1832, 1. Januar.


Mit Friedrich von Müller
und Clemens Wenzeslaus Coudray

Zwischen 5 und 6 Uhr trafen Coudray und ich ihn sehr heiter und aufgelegt, ja er neigte sehr zu seiner Lieblingsform, der Ironie.

Als ich das Verbot von Raumer's ›Untergang Polens‹ rügte, vertheidigte er es lebhaft. »Preußens frühere Handlungsweise gegen Polen jetzt wieder aufzudecken und in übles Licht zu stellen, kann nur schaden, nur aufreizen. Ich stelle mich höher, als die gewöhnlichen platten moralischen Politiker; ich spreche es geradezu aus: Kein König hält Wort, kann es nicht halten, muß stets den gebieterischen Umständen nachgeben; die Polen wären doch untergegangen, mußten nach ihrer ganzen verwirrten Sinnesweise untergehen; sollte Preußen mit leeren Händen dabei ausgehen, während Rußland und Österreich zugriffen? Für uns arme Philister ist die entgegengesetzte Handlungsweise Pflicht, nicht für die Mächtigen der Erde.«

Sodann zeigte er uns die schöne Medaille Alexanders von Medici, auch einen herrlichen bronzenen Knopf aus jener Zeit, einen Amor vorstellend, zwischen zarten [128] Arabesken. Man trug dergleichen Knöpfe am Hute. Die Mahagoni-Schatulle, worin diese Antiquitäten und viele andere Münzen verwahrt waren, stand offen, als wir eintraten. Er schloß sie sogleich mit sichtbarer Freude, etwas vor uns zu verbergen, und holte erst später mit Feierlichkeit jene Seltenheiten heraus. Auch ein Gemälde der neuentstandenen Insel Nerita, zwischen Sicilien und Malta, mit dem vulcanischen Feuerwerk, ließ er uns schauen. »Seht hier das neueste Backwert des Weltgeistes.«

Andere Zeichnungen und Lithographien, die er vorführen wollte, waren nicht gleich zur Hand und wir wurden auf einandermal vertröstet.

Einst, erzählte er, sei er in Karlsbad mit einem österreichischen Magnaten zu Tisch gesessen, der sich entschuldigte, daß er Goethes Werke noch nicht gelesen, weil er sich zum Princip gemacht, Autoren erst dann zu lesen und anzukaufen, wenn keine veränderten Editionen mehr zu fürchten seien, d.h. nach ihrem Tode. »Sie sollten nach Wien kommen; dort macht man etwas aus solchen Leuten wie Sie sind.«

Ein andermal sagte Goethe: »Ein heftiger, wenngleich ungerechter Angriff, bleibt kühn und ehrenhaft; jede Vertheidigung ist immer mißlich, sei sie auch noch so gut gemacht. Das war immer unsre Maxime.«

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1832. 1832, 1. Januar. Mit Friedrich von Müller. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A6DD-9