mit Beifall begrüßt.
Den Worten der Liebe will ich keine Beschreibung der erbitterten Gefühle folgen lassen, welche mich angesichts der Haltung der Behörden dieses Landes erfüllen.
Sie sollen kahle Tatsachen hören, die Ihnen einen Einblick in den gegenwärtigen Stand der Angelegenheit gewähren mögen. Den äußeren Anlaß zur Verlesung dieses Berichtes gibt der Umstand, daß gestern, am 3. Oktober 1923, vom Hauptverteidiger, meinem Kollegen Fred H. Moore, dem Richter Thayer die Ergänzungsanträge für ein Wiederaufnahmeverfahren vorgelegt worden sind, nachdem bereits am 29. Oktober 1921 vom Verteidigerkollegium die Nichtigkeitserklärung des Urteils beantragt und die Hauptanträge für die Wiederaufnahme einige Tage später beim Gerichtshof zu Dedham registriert worden waren. Richter Thayer lehnte am 24. Dezember 1921 unser Revisionsgesuch ab, und nachdem wir dann am 22. Juli einen neuen Antrag mit den bekannten Gründen und Erwägungen eingereicht hatten, wurde die Erledigung der Formalitäten unter vielerlei Ausreden immer wieder hinausgezögert. Saccos Hungerstreik und seine angebliche geistige Erkrankung wurden vorgeschützt und endlich, am 30. April dieses Jahres, der Termin für unbestimmte Zeit ausgesetzt, da einer der beteiligten Staatsanwälte erkrankt sei.
Die wesentlichsten Faktoren in unseren neuen Anträgen bilden folgende Ermittlungen. Die Zeugin Lola Andrews, auf deren lügnerische Aussage sich der Schuldspruch gegen Sacco hauptsächlich stützte, hatte am 11. September 1922 ihre Bekundung vor den Geschworenen unter notarieller Beglaubigung völlig widerrufen. Kurz nach der Einreichung unseres Antrags aber, am 8. März, konnte der Staatsanwalt eine notariell beglaubigte Erklärung derselben Zeugin vorlegen, worin sie jenen
Widerruf widerruft und die Prozeßaussage aufrecht hält. Wir mußten daher weiteres Material über den moralischen Charakter dieser hysterischen Person beibringen, deren Zeugnis von Anfang an nicht hätte verwertet werden dürfen. Wichtiger sind in unserem neuen Dokument die Bekundungen zweier früheren Justizbeamten, Lawrence Letherman und Fred F. Weyand, die die Verwendung gedungener Spitzel aus eigner Kenntnis bestätigen. Die Männer stellen aber in den Berichten außerdem fest, daß im Justizministerium jeder Mensch der Ansicht ist und von vornherein war, daß Sacco und Vanzetti mit dem Verbrechen von South Braintree nie etwas zu tun hatten und daß die Bostoner Behörde nur die von ihr verwahrten Schriftstücke vorzuziehen brauchte, um jede Spur eines Verdachtes gegen die Verurteilten zu tilgen. Letherman schreibt, daß er selbst wie fast alle älteren Beamten immer der Meinung gewesen sei, daß der Mord nur von Berufsverbrechern begangen sein könne. Er nennt den Namen eines von Mr. West, einer Kreatur des Staatsanwalts Katzmann, benutzten Spitzels, der dann selbst wegen schweren Raubes veruteilt wurde und jetzt seine Strafe im Staatsgefängnis von Massachusetts verbüßt. Der andere Gewährsmann, Fred Weyand, kompromittiert besonders einen gewissen Weiß, ebenfalls ein Werkzeug Katzmanns, durch die Enthüllung der Manöver mit dem Spitzel Ruzzamenti. Weiß, der zeitweilig Regierungsbeamter war, wußte genau, daß Sacco und Vanzetti keine Mörder sind. Er sagte zu Weyand ganz offen, daß das keine Rolle spiele, aber es seien schlechte Kadetten und sie müßten
bekommen, was sie verdient hätten. Bewegung. Man muß sich der Äußerung einer prominenten amerikanischen Persönlichkeit erinnern, daß es besser wäre, wenn Sacco und Vanzetti den Tod erleiden, auch wenn sie unschuldig seien, als daß die Auffassung des Volkes über die Unantastbarkeit des Gerichtshofes und Gesetzes durch ihre Freilassung erschüttert würde – dann wird man Weylands Behauptung erfassen, daß die Verurteilung das Resultat der Zusammenarbeit der Beamten des Bostoner Justizministeriums mit der Staatsanwaltschaft war.
Ich erwähne noch, daß sogar von dem erwähnten Felix Weiß ein Brief beigebracht werden konnte, worin er seine Beziehung zu den Spitzeln selbst zugibt und gesteht, daß er Katzmann von seiner Kenntnis der anarchistischen Bewegung allgemein und Saccos Teilnahme an der Anarchistengruppe Galleani Mitteilung gemacht hätte. »Als Katzmann mich fragte«, heißt es wörtlich in dem Brief, »was ich über die Teilnahme Saccos an dem Raubmord von Braintree dachte, erklärte ich ihm, daß Anarchisten keine Verbrechen um Geld verüben, sondern um ein Prinzip, und daß das Räuberwesen nicht in ihrem Programm steht.« Sie haben also alle gegen besseres Wissen gehandelt.
Von Bedeutung ist auch die in unseren Anträgen wiedergegebene Erklärung des Schieß sachverständigen Proctor, dessen angebliches Gutachten, die Kugel in Berardellis Körper wäre aus Saccos Revolver gewesen, den Schlußstein auf das konstruierte Beweisgebäude setzte. Proctor hat nach der Verurteilung unter Eid erklärt, daß ihm nie die
Möglichkeit gegeben worden sei, sich ein Urteil zu bilden. »Wäre mir«, sagt er, »die direkte Frage gestellt worden, ob ich einen bejahenden Beweis gefunden hatte, so hätte ich damals schon, wie ich es jetzt tue, mit Nein geantwortet.«
Wiederholt haben wir auch betont, daß doch die geraubte Geldsumme – 15776 Dollar – irgendwo geblieben sein muß. Sacco und Vanzetti waren aber nach dem Raubmord dieselben armen Arbeiter wie zuvor. – Doch wozu alle die Mühe? Ein Blick in die Archive des Justizamtes würde genügen, um Verdacht, Anklage und Urteil mit einem Schlage zu zertrümmern. In den fünf Wiederaufnahmeanträgen, die die Verteidigung eingereicht hat, ist die Forderung erhoben worden. Der Generalstaatsanwalt ist ein über das andere Mal aufgefordert worden, uns die Einsicht zu gestatten. Er hat dieses Verlangen niemals auch nur beantwortet.
Ich, meine Freunde und Zuhörer, bin kein Anarchist, kein Revolutionär, sondern ein konservativer Bürger dieses Staates. Aber ich halte auf Gerechtigkeit, und darum sage ich: Eine Regierung, die ihre eigenen Geheimnisse mehr achtet als das Leben ihrer Bürger, ist zur Tyrannei geworden.
Vorhang.