1821, 1. September.


Mit Joseph Sebastian Grüner

Ich stellte diese Herren [Professoren des Gymnasiums] Goethe vor. Er unterhielt sich einige Zeit mit ihnen über das Schulwesen, und nahm ihre Einladung, die Gymnasialprüfung mit seiner Gegenwart zu beehren, an.

[116] Nach ihrem Weggange erkundigte er sich über ihre Conduite, und ich konnte mit dem besten Gewissen das beste Zeugniß geben. Eure Excellenz, sagte ich dann, dürfen sich keinen Begriff von einem ansehnlichen Gebäude machen, es ist so alt und winkelig, daß es eines Um- oder vielmehr Neubaues bedarf, welcher auch beantragt ist.

Darauf Goethe: »Das macht nichts zur Sache! ich habe verschiedene alte Gebäude kennen gelernt, in welchen gut unterrichtet wurde; es kömmt nur hauptsächlich auf die Lehrer an.«

Nachmittags fuhren wir zu dem alten Schulgebäude. Die in das erste Stockwerk führende Treppe war sehr schmal und unbequem, der Gang nach dem Prüfungszimmer sehr dunkel. Nach Goethes Empfang wurde von dem Humanitätsprofessor die Prüfung über die griechischen Autoren vorgenommen. Goethe, dem die griechische Chrestomathie überreicht worden war, schien sehr aufmerksam bis zu Ende zuzuhören. Als ich ihn darauf in seine Wohnung begleitete, sagte er: »Dieser Professor ist seinem Fache sehr gewachsen; ich wünschte aber, daß er die Schüler mehr Sprechen ließe.«

Ich erwiederte: Wahrscheinlich hat er es wegen der Anwesenheit Eurer Excellenz gethan, er ist aber sonst ein sehr geachteter, von seinen Schülern sehr geliebter Mann, der, wie man zu sagen pflegt, Kopf und Herz auf dem rechten Flecke hat, und von dem sie immer mit Achtung sprechen.

[117] Goethe: »Da wollen wir ihn loben.«

Abends wurde über den Zusammenhang der österreichischen Provinzen, über die Verwaltung derselben, besonders über Ungarn gesprochen.

Goethe sagte: »Es gehört eine geistreiche, kluge und energische Regierung dazu, um so verschiedenartige Völkerstämme in Frieden zusammen zu halten; hiezu mag auch die heilige Allianz beitragen. Nur Schade, daß es in Ungarn, in diesem so großen und gesegneten Königreiche mit der Geistes- und Bodenkultur nicht vorwärts gehen will.«

Darauf ich: Man sagt, daß die Städte in Ungarn viele Verbesserungen ihres Commerzes wegen wünschten und mit den königlichen Propositionen einverstanden wären; auch der hohe Adel zeige sich geneigt dazu, um bei Hofe, wie man zu sagen pflegt, ein Bild sich einzulegen, und dadurch hohe Ehrenstellen und Orden zu erhalten; da aber eine Unzahl Edelleute unter dem Bauernstande und auf dem Landtag sich befindet, solle es dem hohen Adel leicht fallen, diese Bauernedelleute insgeheim aufzustacheln, daß sie sich jeder Neuerung widersetzen, wäre dieselbe auch noch so gut und nützlich, damit ja nichts an der längst schon verrotteten Constitution geändert werde.

Goethe: »Da jeder König von Ungarn die Aufrechthaltung der Constitution beschwört, so läßt sich auch das Gute und Nützliche leider mit Gewalt ihnen nicht aufdringen. Es dürften aber doch einmal Zeiten [118] kommen, wo, wie unter Kaiser Joseph, das für das Land Nützliche mit Gewalt aufgedrungen werden wird.«

In Folge der Fragen Goethes setzte ich ihm den Geschäftsgang beim Magistrate und Criminalamte, sowie den Instanzenzug auseinander, worauf er sagte: »Wie ich mich überzeuge, so greift es bei Ihnen gut zusammen.«

[119]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1821. 1821, 1. September. Mit Joseph Sebastian Grüner. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6E2-C