1804, November.


Mit Johann Heinrich Voß d. J.

Manchmal geht es auch (dente Theonino) recht über Böttiger her, oder über Ast's »Crösus«, und da werden denn die guten Leutchen nicht bloß bei den Haaren, sondern auch bei dem Felle gezaust. Dem Böttiger ist er so gram, daß er ihm auch nicht Ein gesundes Haar läßt. Sonst ist Goethe mild und schonend, nur gegen das Capitel Schlecht ist er streng und unerbittlich, recht um zum Ersatze gegen das Gute recht vom Grunde gerecht sein zu können. Du wirst bald in der Literaturzeitung eine heftige Drohung gegen mich vom Dr. Ast lesen für die Recension seines Sophokles. Ich hatte sehr schneidend geantwortet – und gewiß auch treffend; als ich es aber Goethen vorlas, schüttelte er bedächtig den Kopf und sagte: »Ich muß es Ihnen nur gerade heraussagen, Sie sind ein Hitzkopf. Wollen Sie denn mit Gewalt eine Feindschaft fortsetzen, die Ihnen über kurz und lang selbst den Sophokles verleiden wird?« Endlich sagte er: »Überlassen Sie mir die Antwort! Einen Stoß sollen Sie ihm wieder versetzen, aber nicht durch Leidenschaft, sondern durch Ruhe. Glauben Sie mir« – fuhr er fort – »er wird sich mehr ärgern, wenn Sie sich durch Ruhe eine Superiorität über ihn beilegen, als wenn Sie mit gleicher Leidenschaftlichkeit erwiedern.[288] Dieses erwartet er, jenes wird ihn stutzig machen. Dazu« – sagte er endlich – »sind wir Alten ja da, daß wir die Jugend vor Unbesonnenheiten warnen; als wir jung waren, machten wir es selbst nicht besser, aber es hat uns Verdrießlichkeiten zugezogen in zahlloser Menge.« Nun, lieber Abeken, sollst Du dich freuen, wie Goethe den Ast in meinem Namen abgefertigt hat. 1

Ast will bald in einem philosophischen Gespräche beweisen, daß noch kein Mensch es verstanden habe, die Alten zu übersetzen; er will der neue Messias werden und meinen Vater zum Johannes machen. Über den ungenannten Übersetzer des »Ödipus« soll Ast sehr aufgebracht sein, vermuthlich weil er ihn fürchtet. Da mag sich Solger ein wenig durch Goethes Beifall trösten; denn Goethe sagte neulich, daß er in diesem trotz aller Härten und Unbiegsamkeit, die den beginnenden charakterisirt, doch einen schönen Übersetzer des Sophokles vorausahndete. »Die rauhen Ecken werden sich schon abschleifen, und dann,« sagte er, »haben wir einen Sophokles.«

Ich habe in der vorigen Woche Goethen einen Act aus »Richard III.« metrisch übersetzt gebracht, der ihm viel Freude gemacht hat. Nun hat er mich gebeten den »Othello« für die Bühne zu bearbeiten, wobei er mir helfen will.


Note:

1 Darnach bestätigt sich meine Vermuthung, – »Goethes Briefe an Eichstädt« S. 267 f. – daß die »Antwort des Recensenten« im »Intelligenzblatt der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung« von 1804, Nr. 141 von Goethe verfaßt ist.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1804. 1804, November. Mit Johann Heinrich Voß d. J.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A698-1