1804, Mitte Januar.


Mit Heinrich Voß u.a

[Nach Erzählung der Vorlesung von J. H. Voßens Gedichten am ersten Abend, den H. Voß bei Goethe zubrachte, lautet die in Nr. 210 ausgelassene Stelle:]

Mir war es lieb, daß nun die Vorlesung bald abgebrochen ward. Er [Goethe] stand auf und ging in den Saal; ich folgte ihm. Ich trat weinend (laß mich's nur sagen) zu ihm, und er drückte mir beide Hände. »Sie haben einen edlen Vater!« Das war alles was er sagte .... Nun weißt Du [Abeken] es, daß ich fröhlich war, als wir uns bald drauf zum Abendessen [278] und zu scherzhafteren Unterhaltungen vereinigten. Es wurde bei Tische gescherzt, gelacht, am Ende sogar die bunte Reihe hindurch geküßt, und Goethe war fast am lustigsten. Nur ein klein Geschichtchen! Ich bat gegen das Ende der Mahlzeit den Hofmeister von Goethes August mir einen Schlag zu geben mit den Worten: Schick weiter! Ich gab ihn meiner Nachbarin Silie und diese ihrem Nachbar, und so ging's weiter bis zur Maaß, die neben Goethe saß. (Der zum Possen hatte ich den Spaß mit der Silie verabredet, und sieh! wie pfiffig ich bin: um nicht vor dem Riß zu stehn, bat ich meinen linken Nachbar, den Anfang zu machen.) Die Maaß stutzte ein wenig, doch entschloß sie sich endlich, Goethe einen tüchtigen Klaps zu geben. Goethe drehte sich zu ihr und küßt sie und drauf seine andre Nachbarin mit den Worten: schick's weiter! Die will durchaus nicht, wahrscheinlich weil ihr der Nachbar nicht anstand. »Nun,« sagt Goethe, »wenn's so nicht herum will, muß es retour gehn, läßt sich wieder küssen, küßt wieder die Maaß, und so geht's fort bis auf die kleine Silie, die mir den letzten Kuß gab. Nun denk Dir den armen Riemer, der neben mir saß und leer ausgehn mußte, weil bei mir die bunte Reihe aufhörte, und noch dazu belacht wurde, als Goethe den Urheber des Scherzes ausfragte und alle auf Riemer wiesen.«

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[In demselben Briefe unterm 22. Februar erzählt Voß weiter:]

[279] In einem der letzten Tage sagte mir die Vulpius: »Sie hätten gar keine schönere Zeit zum Besuche wählen können; denn so fortdauernd heiter hat weder Professor Wolf noch Ihre Eltern den Geheimerath gefunden.« Und das muß ich noch in Jena bestätigen: war ich bei Goethe auf seinem Zimmer, oder fuhr ich mit ihm spazieren, dann war er beständig ernsthaft im Gespräche, aber bei Tische bald heiter ernsthaft, bald gränzenlos lustig. Es ist eine Wonne, ihn von seinen Reisen erzählen zu hören; da ist unsereins ganz Ohr und Auge. Einmal vor Verona wird Goethe, als er eine alte Ruine zeichnete, von Häschern angegriffen. »Da ward mir schwul,« sagte er, »aber ich erwog gleich das Beste: ich raffte mich zusammen, nahm alle Würde an und begann eine Rede. Ich entwickelte ihnen die Schönheit der Ruine, den Werth durch das Alter, ich griff ihren Stumpfsinn an und schalt sie für Klötze und Stöcke, lenkte aber bald ein, sie entschuldigend: Ihr könnt solche Schönheiten nicht fühlen, da Ihr sie täglich vor Augen seht und das Alltägliche keiner Aufmerksamkeit würdigt u.s.w. Die Häscher werden ganz erstaunt über die Unbefangenheit des Spions und sehen nur alle auf die Ruine, um auch die Schönheiten zu entdecken, und da sie doch nichts sehen können, werden sie ganz verdutzt.« Endlich zieht Goethe seinen Geldbeutel aus und läßt Münzen klingen. Nun verändert sich ihre Sprache. Der eine sagt zu den übrigen: Hab' ich's Euch nicht gleich anfangs gesagt, daß der Mann [280] ein Ehrenmann sei? Da seht Ihr's! – Als Goethe einige Tage darauf nach Verona kömmt und die Gefängnisse von außen betrachtet, »da,« sagte er, »dankte ich doch dem lieben Gott, daß er mich von diesem Unglück befreit hatte.«

Ein andermal bei Tische hielten wir Philistergespräche über Rindfleisch, Kartoffeln, Marzipan und Selleri, woran auch die Vulpius theilnahm. Ich dachte bei mir: hier würde sich Christian Schlosser geärgert haben – mich machte es recht vergnügt. Goethe sprach im Zorn über die Weimarischen Schlächter, dann kam er auf die Schneider, die es in Fahrlässigkeit den Schlächtern gleichthäten (imitatorum servum pecus) und endlich auf die Buchbinder. »Ich will die Lumpenhunde einmal alle zuhauf treiben,« sagte er »und ihnen eine Strafrede halten, ich will ihren Ehrgeiz erwecken u.s.w.« Dann kam er auf Kotzebue. Doch davon nachher in einem eigenen Abschnitte!

Einmal bei Tische wird die Vulpius abgerufen. Sie kömmt bald lachend zurück und ruft mich ab. In der Thüre begegnet mir die Mamsell Silie; auf der Treppe stehen Bode, Hain und der Schauspieler Oels. Ich kann das so wenig begreifen, als die Kuh das rothe Thor. »Was ist denn?« frag' ich. »Es gilt eine Reise nach Erfurt; bist du dabei?« »Ja,« sag' ich; »nur geschwind den Wagen bestellt. Wer ist sonst dabei?« »Die Silie und die Vulpius.« »Desto besser,« sag' ich und gehe wieder in's Zimmer zurück. [281] Aber da war es noch nicht abgethan; denn Goethe mußte erst die Erlaubniß geben. Die Vulpius stand... fidel in froher Erwartung vor Freude zitternd; die Silie saß schmeichelnd bei Goethe. Goethe ganz ernsthaft: »Lieben Kinder,« sagte er, »bringt mich nur erst ins Klare!« Aber das konnte keiner. Dann: »Liebe Kinder! der Weg ist schlecht; was habt Ihr für einen Zweck?« »Wir haben große Zwecke,« sagte die Silie. »Und welche denn?« »Wir wollen in's Schauspiel.« – »Nun, nun! Hm, hm! recht artig! Aber wir haben jetzt alle ein Glas Wein getrunken, und das Sprichwort sagt, daß feurige Entschlüsse mit nüchternem Muthe müssen erwogen werden.« – »Ja,« sagte die Silie, »wenn wir darauf warten wollten, so verfliegt die Zeit; es ist so schon zwei Uhr.« Und nun schmeichelte Sie von neuem. Und Goethe ließ sich auch nicht lange bitten, er sagte ja, und gab der Silie einen Kuß zur Bestätigung seines Wohlgefallens. Die Vulpius juchheite und versicherte, was ihr jedes glaubte, daß sie für heute keine größere Freude zu erdenken wüßte. Sie wurde von Goethe meiner Obhut anvertraut. »Nun« – sagte Goethe – »müssen wir noch eine Flasche Rheinwein haben.« Unterdessen ging ich auf mein Zimmer, einen Brief zu versiegeln. Als ich zurückkam, war der Wein da, und Goethe meinte, ich könnte heute wohl ein übriges thun, weil es kalt sei. Ich ließ mir's gefallen, die Damen entfernten sich, und ich blieb bei Goethe am Tische sitzen bis der Wagen [282] kam. Wir sprachen von den Hyperboräern, Greifen und Arimaspen. Es ging oft prestissimo, ich weiß nicht wie und warum? Böse Leute sagen vom Weine. Um drei Uhr kam der Wagen und Goethe wünschte uns glückliche Reise, lachte aber erst tüchtig über den Schimmel, auf dem Bode als Vorreiter paradirte.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1804. 1804, Mitte Januar. Mit Heinrich Voß u.a. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A784-3