Rehabilitation oder beruflicher Aufstieg?

Behinderten Frauen wird die Rückkehr in die Gesellschaft schwergemacht

In der Bundesrepublik - so wird geschätzt - gibt es rund vier Millionen behinderte Menschen. Von diesen vier Millionen sind eineinhalb Millionen Frühinvaliden, also Männer und Frauen, die schon bevor sie die gesetzliche Altersgrenze erreicht haben, außerhalb des Arbeitsprozesses sethen und vorwiegend von Renten und anderen Versorgungsleistungen leben.

Zu den rund vier Millionen Behinderten gehören auch jene Kinder, die mit körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderungen geboren werden. Das sind etwa 60 000 bis 80 000 Kinder pro Jahr.

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Gegen den "sozialen Arbeitsplatz"

Wie steht es nun um die Rehabilitation der erwerbstätigen Frau, wie um die Rehabilitation der Hausfrau? Nach den Buchstaben des Gesetzes darf die Frau auch hier nicht benachteiligt werden. Aber wenn von jeweils zehn Rehabilitanden nur zwei Frauen sind, so hat man doch Grund zur Verwunderung. Denn dieser Anteil entspricht nicht entfernt dem prozentualen Anteil der Frauen an der Zahl der Erwerbstätigen. Gewiß, Frauen haben weniger und auch leichtere Arbeitsunfälle als die Männer. Das liegt an der Art der Tätigkeiten. Auch sind weniger von Berufskrankheiten betroffen, und das gleiche gilt für die Beteiligung an Verkehrsunfällen. Dennoch: die Tatsache gibt Anlaß, nach den Gründer [sic] zu forschen.

Schon bei der Rehabilitation von männlichen Behinderten, bleibt heute noch vieles zu wünschen übrig. Doch häufiger noch als der Mann wird die Frau in überalterten Rehabilitationseinrichtungen auf alte, häufig sogar aussterbende Berufe verwiesen, etwa auf die Tätigkeit als Wäscheschneiderin, Näherin, oder Stickerin.

Rehabilitationsfachleute lehnen diese sogenannten Fadenberufe ab. Denn die Frau bringt, ebenso wie der Mann, dei Begabungsvoraussetzungen für moderne Industrieberufe mit. Für sie gilt, was auch für den behinderten Mann gilt: daß es mit dem "sozialen Arbeitsplatz", der sich auf Mitleid gründet, in der modernen Rehabilitation vorbei sein muß.

Es geht nicht mehr darum, den durch Unfall oder Krankheit geschädigten Menschen "irgendwie" zu beschäftigen, ihn "das Nötigste" zum Leben verdienen zu lassen. Der Grundsatz moderner Rehabilitation muß sein, den behinderten Menschen, entsprechend seiner Leistungsfähigkeit, bestmöglich zu beschäftigen.

Männer werden eher umgeschult

Für die behinderte Frau bieten sich da heute Chancen in den Berufen der Elektrotechnik und der Feinmechanik mit ihren weitverzweigten Fertigungsprogrammen. Denn bei diesen Tätigkeiten kommt es ja weniger auf die allgemeine körperliche Bewegungsfähigkeit an, sondern vielmehr auf Fingerfertigkeit.

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In der Bundesrepublik gibt es heute nur wenige moderne Rehabilitationsstätten, die behinderte Menschen auf zeitgemäße Berufen nach neuesten Gesichtspunkten umschulen. Auch das ist ein Grund dafür, daß die Frauen in der Rehabilitation benachteiligt sind, denn die verfügbaren Plätze kommen in erster Linie den Männern zugute.

Hinzu kommt, daß auch heute noch die Frauen großenteils als ungelernte oder angelernte Kräfte tätig sind, an sogenannten typischen Frauenarbeitsplätzen, mit oft kleine Teilverrichtungen. Viele dieser Tätigkeiten erfordern keine besonderen Fachkenntnisse. Solche Frauen können, wenn es aus gesundheitlichen Gründen notwendig wird, leichter an einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden als ein Facharbeiter. Besondere Umschulung wird da nicht notwendig.

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Häufig sind es auch persönliche Gründe, die die Frauen davor zurückschrecken lassen, an medizinischen und beruflichen Rehabilitationsmaßnahmen teilzunehmen, besonders dann, wenn damit ein längerer Ortswechsel verbunden ist. Denn von 100 erwerbstätigen Frauen sind etwa 33 verheiratet, fast 24 von 100 verwitwet oder geschieden.

Sie nehmen oft lieber einen beruflichen Abstieg in Kauf, als daß sie sich um einer beruflichen Anpassung oder Umschulung willen von ihrem Haushalt, von ihren Angehörigen trennen. Ältere Frauen neigen zu der Ansicht, daß sich ein "solcher Aufwand" nicht mehr lohne. Sie versuchen dann eher eine Rente zu bekommen, um zu Hause bleiben und die Familie versorgen zu können.

Der Fall der behinderten berufstätigen Hausfrau wird vom Bundessozialhilfegesetz geregelt - es seid denn, die Hausfrau hat noch Rechte auf Grund eines früheren Arbeitsverhältnisses. Diese Rechte hat sie schon dann, wenn sie, als Angestellte oder Arbeiterin, eine anrechnungsfähige Versicherungszeit von mindestens 60 Kalendermonaten zurückgelegt hat. Und die Zahl solcher Frauen ist nicht gering.

Hier lohnt es sich, einmal bei der Bundesversicherungsanstalt oder der Landesversicherungsanstalt nachzufragen. Auch die Krankenkassen gewähren im Rahmen der Familienhilfe Kuren und andere Heilmaßnahmen für Frauen.

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Rechtsinhaber*in
Hanne Schreiner

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2018). Quellensammlung zur Geschichte von Menschen mit Behinderungen. Arbeit. C5 - Transkript. Geschichte-MMB. Hanne Schreiner. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000B-D1C6-9