1831, 1. April.


Mit Johann Peter Eckermann

Mit Goethe zu Tische in mannichfaltigen Gesprächen. Er zeigte mir ein Aquarellgemälde von Herrn v. Reutern, einen jungen Bauern darstellend, der auf dem Markt einer kleinen Stadt bei einer Korb- und Deckenverkäuferin steht. Der junge Mensch sieht die vor ihm liegenden Körbe an, während zwei sitzende Frauen und ein dabeistehendes derbes Mädchen den hübschen jungen Menschen mit Wohlgefallen anblicken. Das Bild componirt so artig, und der Ausdruck der Figuren ist so wahr und naiv, daß man nicht satt wird es zu betrachten.

»Die Aquarellmalerei,« sagte Goethe, »steht in diesem Bilde auf einer sehr hohen Stufe. Nun sagen die einfältigen Menschen, Herr v. Reutern habe in der Kunst niemand etwas zu verdanken, sondern habe alles von sich selber. Als ob der Mensch etwas anderes aus sich selber hätte als die Dummheit und das Ungeschick! Wenn dieser Künstler auch keinen namhaften Meister gehabt, so hat er doch mit trefflichen Meistern verkehrt und hat ihnen und großen Vorgängern und der überall [74] gegenwärtigen Natur das Seinige abgelernt. Die Natur hat ihm ein treffliches Talent gegeben, und Kunst und Natur haben ihn ausgebildet. Er ist vortrefflich und in manchen Dingen einzig, aber man kann nicht sagen, daß er alles von sich selber habe. Von einem durchaus verrückten und fehlerhaften Künstler ließe sich allenfalls sagen, er habe alles von sich selber, allein von einem trefflichen nicht.«

Goethe zeigte mir darauf von demselbigen Künstler einen reich mit Gold und bunten Farben gemalten Rahmen mit einer in der Mitte freigelassenen Stelle zu einer Inschrift. Oben sah man ein Gebäude im gothischen Stil; reiche Arabesken mit eingeflochtenen Landschaften und häuslichen Scenen liefen zu beiden Seiten hinab; unten schloß eine anmuthige Waldpartie mit dem frischesten Grün und Rasen.

»Herr von Reutern wünscht,« sagte Goethe, »daß ich ihm in die freigelassene Stelle etwas hineinschreibe; allein sein Rahmen ist so prächtig und kunstreich, daß ich mit meiner Handschrift das Bild zu verderben fürchte. Ich habe zu diesem Zweck einige Verse gedichtet und schon gedacht, ob es nicht besser sei, sie durch die Hand eines Schönschreibers eintragen zu lassen. Ich wollte es dann eigenhändig unterschreiben. Was sagen Sie dazu, und was rathen Sie mir?«

»Wenn ich Herr von Reutern wäre,« sagte ich, »so würde ich unglücklich sein, wenn das Gedicht in einer fremden Handschrift käme, aber glücklich, wenn es von [75] Ihrer eigenen Hand geschrieben wäre. Der Maler hat Kunst genug in der Umgebung entwickelt, in der Schrift braucht keine zu sein, es kommt bloß darauf an, daß sie ächt, daß sie die Ihrige sei. Und dann rathe ich sogar, es nicht mit lateinischen, sondern mit deutschen Lettern zu schreiben, weil Ihre Hand darin mehr eigenthümlichen Charakter hat, und es auch besser zu der gothischen Umgebung paßt.«

»Sie mögen recht haben,« sagte Goethe, »und es ist am Ende der kürzeste Weg, daß ich so thue. Vielleicht kommt mir in diesen Tagen ein muthiger Augenblick, daß ich es wage. Wenn ich aber auf das schöne Bild einen Klecks mache,« fügte er lachend hinzu, »so mögt Ihr es verantworten.«

»Schreiben Sie nur,« sagte ich, »es wird recht sein, wie es auch werde.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1831. 1831, 1. April. Mit Johann Peter Eckermann. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A87F-9