1823, 4. November.
Abend bei Goethe
Heute endlich, noch vielen Bemühungen und sich durchkreuzenden Hindernissen kam das öffentliche Concert der Mad. Szymanowska zu Stande. Noch wenig [310] Stunden vorher wäre das Unternehmen fast aus Mangel eines guten Instrumentes gescheitert, hätte nicht die Frau Großfürstin selbst das Ihrige großmüthig dargeliehen. Nach dem Concert soupirten wir [v. Müller u. a.] mit Egloffsteins bei Goethe, der von der liebenswürdigsten Gemüthlichkeit war. Als unter mancherlei ausgebrachten Toasten auch einer der Erinnerung geweiht wurde, brach er mit Heftigkeit in die Worte aus:
»Ich statuire keine Erinnerung in Eurem Sinne, das ist nur eine unbeholfene Art sich auszudrücken. Das uns irgend Großes, Schönes, Bedeutendes begegnet, muß nicht erst von Außen her wieder er – innert, gleichsam er-jagt werden, es muß sich vielmehr gleich vom Anfang her in unser Inneres verweben, mit ihm eins werden, ein neueres besseres Ich in uns erzeugen und so ewig bildend in uns fortleben und schaffen. Es giebt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es giebt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet und die ächte Sehnsucht muß stets productiv sein, ein neues Besseres erschaffen.« »Und,« setzte er mit großer Rührung hinzu, – »haben wir dies nicht alle in diesen Tagen an uns selbst erfahren? Fühlen wir uns nicht alle insgesammt durch diese liebenswürdige, edle Erscheinung, die uns jetzt wieder verlassen will, im Innersten erfrischt, verbessert, erweitert? Nein, sie kann uns nicht entschwinden, sie ist in unser innerstes Selbst übergegangen, sie lebt in uns [311] mit uns fort und fange sie es auch an, wie sie wolle, mir zu entfliehen, ich halte sie immerdar fest in mir.«
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