzen; ihr Bild schwebt noch in dem Gewirre, das um mich ist, und ich stehe wie ein Fremder in dem Sausen.
Gütiger, heiliger Gott! welch sanftes, schönes Fühlen legtest du in des Menschen Seele, und wie groß wird sie selbst vor dir, wenn sie Freude fühlt, in ein fremdes Herz zu schauen und es zu lieben, weil sie weiß, daß dieses Herz schön sein wird. – Dies nennen sie Unnatur, was wie ein einfach Licht der Engel um ihr Haupt fließt.
Freilich, weil sie diesen Schein nicht kennen, und sich dafür nur armseligen Modeflitter hinaufstecken.
[] Ich ging auch bald nach Hause und schrieb noch bis fünf Uhr; dann legte ich mich erst nieder und sank in ein verworrenes Träumen.
8. Erdrauch
4. Juni 1834
Es greifen immer sonderbarere Menschen in mein Leben – es ist, als sollte ich mit lauter ausländischen Dingen umringt werden. Ich wußte eigentlich bisher gar nie recht, was ein Nabob ist, und weiß es noch nicht; aber doch soll ich mit einem zusammenkommen, und Aston sagt, daß dies mein Lebensglück gründen werde; – nun, ich bin neugierig – er sagt nicht, wie? – überhaupt muß man mit mir irgendein Geheimnis haben; ich merke es an Lucien und Emma – aber ich kann es nicht ergreifen mögen sie immerhin – aber seltsamer Weise, wie man oft vorgefaßte Meinungen über das Aussehen und den Charakter von Menschen hat, die man nie sah, so geht es einem auch oft mit Worten und Begriffen. Dieses ›Nabob‹ ist so ein Wort für mich gewesen seit meiner Kindheit. Ich stellte mir darunter immer einen Mann vor zwischen fünfzig und sechzig Jahren, gut erhalten, braunen Angesichts, ein farbiges Tuch um den Hals, einen Hut mit breiten Krempen, einen lichten, meistens gelben Rock an – einen Mann, der in irgendeinem Indien Pflanzer war, alle seine Neger hindanngegeben und nun in Europa viel Gold genießt und grob ist.
Ist diese Beschreibung falsch, so bitte ich alle um Verzeihung, die sich dadurch gekränkt fühlen; denn ich kenne keine Schuldefinition eines Nabob – ja, sogar der Name war mir von jeher fast lächerlich.
Aston sagt, dieser Mann und ich gleichen uns in Launen und Gutherzigkeit, wie ein Wassertropfen dem andern wäre ich nur diese Zeit her, wie er sich ausdrückte, nicht [] immer auf so ausschweifend langen Ausflügen gewesen, daß ich unter den hundert Malen, die er ihn zu mir geschleppt, zu treffen gewesen wäre, so könnte bereits alles in Ordnung sein; aber so habe der Nabob fort gemußt, und alles schiebe sich auf die lange Bank. Es seien noch ganz andere Dinge dahinter, die er mir nicht sagen dürfe. »Dieser Nabob,« rief er aus, »so ganz vortrefflich er sonst ist, gehört unter die Menschen, die immer voll von Planen stecken, was mir so verhaßt ist, weil sie auf keinen Rat hören, und einen nichts machen und fügen lassen, wenn es auch sonnenklar besser wäre.«
Lieber Titus! Wenn der Nabob, wie ihn Aston nennt, etwa so ein Mann ist, der um sein gutes Geld auch ein Mäcenas sein will, so wird das Wohlvernehmen von kurzer Dauer sein; denn ich meine, daß bei einem solchen Seebär, wie ich mir ihn vorstelle, nicht leicht geistige Duldung vorhanden sein wird. Daß es übrigens der gute Daniel Aston mit seiner Güte und Pfiffigkeit, womit er den Gefühlen in die Schuhe hilft und Freundschaften übereilt, unsäglich gut meine, bin ich vollkommen überzeugt – jedoch bei all den Geschäften, die er sich immer zum Heile der Menschheit auf den Hals ladet, und wofür ihm niemand dankt, tappt er oft zu; es geht ihm, wie mir einst als Knaben, da ich gefangene Schmetterlinge unter Gläser einsperrte und mit dem besten Rindfleisch fütterte.
Ehe ich schließe, muß ich Dir noch den Verlauf mit dem kleinen Bilde erzählen. Man hat mich bei Aston dringend gebeten, es zu bringen; ich versprach es auf meinen nächsten Besuch. Da ich nun des andern Tages kam, hielt mich der Diener im Vorzimmer auf und sagte, er müsse Lady Lucia rufen. Sie kam und bat mich mit ihrer eigentümlich gewinnenden Leutseligkeit, ich möchte ihr das Bildchen einhändigen, sie würde es zu rechter Zeit vorbringen. Wir traten zu Emma und Angela ein, die im Besuchzimmer waren. Sogleich heftete sie ihre großen [] Augen auf Lucien und sagte: »Nun, zeige nur!« »Liebe Angela, ein wenig später wird es doch besser sein«, meinte Lucie mit bittendem Blicke.
»Es wird wohl später sein wie jetzt«, entgegnete Angela; »aber wenn du es wünschest, will ich warten.«
Zögernd reichte Lucie das Elfenbein hin, und wie ein Pfeil schoß Angelas Auge darauf und darüber weg auf den Spiegel; dann erblaßte sie – Lucie sah nicht das Bild, sondern die Freundin an und hütete jeden Zug derselben. Emma flog herbei, und den überraschten Lippen entfuhr der leise Ausruf: »Ach Gott, wie treu!« und sogleich sah sie Angela an und ich auch. Wie eine schneeweiße Rose war auch heute wieder ihr schönes Haupt; aber nach wenig Augenblicken ward eine purpurrote daraus, und so stand sie da, zitternd vor innerer Bewegung, die sie sichtlich zu bemeistern strebte. Was das mit dem Bilde bedeuten mag – Gott kanns wissen!
Ich ging augenblicklich in das Nebenzimmer und sah zum Fenster hinaus. In dem von mir verlassenen Gemache hob nun ein langes Reden und Flüstern an, das ich beinahe hineinhörte; ich wäre gerne fortgegangen, wenn das Zimmer einen Ausgang gehabt hätte; aber endlich wurde ich durch Emmas Stimme gerufen, und ruhig, wie ich sie gewöhnlich sah, bat mich Angela, ihr ein Nachbild dieses Bildes nehmen zu lassen. Mit Hast trug ich ihr das Urbild selber an; sie nahm es nur unter der Bedingung, daß sie mir ein Nachbild davon zustellen lassen dürfe.
Ich ging es ein; das Bildchen lag indes verkehrt auf dem Nebentische.
Gezwungene Gespräche wollten nun anheben; allein ich fühlte, daß ich heute bald gehen müsse, und ich ging.
[]9. Schwarzrote Königskerze
26. Juni 1834
Fast ein Monat, merke ich, ist verflossen, ohne daß ich eine Zeile für Dich aufgesetzt – es ist kein Vergessen auf Dich; aber es war keine Zeit zu dem unerträglich langsamen Schreiben übrig; im Kopfe habe ich Dich mehr als je. Selbst heute kann ich in der Schnelligkeit nur ein paar Worte hersetzen; aber noch diese Woche schieße ich einen eigenen Tag für Dich aus, um Dir alles zu schreiben. Es war irgendein Geheimnisvolles oder Schmerzhaftes oder sonst etwas – kurz es war eine seltsame Bewegung im Hause Astons unmittelbar nach jener Zeit, da ich das Bildchen übergeben hatte, man kümmerte sich wenig um mich, sondern hatte mit eigenen Angelegenheiten zu tun – dann war alles wieder gleich und ruhig – wie ein Schatten war es vorüber, den eine Wolke wirft, die man nicht sieht – mir kann es gleich sein; denn es wurde dann eine heitere, klare, liebe Zeit – ich komme nun, so wie früher gar nicht, ebenso jetzt täglich in Astons Haus. – Das Leben des Menschen ist fast, wie man eine Hand umkehrt; es ist dieselbe und doch ganz anders – ein ruhiger Umgang eröffnete sich, ein heiteres Entgegenkommen, und jetzt sind Verträge gemacht, daß wir Musik machen, lesen und Malerei treiben wollen; es mußte gleich die bestimmte Zeit hiezu vermessen werden; denn es gehört mit zu Angelas Verschrobenheiten, daß sie alles nach der strengsten Zeiteinteilung tut. Emma, die wieder alles zeitlos tut, das heißt wie es eben der Augenblick bringt, wollte mit der Pedanterei verschont bleiben, wie sie sagte, und beschloß, dabei zu sein oder nicht, wie es eben ihr Inneres füge. Aston, der sonst vielleicht störte, reitet zum Glücke sehr viel; der Arzt hat es ihm verordnet, und in Folge dessen geriet er auf den Einfall, sich für einen Pferdekenner zu halten, was ihn täglich stundenlang auf die Plätze führt, wo Reiter [] und Pferde zu sehen sind und über Gattung, Feuer usw. gesprochen wird.
Außer dieser Zeit, die einzig lieb und schön ist, hat sich auch etwas anders begeben, was einen festen Halt und viele Freude in mein Leben bringt: das Amt nämlich, in das mich wohlmeinende Freunde bringen wollten, um jene Erscheinung an mir darzustellen, die man gesichertes Dasein nennt, ist mir glückseliger Weise abgeschlagen worden, und als ich mit dem lieben Bescheide in der Tasche nach Hause kam, so war es nicht anders, als hüpften mir meine Farben entgegen und sähen mich noch einmal so freundlich an: Du kennst das Gläschen mit dem Ultramarin; es sah mit seinem Feuerblau wie ein tiefer Harmonikaton aus, – der Purpur wie Liebeslieder – die Grün wie sanfte Flöten – das Rot wie Trompetengeschmetter, und so weiter. Jetzt will ich nicht mehr auf Abfall und Felonie sinnen, ihr lieben, treuen, herzigen Vasallen, bis ich sterbe, und dann wird schon im Testamente stehen, daß mit euch die Hand eines närrischen Freundes, den ich jetzt noch nicht nenne, ein heiteres Bild auf meinen Sarg malen soll. Wir bleiben bei einander und handieren nun erst recht mit Wonne und mit Lust, seit es gewiß ist, daß uns nun nichts mehr auf dieser Erde trennen kann, wie wohlgetraute Eheleute, die der Tod nur scheidet.
Das erste sollen Deine wunderschönen Skizzen sein, wofür ich Dir tausend Dank sage; sie freuten mich unendlich. Wir haben bereits zwei große Tafeln mit dem zartesten grauen Grunde bereiten lassen, worauf wir sie ausführen werden; Lothar den Mont perdu und ich den schwarzen See, dessen Namen ich in Deinem Schreiben nicht lesen kann, und den Du besser geschrieben wiederholen magst. Es soll das erste und schönste Fest werden, sobald wir von unserer Reise zurück sind. Lothar geht nämlich mit, und nach der Zurückkunft werden wir zusammen [] wohnen und in einer Stube arbeiten, was köstliche Stunden geben soll; denn ich fange an, diesen Menschen ungemein zu lieben, und wenn erst auch Du zurück sein wirst, dann soll das wahre, schöne Künstlerleben angehen und nichts getan werden, als nur lauter Schönes – und sonst lauter Spaß. Wir müssen unweigerlich alle drei unter einem Dache wohnen, unter einem Dache arbeiten, mit Glück und Lust nach dem Höchsten streben, jede Schmach von uns stoßen, jeden Fund schnell einander mitteilen, ein Liebchen selig im Herzen tragen und drei Hände zu schöner, fester, urewiger Männerfreundschaft zusammenfügen. Wärest Du nur erst da, daß Du den sanften Lothar sähest und seine schönen Bilder: Du würdest ihn bald mehr lieben als mich selber.
Ich bin heute fast so lustig, als wären mir meine Farben ganz neu geschenkt worden, wie damals, da mir mein Vater in unser abgelegenes Waldbaus das erste Farbkästchen brachte und mir zeigte, wie man mit den prächtigen Täfelchen Reiter und Hirsche und Soldaten anfärbe – besonders für die Hirsche hatte ich eine Vorliebe, und wenn Du einmal meine alte Mutter besuchst, so kannst Du auf dem Scheunentore noch viele gelungene Beispiele sehen, schön ziegelrot und von hochgrünen Hunden heftig verfolgt. Ich bin wieder zum heitern Kinde geworden und möchte mit Lust heute noch Reiter und Hirsche färben – und ich tu's auch, weil ich sie dem kleinen Sandi (dem Söhnchen der Leute, wo ich zur Miete bin) geben kann, den sie auf drei Tage glücklich machen.
Der russischen Fürstin habe ich vor dem goldnen Lamme vorgewartet; ich sah sie auch ausfahren – wahrhaftig, als ob Angela, wie sie leibt und lebt, in dem Wagen säße. Jetzt ist die Fürstin längst fort, aber Angela noch da. Das kleine Bildchen sah ich seit der Zeit, als ich mir eine schnelle Kopie davon machte, weder bei Aston noch bei ihr.
[] Sonnenschein ist draußen, als wäre er eigens recht feierlich bestellt, und eine tiefdunkle Bläue ist am Himmel, festlich wehend, wie Fronleichnamsfahnen, und Frühsommer auf allen Hügeln prangend, leuchtend, funkelnd, daß ich noch heute die halbe Stadtumkreisen muß. Ich will meinen Stift und schönes Papier nehmen und ach Dornbach, Weidling und weiß Gott wo noch hin wandern.
Der lange Engländer, mein ewiger Jude, begegnet mir zu meiner Freude auch schon seit Wochen nicht mehr. Wasserfarben nehme ich in die Tasche, und in Weidling am Bache will ich zu Mittag essen, und dort im Kastanienschatten male ich für Sandi Hirsche und Reiter, um einmal ein Kind zu sein und einen rechten Idyllentag herumzubringen.
Heute schreib ich nichts mehr, – morgen ein Weiteres.
Spanne Dir Gott auch einen so glänzenden Sommer über Deine Berge, wie er uns hier tut – ich erlebte nie so andauernd schönes Wetter – und ein Glück ists für unser einen, daß Wien so liebliche Umgebungen hat.
Aber jetzt muß ich fort, ohne Widerrede.
Lebe mit Gott.
10. Ehrenpreis
27 Juni 1834
Um zwölf Uhr in der Nacht kam ich erst zurück und brachte Freude, Sehnsucht, Gedichte, Müdigkeit, Hirsche und Reiter genug nach Hause, Bäume und Häuser obendrein.
Eben wird alles geordnet und dann zu Sandi getragen Der Bube wird mir ordentlich lieb, weil ich ihm eine Freude zudenke, und ich machte weit mehr, als ich anfangs dachte, und konnte ordentlich nicht aufhören, als ich einmal daran war, obwohl alle Kellner zuschauten. Beiläufig, Titus, – es muß eine große Freude sein, Kinder [] zu haben, und ich würde ein Narr mit ihnen, ritte vergnügt auf einem Steckenpferde und hinge mir allen Ernstes eine Kindertrommel um.
Es ist heute Sonntag, und ich will ihn, wie ich versprach, ganz für Dich ausschießen und Dir eine Menge aufschreiben und schildern. Sonntag ist hierorts der Tag der Landausflüge, und was in der Woche am Webstuhle des Lebens keuchte, gibt sich am Sonntage der Freude und wo möglich dem Lande hin – und an diesem Tage gilt der Vers in seinem vollen Maße:
und aus den expansis portis strömt Wien hinaus. So will ich denn auch auf den gestrigen Spaziergang heute wieder einen machen, aber nur ganz allein mit Dir, das heißt ich will ein Stück Wiener-Wald bewohnen und aus der einen oder andern Baumgruppe einen Flug Brieftauben an Dich abfertigen. Ich trage zu solchem Behufe tragbares Schreibgeräte mit mir, da ich zu artig bin, an Dich mit Bleifeder zu schreiben; zudem muß alles, was an Dich losfliegt, gewissenhaft in mein hiesiges Tagebuch eingetragen werden.
Studiere Dir nur fleißig den Plan von Wiens Umgebungen, den ich Dir sandte, denn Du wirst noch viele Spaziergänge mit mir tun müssen, ehe Du da bist – und noch mehrere, wenn Du da bist – und es ist der Mühe wert: Stille Täler, ganz abgeschieden – Waldeinsamkeit mit ganzen Wolken von Vögeln, die den blauen Himmel ansingen – Aussichten ins Hochgebirge – selbst Schluchten mit flinken Wässerlein, als wärest Du in der Wildnis, nicht etwa eine bis zwei Meilen von einer der lebhaftesten Hauptstädte der Welt. Viele, selbst hier Geborne, kennen die eigentlichen Schätze nicht, weil sie nicht weit von den Spazierwegen abgehen, die man ihnen überall bahnt; aber da muß man abseits gehen, wohin [] der Schwarm nicht kommt, dort ist das Schönste, und ich will Dich schon herumzerren, wenn Du nur einmal da bist; Du weißt, ich habe ein eignes Talent im Auffinden solcher Dinge. Und noch dazu der heurige Sommer, ewig schön, so recht für die Dichter, Maler, Spaziergeher, Weinfreunde.
Suche auf Deiner Karte Mariabrunn, dann wirst Du finden, daß dort ein Waldgebirge beginnt, das mit dem Norischen Alpenzuge zusammenhängt und hier Wienerwald genannt wird. In einem schmalen Tale, welches rechts von dem Dorfe Weidlingau über eine Wiese hineinläuft, sitzt in diesem Augenblicke Dein Freund an einem hölzernen Tischchen in dem schönsten Buchenschatten und schreibt dieses für Dich. Freilich steht neben dem Tintenfasse auch ein Fläschchen Nußberger; denn das Ungeheuer eines Gesellschaftswagens hat uns etwas gerädert, und wenigstens ich muß, wie der barmherzige Samaritaner, auf die zerschlagenen Glieder das Labsal des Weines gießen, und bis jetzt tunkte ich öfter den Zwieback als die Feder ein. Es geht mir wieder, wie alle Mal, wenn ich unendlich viel zu schreiben weiß, daß ich vor Fülle des Stoffes gar nicht anfangen kann und mich blätterweise in Unbedeutenheiten umtreibe, gleichsam das Köstlichste, Labende aufzuschieben, wie einen auserlesenen Nachtisch – und am Ende kommt der Abend oder ein Regen oder ein Besuch, und ich kann das Zuckerwerk nur ruhig in der Tasche lassen. So ging es mir tausend Male.
Durch meine Buchenzweige, die ein hereinspielender Sonnenstrahl in grünes Feuer setzt, sehe ich auf die dämmernden Farben der Tiergartenwälder; höher hängt in dem Laubwerk das blaue Email des Himmels, in tausend Stücke zerschnitten, wie lauter Vergißmeinnicht. Ein Fink schlägt zu meiner Rechten fast leidenschaftlich; aus dem vom Walde abwärts liegenden Wirtsgarten [] verlieren sich einzelne Stimmen von Leuten herauf, die frühstücken und sich herumjagen; die Biene summt, ein goldner Falter weht vorüber, stahlblaue Fliegen sonnen sich auf der Tischecke, langbeinige Dinge schreiten auf der Bank und auf meinem Papiere, und rings um mich regt, drängt und treibt tausendfaches Leben in tausendfachen Gestalten; funkelndes Geschmeide rührt sich im Grase, auf dem Wege und auf Baumstämmen; gefiederte Familien lärmen durcheinander, und Sonntagsglockenläuten kommt über das Gebirge. Die Zweige flüstern nicht, aber ein melodisches Summen irrt in ihnen von tausend Wesen, die im Sonnenstrahle spielen und arbeiten, und dieses fortgehende Summen dient als zarter Grund, auf dem sich die andere Morgenmusik geltend macht.
An diesem versteckten Waldtische sitze ich und will ihn bis nach Mittag bewohnen, nichts um mich, als die Millionen kleiner Mitwaldbewohner, die bereits alle an ihre Geschäfte gingen – und zwei liebste Gestalten, die ich mir auf den ganzen Tag geladen habe und die ich still überall mit mir herumführen will: Dich und sie. Wenn ja von dem außen schwärmenden Volke einer herein verschlagen wird und den fremden Mann an dem abgelegenen Tische sitzen sieht und noch dazu schreiben und die hundert Sachen ringsum ausgebreitet, so geht er schon sachte vorüber, weil er den Sonderling nicht stören mag. Wie aber soll ich nun beginnen, Dir diese Tage her abzuschildern? Binde alle bisher von mir erhaltenen Papiere zusammen und schreibe auf den Umschlag: ›alte Geschichte‹ – die neue, die romantische, beginnt mit jenem Balle bei Aston. Titus, eine Tempelhalle, weit und ungeheuer, hat sich in meinem Herzen aufgebaut, und ich trage einen neuen seligen Gott darinnen. Wärest Du nur da, oder wenigstens Lothar, der auf dem Hochschwab oder Schneeberg Studien macht; denn so habe ich keine [] Seele zum Umgang, das heißt ich habe eine Menge, aber alle taugen nicht dazu, daß man vor ihnen ein kindisches, seliges Herz ausschütte – und so trage ich es schon Wochen lang voll und ahnungsreich in den tosenden Gassen herum, oder, wenn mich diese drücken, so suche ich das Freie und bette es in den Schatten eines Baumes und horche seinen Blättern, die sich Sommermärchen erzählen; dann wird es so ruhig und sanft in mir, wie Sonntags auf den Feldern. – Oder ich lese eine Nacht aus, in der ich auf einen der Westberge Wiens steige, um den Tagesanbruch über der großen Stadt zu sehen, wie erst sachte ein schwacher Lichtstreif im Osten aufblüht, längs der Donau weiße Nebelbänke schimmern, dann die Stadt sich massenweise aus dem Nachtdufte hebt, teilweise anbrennt, teilweise in einem trüben Goldrauche kämpft und wallt, teilweise in die grauesten Ferntöne schreitet, und wie der ganze Plan durchsät von goldnen Sternen ist, die da von Fenstern blitzen, von Metalldächern, Turmspitzen, Wetterstangen, und wie draußen das blaßgrüne Band des Horizonts schwach und sanft durch den Himmel gehaucht ist.
Und wenn ich nicht mit der Natur umgehe, so sitze ich zu Hause und arbeite an meinen Tafeln – oft sehe ich sie stundenlang an und habe das Gefühl, als sollt ich wunderschöne Dinge machen – da kommen mir dann Träume von glänzenden Lüften und schönen Wolkenbildern darin, lieben fernen Bergen und ihrem Sehnsuchtsblau, wie Heimwehgefühle, von sonnigen Abhängen, von Waldesdunkel und kühlen Wässern drinnen und von tausend andern Dingen, die sich nicht erhaschen lassen, schattenhaft und träumerisch durch die Seele ziehend, wie Vormahnungen von unendlicher Seligkeit, die bald, bald kommen müsse. Dann male ich und lasse das Ding so gehen, wie es geht, und es ist mir, Titus, als finge manches Bild an, mir zu gefallen.
[] Nachmittags endlich, wenn sich die Hitze mildert, gehe ich zum Essen, was, wie Du weißt, bei mir im Sommer sehr wenig ist, und dann in ein wohlbekanntes Vorstadthaus, durchschreite seinen Hof und trete in den Garten, wo zwei stille und zwei schelmische Augen, Luciens und Emmas, mich willkommen heißen und zu einem Nestor von Apfelbaum laden, der sein Schattengesprenkel auf ihre weißen Kleider, auf den Sandweg, auf Tisch und Sessel streut. Dort harre ich dann ruhig, bis der freundlichste aller Sommerstrohhüte durch den Flieder gewandelt kommt, und dann aus ihm zu uns ein sonnenschönes Antlitz schaut, ein Antlitz, das sich täglich tiefer und süßer in meine Seele senkt. Wenn sie dann den Hut weglegt oder mit dem grünen Bande an den Baum hängt, und nun so dasteht, die ernsten Augen freundlich auf uns gerichtet, den sanften Nacken vorgebogen: so ist es eine schöne attische Muse, die uns grüßt, die im weißen Kleide vor uns steht und die Wangenrosen, die ihr von der Bewegung angeblüht sind, sanft verglühen läßt.
Endlich, mein Pylades, bin ich dort angelangt, wohin ich doch eigentlich mit meinem ganzen heutigen vorgerichteten Tage, mit meinem Waldtischchen, mit allen Einleitungen und allen Aufschiebungen ganz allein zielte bei ihr. Nun habe ich euch beide neben mir, und ich will euch den ganzen Tag nicht entlassen und ein wahres Götterleben fahren. Ihr sollt mir mit einander bekannt werden und euch wacker lieben.
Nichts stört und hindert uns hier; der Sonnenstreifen auf dem Tische rückt nicht näher, sondern ist ganz weg; der Fink schweigt, die kleine Gesellschaft, die gegen meinen Platz gewandert kam, ging bescheiden vorüber, und ein einladendes Dämmern ist überall zwischen den Stämmen, nur hie und da geschnitten von einem glänzenden Streiflichtchen, das traulich herüberschaut. Ich fahre also fort:
[] Es ist recht lieb von ihr, daß sie, selbst wenn die Tante mitkommt, und obwohl für unsere schönen und wissenschaftlichen Sitzungen bestimmte Stunden festgesetzt sind, immer früher kommt (ich natürlich ohnehin immer viel zu früh), daß noch einiges Gespräch vorher hin und wider gehen könne. Das Buch, aus dem diesen Abend gelesen werden soll, liegt schon seitwärts, und zeigt den grünen Einband, den alle Bücher aus Astons Sammlung und auch Angelas ihre haben; aber kein Mensch darf es eher aufmachen, als bis die Stunde schlägt, weil wir alle das leidige Vorausnaschen nicht leiden können. Wenn aber dann der Glockenschlag fällt, dann wird bei dem eingelegten Zeichen geöffnet und im reinen Ergusse das abgesteckte Feld durchgangen, während alles Stricken, Sticken, Nähen und anderes weibliche Lückenbüßen ruhen muß, weil die Augen auf dem Vorlesenden und die Herzen im Buche sind. Emma ist nicht immer dabei, Aston nie; er ist froh, wenn er fort kann, weil wir unpraktisches Zeugs lesen. Aber seine Freude hat er doch an unserm Treiben, und das Vergnügen mußten wir ihm lassen, daß er uns für unsere Wissenschaften ein ›Prytanäum‹ schuf und uns damit überraschte. Er hat es uns allen zu Danke gemacht. Drei Zimmer voll Gartengrün und Pappelschatten hat er dafür eingerichtet. Von dem Apfelbaume führt die Treppe hinan, und lieb und heiter ist es in ihnen, wie die Kunst; denn sie sehen über den Garten auf noch mehr Gärten und auf die Berge, und täglich lodert bei den großen Fenstern der Abendbrand des Himmels herein, dann schießen Goldflammen über das Glas der Bücherkästen und ihre grünseidnen Vorhänge; auf dem Klaviere und den Papieren wanken Laubschatten und Purpurlichter, und endlich auf das weiße Kleid und in das Antlitz der schönsten Gestalt wirft er ein ganzes, sanftes Tabor von rosenfarbener Verklärung. – Wenn nun mitten unter dies die Worte eines großes Toten tönen [] und die Begeisterung anfängt, ihre Fittige zu dehnen: dann steht sachte in drei Herzen der Geist empor, den der Dichter rufen wollte, und verscheucht das lastende Gespenst, Alltäglichkeit. Wenn aus den schwarzen Zeilen allmählig sich die Gedanken heben, die einst ein gottähnliches Herz gedacht – dann habe ich ein Angesicht gegenüber, ein Angesicht, gespannt von Aufmerksamkeit und Empfindung; ach, und ich liebe es mit zagendem Herzen; denn es wird dann unnennbar schöner. Der reine Demant sittlicher Freude hängt in ihren Augen, und in ihren Zügen blüht ein weiches, großes Herz – aber mir tritt sie wie ein unerreichbarer Stern, vom Sehrohr verfolgt, in noch weitere und noch tiefere Himmel zurück.
Auch Lucie verklärt ihr Wesen in den Strahlen dieses schönen weiblichen Geistes, und aus ihrem Innern wächst ordentlich täglich sichtbarer eine höhere Gestalt hervor, an der die Weihe des ernsten Strebens sichtlich wird; denn sie ging schon seit länger her unter Angelas Leitung an die Wissenschaften der Männer und erobert sich freudig ein Feld nach dem andern. Selbst die kindische Emma wird eingeschüchtert von ihrer vorausschreitenden Schwester; sie mag es wohl fühlen, daß hinter dem pedantischen Krame, wie sie ihn nennt, wohl mehr stecke, als sie ahnte und mancher sich gern den Anschein gäbe; denn das drückt den andern ewig. – Das Wissen stellt den Menschen glänzender unter seine Brüder zurück, wie einen fremden Weisen, vor dem man Ehrfurcht hat.
Der Gedanke, daß wir statt des gebräuchlichen unersprießlichen Besuchwesens einen geistigen Umgang eröffnen sollen mit den größten Menschen, lebenden und toten; daß wir an ihnen uns erheben und vor uns selber liebenswerter werden mögen, ging von Angela aus, der jedes Leere fremd ist; darum sie auch in jenem Umgange, der unsern Jungfrauen eigen zu sein pflegt, linkisch und unwohl ist, und eben darum von den Besuchen [] gehaßt und verspottet wird. Unser Tun ward schon Teegespräch, und man findet es lächerlich, anmaßend, oder heißt uns Phantasten – aber es tut nichts; denn es ist ein ganz anderes, mein Titus, einen seltnen Menschen zu Hause unter seinen vier Wänden allein und still wegzulesen und tausenderlei zu übergehen, oder ihn vor geliebten Herzen gleichsam laut reden zu hören, sich gegenseitig sein Verständnis zu vermitteln und an der schönen Freude in Freundesaugen seine eigne zu entzünden und reiner und begeisterter hinwallen zu lassen. Begeisterung wohnt nicht in einsamen Studierstuben, sondern nur der Fleiß; sie schwingt ihre Lohe nicht in Wüsten, sondern unter Völkern; nicht von einem einzigen, sondern von tausend Häuptern lodert sie empor – aber immer ist es Einer – und selten sind solche – der die Fackel schleudert, daß sie den Brennstoff fasse. Wir nennen ihn dann ein Genie.
Selbst von den weichen Locken des sechzehnjährigen Kindes Emma spielt ihre goldne Flamme; denn als neulich eine Stelle gelesen wurde, ungefähr so lautend: »Ihr großen, seligen Geister, die wir bewundern und zu denen wir beten, wenn der Mensch sein Glück wegwirft, weil er es kleiner achtet als sein Herz, so ist er so groß als ihr!« und als in jedem Auge der Beifall glänzte, sprang sie auf, und in den schönen braunen Kindesaugen schimmerten die Tränen – sie stand neben mir und blickte mich liebeglühend an; ich war selbst tiefgerührt und wußte nicht, wie es geschah, daß ich sie an mich zog und voll Liebe meinen Mund an die Kinderknospe ihrer Lippen drückte – sie drückte heiß entgegen und schlang die Arme um meinen Nacken. Es war nur ein Moment, und gleich darauf stand sie, wie eine Purpurrose, glühend vor Scham da, die Tränen noch in den Augen. Uns allen schien sie in diesem Augenblicke kein Kind mehr zu sein. Ich war im höchsten Grade verlegen: da trat Lucie zu uns, nahm [] meine Hand und drückte sie recht herzlich, wahrscheinlich um Emmas und mein unschickliches Tun zu verschleiern; – dann küßte und herzte sie die Schwester und sagte wiederholt: »Du liebes, gutes, heftiges Kind, siehst du, welche Gewalt die Worte eines Menschen haben können? Und der, welcher diese sagte, und noch andere schöne, die in diesem Buche stehen, war ein einfältiger Pfarrerssohn aus Baiern, der Jahre lang ungekannt war und nichts hatte, als sein eigenes unerschöpfliches Herz, das nun auf die entferntesten Menschen und auf die entferntesten Länder wirkt, wie Predigten der Apostel und Propheten.«
Durch die Tränen schon wieder lächelnd, sagte Emma zu ihr: »Du selbst bist auch so eine Prophetin und kannst das Predigen nicht lassen, und denkst gar nicht daran, daß andere auch ein Herz haben, das seine Gefühle so gut hat, wie ihr alle, wenn man auch dieselben nicht so gelehrt sagen kann, wie ihr.«
Nach diesem Zwischenspiele lasen wir – Lucie war die Vorleserin – noch den Abschnitt zu Ende, und seit jenem Tage versäumt Emma keine einzige Vorlesung, ja, sie fing sogar an, Meßkunst zu lernen.
Nach solchen Abenden gehe ich dann im milden Vollmondscheine, den wir eben haben, mit einer fast unschuldigen, hochtönenden Seele durch alle möglichen Umwege in die Stadt zurück.
Zur Musik sind auch bestimmte Tage auserkoren. Daß aber da von keinem bloßen Herabschütten der Noten die Rede sein kann, begreifst Du; sondern da wird an das Pianoforte gesessen, jede Stelle des Tonstückes geprüft und um ihr Gefühl gefragt, wobei jedes seine Meinung abgibt, weil sie vorgetragen zu werden verlangt; dann forscht man nach der Seele des Ganzen und paßt ihr die Glieder an – dann so lange Proben, bis nicht mehr die kleinste Ausführungsschwierigkeit vorhanden ist – dann [] eines schönen Abends braust ein Beethoven durch die Fenster hinaus.
Einmal war schon volle Instrumentalmusik; meistens aber wird er vierhändig auf dem Piano vorgetragen.
Angela ist auch hier wieder die Meisterin, und behandelt das Instrument so kräftig wie ein Mann. Ihr Lehrer hierin war derselbe Mann, der sie auch in dem andern unterrichtete. Dann, wenn sie vor dem Instrumente sitzt, zieht ein neuer Geist in dies seltsame Wesen; sie wird ordentlich größer, und wenn die Töne unter ihren Fingern vorquellen und dies unbegreiflich überschwengliche Tonherz, Beethoven, sich begeistert, die Tore aufreißt von seinem innern tobenden Universum, und einen Sturmwind über die Schöpfung gehen läßt, daß sich unter ihm die Wälder Gottes beugen – – und wenn der wilde geliebte Mensch dann wieder sanft wird und hinschmilzt, um Liebe klagt oder sie fordert für sein großes Herz, und wenn hierbei ihre Finger über die Tasten gehen, kaum streifend, wie ein Kind andrücken würde, und die guten, frommen Töne wie goldene Bienen aus den vier Händen fliegen, und draußen die Nachtigall darein schmettert, und die untergehende Sonne das ganze Zimmer in Flammen und Blitze setzt – und ihr gerührtes Auge so groß und lieb und gütig auf mich fällt, als wäre der Traum wahr, als liebte sie mich: dann geht eine schöne Freude durch mein Herz, wie eine Morgenröte, die sich aufhellt – die Töne werden wie von ihr an mich geredete Liebesworte, die vertrauen und flehen und alles sagen, was der Mund verschweigt.
Solches Tun und solche Freuden reinigen das Herz. Wir stehen dann alle vier am Fenster, wie lauter Geschwister, die keiner Schranke gegen einander bedürfen, weil kein Wunsch da ist, eine zu überspringen, sondern nur einfache Liebe. Und wenn ich fortgehe, so geschah es schon, daß sie mir freiwillig, Lucie und Angela, die liebe Hand [] hinreichten, die Angela sogar herzlich drückend in die meine fügte, mit liebevollen, kühlen Augen mich anblickend, und sagend: »Kommen Sie morgen nicht zu spät, und gehen Sie heute in kein Gasthaus mehr.« Sie hat nämlich einen fast übertriebenen Haß gegen diese Anstalten. Und in Wahrheit, Titus! seit ich sie kenne, ist es mir selber so; mich widert das schale Unterhaltungsuchen unsäglich an, und hier ist es ziemlich, wie in jeder großen Stadt, im Schwunge, und sogar eine Abschiedsrede haben sie, die sagt: ich wünsche Ihnen gute Unterhaltung. – Ich glaube, ein Bauer meines Geburtstales schämte sich, wenn man diese Abschiedsrede zu ihm sagte, da er sich Unterhaltung nur erlaubt, aber Arbeit für ehrenvoll ansieht. Ich werde daher außer dem Mittagessen und manchmal abends, dem alten Aston zu lieb in einem Garten, nie in einem Gasthause gesehen.
Seit jenem Balle sind nun vier Wochen, und ich sehe sie seit der Zeit täglich – und dennoch weiß ich von ihren gewöhnlichen Verhältnissen nichts, ja nicht einmal ihren Familiennamen, sondern nur, daß sie bei Oheim und Tante wohnt, die alle Welt Oheim und Tante heißt, und die sehr reich sein sollen. Den Oheim sah ich nie, die Tante schon öfter, eine gutmütige, aber unbedeutende alte Frau, deren Gesicht ich schon muß irgendwo gesehen haben; aber ich kann durchaus nicht herausbringen, wo. Sehr neugierig bin ich auf ihren Lehrer. Im ganzen ist mir aber nicht zu Mute, als sollte ich um Näheres über sie fragen; genug, sie ist da, und scheint von dem gütigen Schicksale mir angenähert worden zu sein, auf daß kein Herz vergessen werde und seinen Anteil an Freude zugeteilt erhalte. Meine Stellung gegen sie ist ruhig, wie es nach der Aufregung in Folge ihres ersten Anblicks kaum zu erwarten war; aber sie ist so; jedes Scharfe und Harte entfernt sie von sich, oder es entfernt sich selber. Meine Empfindung ist sanft und still, und es [] drängt mich nicht, sie ihr zu zeigen, ja, sie käme mir entweiht vor, wenn sie Erwiderung verlangte.
Im Sommer ist sie meistens weiß gekleidet, und ihre Kleider, abweichend von der jetzigen Mode, reichen ohne Ausnahme bis zum Halse. Ich glaube, es täte mir weh, wenn ich ihre nackte Schulter sähe – was ich doch bei den Hunderten, die sie täglich und gern zur Schau tragen, nicht anstößig finde. Lucie trägt es auch so, Emma nicht, ich glaube aus Widerspruchsgeist. –
Siehe da – der Diener bringt schon mein heraufbestelltes Mittagessen – nun, da ihr zwei, Du und sie, als Scheinwesen, nichts brauchet, so bleibet mittlerweile hübsch artig auf der Holzbank sitzen, indes ich aufstehen und ein wenig heraumschauen und den vorliegenden kalten Braten und den schönen Salat essen werde. Dann wollen wir weiter fahren und den Rest des Tages gemütvoll verwenden. – – – Aber fort waret ihr, als ich Messer und Gabel hinlegte – die Gestalten mit wirklichem Fleische und Blute, die um den Tisch stehen, haben euch verscheucht. – Nun sehr bald das Weitere; für jetzt lebe wohl, guter Titus; Aston und zwei Herren, und seine Mädchen und Angela (die körperliche) – das steht alles vor mir und lacht mich aus, daß sie um mein Vorhaben gewußt und mich hier überfallen haben. Ich muß mit ihnen fort. Merke Dir, wo wir in unserer Geschichte geblieben sind.
11. Osterluzei
22. Juli 1834
Armer Freund! Du hast lange warten müssen – und heute, mit welch ganz anderer Empfindung fahre ich fort, als ich damals begonnen.
Gibt es eine Liebe, die so groß, so unermeßlich, so endlos still ist, wie das blaue Firmament? Sie flößt eine solche ein. O mein Titus, mein guter, mein einziger Freund! [] mit mir ist es nun auf alle Ewigkeit entschieden. Mein werden kann sie nie; was wollte auch der ernste, ruhige, gemütsgewaltige Cherub mit mir? Aber lieben mit dem Unmaß aller meiner Kräfte – lieben bis an das Endziel meines Lebens darf ich sie, und so wahr ein Gott im Himmel ist, ich will es auch. Sie ist das reinste und herrlichste Weib auf Erden. Was sagten sie da oft für ein albernes Märlein: die wissenschaftliche Bildung zerstöre die schöne, zarte Jungfräulichkeit, und die Naivetät und die Herzinnigkeit und so weiter? – Hier ist doch eine Wissensfülle, an die wenig Männer reichen, und doch steht eine strahlenreiche Jungfrau da – ja, erst die rechte, ernste Jungfrau, auf deren Stirne das Vollendungssiegel leuchtet, eine erblühte, selbstbewußte, eine würdevolle Jungfrau, vor der zaghaft jeder Schmutzgedanke verstummen muß. – Eure Jungfräulichkeit und Weiblichkeit, die mich sonst so entzückte, ist nur erst das Vorbild und die Anlage der rechten, und neben dieser steht sie fast wie Dummheit da – und sie ist es auch, weil sich an sie der Verführer wagt. Am Kinde entzückt das Lallen, aber der Knabe muß reden lernen. Selbst die geistvollsten Mädchen meiner Bekanntschaft, wenn sie neben ihr sind, werden ordentlich armselig, und wenn sie den Mund auftun, so ist es doch nur jenes ›Alltagsei der Einfalt‹, was sie legen. Selbst das Naive, Weibliche, Jungfräuliche an ihnen erscheint mir gemacht und unnatürlich oder unreif neben dem einfachen gelassenen Sichgehenlassen Angelas, das keinen Anspruch und Aufwand macht, und doch erkannt wird als die Königin. Es muß ein riesenhafter Geist gewesen sein, der dieses Weib erzogen hat. Ich bin sie bei weitem nicht wert – aber jede andere vermag ich jetzt auch nicht mehr zu ehelichen, weil ich sie nicht zu lieben vermag, und so will ich ihr Bild bewahren als das schönste Geisterkleinod, was mir in diesem Leben begegnete. Ein tiefer Ernst sitzt mir im Herzen, und sie [] hob seitdem wieder manche jener erträumten göttlichen Gestalten empor, die einst mein sehnsüchtiges Herz bevölkerten, und die ich aber in die Tiefe sinken ließ, weil ich sie für wesenlose Phantome hielt, nur meiner Sehnsucht angehörend; aber sie hat auch dergleichen und betet sie ruhig an, ohne sich weiter umzusehen, ob ihnen ein Halt zu komme im äußern Gewerbsleben oder nicht; genug, in ihrer Seele, der mondlich stillen, wandeln sie, wie die hohen Gestalten in der Geschichte – und daher sind sie. Ihr hat man die Heiligkeit der Phantasie, die unsere Erzieher eine Betrügerin nennen, nicht verleidet, und sie hat dessen kein Hehl; aber ihre bringt ihr auch nur heilige Gestalten. Mit einem leisen Ruck, mit einem harmlosen Worte, das wie Zufall aus ihrer innern Welt klang, ruft sie oft in meiner ein ganzes totgeglaubtes Volk wach, und ich erkenne, daß dasselbe ja vor längster, längster Zeit in mir geherrscht hat und geleuchtet, – und wie viel mag man bei meiner verkehrten Erziehung getötet haben, was nie mehr eine Wiederauferstehung feiern kann! Man raufte die Blumen aus und machte sehr nützliches Heu daraus. In mancher Kinderbrust blüht ein Reich der Kleinode auf, heimlich und herrlich, wie jener Schatz, der, wenn man so durch die Landschaft geht, fern in der Mittagssonne glitzert, in die er still emporgetaucht ist, und mit Schweigen und reiner Hand gehoben werden kann, vor dem Sünder aber auf immer und ewig versinkt. Und wenn einst jemand diese Blätter sollte zu Gesicht bekommen, der den Schatz noch hat, so verhülle er ihn vor den Spießgesellen – aber einst einer lieben, großen Seele, einer unschuldigen wie er, hülle er alles auf und schenke ihr alles!
Siehst Du, Titus, das ist es, was die Welt an ihr die Verschrobenheit heißt. Was sie sechzig Jahre sehen, und was ihr Vater und Großvater auch sechzig Jahre gesehen haben, das ist ihnen das Natürliche, wie verkehrt es auch [] sein mag, – und wer sich dagegen auflehnt und ein Neues bringt, der ist ein Fremdling unter ihnen, ein Aufrührer gegen die Natur.
Ich will Dir noch einiges von ihr erzählen; höre mir gütig zu, mein Titus.
Erstens weiß sie Latein und Griechisch – das Französische und Englische wird ihr nicht übel genommen. Zweitens weiß sie so viel Mathematik, als zum Verständnis einer allgemeinen Naturlehre nötig ist; ja, sie weiß noch mehr, weil sie die Sternkunde verstehen wollte und nun wirklich versteht. Drittens, daß sie Bücher über Seelenkunde und Naturrecht studierte, ward für lächerlich erklärt, sie aber meinte, sonst die Weltgeschichte nicht verstehen zu können. Selbst in philosophische Systeme steckte sie den Kopf – nur gegen Physiologie wehrte sie sich hartnäckig; sie fürchtete Zerstörung der schönen innern Welt. – O, die ist ja gelehrt, ein Ausbund, sagen viele ihrer Mitschwestern, aber ich glaube, es ist bei vielen Neid, bei vielen Beschränktheit – die Männer sagen, das müsse fade sein – und dennoch schrumpft der, der es sagte, in ihrer Gegenwart jämmerlich ein, wenn auch nur Alltägliches gesprochen wird. Ich bewundere ihren Lehrer, wie ich Dir schon mehrfach sagte, der mir bis längstens im August versprochen wird; denn er war es, welcher ihren schönen Geist in die ersten Hallen der Wissenschaft führte und ihr die Bilder dieses Isistempels deutete. Darum ist ihr die Wissenschaft Schmuck des Herzens geworden, und das ist die größte und schönste Macht derselben, daß sie den Menschen mit einer heiligenden Hand berührt und ihn als einen des hohen Adels der Menschheit aus ihrer Schule läßt – freilich, bei andern bleibt es dürr liegen, wie die glänzenden Dinge, die ein Rabe in sein Nest trägt, und auf denen er dann blödsinnig sitzt.
Die Sprachen lernte sie in der Kindheit – die Wissenschaften von ihrem zwölften bis in das zweiundzwanzigste [] Jahr (so alt ist sie jetzt) und von da noch immer fort; was Dichtung ist, trieb und treibt sie ihr ganzes Leben. Du wirst wohl nicht fragen, wo sie die Zeit hernimmt, da Du es selber warst, der mir Verschwender zuerst dieses kostbare Gut zeigte, wie zum Erstaunen ergiebig es sei, wenn man es richtig einteilt und kein Teilchen desselben töricht wegwirft. Doch wirst Du begreifen, wie viel Zeit sie hatte, wenn ich Dir aus Luciens Munde berichte, daß sie eine Menge nicht kann und nicht lernte, was nicht zu können jedes Mädchen Wiens für eine Schande halten würde. Zum Beispiel: Stricken. Es war mir ein Jubel, als ich das hörte. O, dieser ewige Strickstrumpf, an dem unsere Jungfrauen nagen – es gibt nichts Öderes und Geistloseres als das unendliche Fortbohren und das Zuschauen eines unglücklichen Mannes. Wohl wird es zuletzt zur Gewohnheit, und sie können so schön und frei denken, ob sie stricken oder nicht – aber es ist nicht wahr; denn welche kostbare Zeit verlernten sie an dem Ding, und verlernten dabei das schöne, freie Denken mit, welches Denken übrigens bei jeder fortgesetzten einförmigen Körperbewegung immer etwas von dem Wesen dieser Bewegung annimmt. Ersparnis ist es in den meisten Familien auch nicht; denn sonst müßten sie sich folgerechter Weise auch die Schuhe machen und noch andere teurere Sachen – aber wo Ersparung not tat, hätten die Töchter etwas Besseres lernen können, um sich damit Strümpfe genug und all die teuern Sachen obendrein zu verdienen. Bei ihrer sehr einfachen Art, sich zu kleiden, erspart Angela mehr, als sie für Strümpfe wird ausgeben müssen. Es ist Unglück genug, daß bei dem Unsinne des Verschwendens, der sich der Welt bemächtigte, ohnehin ein so großer Teil der Menschen verdammt ist zur lebenslangen Arbeit des Körpers, daß er kaum Zeit hat, zum Himmel zu schauen, wie er so schön blau ist. Dazu hat uns Gott nicht gemacht, und Jahrtausende werden vergehen, [] bis wir natürlicher, das heißt geistig reicher und körperlich einfacher werden.
Ferner das Sticken, von dem ihr Lehrer sagte, es sei die sündenvollste Zeitverschwendung; denn das endlich fertige Ding sei kein Kunstwerk; ist es schön, so ist das Vorbild schuld, nicht die Nachmacherin; meist aber bleibt es hinter dem mittelmäßigsten Gemälde zurück, und kann solches auch seiner Verfertigung zufolge nicht erreichen, kostet aber so viel Zeit und Mühe, daß man mit derselben ein wahrer Künstler in Farben werden könnte – ferner als Geräte dient die Stickerei nicht, da zu viel Zeit und Geld daran haftet, als daß man sie sofort ohne Umstände gebrauchen könne, da man Polster, Teppiche usw. sehr geschmackvoll haben kann, und um weit geringere Mühe und Preise. Das Machen – und dies ist das Traurigste – gewährt auch nicht das geringste Ersprießliche; denn man denke, wie viel schöne Gedanken und Empfindungen könnten in der Zeit durch das Herz der Jungfrau gehen und ihr geläufig werden, während sie zusammengebeugt und eingeknickt die mechanische Arbeit verrichtet und in den gefärbten Wollknäueln wirtschaftet. Ja, dieses langsame, tote Nachstechen von Form in Form verödet das Herz, und der Geist wird dumpf und leer. Die Nachwelt wird einmal staunen, daß die Töchter der ausgezeichnetsten Geschlechter drei Vierteile ihrer Jugend auf so geistloses Tun verwenden konnten, wodurch ein Zwitterding von Kunstwerk und Prunkstock zu Stande kommt, daran das Verdienst eine Million Stiche war.
Dann welcher Nachteil für die Gesundheit, wenn der blühende, drängende, treibende Jugendkörper zusammengeknickt wird und in einer Stellung stundenlang verharrt, die ihm unnatürlich ist, und im Eifer der Arbeit noch unnatürlicher gemacht wird durch vermehrtes Bücken, durch das Andrucken des Rahmens an die Brust, und dergleichen.
[] Wirklich, Titus, dachte ich auch oft, wenn ich so eine holde, aufknospende Gestalt über den Rahmen hangen sah; – du liebe, arme Blume, man hat einen finstern Topf über deine Herzblätter gestürzt, daß du nichts weißt von Luft und Sonne; – wenn du statt dessen diese Zeit durch in die Strahlen gestellt wurdest, die aus so vielen großen Herzen der Vergangenheit auf uns herüberleuchten: wie würdest du daran deine Blüte entfalten können! – wenn du statt dessen in den Hauch Gottes gestellt würdest, der von Bergen zu Bergen weht: wie würdest du die großen, frischen Blätter deiner Seele auftun und froh erstaunen über die Schönheit der Welt!
Freilich sagen die Guten: »Aber es freut uns, solches zu bilden und dann unserer Hände Arbeit in der lieben Wohnung zu erblicken und uns zu freuen, wenn sie dem Geräte zur Zierde dient, und uns an den Werken einstens in die schöne Jugendzeit zurückzuzählen.«
»Ihr Lieben, Holden!« sag ich dagegen – »ja, bildet nur, aber gleich noch etwas Schöneres, wenn ihr schon den Bildungstrieb habt – etwas, das noch dazu leichter ist; – lernet, daß es ein Schaffen gibt, ein Erschaffen des eignen Herzens, Bildung dieses schönen Kunststückes, Ansammlung und Eigenmachung der größten Gedanken, welche erhabene Sterbliche vor uns gedacht haben und uns als teures Erbstück hinterließen; ja lernet, daß ihr leicht in der wahren Kunst etwas zu machen verstehen werdet, was aus der freien Seele quillt, nicht als Aftertrieb eines fremden Stammes, und woran ihr, als an einer viel schönern Blumenkette, in eure Jugend zurückgehen könnet Wenn ihr mir aber vorhalten könntet, es freue euch nun einmal so und nicht anders, und die Freude sei der Zweck: dann widerlege ich euch nicht mehr; denn es muß Leute geben, die an derlei Freude haben, weil sie eine höhere nicht haben können, und ich erinnere mich, einmal mit Rührung einer geistesschwachen Frau zugesehen [] zu haben, wie es ihr innige Freude machte, viele blaue und grüne Steine auf den Tisch zu zählen, und von ihm auf die Bank und wieder auf den Tisch und so weiter.«
Dann haben sie ein anderes Zauberwort, mit dem sie sich tragen und alles abfertigen: die Häuslichkeit. Diese Häuslichkeit aber ist ein Hinfristen an Bändern und Kram, ein Ordnen der Hausbälle und Tafeln und Gesellschaften, und ein unnötiger Prunk an Kleidern und Gerätstücken. Freilich hat da eine Frau samt der ihr beigegebenen Dienerschaft genug zu tun. Wenn aber Häuslichkeit nur heißt: Wohnung, Kleider, Speise in ordentlichem Stande zu erhalten, so mag sie allerdings ein Teil und zwar ein kleiner Teil des weiblichen Berufes sein, der aber so leicht zu erfüllen ist, daß zu dem größern und höhern noch Zeit genug übrig bleibt, da ohnehin in diesen Dingen Mutter Natur die größte Einfachheit vorgeschrieben hat und die Abweichung durch Krankheiten aller Art bestraft. Diese letzte Häuslichkeit hat Angela in hohem Grade; denn sie ist immer, obgleich einfach, doch bis zum Eigensinne rein und edel gekleidet, und zu Hause, wo sie die Oberleitung fahrt, soll es immer aussehen wie in einer Kapelle. Einen andern schönen Teil der Weiberpflicht aber erfüllt sie, wie wenige ihrer Schwestern: Bildung des künftigen Mutterherzens, von dem man nicht wissen kann, ob nicht ein Sokrates, Epaminondas, Gracchus als wehrloser Säugling an demselben liegt und die ersten Geisterflammen von ihm fordert und fordern darf. Wie nun, wenn sie der Sendung nicht gewachsen wäre, und den Geistesriesen zu einem Nero und Octavianus verkommen ließe? Und der erste Druck in das weiche Herz gibt ihm meist seine Gestalt für Leben lang.
Endlich selbst Vorbereitung und Erfüllung der Mutterpflicht schließt nicht den Kreis des Weibes. Ist es nicht auch um sein selbst willen da? Stehen ihm nicht Geister- und Körperreich offen? Soll es nicht, wie der Mann, [] nur in der Weise anders, durch ein schönes Dasein seinen Schöpfer verherrlichen? – Endlich, hat es nicht einen Gatten zu beglücken, und darf es ihm statt des schönen Herzens eine Wirtschaftsfertigkeit zubringen, die geistig genug zu sein glaubt, wenn sie nur unschuldig ist? Das ist der Knecht, der sein Talent in das Schweißtuch vergraben hat.
O Titus! Angela hat mir die Augen geöffnet über Wert und Bedeutung des Weibes. – Ich schaudere, welche Fülle von Seelenblüte taub bleibt; wenn die Besterzogenen dastehen, nichts in der Hand als den dürren Stengel der Wirtschaftlichkeit und das leere, schneeweiße Blatt der angebornen Unschuld, auf das, wenn nicht mehr das Mutterauge darauf fällt, wie leicht ein schlechter Gatte oder Hausfreund seinen Schmutz schreiben kann – und die Guten merken es lange nicht oder erst, wenn es zu spät ist, ihn wegzulöschen. Andere werden freilich unterrichtet, aber obiges Blatt wird dann eine bunte Musterkarte von unnützen Künsten und Fertigkeiten, die man unordentlich und oberflächlich darauf malte.
Es ist ein schweres Ding um die rechte, echte Einfalt und Naturgemäßheit – zumal jetzt, wo man bereits schon so tief in die Irre gefahren ist.
Wie manche warme und großgeartete Seele in diesem Geschlechte mag darben und dürsten, so lange sie lebt bloß angewiesen an den Tand, den ihr der Herr der Schöpfung seit Jahrtausenden in die Hände gibt.
Doch genug hievon.
Lächerlich ist es oft, die heitere, überfröhliche Emma ihr gegenüber sich bemühen zu sehen, Bänder und Kleider und Stickereien und dergleichen geltend zu machen. Sie läßt sie in allem gewähren und ist stets mild und freundlich, und am Ende merkt doch das kleine, hocherrötende Trotzköpfchen, daß es widerlegt ist.
Ob es Angela ahnt, wie sehr ich sie liebe, weiß ich nicht, [] aber vermute es – nur in ihrer einfältigsten Natürlichkeit kennt sie gewiß den Stachel nicht, der ewig leise fortschmerzend mir im Herzen sitzt; denn es freut sie, in mir einen ihr gleichgestimmten Menschen gefunden zu haben, und als solchen liebt sie mich auch und zeigt es unverhohlen vor allen – selbst neulich, in einem Kreise von Frauen und Männern, reichte sie mir ohne Umstände die Hand, die keiner von den Anwesenden je zu berühren wagte, und sagte, daß sie sehr erfreut sei, daß ich gekommen. Ich merkte es deutlich, wie mitleidig man diese Ungehörigkeit mit ansah. Wir reden oft stundenlang mit einander, und sachte geht dann ein Tor nach dem andern von den innern Bildersälen auf; sie werden gegenseitig mit Freude durchwandelt; ganze Wände voll quellen vor und schwärmen, und wenn dann plötzlich manche Götterform vorspringt, längst gehegt, geträumt und geliebt im eignen Innern – und wenn nun das Doppelkleinod jubelnd hervorgezogen wird – und endlich immer mehrere und schönere derlei kommen, so steht auch in ihrem Auge ein so schöner Strahl der Freude, daß sie ihn vergißt zu bergen und ihn als arglos liebevoll in das meine strömen läßt. Das ist das Hohe einer naturgerecht entwickelten Seele, daß jenes kranke, empfindelnde und selbstsüchtige Ding, was wir Liebe zu nennen pflegen, was aber in der Tat nur Geschlechtsleidenschaft ist, vor ihr sich scheu verkriecht – und das ist der Adel der rechten Liebe, daß sie vor tausend Millionen Augen offen wandelt und keines dieser Augen sie zu strafen wagt.
Luciens Geist ist ihr am verwandtesten, oder vielmehr, es mögen es viele sein, jedoch sie wurden nicht wie diese zu ihr hinangebildet. Emma, wie sehr auch noch ein Kind, zeigt doch schon Spuren, wie unwiderstehlich das gelassen fortwirkende Beispiel eingreift. Daß man es wagt, in gewissen Kreisen, ja fast in allen, den Stab über Angela zu brechen, wirst du wohl begreifen; unserer weiblichen [] Zeit steht sie zu weit voraus – ja sogar, da nie ein starker oder gar sündiger Affekt an ihr sichtbar wird, oder jenes Aufkreischen oder Herumspringen, was Natur und Lebhaftigkeit sein soll, so nennt man sie kalt, sie, in deren Auge allein, wenn es in irgendeinem Augenblick zum Verkünder ihres Innern wird, in einer Sekunde mehr Dichtungsfülle liegt als in dem Herzen anderer das ganze Leben hindurch. Diese Augen verrieten mir auch etwas, was ihr Mund bisher verschwieg – nämlich es ist mir außer allem Zweifel, daß irgendein Weh in ihrem Leben Liegt und bei gelegentlicher Erregung auf ihr Herz drückt; denn in eben diesen Augen sah ich schon ein paar Mal, zufällig erregt, nur gleichsam durchgleitend und schnell bekämpft, einen tiefen, deutlichen Blick der Trauer und Wehmut, was um so mehr wirkt, weil sie sichtlich einen solchen Augenblick zu vermeiden sucht oder unterdrückt.
Ich forsche nicht; aber es erschreckte mich, als ich sie vorgestern abends am Apfelbaume lesend fand; ich war ungehört näher gekommen, und als ich sie grüßte, schlug ein erschrockenes Auge zu mir empor, das offenbar nicht gelesen hatte, und das zu schnell in die größte Freundlichkeit überging.
Aber sei es genug – wer stellt mich auch zum Wächter ihrer Augen auf?
Eine Narrheit von mir muß ich Dir noch melden, lieber Titus. Wenn mir dieser Tage her irgendein Mann mit einem spanischen Rohre begegnet und dem Goldknopf darauf, und ein westindisches Gesicht macht, so jage ich mir Schrecken ein, daß es bereits mein Nabob sei, mit dem ich zerfallen werde; denn Aston kündete ihn nun zuverlässig in ›baldester Bälde‹ an, und er werde auf meine Zukunft den entscheidendsten Einfluß haben. Ich verlange aber nicht im geringsten einen derlei Einfluß. Im übrigen muß der Nabob bald kommen, und der Einfluß [] bald beginnen: denn sonst trifft er mich nicht mehr hier, da wir, Lothar und ich, unsere Gebirgsreise, von der ich Dir schon einmal gemeldet zu haben glaube, längstens in vierzehn Tagen antreten werden. Lebe wohl!
12. Vergißmeinnicht und Wolfsmilch
2. August 1834
Ich bitte Dich, bleibe bei Deinem Vorsatze und komme bald; denn ich brauche Dich hier, wie nie in meinem ganzen Leben. Zwei Dinge sind hereingebrochen, die alles ändern und alles zerbrechen. Lothar ist bereits zurück, und auf übermorgen ist der Postwagen nach Linz bestellt. Angelas Lehrer ist zurück – aber ich tat etwas und ich erfuhr etwas, das mich auf ewig um diesen ersehnten Menschen bringen kann und muß.
Ich bin in Verwirrung; aber dennoch will ich versuchen, Dir alles in der Ordnung zu schreiben.
Am dreißigsten Juli abends ging ich zu Aston. Sie waren alle in Dornbach, sollten aber jeden Augenblick kommen; ich ging ins Musikzimmer, um ihre Rückkunft abzuwarten. Angela saß am Piano, und aus der Abendröte strömte mir eine heitere Tonflut entgegen, als ich eintrat. Sie stand sogleich auf, da sie mich erblickte, und kam mir mit einem strahlenden Gesichte entgegen, meldend, heute morgens endlich sei ihr teurer Freund und Lehrer Emil gekommen, und morgen nach Tische dürfe ich keinen Pinsel mehr berühren, sondern müsse gleich in Astons Garten erscheinen, da werde er, der Oheim und alles da sein, und sie müsse die Freude haben, zwei Menschen, wie er und ich, mit einander bekannt zu machen, »und ihr werdet euch«, setzte sie hinzu, »im Fluge lieb gewinnen und dann nie mehr von einander lassen können; das weiß ich so gewiß, als es gewiß ist, daß ich schon über eine Stunde hier auf die böse Lucie warte.«
[] Ihr Gesicht schimmerte reckt im eigentlichen Sinne von innerer Seligkeit, und mein Herz war schlecht genug, den Menschen um die Freude in diesen Augen zu beneiden siehst Du, wie viel besser sie ist als wir alle. – Hätte sie dies mein häßliches Gefühl nur von ferne geahnt, sie hätte gewiß ihre Freude mäßiger gezeigt – aber sie traut mir geradewegs ihr eignes schönes Herz zu.
O Titus! Jetzt, wie ich davon schreibe, quellen die Empfindungen jener merkwürdigen Stunde wieder in mir empor, jener Stunde, die ich hervorrief und ewig, ewig, ach, ewig nicht vergessen werde können.
Ich sagte ihr, daß ich recht gern kommen werde, setzte aber hinzu, daß die Bewillkommnung sehr bald in einen Abschied übergehen werde, da ich mit Freund Lothar in einigen Tagen eine Reise nach dem Glockner antreten werde. – Denke Dir, Titus, wie mir ward, da bei diesen Worten ihr Gesicht, noch eben leuchtend von der höchsten Freude, auf einmal mit Todesblässe überzogen wurde! »Wie lange bleiben Sie aus?« fragte sie.
»Zwei Monate«, sagte ich.
»Dann sind wir bei Ihrer Rückkehr schon in Frankreich«, erwiderte sie leise; »in vierzehn Tagen gehen wir auf immer fort und werden am Jura wohnen.«
Nun war der Schrecken an mir: ich starrte sie zu Tode betroffen an.
»Wußten Sie das nicht?« fragte sie.
»Ich nicht, sonst hätte ich die Reise verschoben.«
Sie schwieg, und ich auch – es war ein peinlich schwüler Augenblick. Die Ankündigung meines Entschlusses, daß ich ja meine Reise aufgeben könne, hätte alles gelöst; aber es wollte schon so sein, wie es war. – Ich sagte nichts; mir wurde, als liebe ich sie seit einer einzigen Sekunde millionenmal mehr als je – ich begreife jetzt gar nicht, warum ich denn das Wort nicht sagen konnte, daß ich gar nicht reisen wolle – sondern eine Stimme lag in [] meinen Ohren: ›Nimm jetzt den Abschied von ihr, in dieser Sekunde nimm den Abschied; denn es wird keine mehr kommen, wo du allein bist mit der geliebtesten, schönsten, freundlichsten Gestalt deines Lebens, die nun auf ewig, ewig untersinkt; morgen stehe ich wie ein Fremder, wie ein Geschiedener neben ihr‹ – – ich weiß nicht: war es diese Stimme, war es Verhängnis, war es sonst etwas – kurz, ich weiß nichts mehr von dem Augenblicke, als daß ich mich schmerzenswild von ihr abwandte und dadurch auch in ihr die Erregung emporjagte – und daß ich die bittern Worte ausstieß: »Ja, ja – so ist es – ich sollte mein Herz an nichts hängen – an gar nichts; – – den in den Pyrenäen wird schon auch eine Kugel treffen; o gewiß – gewiß!«
Ich wendete mich nicht um und starrte in das Blut des Abendhimmels hinaus; sie regte sich auch nicht hinter mir – wahrscheinlich war sie erschrocken – da trat ein Diener Astons herein und meldete, sein Herr habe den Wagen geschickt und lasse das Fräulein bitten, damit in den Augarten zu fahren, wo man sie am Eingange erwarten werde. Als er abgegangen, wandte ich mich um und suchte scheu ihr Auge – sie stand noch auf demselben Flecke, und ihre Blicke wurzelten auf dem Boden. Ich konnte nicht reden, sondern ging zweimal im Zimmer auf und ab; dann leise zu ihr tretend, sagte ich sanft: »Da es nun einmal unvermeidlich ist – da es doch einmal sein müßte, so gestatten Sie, daß ich Ihnen hier, wo wir allein sind, das Abschiedswort sage; denn vor den vielen Blicken vermochte ich es nicht – –«
Da hob sie auf einmal die zwei Augen auf, groß und dunkel auf mich gerichtet, und von etwas umdüstert, wie von einem schweren Schmerze – dies lockte plötzlich auch den ganzen Strom des meinen hervor. – Es ist ja eine alte Schönheit des Menschenherzens: Scheidende lieben sich am heißesten, und alles Schöne und alles Gute, [] was sie sich in langem. Zusammen sein getan, preßt sich in den letzten Augenblick »O, Angela,« rief ich. »liebe, liebe Freundin; ich kann ja die Öde nicht fassen und nicht tragen, daß nun ein ganzes langes Leben vor mir liegt, in dem Sie nicht sind – nicht mehr die holde Stimme, das liebe Auge, das gute Herz – Sie sind so gut, so gut – – und jetzt ist alles aus!«
Auch durch ihre ganze Gestalt ging eine Erschütterung und Abschiedswehmut, die immer wuchs und immer mehr ihr Angesicht entfärbte – aber schneebleich wurde sie plötzlich, und plötzlich wegtreten mußte sie, als ich die Worte sagte: »Waren Sie mir denn auch nur im kleinsten, nur im wenigsten gut, das heißt anders gut, als Sie es ja allen Menschen, selbst den bösen sind? – Ach, ich weiß erst jetzt, wie unaussprechlich lieb Sie mir gewesen – ach, so unaussprechlich lieb!«
Sie stand am Fenster in Unentschlossenheit und Tränen wankend – mir war vor Bewegung und Erregung alle Welt vergangen; nur das Glutauge der untergehenden Sonne, war mir, als sähe ich es draußen zwischen den grünen Zweigen liegen und eine Gestalt mit Gold besäumen, die hier vor mir stand und mir so unermeßlich bedeutsam geworden war.
Ich weiß nicht mehr, wie kurz, wie lang diese Zeitlage dauerte – vor meinen Augen schwebt nur immer noch das so weiche, so gütige Angesicht der sonst immer so ruhigen Gestalt, das Angesicht, mit dem sie sich zu mir umwandte – die verhaltnen Tränen waren hervorgebrochen, sie aber trocknete dieselben schnell und sagte mit gesammelter Stimme: »Ich weiß es ja erst seit einer Minute, was ich weiß – gegen Sie muß ich aufrichtig und wahr sein; Sie sind es auch immer gegen mich – ich weiß nicht, ist es gut, was ich tue, ist es nicht gut; aber ich folge meinem Gefühle, das mir sagt, ich müsse es tun; – ich gebe Ihnen gern, gern mein Herz, und ich will Sie [] lieben, so lang ich lebe.« Sie hielt einen Augenblick inne; dann aber, gleichsam erleichtert, setzte sie noch die Worte hinzu: »Ich mußte es sagen, da es so ist und da Sie fragten; aber da es nun gesagt ist, so dürfen Sie auch für alle Zukunft darauf bauen.«
Ich stand sprachlos bei ihr; in die großen, schönen Augen waren wieder Tränen getreten, und freiwillig, ohne Ziererei und gütig durch die Tränen lächelnd reichte sie mir die Hand, nach der ich schüchtern langte – ich beugte mich darauf nieder und drückte meine Lippen darauf: sie aber, welche meinte, sie müsse nun recht treuherzig gegen mich sein, legte unbeholfen ihre andere Hand auf mein Haupt – ich glaubte, wir haben beide in jenem Augenblicke gezittert.
Ich weiß nicht, wie es war; nur daß ich ihre Hand immer fester gegen mich ziehend, fast erstickt sagte: »Wie, wie nur in der Welt kann ich dieses Glück begreifen und verdienen? O Angela, o Braut, o Gattin!«
Sie zuckte bei diesem Worte auf, und sich sanft los machend, sprach sie sehr ernst: »So muß es ja auch sein so muß es sein, ich werde gern und mit Freuden Ihre Gattin werden; aber es ist noch ein Mensch, dem ich alles sagen muß – und er ist gut, so gut, wie Sie sich kaum vorstellen können; auch er wird sich sehr darüber freuen. Morgen werden wir wieder davon sprechen.«
O Titus! Du ahnst nicht, wie selig dieses reine Gold der Natürlichkeit in meine Seele floß. Es öffnete sich ein weites Paradies vor mir, und hatte ich jemals in meinem Leben einen Himmel zu erwarten, in jenem Augenblicke war er mein.
Einige Minuten standen wir noch neben einander am Fenster und sahen in das Abendrot, das langsam ausbrannte, und sprachen nichts; – dann, als wieder, gleichsam mahnend, der Diener eintrat, nahm sie ihren Hut und sagte, sie wolle nun in den Augarten fahren, aber ich [] möge sie nicht dahin begleiten; denn sie würden sonst wieder sagen, das habe sich nicht geschickt. Ich führte sie an den Wagen, und da ich ihr sagte, daß ich meine Reise ganz aufgeben wolle, freute sie es sichtlich, und die Hand noch nach ihrer Art herausreichend, sagte sie: »Kommen Sie nicht später, als um vier Uhr.« Dies waren ihre letzten Worte, und dies war ihr letzter Blick – wer hätte damals gedacht, daß es das Letzte in diesem Leben sein werde! Noch schwebte der Blick vor meinem Auge, und noch klingen die Worte in meinen Ohren.
Ich will versuchen, Dir das Ende noch zu schreiben, wie es sich begab.
Ich ging, da mir das letzte Rad ihres Wagens entschwunden war, vor die Stadt ins Grüne. Ich war wie ein Träumer, wie ein Trunkener, fast nicht ertragend das ungeheure Glück – und als ich schon zu Hause war – als ich ohne Licht auf meinem Sofa saß, malte ich mir dieses Glück noch seliger in die finstere, wimmelnde Luft.
O, ich Tor! ich Tor!
Auch am andern Tage, als ich erwachte, mußte erst einige Zeit verfließen, ehe ich es mir wieder stückweise klar machen konnte, was seit gestern mit mir geschehen.
Es war erst vier Uhr; ich aber stand auf und dachte, ich wolle den Morgen im Freien genießen. Mein Weg führte mich in den Park von Schönbrunn, alle Zweige hingen voll Morgengetön der Vögel, und ganz fern über den Karpathen stand der sanftblaue Duft eines Morgengewitters, und die Luft versprach etwas mehr als einen gewöhnlich schönen Tag.
Du kennst den Obelisk im kaiserlichen Garten; hinter ihm erhebt sich eine kleine buschige Wildnis, die ich sehr liebe. Deshalb lenkte ich meine Schritte dorthin – es war kaum fünf Uhr morgens vorüber; in dem ganzen Parke war kein einziger Mensch zu sehen, als nur die Schildwache am Schlosse. Rechts vor dem Obelisk ist [] eine nachgeahmte römische Ruine um ein melancholisches Wasserbecken herum, in welchem allerlei bunte Tierchen und Wasserpflanzen schwimmen. Vor diesem Wasser sah ich zwei Menschen stehen, einen Mann und eine Frau; sie standen mit dem Rücken gegen mich, als blickten sie ins Wasser; aber bald erkannte ich, daß sie mit einander sprechen. Ich dachte, sie hätten wohl auch die Morgenstunden gewählt, wie ich, um einsam zu sein; deshalb wollte ich sie nicht stören, sondern schlug den Seitenpfad ein, der zur Brunnennymphe führt, um von dort in meine Wildnis hinauf zu gelangen. Aus Neugier blickte ich von oben herab noch einmal durch die Zweige auf das Paar, und fand es in der traulichsten, süßesten Unterredung stehen, ja, er legte einmal sogar beide Hände auf ihre Schultern und zog sie sanft gegen sich. Von den Angesichten konnte ich nichts sehen, weil meine Richtung gegen sie zu schief war. Er zeigte von rückwärts eine schöne Gestalt, ganz in Schwarz gekleidet; seine Bewegungen waren so fein, als gehöre er den höchsten Ständen an; von ihr sah ich nur Teile des weißen Kleides, da er sie mir fast ganz deckte.
Einen Augenblick nur hätte es noch bedurft, und ich wäre weiter gegangen; aber gerade in diesem Augenblicke hob sie ihr Haupt empor und zeigte mir durch eine Wendung ihr volles Gesicht, und denke Dir, es war Angela!
Ich weiß nicht mehr, wie mir wurde – ich weiß es eigentlich noch nicht, wie mir ist – aber ich will jede Empfindung wegweisen und nur erzählen, was sich weiter ergab. In meiner Jugend geschah es einmal, daß ich mit einem Messer im Spiele meinen Bruder in die Seite stach, und als sogleich ein dunkler Blutbach das Kinderhemdlein netzte, und der rote Fleck riesig weiter wuchs – damals verzweifelte ich, hielt mich für einen Mörder und wurde ohnmächtig – später, als der Bruder verbunden und ich [] geweckt war, fragte man mich, wie mir gewesen, und ich konnte es in meiner Kindereinfalt nicht anders ausdrücken, als daß ich sagte, das Herz sei mir stehen geblieben, der Himmel sei finster geworden und voll Regenbogen und hätte mich zusammengedrückt; aber das Herz habe auf einmal einen Stoß getan, und die Regenbogen seien verschwunden. Gerade so, mein Titus, war es mir in diesem Augenblicke wieder. Ich erinnere mich deutlich, daß ich eine Zeit gar nichts sah als Farben, und auch den Stoß des Herzens spürte ich deutlich, wodurch die Farben verschwanden. Als sich die Gegenstände vor meinen Augen wieder lösten und sich begrenzten, standen auch die zwei Gestalten wieder da – ich sah klar die großen, schwarzen, schönen Augen, mit denen sie ihn so aufrichtig anschaute, wie gestern mich. Es half kein Sträuben: sie war es.
Jetzt redete er, und sie sah ihn unverwandt an; dann redete sie, und er horchte – dann schien es wieder, als schwiegen sie und schauten rätselhaft in das Wasser, wie ich sie gefunden hatte. Ich mußte eine Sekunde die Augen schließen – dann öffnete ich sie wieder. Sie hatte das Antlitz jetzt weggewendet, und auch von der bloßen Gestalt war es, als flösse noch der ganze betörende Zauber nieder, und die Hoheit und die Unschuld, womit sie mich besiegt hatte. An ihm war, wie ich schon gesagt habe, jene Art Herrschaft und Sicherheit der hohen Stände. – Einmal streckte er den Arm aus; sie schmiegte sich etwas näher gegen ihn und bog das Hinterhaupt zurück, wie eine, die emporschaue; er aber krümmte mit Feinheit den ausgestreckten Arm zurück und endete damit, daß er die Hand auf ihr Haupt legte, gleichsam mit Zärtlichkeit die gescheitelten Haare streichelnd, denn sie war barhaupt, und der wohlbekannte Strohhut hing an ihrem linken Arme. Dann wendeten sie sich; ich sah noch ihre Hand in seinem Arme liegend – ein dichtbelaubter [] Ulmenast stellte sich dann zwischen mich und sie – dann sah ich noch weiße Kleiderstückchen zwischen dem Baumgitter schimmern und dann nichts mehr. Ich blickte noch länger, aber die Stelle blieb leer, und es war als sei der ganze Garten leer. Der weiße, einsame Obelisk zeichnete sich gegen die dunkelblaue Wand des Ostgewitters, das indes langsam heraufgezogen war – es war schwül geworden – kein Vogel sang mehr in dem Parke, und ich drückte meine Stirn fester gegen den Stamm der Akazie, an der ich saß.
O Titus, ein Gefühl, so häßlich, daß ich mich fast verachtete, kroch in mir herauf, – aber dennoch war es, als riefe jede Ader in mir, das Gefühl sei gerecht!
Ich blieb sitzen an der Pyramide und brütete, wie der Vormittag, der sein Gewitter braute. Nicht ein Hälmchen rührte sich, und der ganze Garten wartete gedrückt; über ihm stand schwer niederhängend die Wucht stummer, warmer, dicker Wolken, die sich rüsteten und mit leisen Regungen durcheinanderschoben. Mein Auge starrte entzündet hinauf, und dem Herzen taten ordentlich die armen kleinen, glänzenden Flöckchen weh, die aus dem dunkeln Knäuel vorhingen – gleichsam gerettete schöne Kindheitsgedanken in einem dumpfen Herzen und immer dicker und schwerer wurden Luft und Wolken; im fernen Osten ging in schiefen Streifen schon der rötlich graue Schleier des Regens nieder – da kam der Wind geflogen und der Donner, rollend über alle Wipfel des Gartens; große Tropfen fielen, und somit löste sich die Stille am Himmel und auch in mir. Ein frisches Rauschen wühlte in den Bäumen und mischte Grün und Silber durch einander, und in mir raffte sich ein fester, körniger Entschluß empor und gab mir meine Schnellkraft wieder, nämlich der Entschluß, sogleich abzureisen. – Fahre wohl, Armida, – dachte ich – fahre wohl! Ich ging nach Hause; ein prachtvoller Regen rauschte [] nieder, und ich freute mich, je toller er um meine Schläfe rasselte, und je nasser ich wurde.
Den Rest des Tages, als ich mich umgekleidet hatte, verbrachte ich mit Packen, war abgesperrt und ließ niemanden zu mir. Den Lothar hatte ich beredet, daß wir am andern Tage, das ist: heute abreisen. Von der Familie Aston nahm ich schriftlich Abschied, weil ich Angela dort zu treffen fürchtete. Ich sagte in dem Briefe, daß mich am letzten Juli um fünf Uhr früh am Obelisk zu Schönbrunn etwas betroffen habe, was es mir unmöglich mache, ihn persönlich zu sehen. Bei meiner Zurückkunft werde sich vielleicht manches aufklären; an die liebe Lucie und Emma gab ich viele Grüße auf.
Noch eins muß ich Dir melden. Anselm Ruffo, ein Bekannter von mir, ein kalter philosophischer Geselle, begegnete mir zufällig auf der Straße und hing sich an mich und sagte mir nebst vielem andern, ich möchte mich in Acht nehmen mit meinem weiblichen Umgange; denn das Mädchen, dem ich sehr viele Aufmerksamkeiten erweise, sei stadtbekannt als die Geliebte des Engländers Grafen Lorrel. Ich dankte ihm kühl für die Nachricht – sie war mir nun fast gleichgültig.
Und nun, Titus! Wenn Du Deine Herreise beschleunigen kannst, so tue es, ich bitte Dich, tue es; ohnedies bangt mir oft sehr für Dich, wenn ich von den Abscheulichkeiten lese, die der spanische Bürgerkrieg erzeugt. Lebe wohl für heute! In München triffst Du Briefe, die Dir sagen, wo Du mich findest. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Abends um 8 Uhr
Es wird doch heute ewig nicht zehn Uhr, welcher Glockenschlag mich endlich aus dieser Stadt bringt. Alles ist geordnet; Lothar geht herum Abschied nehmen, und ich gehe schon tausendmal in meinem Zimmer auf und ab. [] Nun, es wird ja doch auch verhallen und verklingen, wie so vieles verhallte und verklang. Nur daß das kindische Herz sich so mag aufregen und sich von seinen Wallungen Ewigkeit vorspiegeln, und weiß es doch, wie noch jede Bewegung desselben ausschwang und verging. Oder hat eine Entzückung über eine Seele vor der über die A-Symphonie etwas voraus? Sind nicht beide bloße Werke der Schönheit? Ach Gott, die A-Symphonie blieb schön!! Siehst Du, das ists, daß es Ideen geben darf, glänzend und höchsten Adels, und daß sie so höhnisch dürfen mißhandelt werden. Getäuschte Liebe, geäffte Anbetung ist ein altes Märchen, – doch darüber sich zu härmen ist kläglich und schwach – aber es gibt einen größern Schmerz, den Schmerz verlorner Seelen, und der meine wäre derselbe, wenn ich sie auch nur bloß gekannt hätte, etwa als Mutter, Gattin – und dann den widrigen Flecken an dem Wunderwerke gesehen hätte. Wenn blaue Lüfte, duftige Berge, schöne Wolken in meinem Auge schweben – wenn der Donner und die Flötenstimme an mein Ohr dringt – und dies alles Wahrheit außer mir haben darf: warum lügt das Herz in uns? – Wenn das wahr ist, was meinem Tiere zusagt, kann das höhnen, was mich vergöttert? Sie selbst, trotz der schnöden Mißstimmung, hat es mir wieder gezeigt, was uns das eigne Herz als künftigen unbekannten Himmelslohn verspricht, das muß wahr sein – es muß wahr sein – nur das Suchen kann in der raschen Trunkenheit verfehlt werden. Somit – fahre wohl!! In zwei Stunden geht es auf den Postwagen und dann in Gottes urewige, schuldlose Berge.
13. Purpurrotes Fingerhütlein
Linz, 3. August 1834
O Titus! was sind denn eigentlich drei Tage? – und welche Macht haben sie auf den Menschen! – Zürne nur [] nicht; ich weiß alles, was Du sagst, und habe Deinen Rat befolgt, ehe Du ihn gabst. Wenn ich Dich in der Stadt Linz getroffen hatte und Du hättest alle meine frühern Tagebuchsblätter gelesen gehabt, so wäre Dein Rat, nicht wahrscheinlich, sondern gewiß dieser gewesen: »Albrecht, gehe auf die Post und gib den letzten Pfennig dafür her, laß man dich eiligst nach Wien befördere; – dann tritt vor sie und sage: ›Ich bin ein gehetzter Tor gewesen und drei Tage lang ein schlechter Mensch.‹«
So geschieht es auch: ich bin in kindischer Raserei nach Linz gefahren, und nun ist der Postwagen wieder bestellt; morgen um fünf Uhr gehe ich mit ihm nach Wien. Lothar ist einverstanden, und wird acht Jage in Linz warten, bis ich selber wieder komme oder ein Brief. Er weiß alles und erschrak fast über die Rücksichtslosigkeit meines Verfahrens. Erst einen Tag vorher sagte sie die Worte: »Da es nun gesagt ist, so dürfen Sie für alle Zukunft darauf bauen«, und ich glaube schon am andern Morgen darauf den Ratschlägen der bösesten, blindesten Leidenschaft mehr, als der ganzen klaren Sittlichkeit ihres Wesens, die mir so lange vorlag – einer Leidenschaft, die berühmt ist wegen ihrer Roheit und ihrer Trugschlüsse. Sie, an allem, was gut ist, so weit über mir, gab sich mir als Braut, und vertraute mir, mir unbedeutendem Menschen, der ich noch vor wenig Tagen jeden Mann für sie zu schlecht hielt – und in der ersten Probe sinke ich schon so schmachvoll tief. Ich schäme mich, so knabenhaft gehandelt zu haben. Eifersüchtig zu werden, alle Welt vor den Kopf zu stoßen und auf und davon zu fahren! Setzen wir den Fall umgekehrt: was würde sie getan haben? Entweder sie hätte gar nichts gesagt, oder etwa, warum ich so geizig bin und eine Freundin, die ich so lieb habe, ihr vorenthalte; es wäre ja schöner, wenn ein Mensch mehr im Bunde sei, der sich unsers Lebens und Strebens freue. Ich will des Todes sterben, wenn sie [] nicht so gehandelt hätte. Ich kann es nicht tragen, ach ich kann es nun nicht tragen, bis der Fehler gut gemacht ist – es war ja nicht Mißtrauen, Mißtrauen war es nicht, nur ganz blinde, sprudelnde Eifersucht, und es soll das erste und letzte Mal sein, daß ein solch böses Ding in mein Herz kam – es überraschte mich, und in der gänzlichen Neuheit der Sache wußte ich mich nicht zu nehmen. O Titus, die Reue ist noch nagender als die Eifersucht selbst; hilf mir nur die Stunden ertragen, die noch bis zur Abfahrt sind – ach, und erst die zwanzig langen Stunden der Fahrt!! Indes will ich die ganze Nacht an diesem Tische verschreiben, um mich anzuklagen. Auch verstandeslos war ich ganz und gar – ist es denn nicht sonnenklar, daß es ihr hochverehrter Lehrer war, mit dem sie die Morgenstunde wählte, um ihm alles zu sagen, ihr Freund, von dem sie es gar nicht erwarten konnte, mich ihm zu zeigen – wie sie jubelte, wie wir uns verstehen und lieben werden? – Und nun! und nun!! daß er sie umarmte? Tun Bruder und Schwester das nie? Führen es nicht auch andere Verhältnisse herbei? Als ich einmal der Braut eines meiner Studienfreunde auseinandersetzte, warum er sie verlassen mußte, und als sie über die bösen Verleumdungen, die sein Herz von ihrem trennten, im ausgelassensten Schmerze verging: nahm ich sie da nicht, selbst gerührt, in die Arme, drückte sie an mein Herz, faßte ihre Hände, tröstete sie und versprach, alles ins Gleichgewicht zu bringen? Wie töricht nun, wenn er auf diese Umarmung wäre eifersüchtig geworden!
Endlich, jeder Erscheinung gehen ihre Zeichen vorher und nachher, und jede Erscheinung muß umringt sein von Nachbarn und Verwandten. Nie steht die glühende Abendwolke einzeln und geschnitten an dem Scheitel des blauen Mittaghimmels. Eben so ist dieser vereinzelte Verrat mitten in ihrem andern Leben eine Unmöglichkeit, [] ein Unding, eine Ungereimtheit. Wie mußte sie meine Roheit befremden und schmerzen, sie, die mir gestern alles gab! – – und die Zeit, die Zeit geht so langsam. – – Aber so ist es, wenn uns einmal der Nebelgeist der Leidenschaft und Unvernunft umdüstert: die nächsten Mittel erkennen wir nicht mehr. Was harre ich auch des Eilwagens? – Was hindert mich denn daran, sogleich ein Fischerschiffchen zu mieten, und so viel Ruderer dazu, als hineingehen? Der Mond steht am Himmel, das Wasser geht voll – wie oft hört ich sagen, solche Leute können in einer Nacht von Linz nach Wien fahren – ich tu's, ich tu's!
14. Ginster
Linz, 8. August 1834
›Wer des Drachen Zähne säet, der hoffe nichts Erfreuliches zu ernten.‹ Es ist alles aus, und ich bin selbst schuld daran. Ich dichtete mir einst am Traunsee ein schönes Tuskulum, aus dem jede Äußerung roher Leidenschaft Verbannung nach sich zieht – jetzt habe ich mich selbst durch solche Leidenschaft von einem schönern Tuskulum verbannt. Sie muß eingesehen haben, daß sie sich in mir irrte – und sie hat sich auch geirrt.
Ich mietete die Rudersmänner; sie flogen beinahe mit mir die Donau entlang, und ich war schon um acht Uhr früh des vierten August in Nußdorf und um neun Uhr in Astons Wohnung. Er allein war zu Hause. Auch ihn habe ich fast verloren. Es ging mir tiefer zu Herzen, als ich je ahnte, wie ich bemerkte, daß selbst dieser Mensch, sonst die lautere Güte gegen mich, nun ernst und scheu und kalt war – aufgeschreckt aus seinem Glauben an mich. Er erzählte ruhig und ohne Vorwurf, daß Angela mit ihrem Lehrer die Morgenstunde gewählt habe, nach Schönbrunn zu fahren; auch die Tante und die Schwester sind dabei gewesen; nur gingen sie entfernter, und [] da habe sie ihm ihr Verhältnis zu mir geoffenbart. Desselben Tages abends war alles in seinem Garten, und man wartete vergeblich auf mich, und als er, in der Besorgnis, ich sei krank, einen Diener sendete, so habe dieser meint Wohnung verschlossen gefunden. Mein Abschiedsbrief habe alles aufgeklärt. Angela habe fast einen halben Tag geweint, dann aber sich aufgerichtet und gebeten, man möge ja nur recht bald abreisen. Sie selbst packte mit großer Ruhe und Stille ihre Sachen, und gestern sind sie alle nach Frankreich abgegangen. Nur die Diener packen noch einige Dinge und folgen ihr nach. Sie hat von mir kein Wort mehr gesprochen. Lucie und Emma sind in Preßburg.
Ich schleuderte die zwei glühenden Funken, die mir bei seinem Berichte in die Augen stiegen, seitwärts, und schüttelte ihm heftig die Hand, sagend, daß ich gewiß nicht so schlecht sei, als alles scheine, und daß ich nun in die Gebirge gehe. Etwas freundlicher durch meine unverkennliche Reue, fragte er um meinen Reiseplan, und ich sagte ihm denselben – und als ich fortging, küßte er mich wohl wieder, aber nicht so herzlich als sonst, wenn ich nur auf einige Tage verreiste.
Und nun sitze ich wieder in derselben Stube meines Gasthofes in Linz, von der ich vor kurzem mit solcher Glut und solchen Hoffnungen nach Wien geflogen – aber alles ist aus – und wie anders, wie anders als noch vor zwei Tagen ist mein Herz! – Es ist aus, es hat sich beruhigt; aber wie beruhigt? Gleichsam gelassen entzweigedrückt liegt es in der Brust. Die Natur, das einzige Unschuldige, ist freundlich wie immer – meine Fenster gehen auf den Landungsplatz und die Donau. Der Tageslärm ist verstummt, durch die Fenster schwimmt die laue Augustusnachtluft herein und krümmt mein Licht, an dem ich schreibe, und trägt das Rauschen des Stromes mit herein und sein Plätschern an den Schiffen, die beiliegen.[] – Drüben schlummert das Mondlicht auf den alten Waldbergen des Mühlkreises, und die Lichter der Vorstadt Urfahr strecken lange, rote, zitternde Säulen in das Wasser. So still und mild ist alles draußen, als sei ringsum lauter Glück. Es ist auch ringsum; nur hie und da geht einer in der Welt, der sich durch Ungeschick das eigne Herz zerquetschte. Von heute an will ich ein guter Mensch werden, so gut, daß nicht ein Tierchen von mir leiden soll. Es freut mich von ihr, daß sie den Freund, an dem sie sich geirrt, entschlossen bei Seite stellte und den Schauplatz ihrer Torheit schnell verläßt. Ihr Herz geht gewiß noch schöner aus dieser Prüfung. Schade, daß ich selbst das schöne, wiewohl unwahre Bild, das sie sich von mir gemacht haben mag, so grell zerstörte! Wer einmal Selbstmord versuchte, der geht hinfüro unheimlich unter den übrigen Menschen herum, und wer sich vor reingesitteten Wesen einer wilden Leidenschaft überläßt, der begeht sittlichen Selbstmord, und erregt die Furcht, daß er wieder einmal dasselbe Spiel beginne – und Liebe, das zarte Gewebe aus Vernunft und Sitte, zerstört er ja ganz natürlich durch solch Beginnen, ganz natürlich!
Morgen geht die Reise von hier über Steier, wo wir mit zwei Reisegefährten, ältern Bekannten von mir, zusammentreffen werden, mit denen ich eigentlich diese Reise schon längst verabredet hatte. Ich werde Dir von Zeit zu Zeit aus einem und dem andern Orte ein Blättchen senden; aber es wäre recht lieb und schön von Dir, wenn Du viel eher kämest, als Du vorhast.
Kennst Du nicht ein Lied von Justinus Kerner: ›Das Alpenhorn‹? Es ist, wie einer immer, wo er geht und steht, das Alpenhorn seiner Heimat leise, leise klingen hört, und es ihn mahnt, als müsse er sogleich nach dem Elternhause aufbrechen – eben wird es in einem Zimmer neben dem unsrigen von einer außerordentlich schönen Männerstimme gesungen – ach! Mancher hat eine Heimat, an [] die ihn ein ewig tönendes Alpenhorn erinnern wird; aber er vermag sie nicht mehr zu erreichen, ach, nicht mehr zu erreichen. Wo in Zukunft etwas Gutes und Schönes für mich erblühen wird, werde ich es zusammenfließen lassen mit ihrem schönen, geliebten, schwer gekränkten Bilde, und dieses Bild werde ich treulich durch mein ganzes Leben tragen. Es ist gut, daß Lothar um mich ist, dieses kräftige dichterische Herz – – es wird schon alles gehen!! Lebe wohl, lebe tausendmal wohl!
15. Liebfrauenschuh
Aussee, 15. August 1834
Es ist heute Sonntag und auch nicht mehr viel davon übrig. Ich will ihn größtenteils zum Schreiben an Dich verwenden. Wir fuhren von Steier bis Kirchdorf, um von dort abends im Mondscheine nach Scharnstein zu gehen. Die zwei andern Begleiter unserer Reise sind ein junger Doktor der Arzneikunde, Josef Knar, und Isidor Stollberg (kein Verwandter der Grafen). Wir blieben fast einen ganzen Nachmittag in Kirchdorf. Lothar malte das Kremstal, und Isidor und ich saßen im Schatten der Apfelbäume bis fünf Uhr; da kam Lothar wieder, und der Aufbruch wurde beschlossen; aber es fehlte der Doktor. Auf der Kegelbahn war er gesehen worden; auch in der Wirtsstube, im Hofe, selbst im Stalle – und jetzt war er nirgends zu finden. Erst um sechs Uhr kam er mit leuchtenden Augen und erzählte, daß er beim Wirte Brunmaier gewesen – ein Reisewagen habe ihn hingelockt, der auf der Gasse stand und prächtig war. Eine blutjunge Dame mit nur einem Diener habe im Wirtsgarten gewartet, bis ihre zwei Begleiter, die zu gewissen Eisenwerken in das Tal gegangen waren, zurückkamen; – mit dieser Dame habe er bis jetzt streiten müssen und habe sich in sie verliebt. Der Doktor ist ein drolliger, sehr lutiger [] Mensch. Er ahnt nicht im leisesten mein schweres trauriges Herz; er schwor daher lachend, er wolle den härtesten Eid ablegen, daß die Hexe Witz habe, und unter den braunsten Haaren die dunkelblauesten Augen ja, sie seien fast veilchenblau, was zwar gesetzwidrig sei; denn in der ganzen Zoologie kämen keine solchen vor; aber sie habe sie, und sei selbst ein Muster der unfolgerichtigsten Unlogik.
In Scharnstein – ich habe Dir einmal gesagt, daß ich einen Menschen habe, der mir überall begegnet – einen Engländer hieß ich ihn – in Scharnstein saß er in der Wirtsstube, als wir eintraten. Ich erschrak fast über diese seltsame Laune des Zufalls, später aber knüpfte ich sogar ein Gespräch mit ihm an und fand ihn gar nicht so übel, und als er unsern Reiseplan erfuhr, so trug er sich zum Begleiter an, wenn wir es nicht übel nähmen. Es wurde einmütig angenommen.
Wir brachen zeitlich morgens auf, natürlich alles zu Fuß. Lothar wird von Stunde zu Stunde herrlicher: wie die reine Alpennatur in seine Seele fällt, so breitet er sie himmlisch aus auf seiner Leinwand. Jede Studie, von der man meint, sie sei die beste, wird von ihrer Nachfolgerin übertroffen – und er wird schwärmerisch begeistert für die Berge und Wolken und Seen, wie für eine Jugendgeliebte.
Ein schöner Augenblick war es am Freitag nachmittag, da das kleine Tal von Habenau skizziert wurde. Der Platz ist wunderbar lieblich: eine heitergrüne Wiese in sanften Wellenbildungen, rechts ein dunkler Wald, hinter dem eben eine Wolke zwei schneeweiße Taubenflügel heraufschlug – vor uns die wunderlichen Felsen des Almseegebirgs, und links tief zurück der große und kleine Briel, die lichten Häupter in finstrer Bläue badend – kein Lüftchen – blendender Sonnenschein. Nach drei Stunden Malens stand Lothar auf, und seine Wangen glänzten, [] wie die eines verschämten Knaben. Alle waren entzückt; nur der Engländer sah auf das Blatt, ohne eine Silbe zu verlieren. Wir blieben noch lange und tranken aus unsern Reiseflaschen. Der Doktor blies auf seiner Stockflöte, Isidor lag im Grase auf dem Rücken und breitete die Arme auseinander. Der weiche, stille, heiße Sommernachmittag hauchte nicht und drückte sich tiefblau in seine Berge nieder. Endlich gingen wir weiter zu den Ufern des Almsees und an ihm fort bis zum Seehaus.
Ich konnte nichts malen, und werde es wahrscheinlich auf der ganzen Reise nicht tun können; denn der große, der drückende Schmerz über mich und das Mitleid mit ihr, der unschuldig Gekränkten, liegen wie Bergeslasten über meine Brust gedeckt und sehen mich aus der Natur an, als hätte sie ein dunkleres Trauergewand angelegt. So saß ich auch, als wir uns in dem Seehause eingerichtet hatten, wo wir über Nacht bleiben wollten, und als alle wieder auf Spaziergänge fort waren, so saß ich auch vor dem Hause auf der Bank und sah diese Berge an, die ich unter ganz andern Umständen zu sehen hoffte. Sie standen da in müder Tagesruhe, und das späte, kühle Nachmittagslicht lag auf ihnen, sachte aufwärts glimmend. Im See schliefen die Wellen, und in der Luft das Echo. Italien fiel mir ein und Indien und Griechenland und Amerika, und die ganze schöne Kugel und die Meere darauf und die Palmenwälder – und daß ich all das nie in meinem Leben werde sehen können.
Mein Reisedurst brannte, wie so oft – ich stand nun auch auf und ging von dem Seehause fort ins Ungewisse herum und senkte mich in meine Träume. Die Natur hielt Abendfeier, das Sonnenlicht schritt nur noch auf den höchsten Spitzen, die Luft ward immer wellenloser und stiller – ich ging südwärts gegen die Felsen – da war es, als ob das Echo, das tausendfältig in diesen Bergen schläft, [] traumredete und etwas wie Glockentöne lallte; – aber Glocken können hierher ihre Klänge nicht senden, da der Ort tief einsam im Gebirge liegt – ich ging immer weiter weg von dem Hause. Es gibt eine Stille, – kennst Du sie? – in der man meint, man müsse die einzelnen Minuten hören, wie sie in den Ozean der Ewigkeit hinuntertropfen. – Eben von ewig fortpolternden Städten gekommen, wurde mir diese Stille fast gespenstig, und ich war erleichtert, als endlich gegen Abend in der Dunkelheit ein leichter, kühler Hauch an mein Gesicht wehte und sich zwei Blätter an einem Schlehenstrauche neben mir rührten, aber ohne zu flüstern. Ich ging spät in das Haus zurück. Sie hatten schon zu Abend gegessen und mich und den Engländer vergeblich erwartet. Gleich nach uns sind noch zwei Fremde gekommen, und diese und die andern sind alle auf den See hinaus. Den Engländer glaubte man bei mir. Ich ging auch wieder fort, und als ich gegen den See kam, konnte ich sie nicht erblicken, weil es schon zu sehr dämmerte. Ich stieß einem Jäger auf, der mir sagte, er warte auf den Vollmondsaufgang. Ich wollte nun dasselbe tun und legte mich zu ihm ins Gras, und ließ mir von ihm erzählen, und wie sich seine Gebirgsmärchen, gleich Zitherklängen, entwickelten, schaute ich träumend in die phantastische Dunkelheit, in der die Gebirge hingen, in immer stillere und größere Massen schmelzend, und auf den See, der stets starrer und schwärzer ward und nur hie und da mit einem schwachen, ungewissen Lichtchen aufzuckte. Und immer tiefer sank Berg und Tal und See in die dunkle, schlummerige Luft vor mir zurück – eine unsägliche Wehmut war in meinem Herzen – der Jäger schwieg endlich auch, und ich hörte jetzt deutlich Lothar und des Doktors schöne Stimme von dem See her gedämpft singen – dann einen Pistolenschuß und das darauf folgende Gewitter des Echo, das die Berge und den See im Finstern durcheinanderwühlte, [] und in Kreisen rollte und sich mäßigte und beschwichtigte und ausmurmelte; sein Verzittern machte mir die Landschaft nur noch unbeweglicher, wie einen schwarzen Klumpen, der in zackiger Linie den silbergrauen Himmel abschnitt. »Seht einmal auf den Röllberg«, sagte mein Nachbar, und zeigte mit dem Finger in die Nacht hinaus. Ein lichter Schein stand unten an dem bezeichneten Berge – die Mondesaurora war es; ich glaubte, er selber werde jetzt aufsteigen; aber nur der Schein klomm längs der steilen Kante des Felsens, der ordentlich schwarz gegen diesen Schimmer stand, bis der Mond endlich gerade auf dem Gipfel des Steines wie ein großes Freudenfeuer emporschlug zu dem Himmel, an dem schon alle Sterne harrten. Er trennte sich sodann und schwamm wie eine losgebundene blitzende, weißglühende Silberkugel in den dunkeln Äther empor – und alles war hier unten wieder hell und klar. – Die Berge standen wieder alle da und troffen von dem weißen niederrinnenden Lichte, das Wasser trennte sich und wimmelte von Silberblicken, ein Lichtregen ging in den ganzen Bergkessel nieder, und jedes feuchte Steinchen und jedes tauige Gräschen hatte seinen Funken. Auch das Schiff der Freunde erblickte ich jetzt, und ein vierstimmiger Männerhymnus begann darauf, und der Gesang wogte gedämpft, ein Echo schleifend, von dem See herüber, und zog sich dann ferner und verklang – dann ein mattes Jauchzen – das Rollen ferner Pistolenschüsse, und dann wieder die Mondesstille.
Ihr Auge, dieser schöne Mond ihrer Herzenssonne – wo mag dieses nun aufblicken zu seinem Schwestergestirne des Himmels? O, ihr schönen Felsen und du, schimmerndes Firmament! Was ist zwischen heute und jenem Abende vor zwölf Jahren, als ich das erste Mal an diesem Ufer stand, ein unschuldiger Jüngling voll ungebändigter Hoffnungen und ein unerschöpfliches Weltmeer von Vertrauen [] in dem Herzen! – – Wie viel hat sich seitdem geändert – wie viel habe ich geirrt, gesündigt und gebüßt, und wie scharf einsam bin ich heute gegen das Wogen und Wallen von Gestalten, die mich damals umgaben! Aber ein Rest ist geblieben, ein Boden, auf dem die Blumenphantasie gestanden: die feste, schönheitsliebende Seele ist geblieben – und manch schönerer Blumenwald kann einst wieder daraus emporsprossen – er kann ja noch sprossen!
»Geht schlafen, lieber Herr«, sagte plötzlich der Jäger zu mir: »Ihr habt morgen einen weiten Weg, und es wird heiter und heiß sein – ich verlasse Euch, da mir der Mond schon hoch genug ist.«
Ich schlafen gehen? Dazu war ich viel zu bewegt. Ich ging den See entlang, von dem jetzt Ruderschläge herkamen, und bald darauf das Schiff der Freunde. Isidor sprang heraus und jubelte und sagte, es sei eine Götternacht, und der Doktor bedauerte mich, daß ich nicht mit zu Schiffe gewesen; an diesem einen der zwei angekommenen Fremden habe er einen wahren Fund getan; er singe einen unvergleichlichen Tenor; der sei noch immer abgegangen; Lothars Stimme sei doch nur ein Bariton; nur schade, daß die Zither, die der Fremde mitgebracht, in der Eile in dem Hause vergessen worden sei. Sie gingen alle dem Hause zu – ich nicht; denn wo sie ihr Schiff anlegten, bemerkte ich ein zweites kleines; mit diesem wollte ich ganz allein auf den See hinausfahren. Ich band es leicht los und stieß ab.
Nun wurde es weit um mich – die Berge traten zurück und standen groß da in lichtnebligen Schleiern und sanft in träumerischer Magie, und ich schwamm auf dem schönen, glatten, flimmernden Elemente, und bei jedem Ruderschlage rann flüssiges Silber um mein Schiffchen. Aus dem Seehause schallten noch die Reden meiner Reisegefährten, die schlafen gingen, und als es immer mehr und [] endlich ganz still geworden, und der Mond schon fast im Scheitel seiner blauen Halle stand, da hörte ich wieder zu meinen Häupten das leise seltsame Läuten; aber es war, als fielen nur einzelne Töne unendlich fern aus der Luft dann schien es von dem See zu kommen, dann von den Felsen – dann schwamm es wieder hoch am Himmel ich ließ das Ruder sinken und das Wasser an dem Schiffchen aussäuseln und horchte hin – keine Glocke, eine Zither war es; die Laute kamen von einem schwarzen Punkte aus dem Wasser; nur das Echo hatte mit den Klängen so wunderbar gespielt. Ich fuhr so leise als möglich näher; die Töne wiegten sich und schwollen, und wurden ein Gewimmel, und plötzlich sang eine Männerstimme darein. Ich erkannte die Melodie: es war die Schubertsche über das Seelied von Goethe – deutlich kamen die Worte her: »Wie ist Natur so hold und gut, die mich am Busen hält«.... Ich irre nicht: es war dieselbe Stimme, die das Alpenhorn von Justinus Kerner sang. Mein Kahn war noch im Zuge und glitt ohne Rudern näher; ich konnte jetzt dem Gesange Wort für Wort folgen und folgte mit steigendem Herzen:
Ich konnte nicht anders: ich ließ die Tränen in die Augen steigen, daß der Mond zitternd und zerblitzend drinnen schwankte – o, mein Traumgold war heute auch schon längstens wieder gekommen – ich vermochte es aber nicht wegzuweisen und zu sagen: »Hier auch Lieb' und Leben ist.« Das Lied ging fort und wurde groß und fromm, erschütternd einfach, wie im Kirchenstile vorgetragen – ich regte mich nicht in dem Kahne; aber als es geendet und nur noch die Zithertöne, dieser wahre Kuhreigen der Oberennsischen Alpen, fortdauerten und hüpften und [] zitterten, im Wechselgesange mit der Alpentochter Echo: fuhr ich rasch näher und erblickte einen Kahn, wie meiner war, und drinnen saß der Engländer, oder vielmehr er lehnte vor einem Brette, worauf er die Zither hatte. Seine Ruder lagen bei ihm auf dem Schiffe, das bei der Stille des Wassers auf einem und demselben Punkte stehen blieb. Als er meiner ansichtig wurde, streute er gleichsam noch ein paar Hände voll Töne wie Goldkörner über den See und sah mich schweigend an, der ich seinem Gesichte fast auf Spannenweite nahe gekommen war. Ich war sehr verlegen, was ich sagen sollte, als ich das wirklich schöne Angesicht, vom Mondlichte beschienen, fragend auf mich geheftet sah. »Herr,« sagte ich endlich, »ich störe Sie wohl? Sie genießen schön diese ausnehmend schöne Nacht.«
»Sie stören mich nicht«, antwortete er: »ich dachte mir wohl halb und halb, daß Sie oder Disson auf den See herausfahren würden. Als ich nämlich meinen Kahn ablösete, sah ich, daß an der Stelle noch mehrere angebunden lagen, die vielleicht andere benützen könnten. Die Zither, die ich hier habe, gehört gar einem ganz fremden Menschen, der sie im Seehause liegen gelassen hatte, als alle auf das Wasser hinausfuhren, um zu singen, ich nahm sie; denn in solch schöner Nacht, dachte ich, dürfte sie nicht zu Hause bleiben. Auf Sie war ich beinahe gewiß gefaßt, daß Sie kommen würden.«
»Auf mich waren Sie gefaßt?« fragte ich erstaunt.
»Ja, auf Sie,« sagte er, »und daß ich aufrichtig bin: ich erwartete Sie sogar hier. Ich kenne Ihre Gemütslage, ich will nicht zurückhaltend sein – da Sie nun wirklich da sind, so lassen Sie uns hier den ersten Handschlag geben, wo uns nicht die Augen all dieser Menschen umgeben.«-Bei diesen Worten reichte er die Hand über den Bord seines Schiffes herüber, und fuhr fort: »Wir kennen uns eigentlich schon lange; ich bin der Freund, ich [] könnte sagen Bruder eines Wesens, das Sie vor nicht langer Zeit sehr liebten.«
»Emil?« rief ich.
»Ja, Emil«, antwortete er.
»Und Sie suchten mich?« fragte ich in höchster Spannung.
»Ich suchte Sie«, erwiderte er.
Wie von einer freudenvollen, schmerzensvollen Ahnung durchflogen, sprang ich auf, und wäre im Schaukeln meines Schiffchens bald in das Wasser gestürzt.
Dann mit einem Sprunge war ich in seinem Kahne, und wir lagen uns in den Armen – ich fast in ein krampfhaftes Schluchzen ausbrechend – er mich fest und lange an seine Männerbrust drückend.
Endlich ließen wir los und blickten uns in die Gesichter – zwei Menschen, die sich lange suchten, geistig längst berührten, ja sich liebten und sogar körperlich schon kannten, und nun sich so seltsam fanden.
»Da ich Sie nun gefunden,« fing er wieder an, »so lassen Sie mich eine freundliche Bitte tun: Fassen Sie Vertrauen zu mir – und die ersten Tage keine Frage um Dinge in Wien.«
Schon sein Erscheinen und Aufsuchen war Seligkeit und Freude für mich, und ich schlug gerne ein. Und nun erzählte er mir, daß er gleich erkannt, eine unverstandne Wallung habe wahrscheinlich ein sonst rechtes Herz beirrt – er habe mich gesucht; er habe sogar in Linz eine Nacht im Zimmer neben mir geschlafen, ohne es zu wissen, und erst von Aston habe er brieflich erfahren, daß ich in Wien gewesen, was ihn außerordentlich erfreuet und mich gerechtfertigt habe; – von Aston endlich habe er meinen Reiseplan erfahren, und in Folge dessen habe er mir in Scharnstein vorgewartet.
»Also sind nicht alle nach Frankreich?« fragte ich.
»Nein«, antwortete er; »wir wollten es. Aber da ich [] immer gewohnt bin, über keinen zu urteilen, ehe ich ihn kenne; ferner, da die Sache so viel auf das Spiel setzte, so beschloß ich – wenn man es auch aufdringlich nennt Ihnen nachzureisen, um da zu sehen und zu schauen, wo die andern absichtlich blind sind. Ich mußte Sie ja suchen, wie den Stein der Weisen«, fahr er lächelnd fort; »vor meiner Abreise war ich mit Aston gewiß zehnmal bei Ihnen, ohne Sie je zu treffen.«
»Der Nabob?« fuhr ich heraus.
»So heißt mich Aston immer wegen meiner ostindischen Geburt«, erwiderte er.
»O Gott! o Gott! wie das alles einfach gewesen wäre,« rief ich, »und wie es jetzt geworden ist!«
»Lassen Sie nur das,« sagte er, meine Hand nehmend, »ich liebe Sie schon lange und recht von Herzen...«
»Ich habe Sie verehrt«, unterbrach ich ihn.
»Daran taten Sie zu viel,« sagte er, »und die Quelle, die unsere gegenseitigen Gefühle vermittelte, mag wohl beiderseits ein wenig parteiisch gewesen sein. Lassen Sie nur jeden Kummer, und geben Sie der jungen Freundschaft ein kleines Recht; die Verzeihung von einer andern Seite wird wahrscheinlich viel leichter zu erhalten sein, als von Aston und mir. Jetzt lassen Sie uns zusammen ein Stück reisen – und vertrauen Sie mir ein wenig.«
»Ganz und mit vollem Herzen!« rief ich aus.
»Amen,« sagte er, »und nun reisen wir zusammen, und lernen auch unsere Fehler ein wenig kennen. Vor allem ist einer gut zu machen, nämlich Ihren Kahn aufzusuchen, den Sie beim Überspringen in mein Schiff weggestoßen haben.«
Sohin nahm er ein Ruder, und ich auch eines. Der Kahn war bald gefunden und an den andern angehängt, und dann unter verschiedenem Gespräche fuhren wir fast noch eine Stunde auf diesem Zauberspiegel herum, und gönnten unsern Seelen Frist, so nach und nach [] die ersten Fäden gegenseitiger Bekanntschaft anzuknüpfen.
O wie schön, und wie anders als vor zwei Stunden, stand der Mond jetzt am Himmel, sich neigend gegen die Felsen, die im Abend standen – herabsehend auf ein erleichtert Herz, und ruhig silbern fortglänzend, weil sich alles und jedes auf der Erde friedlich lösen müsse – und sei es auch in dem Grabe!
Nach Mitternacht gingen wir schlafen, und auch hier im engen Zimmer floß das milde Licht und zeichnete auf dem Fußboden das ruhige Fensterkreuz. Ich schaute es so lange an, bis die Mohnkörner des Schlummers auf mein Haupt fielen, – meine Mutter, meine ferne Schwester als Traumgestalten ein-, zweimal vor dem schon halb verhüllten Gehirne vorübergingen – und dann der feste, ruhige Schlaf kam.
Um vier Uhr weckte uns der Führer, und siehe, noch einmal sah ich den heutigen Mond, der mir so lieb geworden war. Auf einem gezackten Blocke des Westen lag er vor dem Tag erlöschend, während im Morgen die Röte flammte und auf dem See die langen Elfenstreifen von weißen Nebeln woben. Bis wir frühstückten, uns ankleideten und rüsteten, hatte die Sonne schon alles ins Klare gebracht, und der junge Tag blitzte freundlich auf allen Bergen. Ich wunderte mich, daß der See so klein sei; das zauberische Nachtlicht hatte mir alles in seinen Schleiern auseinandergerückt und vergrößert. Ich schaute mit frischem Morgengefühl noch einmal den Schauplatz der vergangenen Nacht an, und prägte mir das Bild dieses liebgewordenen Sees in mein Herz, um es lange nicht daraus zu lassen.
Von dem sogenannten lustigen Örtl sahen wir den See noch einmal, dann rückwärts alle Berge bis Spital. Die andern warfen Grüße und Küsse zurück; – ich sah auf das Auge des nächtlichen Sängers, – es lag in mildem [] Ernste über der Aussicht, und war freundlich. Lothar malte, die andern sangen. Es ist eine mächtige tote Wildnis, durch die wir gingen, ein Steinmeer, und am ganzen Himmel kein Wölkchen; kein Hauch regte sich, und der Mittag sank blendend und stumm und strahlenreich in die brennenden Steine. Die zwei Fremden, die vom Almsee bis Aussee mit uns gehen wollten, sind Studierende, und der eine hat in leichtsinniger Lustigkeit an himmelblauem Bande seine Zither umhängen und geht singend und pfeifend durch das Geklippe. Wir wissen bereits, daß er in Wien ein Liebchen hat, das ihm das blaue Band gegeben.
Um acht Uhr waren wir in Aussee.
Obwohl körperlich beschwerdevoll, war es doch geistig ein schöner Wandertag gewesen, der hinter mir lag. Viele tausend Berührpunkte fand ich an Emil, und konnte freudig anknüpfen. Alle jene Einfachheit, aller Ernst und alle Glut, die ich an ihr so liebte, ist auch in ihm, aber noch, schien es mir, natürlicher und freier herausgebildet selbst Lothar erschien etwas weiblich gegen ihn, und die Studenten scheuten ihn, wie einen Professor.
Vor großer Ermüdung gingen wir sehr früh schlafen, und beschlossen, den andern Tag, eben den heutigen, hier zuzubringen. Nach dem Frühstücke sahen wir bei den Fenstern auf eine Art Platz hinaus; es war wieder schön, ja der Himmel hatte ein noch blaueres Sonntagsgewand angetan, und die Sonne strahlte festlich geschmückt. Der Platz vor dem Hause war sauber gekehrt, auf der Bank unten saß ein uraltes Mütterchen, schön angezogen, wie ein Kind, das man Sonntags putzt; ein nettes Mädchen ging vorüber, den Braten zum Bäcker tragend, und gegenüber vor einem Hause standen die Leiterwagen in einem Winkel geschoben, und der Hahn stand darauf und krähte seinen Morgenruf hinaus. Landleute in ihrem Feiertagsanzuge kamen, und aus den Tälern erschienen [] geputzte Älpler. Um neun Uhr gingen wir alle in die Kirche und wohnten dem Gottesdienste bei. Nach demselben, als die Landleute vor der Kirche standen, und die Frauen nach Hause trachteten, und geschmückte Mädchen herumsahen, und der Pfarrer vorüberging, und alles die Hüte abtat: da mahnte es mich heimwehmütig, weil mir einst in meiner Eltern Tale das alles so tief feierlich erschienen war. Als wir noch aus den Fenstern sahen, so erblickten wir durch die ruhigen Gefilde überall die heimkehrenden Kirchgänger und sonntäglichen Gruppen, die an den Bergen klommen. Meine Reisefreunde gingen nach dem Essen alle zu dem Grundelsee – ich nicht, weil mir unwohl wurde und ich mich ein wenig auf das Bett legte. Es wurde bald besser, und ich schlief ein. Als ich erwachte, saß Emil an meinem Bette. Ich war befremdet, daß er sich meinetwegen das Vergnügen versagte, da selbst meine Freunde meinen Zustand unbedenklich fanden. Er heftete die schönen Augen auf mich, indem er sagte: »Wir sind uns ja nicht fremd; aber ich hätte es auch gegen einen Fremden getan – ja, in einem Walde Amerikas pflegte ich einmal einen fremden Hund, bis er genas und dann freilich nicht mehr von mir ging. Übrigens sind die, die mit Ihnen sind, Ihre Freunde nicht, sondern nur Bekannte, außer Lothar, dessen schöne Blumenseele Sie sich bewahren müssen.«
Als ich aufgestanden war, schrieb er Briefe, und ich das vorliegende Blatt an Dich, bis es sehr spät abends war.
Eben kommt alles von dem Grundelsee zurück. Es soll sehr schön gewesen sein. Man fuhr auf dem See, und tanzte sogar im Seehaus. Der Wiener Studiosus dichtete ein Lied und trug es aus dem Stegreif vor, dann sangen sie ein Männerquartett auf dem See; der Doktor verschoß ein Pulverhorn voll Pulver – und ans Heimgehen dachten sie erst, als, wie Lothar sagte, See und Felsen im Abende loderten, und ringsum das klangreiche Lullen [] und Jauchzen der Sennerinnen hallte und auf dem Elm in Freudenfeuer brannte.
16. Baldrian
Hallstadt, 17. August 1834
Emil eröffnete mir auf dem Wege von Aussee nach Hallstadt freiwillig, daß, wenn ich meine Reise abkürzen wolle, alles, was noch von Besorgnis in meinem Gemüte sei, sich viel kürzer ins Klare bringen lasse. »Augenblicklich will ich umkehren«, sagte ich; »der Großglockner hat bei meiner innern Unruhe jeden Wert für mich ohnedies schon längst verloren.«
Nur eine Woche, bat er, solle ich ihm in Hallstadt schenken; er habe diese Bitte einer eigensinnigen Person versprochen, die er mir bald vorführen werde, und die mich auch wolle kennen lernen.
Wir kamen früh genug in Hallstadt an, um die Einladung Emils annehmen zu können, mit ihm in der Gosaumühle zu essen. Er, Isidor, der Doktor, Lothar und ich fuhren in einem Kahne dahin. Auf der Gasse vor der Mühle stand ein schöner Reisewagen, und der Doktor behauptete sogleich, es sei derselbe, den er in Kirchdorf gesehen habe. – In demselben Augenblicke hüpfte eine grüngekleidete Dame aus dem Hause, und mit den Worten: »Gott grüße dich, Emil!« nahm sie unsern Begleiter schlechtweg bei dem Kopfe und küßte ihn herzlich – und als sie auch uns grüßte, denke Dir meine Überraschung, war es dieselbe Dame, die ich einst mein Griechenbild von St. Anna nannte, dieselbe schöne, blauäugige Dame, deren Angesicht ich oft in der Annenkirche studierte, und die ich nachträglich einmal in Haimbach mit Emil sah – also war die andere Verschleierte damals ohne weiteres niemand anders gewesen als Angela, und die alte Frau die Tante.
[] Wie der Witz des Zufalls zuweilen spitzig sein kann!
Emil stellte uns die Dame als seine Schwester vor. Sie verbeugte sich schelmisch gegen den höchst verlegenen Doktor. Ein ältlicher Mann kam mit umgebundenem Speisetuche heraus und rief unter uns: »Na, da sind sie, aber Du hast lange warten lassen; gestern den ganzen Tag saßen wir hier, und das sind vermaledeite Berge. Du mußt einen andern Wagen schaffen.«
»Oheim,« entgegnete Emil, »wir fahren ohnedies für diesmal nicht tiefer in die Berge. Natalie will nur, daß wir ein bißchen in Hallstadt verweilen.«
Natalie grüßte uns alle noch einmal als Reisegefährten des Bruders, und dann ging es an das Mittagsessen und an das Plaudern, und jeder sagte nach Tische dem andern, daß ihm die junge Dame ausnehmend gefalle.
Nachmittag fuhren wir in zwei Kähnen nach Hallstadt zurück, und richteten uns in unsern Zimmern ein, so gut es ging. Lothar wird Punkte des Sees malen.
19. August
Verzeihe, daß ich zwei Tage an diesem Blatte nichts schrieb: es war keine Zeit. Manche Wienerin würde es übel nehmen, daß eine junge Dame mit den glänzendsten braunen Haaren, dem tiefsten, schwermütig funkelnden Augenblau, und dem edelsten Gesichte, das noch dazu voll lauter Blüte und Huld ist – daß diese Dame so allein (nur ein Mädchen hat sie zur Bedienung) mit jungen Männern im Gebirge herumgehen kann; aber Natalie tut das alles so schön und einzig, daß man es ganz in der Ordnung findet; überhaupt ist sie, wenn es möglich wäre, die zweite Ausgabe von Angela, dieselbe schöne sittliche Grazie und, ich glaube fast, dieselbe Bildung. Wir vergingen die ganzen zwei Tage buchstäblich im Freien in den Gebirgen.
[] 23. August
Es ist bereits der sechste Tag, daß wir in Hallstadt sind. Emil hat Instrumente in dem Wagen gehabt, und stellte manchmal physikalische Versuche an, während der Doktor und Isidor das Echo müde singen. Der Doktor bleibt immer noch hier, weil er in Natalie wirklich verliebt ist, und Isidor, weil ihm die ganze Sache Spaß macht.
Lothar ist nie bei uns. Er malt den ganzen Tag, und bringt von seinen einsamen Wanderungen jeden Abend himmlischere Bilder. Er ist ordentlich verwandelt in dieser schönen Bergwelt; sein Angesicht ist verklärt, sein ganzes Wesen klingt und schwebt, und er spricht nie anders als in Bildern.
Gestern abends vor Schlafengehen reichte mir Emil die Hand und sagte: »Wir sind im Klaren, Bruder; schenk dem Eigensinne der Schwester noch ein paar Tage.« Er nennt mich öfter scherzweise du, aber ich kann es nicht über das Herz bringen, ihn im Ernste darum zu bitten.
O Titus! mir ist seltsam im Umgange dieser zwei Menschen, die so einzig trefflich sind. Emil ist überall hoch und schön, wie eine große ruhevolle Alpe: sie säugt Kräuter und Blumen, trägt wehende Wälder am Busen und das leuchtende Gletschersilber; – doch weiß sie's nicht, und über ihr Haupt ist das schöne zarte Duftblau der Anmut ausgegossen. Natalie ist dasselbe, nur als sei es noch durchsichtiger, wie von einer Seesfläche zurückgespiegelt. In Wien, umgeben von den hunderttausend Lastern und Torheiten der Leute, war ich oft selbst nicht gut; in diesen Landschaften, unter diesen Menschen wird mein Wesen immer klarer und fester, und selbst der sanfte Schmerz, der noch immer in dem Herzen sitzt, steht verschönernd drinnen, wie jene Träne, die man oft mitten in Kristallen findet.
Wenn es dem Doktor gelänge, Natalie zu gewinnen, so hat er in seiner Blindheit den Stein der Weisen gefunden. [] Er mag es fühlen; denn er wird immer scheuer gegen sie. Wir sind noch immer in Hallstadt, und es ist, als sollte das so fortwähren. Nicht eine Silbe sagte noch Natalie von Angela, und ich kerkere die Sache in meine Brust, wie in ein ehernes Schloß. – Lebe wohl! Morgen wieder zwei Zeilen.
24. August
Heute morgens nach neun Uhr saß ich mit dem Fernrohre auf dem Hallstädter Kirchhofe und sah hinunter auf den See. Er warf nicht eine einzige Welle, und die Throne um ihn ruhten tief und sonnenhell und einsam in seinem feuchten Grün – und ein Schiffchen glitt heran – einen schimmernden Streifen ziehend. – Ich richtete das Rohr darauf, und sah – es war, als träume ich – Aston mit seinen Mädchen sah ich. Fast ein Hinabstürzen war es von der Kirche in den Ort, und eben stiegen sie alle aus – der alte Herr in meine Arme, jubelnd, freudevoll Emma, lachend, sprang herbei und sagte, daß sie in ihrem ganzen Leben noch auf keinen Menschen so zornig gewesen sei, als auf mich – und Lucie reichte mir lächelnd die Hand, und schwieg und war freundlich wie immer. Sie sind in Ischl, und werden noch vier Wochen dort bleiben. Wir traten alle in die obere hölzerne Gaststube, die die Aussicht auf den See bietet, und nun ging es an ein Fragen und an ein Erzählen, und an ein Essen und Trinken – und kein Wort von ihr. Im Anschauen dieser geliebten Menschen und Freunde wurde mir Angela wieder so heiß lieb, wie in jenen schönen Tagen, ja, noch unendlich heißer und sehnsuchtsvoller; es ist, als könnte ich nicht leben, ohne sie nur einmal noch zu sehen. Jede Miene, jeder Laut, jeder Blick zog eine Reihe jener eingesunkenen Tage hervor, die so tief und so selig zurückstanden, als lägen schon Jahre dazwischen – aber heute kamen sie alle jene Tage, wieder, und standen so lieb und allbekannt vor meinem Herzen.
[] Hundertmal wollte ich fragen, und hundertmal vermochte ich es nicht. Sie mußten mir es in den Augen lesen, aber keines erwähnte ihrer. Ja, als es endlich Abend geworden und sie alle abfuhren und mich recht freundlich nach Ischl einluden, überwältigte mich fast der Unmut; – ich ging auf unser Zimmer, und in tiefem Schmerze lehnte ich die Stirne an das Fensterkreuz und starrte hinunter. – Der letzte Abend verglomm auf den Bergeshäuptern, und an ihren schwarzen Wänden hing bereits die Nacht. »Ist Ihnen unwohl?« fragte eine unsäglich sanfte Stimme hinter mir. Emil war es, der schöne Mensch, und nie glichen seine Augen so sehr denen eines Engels. – »Nichts ist mir,« antwortete ich, »als ihr tut mir alle zu sehr weh.« – »Wir werden es nun nicht mehr tun!« sagte er sehr sanft, und bat mich, ihn auf einer Nachtfahrt auf dem See zu begleiten, und dort trug er mir das brüderliche Du an. Als wir zurückgekehrt waren, gab ich ihm mein Tagebuch, weil ich ihm von nun an völlige Offenheit schuldig zu sein glaubte.
25. August
Der gestrige Abend hat eine Folge gehabt, die alles löste. Natalie bat mich heute, sie ein wenig in das Strubtal zu begleiten; dort aber bat sie mich um Aufmerksamkeit, sie müsse mir etwas erzählen, das lang sei – und dann erzählte sie mir folgendes:
»In den blutigsten Tagen der Französischen Revolution floh nebst vielen andern auch Eduard Morus, aus Boston gebürtig, weil ihm Gefahr drohte, aus Paris, wo er handelshalber ansässig war. Er ging nach Ostindien, wo er einen Bruder hatte, und wurde dort zum reichen Manne. Seine Frau gebar ihm, nach langer kinderloser Ehe, hintereinander vier Söhne und zwei Töchter; aber nur der älteste Sohn und die jüngste Tochter lebten. Der Knabe war zehn, das Mädchen zwei Jahre alt, als Morus starb. Die Mutter, eine Pariserin, konnte ihr Vaterland nicht [] vergessen; deshalb, mit Hilfe des Bruders ihres verstorbenen Gatten, machte sie ihre Habe beweglich und ging nach Paris, das inzwischen ausgetobt hatte. Es war im Jahre 1817. Das neue Paris gefiel der alten Dame nicht mehr, und ein schönes Landhaus in den Cevennen sollte ihr Ruheplatz werden. Er wurde es; denn noch in demselben Sommer starb sie. Jetzt zog auch der Oheim sein Vermögen aus dem ostindischen Handel, und ging nach Frankreich auf dasselbe Landhaus und verwaltete auch die Habe seiner zwei Bruderskinder als Vormund.«
»Der Knabe wurde bald mit einem Lehrer nach Paris getan, und das Mädchen erhielt eine Erzieherin. Als er zwölf Jahre alt war, geschah es, daß er mit seinem Erzieher auf der Reise nach dem Landhause in eine Schenke der Cevennen trat. Viele Leute gingen aus einer Kammer aus und ein und machten traurige Gesichter, und als er auch hineinging, sah er einen toten Mann liegen, mit jungem, blassem Gesichte und einer breiten Stirnwunde, aus der kein Blut mehr floß, und die sauber ausgewaschen war. Über den Leib war ein weißes Tuch gebreitet. Als er sich erschrocken wegwendete, sah er auf einer zweiten Bank eine Frau liegen, bis auf die Brust zugedeckt; diese aber und das Angesicht waren weiß wie Wachs und wunderschön, nur in der Gegend des Herzens war ein roter Fleck, wo, wie sie sagten, die Bleikugel hineingegangen sei. Was aber den Knaben zumeist jammerte, war ein etwa zweijähriges Kind, das bei der Frau saß und fortwährend die weißen Wangen streichelte. Des Morgens hatte man sie etwa eine halbe Meile tiefer im Walde bei einem umgestürzten und geplünderten Wagen gefunden. Das Mädchen sei unverletzt unter einem Haufen schlechter Kleider gelegen, und hatte ein sehr kleines goldnes Kreuzchen um den bloßen Hals hängen.«
»Angela!« rief ich –
»Ja, unsere Angela!« erwiderte sie, und fuhr fort: »Emil [] ging zu dem Mädchen und liebkoste es; da lächelte ihn die Kleine an und sagte Laute, die nicht französisch waren. Der Knabe begehrte das Kind mitzunehmen, und da man ihn und seinen Oheim kannte, so ward sie ihm ohne weiteres überlassen, bis sie von ihren Angehörigen jemand zurückfordere. So brachten die zwei Männer das Kind auf das Landbaus. Nie hat sich aber jemand mehr um die Waise gemeldet. Sie ward sofort meine Gespielin und der Liebling Emils. So oft er auf Besuch da war, der oft Monate dauerte, lehrte er sie Buchstaben kennen, Bluten und Falter nennen, und erzählte ihr Märchen. Sie horchte gern auf ihn und begriff wunderähnlich, und liebte ihn auch am meisten. Dann sagte er ihr von fernen ändern, in denen er geboren worden, und von den schönen Menschen, die dort wohnen. Auf einmal verlangte er über nach Ostindien. Alle Werke über dieses Land, die habhaft werden konnte, las er durch und entzündete sich immer mehr und mehr, ja, als er im nächsten Jahre von Paris kam, redete er zum Erstaunen des Oheims ziemlich gut die Sprache der Bramanen. In demselben Ihre starb ein Handelsfreund in Calcutta, und dies machte eine Reise des Oheims nach Indien nötig. Emil jauchzte über den Tod des unbekannten Freundes, weil er mitdurfte. Die Mädchen kamen unter die Obhut der Tante.«
»Sechs Jahre blieb er aus, und als er zurückkam, war er ein Mann, stark und gütig. Auch das unscheinbare Kräutlein, Angela, war eine schöne Wunderblume geworden, so daß er betreten war bei ihrem Anblicke. Wir siedelten damals nach Wien über. Er unternahm nun ausschließlich unsere Erziehung, und erzog sich selbst dabei. Er fing die Wissenschaften an, und dichtete uns nebenbei indische Märchen vor, voll fremden Dufts und fremder Farben. Er predigte und lehrte nie, sondern sprach nur und erzählte uns, und gab uns Bücher. Wir lernten trotz Männern. Die Dichter las er vor. So wurden wir uns nach [] und nach, wie die Jahre vergingen, immer gleicher, und für Europa eine Art fremdländischer Schaustücke – aber das Herz, die Seele, glaube ich, hat er an den rechten Ort gestellt – nun, Sie kennen ja jetzt alle drei. Einmal ging er wieder fort, und war zwei Jahre in Amerika. Als er zurückkam und Angela wieder herrlicher und schöner fand; so erkor er sie zu seiner Braut; aber er sagte nichts zu ihr, sondern beschloß, daß sie nun noch mehr als früher unter Männer, wo möglich bedeutsame, käme und etwa frei wähle. – Indes begann er sie immer mehr und mehr zu lieben, ja, er lebte recht eigentlich um ihretwillen – sie liebte ihn auch unter allen Dingen dieser Erde am meisten; aber Emil behauptete immer, sie liebe ihn als Bruder. Da ihm ihr Glück das Höchste war, so wollte er ihre Freiheit und Unbefangenheit nicht im geringsten beirren, sondern, um ihrem Herzen allen und jeden Raum zu geben, nahm er sich vor, nach Frankreich zu gehen, wo er ohnedies Vermögensgeschäfte zu ordnen hatte, und mich mitzunehmen. Ich sage Ihnen, es war der schönste Augenblick meines Lebens, da ich diesen herrlichen Menschen Abschied nehmend vor Aston stehen sah und ihn dringlich bitten hörte, er möge Angela lieben und schützen; er möge die besten und edelsten Männer in ihre Nähe führen, ob sie nicht einen wähle, der es verstände, ihres Herzens wert zu werden. Ich weinte; Aston tadelte ihn heftig, und da alles nichts half, so schlug er Sie vor. Emil billigte es, und wir reisten. Ich hatte sehr gezürnt, als wir zurückkamen und Angela in Schönbrunn alles erzählte – noch mehr zürnte ich aber, da ich Ihre Abreise und Heftigkeit erfuhr. – Alle waren wir gegen Sie, nur Emil nicht, und was auch wir alle – Angela war nie im Rate – was auch wir alle über Aufdringlichkeit und über Wegwerfung sagten: er dachte anders, und reiste Ihnen nach.« –
»Wen sie so lange geachtet hat,« sagte er, »der verdient nicht, daß man ihn so behandle und ohne weiters [] wegwerfe.« Und so hat er Sie gesucht, so hat er Sie gefunden – und so ist er nun entschlossen, Ihnen sein Liebstes zu geben.
»Nun aber verzeihen Sie, daß wir Sie so lange in Hallstadt aufgehalten haben; wir liebten Sie wohl schon früher, aber durch Ihre Eifersucht geschreckt, bat ich den Bruder, daß er mir erlaube, hieher zu kommen, damit ich doch auch mit eigenen Augen sähe, an wen er unsere Angela hingeben wolle. Ich las durch Emil Ihr Tagebuch, und dieses tilgte den letzten bösen Funken, der in mir war – wie Ihnen ja die heutige Unterredung zeigt. – Sie sind ein guter Mensch, das genügt mir: was Sie sonst sind, mag die Männer angehen. Das Tagebuch ist bereits an Angela abgesendet – zürnen Sie nicht, ich habe es so angeordnet; denn unter uns ist es Sitte, daß unbeschränkte Aufrichtigkeit herrscht. Emil ist der beste und stärkste Mensch. Er opferte freudig jeden Anspruch; er liebt Sie, und will das Glück seiner Schwester gründen. Noch dürfte es Ihnen zum Verständnis dienen, daß mein Bruder der Graf Lorrel ist; Morus, Grafen von Lorrel waren unsere Vorfahrer, aber wir sind nur die Kaufleute Morus. In Wien ist man ohne unser Zutun dahintergekommen. Es wird Ihnen jetzt auch ein gewisser Satz Ihres Tagebuchs verständlich sein. In gewissem Sinne war sie immer Emils Geliebte.«
»Auch ihre Herkunft hat sich im vergangenen Sommer aufgeklärt, und Sie waren die eigentliche Veranlassung dazu. Sie ist die Zwillingsschwester der russischen Fürstin Fodor, der sie schon als Kind so ähnlich war, daß ihnen ihr Großvater kleine goldne Kreuzchen mit verschiedener Bezeichnung umhing, daß man sie unterscheiden könne. Die Fürstin wurde bei ihrem Großvater erzogen, dessen Liebling sie war, und dessen Erbin sie werden sollte; Angela aber, die, wie wir jetzt wissen, eigentlich Alexandra heißt, blieb bei den Eltern, und wurde [] auf jene unglückselige Reise mitgenommen, wo beide ein so trauriges Ende nahmen. Man hielt in Rußland Angela für tot, und erst im vergangenen Sommer, da die Fodor den Schauplatz des Mordes ihrer Eltern besuchte, ersah sie aus den dortigen gerichtlichen Angaben, daß und wo ihre Schwester lebe. Sie fuhr sofort nach Wien, und setzte ihre Gesandtschaft in Bewegung, um die verlorne Schwester aufzufinden. Ihre Erzählung auf jenem Balle bei Aston, daß Sie die Fürstin im Paradiesgarten gesehen, daß Lothar sie gemalt habe, daß sie ein goldnes Kreuzchen trage, wie Angela, und daß sie ihr so ähnlich sei, hat zwar nicht ausschließlich das Erkennen bewirkt, wohl aber die Annäherung. Die Schwestern sahen sich in Wien, und es war dies ein bittrer Tag für Angela. Die Fürstin forderte, daß Angela hinfort den Umgang mit diesen Menschen abbreche, unter denen sie sich bisher ›umtrieb‹; ›sie habe nicht weiter not, als aufgelesenes Findelkind bei derlei Menschen zu verbleiben, von Almosen zu leben, oder etwa gar von einem noch schnödern Lohne.‹ Angela richtete sich gegen diese Worte auf, und wies sie entschieden zurück, und da die Fürstin darauf beharrte, so weinte Angela wohl einige bittere Unmutstränen, aber entsagte, wie es in ihrer entschiedenen Natur liegt, lieber der neugefundenen Schwester, die solches forderte, als uns, die wir doch eigentlich die Verwandten ihres Herzens geworden sind. Sie wies auch jeden Antrag hinsichtlich des Vermögens von sich – sie hat auch nicht nötig, einen Anspruch zu machen; denn meine und Emils Habe wurde schon längst in drei gleiche Teile geteilt, und Angelas Teil ist ihr gerichtlich zugesichert, da wir ja alle drei Geschwister sind, und es ewig bleiben wollen.« Ihre Augen brachen in Tränen aus, als sie das sagte, und hinzusetzte: »Morgen werden Sie sie sehen, und desto früher, je weiter Sie ihr entgegenfahren. Sie wird heute abends nach Gmunden kommen.«
[] Ich war erschüttert und gerührt, und bat sogleich, als wir zurückkamen, den Bruder Emil, mit mir aufzubrechen, und nicht zu ruhen, bis wir heute noch Gmunden erreicht hätten. Er sagte es zu. Das Schiff steht bereitet. Lebe wohl!
17. Lilie
Hallstadt, 26. August 1834
Und nun habe ich meine Angela wieder gesehen, auf ewig meine Angela! Heute sind wir alle, Emil, Aston, seine Mädchen, Angela, Natalie, Lothar und ich, bis tief in die Nacht beieinander gewesen, und obwohl es spät ist, so muß ich doch noch ein Stück meines lärmenden, freudefunkelnden Herzens an Dich absenden. O komme nur, o komme nur – das sind Menschen!! Du fehlest noch, und die Häuser am Traunsee – dann wäre ja der schönste, einst so närrische Traum erfüllt; das Schwerste ist überwunden, die Menschen sind da!
Nur in Kürze kann ich Dir etwas senden – in Genf wirst Du wieder ein Blatt finden, das letzte. – Dann eile mit Windesflügeln nach Wien.
Nun etwas von dem Wiedersehen Angelas. – O Titus! komme nur, daß Du sie sehen kannst, Du siehst die reinste, fleckenloseste Lilie!
Wir kamen abends in Gmunden an! Atemlos ging ich mit Emil die Treppe hinan auf ihr Zimmer – nur der beigegebene Diener war da und sagte, sie sei mit ihrem Mädchen längs des Sees gegen Altmünster gegangen. Wir gingen eilig nach – meine Augen fanden sie bald. Im gewohnten weißen Kleide wandelte sie langsam vor uns, das Antlitz auf den abendglühenden Traunstein gerichtet. Kaum zwei Schritte waren wir nur noch hinter ihr, als sie sich umsah – ach! ganz so schön, wie ich gedacht hatte, war ihr Benehmen – nur eine Sekunde stockte sie, dann, nur Freude, die schöne, die herrliche Freude, der [] Schmuck des Menschenangesichtes, glänzte aus ihren Augen, als sie uns die Hände reichte – nicht eine Ahnung eines Vorwurfs in den heitern Mienen.
»Ich habe unrecht getan, Angela!« sagte ich zitternd, indem ich ihre Hand hielt und in ihre Augen sah. Fast ihren Bruder vernachlässigend, wandte sie sich ganz zu mir; und meinem Blicke voll Sanftmut begegnend, sagte sie: »Nicht unrecht taten Sie, nur übereilt geurteilt haben Sie, und sich recht viel Weh bereitet – ich will es durch noch mehr Liebe gut zu machen suchen, daß ich die Ursache war.«
»Nein!« rief ich, »ich kann nur durch die grenzenloseste Liebe schwach vergelten, daß einmal bittere Tropfen durch mich in diese Augen stiegen – und, Angela, ich will es auch vergelten, so lange in mir ein Hauch des Lebens ist.«
»Liebe verbricht nichts«, antwortete sie; »sondern nur der Haß – und Liebe vergilt nicht, sondern nur die Gerechtigkeit. – Liebe ist da, weil sie da ist, und beglückt so Geber wie Empfänger – ich bin erst recht glücklich geworden, als ich Sie so lieb gewonnen. Lassen Sie mir auch die Tropfen; sie waren nicht bitter – und ich gäbe sie jetzt durchaus nicht mehr zurück. Eines aber haben Sie zu büßen, daß Sie mir die Freude, die ich mir selbstsüchtig zubereiten wollte, verdarben; nämlich euch beide einander im Triumphe zuzuführen, und zu sehen, wie Schritt um Schritt einer den andern an sich reißen wird und nun kommen sie beide und haben am Almsee die schönste Nacht gefeiert, während die arme Schwester sich in Wien mit Ahnungen abquälen mußte: wo werden sie jetzt sein, was werden sie tun, wie viel werden sie schon gesprochen haben, wie gefallen sie sich?....«
»Aber nun sei herzlich und tausendmal gegrüßt!« fiel Emil ein; »hier hast Du beide, und betrachte sie nur, wie sie sich schon gut sind, und es täglich noch mehr werden [] wollen, und nun gehen wir nicht mehr auseinander, Natalie und die Astons und wir und, geliebt es Gott, noch einer, nämlich Lothar – das soll ein schönes Leben geben, wie es in den Traunseehäusern gedichtet worden ist.«
Ich errötete, weil mir einfiel, daß sie so eben mein Tagebuch gelesen habe. Sie fühlte es augenblicklich und sagte freundlich: »Wenn wir in den Gasthof kommen, werde ich Ihnen alle meine geheimsten Schriften einhändigen.«
Der erste Augenblick war nun überstanden – wir gingen weiter den See entlang, und immer leichter und immer traulicher lösete sich das Band der Rede, bis alles war, wie einst, wenn ich mit ihr manche Stunde so recht in den dichterischsten Schwärmereien herumwandelte. Emil war mir keine fremde Störung, ihr ohnehin nicht, ja es war, als gehörte er eben so, wie er ist, dazu. Die Reden wurden immer wärmer und begeisterter, und die Herzen gaben sich immer reiner und unverhüllter. Drei glücklichere Menschen mochten an diesem Abende gewiß nicht in den Mauern der reizenden Uferstadt gewesen sein. Wir gingen erst in unser Gasthaus, als schon zwei Sternenhimmel leuchteten, einer über, einer unter dem See. Als Emil und ich in unserem Zimmer waren, trat ich an das Fenster, das auf den See sah, und bat Gott sonst um gar nichts, als: er möge mir die Gnade verleihen, diesem weiblichen Wesen ganz so vergelten zu können, wie sie es verdient. Ehe wir schlafen gingen, tat ich etwas, was seit Jahren das Albernste war, was ich erdenken konnte. Ich trat nämlich beklommen zu Emil und sagte, daß ich es für meine Pflicht halte, ihm zu eröffnen, daß meine Vermögensumstände geringe seien und ich seiner Ziehschwester daher nur ein sehr bescheidenes Los anbieten könne – und es drücke mich dieser Gedanke schon lange her – –
Er sah mich befremdet an, dann sagte er lächelnd: »Da hast du dir einen netten Zopf in dem alten Europa geflochten [] und hängst ihn dir heute abends vor mir ehrbar an – und stehst da, daß ich dich auslachen soll! Nicht wahr, wenn du in den See fällst und ertrinken willst, und ich ziehe dich mit äußerster Gefahr meines Lebens heraus, so dankest du mir, und es freut dich, und du erscheinst dir nicht gedemütigt – aber wenn ich sage: das Glück und der Fleiß meines Vaters hat mir so viel zugeführt, daß ich und andere ein schönes Vernunftleben führen können, wie es Gott nach unserer Lage fordern kann, und wenn ich sage, da liegt so viel übrig, daß wir es gar nicht verbrauchen können, bleibe da, gönne uns einen Anteil und Genuß an deinem Geistesleben, und verwende von dem, was sonst unnütz da läge, so viel du willst, zu immer weiterer Ausbildung dieses deines Geisteslebens – nimm Anteil an dem, was wir gesellig beginnen wollen, und an den Taten, wodurch wir das Reich des Guten zu erweitern streben wollen; wenn ich dieses alles sage, so sitzest du da und fühlst dich gedrückt warum? weil sie alle ihr Leben lieber für den andern wagen als ihr Geld; weil alles mitteilbar ist, nur kein Vermögen – außer in Almosen – und weil sie dieses mit Stolz und so geben, daß der Empfänger gedemütigt wird. Wenn ein Freund ein übermäßiges Vermögen mit dem andern dürftigeren Freunde teilt, so schreien sie, das sei eine ungeheure, schöne Tat – damit aber bekennen sie nur die ganze eingewurzelte Schlechtigkeit ihrer Selbstsucht. Haben dich die dreißig Dukaten deines Titus beleidigt? oder ihn und dich das, daß ihr euer Erworbenes in Hälften aneinander mitteiltet? Es hat euch nicht beleidigt, weil ihr euch zurückerstattet – also, wenn ich dich aus dem See gezogen hätte, dann müßte ich aus Zartheit hineinfallen, daß du mich wieder heraus zögest? Wir sind Eine Familie; dadurch, daß dich Angela liebgewonnen hat, trittst du in diese Familie ein, und diese Familie hat so und so viel Güter, und so und so viel fällt [] auf euch beide gerade in der Art, wie wenn du etwa eine Million von einem wildfremden Oheim geerbt hättest oder fühlst du dich auch gegen den verblichenen Oheim untertänig? Nicht – weil Erben herkömmlich ist, anderes nicht. – – Daß Angela dir ihr Herz gab, das ist eine Gabe, das ist ein reines Geschenk, das du in Demut annehmen magst, und wo du auf Vergeltung sinnen kannst, wenn es anders möglich ist, etwas so Hohes zu vergelten.«
»Ich verachte selbst den Mann, der, wenn er ein reiches Weib heiratet, sofort jedes Geschäft fahren und sich von ihr ernähren läßt – – aber wird dein Streben in all unsrer schönen Zukunft nicht weit mehr wert sein als das, was dir hier zufällig entgegenkommt? Doch genug, es ließ dir naiv; aber ich habe es von dir nicht erwartet, daß du mit dieser Last angefahren kommen wirst. Wir wollen es den Mädchen verheimlichen: sie müßten dich auslachen.«
»So höre einmal auf!« rief ich aus, und in der Tat, Titus! es kam etwas Schamröte über mich, wie er die Dinge so gelassen einfach entwickelte. – Wie töricht weit sind wir doch in unserer Ausbildung schon in Unverstand und Unnatur hineingefahren!
»Lothar scheint derselbe Narr zu sein«, fuhr er nach einer Weile fort; »er quält sich sichtbar ab – und dennoch, als der Doktor Natalien den Hof machte, konnte sie nichts Eiligeres tun, als ihr Herz an die frommen, schönen Künstleraugen Lothars weggeben – ich habe es gleich bemerkt; er nicht, sondern er ringt und malt, und malt in jedes Bild deutlicher seine Liebe hinein. Nun, es wird sich finden. Dadurch, daß Natalie diesen Menschen wählte, hat sie ihrem schönen Wesen die Krone aufgesetzt, und dann, Albrecht, sollen deine Villen auferstehen, wenn anders Raum zu ihnen zu bekommen ist. Bringe nur bald auch den Titus.«
Die Bemerkung über Lothar war mir nicht neu – ich [] hatte sie in der Stille auch schon gemacht, und mein Tagebuch muß ihm eher Vorschub als Abbruch getan haben.
Heute fuhren wir schon um vier Uhr früh über den See, in der Lambath wartete der Wagen, und wir verlebten alle den herrlichen Tag in Ischl.
Wir bleiben noch drei Wochen in dem Gebirge, und dann geht es wieder vorläufig nach Wien.
18. Gundelrebe
Wien, 18. September 1834
Ich muß Dir noch dies Blättchen senden, ehe ich Dich an meinem Herzen habe. Es freut mich etwas gar zu sehr. Aston hat es zwar allein geordnet, der Plan aber ging von allen aus. Mein Paphos, mein Eldorado, meine zwei Zimmer, wie ich sie einst dichtete, sind leibhaftig und in Wahrheit da. Aston, der vor Freude um volle dreißig Jahre jünger ist, und Emil holten mich heute in meiner Stube ab, und führten mich hin. Diese Zeilen schreibe ich schon da. Die Staffelei, die Tropenpflanzen, die Bilder, die Statuen, die grauen Vorhänge, die Geräte, das Fernrohr (aber es ist ein Plößl), alles, alles ist da, und wie ich so recht freudig war, wie ein Kind, und dem guten, freudigen Aston die Hände drückte, machte er sich los, riß eine unbemerkte Tapetentür auf, und dahinter stand lächelnd Angela und Lucie, und Natalie und Emma, und hinter ihnen die drei Zimmer, wie sie gewünscht wurden, mit dem Piano, und der Glastür und dem Balkone und dem Garten. Alle Mädchen lachten und freuten sich, und alle mußten den alten Aston küssen; denn er allein hat alles gemacht und ordnen lassen, und kein Auge durfte es früher sehen, als heute. Eine Tafel stand in einem der Zimmer gedeckt und bereitet, das Mahl zu empfangen, das heute hier in meiner Wohnung eingenommen werden [] soll, – und Angela hat das ganze Mahl gerüstet.- Sie kann also doch auch kochen – o Titus! wie schön, wie unsäglich reizend läßt der hochgeistigen Gestalt die liebe Wirtlichkeit, die Schürze, die Schlüssel, das hausmütterliche Auge, und die höhere Wangenröte von der Bewegung und Arbeit! – Sie war selbst so sehr freudig und neckisch, daß sie ordentlich irdischer wurde und ich den Mut bekam, bei einer gelegenen Sekunde ihre Wange zu küssen, was ich nie gewagt hatte; sie litt es ohne Ziererei, sah mich an, und enteilte. Lothar und Natalie sind auch ein Paar. – O komme nur, komme, daß ich Dich nur einmal fassen kann, und fast an mir zerdrücken; sonst werde ich noch vor Freude närrisch.
19. Himmelsröschen
Wien, 1. Mai 1835
Die Gundelrebe war das letzte Tagebuchblatt Albrechts, und das Himmelsröschen ist ganz von mir, das heißt von dem Sammler und Erzähler der obigen Blätter – und das Himmelsröschen hätte mit Fug eine Vorrede abgegeben, wenn nicht alles dadurch verraten worden wäre. Deshalb folgt es jetzt gleichsam als Nachrede, und enthält wieder eine Geschichte. Am ersten Mai anno domini 1835 war zu Haimbach ein großes Frühstück. Es war da: erstens ein junger, schöner, höchst geistvoller Mann mit ernsten Augen und mutigem Antlitz, Albrecht, der Schreiber obiger Blätter; an seiner Seite war Angela, sein wohlgetrautes Eheweib, eine vollendete Minerva. Item ein zweites junges Ehepaar: Lothar und Natalie; Albrecht zeichnete sie in seinen Blättern ohnedies sehr gut. Tertio: Emil und Lucie, kein Ehepaar, sondern gute Freunde. Ferner ein sonnverbrannter, feurig blickender Mann, mit mehr Lockenwald als Jupiter Olympicus, aber etwas klein und stämmig: der Titus aus den Pyrenäen. Ihm [] zur Seite saß – nicht sein Weib – sondern Jungfrau Emma, frisch herumblickend, voll trotziger Gesundheit, item Onkel und Tante; und zuletzt Aston, zu dem sich kein weiblicher Gesponse vorfand, man müßte nur die Wirtin rechnen, die freudig und verschämt lächelnd herumging und alle Hände voll zu tun und ihres Wunderns und Gesegnens kein Ende hatte; denn ganz oben am Ende des Tisches, im schönsten Goldrahmen prangend, steht ihr sehr gelungenes Konterfei auf ›schneeweißem Papiere‹ in netten Farben ausgeführt, wie es Albrecht in der Glockenblume versprochen hatte.
So war also jener Scherz schon in einem Jahre in Erfüllung gegangen, nur verkehrt. Lothar hatte das Griechenbild und Albrecht die Verschleierte gewonnen. Und dem damaligen Scherze zu lieb wurde das heutige Frühstück veranlaßt, um die Voraussagung so wahr als möglich zu machen.
Ich saß jenes gesegneten Tages aus purem blindem Zufalle in Haimbach, und diesem Zufalle verdankt der Leser die ganze obige Geschichte; denn, weiß Gott, wie es kam – die Leutchen alle gefielen mir so sehr, und ich etwa ihnen auch, daß sich eine Bekanntschaft entspann, und dann gar ein Mitihnenfahren, und sofort eine nähere bis heute fortgesetzte Freundlichkeit und ein traulicher Umgang, und lieb wäre es mir, wenn ich eines schönen Tages die liebholdeste Emma zum Altare führen könnte. Noch einen Rat füge ich in Schnelle bei, bevor wir scheiden, nämlich:
»Wer etwa diese Zeit her Lust hat, den Traunsee zu besuchen, der warte noch zwei oder drei Jahre, wenn es angeht; denn dann sind die zwei wunderschönen Landhäuser schon fertig, die ganz nach Albrechts Angabe am Traunkirchner Ufer werden aufgeführt werden, als Wohnung der obigen Frühstückgesellschaft – wenn nicht bis [] dahin ein anderer Plan gefaßt wird, etwa am Jura zu wohnen, oder in Neuseeland, oder sonst wo, was von so überirdischen Köpfen nicht zu wundern wäre.«
Und so, lieber Leser, gehabet dich wohl!!!
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- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2022). German Novel Corpus (ELTeC-deu). Feldblumen : ELTeC ausgabe. Feldblumen : ELTeC ausgabe. European Literary Text Collection (ELTeC). ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001B-D436-7