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[I. Goethe hatte einen von Runge in Papier ausgeschnittenen Blumenstrauß zur Ansicht in die Abendgesellschaft der Schopenhauer mitgebracht, wodurch letztere bewogen worden war, einen von einer Fuchsie umschlungenen Kastanienzweig auszuschneiden und diesen am 3. December 1806 Goethen vorzulegen. Sie schreibt darüber:]

Nun hättest Du [Arthur Schopenhauer] ihn und seine Freude über meine Kunst sehen sollen, wie er es gewahr wurde. Gegen Runge's Bouquet mußte ich freilich zurückstehen, aber meines war in der Art ein erster Versuch; denn die Blumen sind in Lebensgröße. Nun kamen verschiedene, die meine Arbeit für Runge's Arbeit hielten, welche sie früher gesehen hatten, und Goethe rief dann ganz triumphirend, wenn sie lange bewundert hatten: ›Nein, die Frau, die kleine Frau hat das gemacht! Solche Streiche macht sie! Sehen Sie einmal, sehen Sie einmal recht, wie hübsch das ist!‹ Er freute sich darüber wie ein Kind zum Weihnachten .... Die übrigen gingen an's Clavier im Nebenzimmer, ich blieb allein bei Goethe an seinem Zeichentische; denn ich kann ihn nicht genug sehen und hören. Nun erzählte er mir von einem Ofenschirme, den ich so machen müßte, machte mir mit ein paar Strichen eine Zeichnung dazu [145] und will mir auch beim Aufkleben helfen. Hernach versammelten sich Meyer, Fernow und Schütze um uns; wir machten einen kleinen Kreis, die Bardua kam dazu, mit welcher heillos umgegangen ward, und der Abend verging unter Scherz und Lachen.«

II. [Den 7. (?) December 1806.] Die Frau des Marschall Lannes kommt hier durch und sollte bei ihm [Goethe] logiren. Weil sie schon viele Tage erwartet wurde und nicht kam, so meinte er, sie käme gar nicht, aß richtig zu Mittag eine kalte Gänseleberpastete, die für die Dame bereitet war und kam den Abend zu mir. Nun kam die Dame, und die Pastete war verzehrt, und er war bei mir und mußte fort.

III. Gestern [19. (?) December] war mein Zirkel kleiner, aber um so interessanter, obgleich niemand etwas zum Vorlesen mitgebracht hatte. Ich schnitt wieder Blumen aus, und Goethe war beschäftigt, sie zu einem Ofenschirme zu ordnen, den er selbst aufkleben will. Dabei erzählte er Anekdoten aller Art. Die Bardua malt jetzt Goethe; ich glaube fast, er würde mir auch sitzen, wenn ich ihn darum bäte. Den Muth dazu hätte ich wohl, aber wenn's zur Ausführung käme und er mich dann so ernsthaft mit seinen durchdringenden Augen ansähe, dann wäre ich in Gefahr, davonlaufen zu müssen. Also lasse ich es lieber; die Bardua wird mir aber das Bild, welches sehr ähnlich werden soll, copieren. – Letzt sprach man bei mir vom Latein, wie nothwendig es wäre und wie wenig es jetzt gelernt [146] würde. Ich sagte, Du hättest es in Deiner Kindheit durchaus nicht lernen können, obgleich Du lebende Sprachen sehr leicht vollkommen begriffest. Goethe sagte: es wundere ihn nicht; es wäre ungeheuer schwer, da hälfe keine Methode, die ganze Kindheit müsse darauf zugebracht werden. »Wenn zehn Louisd'or auf einem Tische liegen, kann man sie leicht einstreichen, aber wenn sie tief in einem alten Brunnen liegen und Steine, Schutt und Gebüsch obendrauf, dann ist's ein ander Ding; ein Kind kriegt dann wohl mühsam hinein, aber ein Erwachsener muß es bleiben lassen.« Ich sagte, Du hättest Lust, es noch zu lernen, ich wolle Dir aber abrathen. Dies solle ich auch nicht thun, sagte er; es bliebe doch immer etwas hängen, und wenn Du es noch thun wolltest, so wäre es sehr gut und nützlich, obgleich Du es zur Vollkommenheit nicht bringen würdest.

IV. Er ist ein unbeschreibliches Wesen; das Höchste wie das Kleinste ergreift er. So saß er denn an diesem Abend [25. December] eine lange Weile im letzten meiner drei ... Zimmer mit Adele ... und der jüngsten Conta, einem hübschen, unbefangenen sechzehnjährigen Mädchen. Wir sahen von weitem der lebhaften Conversation zwischen den dreien zu, ohne sie zu verstehen; zuletzt gingen sie alle drei hinaus und kamen lange nicht wieder. Goethe war mit den Kindern in Sophie's Zimmer gegangen, hatte sich dort hingesetzt und sich Adele's Herrlichkeiten zeigen lassen, alles [147] Stück vor Stück besehen, die Puppen nach der Reihe tanzen lassen, und kam nun mit den frohen Kindern und einem sehr lieben milden Gesichte zurück, wovon kein Mensch einen Begriff hat, der nicht die Gelegenheit hat, ihn zu sehen, wie ich.

V. Am Abend des 4. [Januar] fing Goethe an von seinem herannahenden Alter zu sprechen mit einer Weichheit des Tones, mit einem so edlen Selbstbewußtsein, daß es uns alle tief rührte. Dabei hielt er mich fest bei der Hand; er thut das oft und erinnert mich dabei lebhaft an Deinen Vater, der mich dann auch so festhalten konnte.

VI. Am Donnerstag ... [den 5. Februar] bestand mein Zirkel fast nur aus Herren, aber es waren gerade die interessantesten; Frau v. Goethe war die einzige Dame. »Weil wir eben in solchem kleinen vertraulichen Zirkel sind« – fing er an – »so will ich denn eine Naturnothwendigkeit mittheilen; es ist billig, daß man unter Freunden sich dergleichen wechselseitig mittheilt.« Und damit fing er aus einem Briefe eine Geschichte von einer Mamsell, die in die Wochen gekommen war, zu lesen an. Darüber kam die Bardua. »Gerechter Himmel, da kommt die Bardua!« rief er aus; »nun darf ich nicht weiter lesen.« »Es thut nichts,« sagte ich; »die Bardua muß draußen bleiben.« Das war Wasser auf seine Mühle. Der Bardua kündigte er gleich gravitätisch an, sie müsse draußen bleiben. Den Bertuch, den Sohn, der gewaltig lang ist, stellte er an [148] die zugemachte Thür, welche die Bardua von außen gewaltig berannte. »Halten Sie Ihren Posten wohl, Bertuch! Denken Sie, Sie sind in Breslau. Es soll Ihr Schade nicht sein; ich will schon so lesen, daß Sie dort so gut hören sollen, wie hier.« Die Bardua machte einen erbärmlichen Spektakel; er ließ sich nicht stören und verwies sie nur von Zeit zu Zeit mit ein paar Worten zur Ruhe und Geduld. Zuletzt spielte sie aus Leibeskräften auf dem Claviere. »Eine Kriegslist!« sagte er; »hilft nichts! wir lesen lauter.« Und so erhob er die Stimme oder ließ sie sinken, nachdem sie accompagnirte, wie in einem Melodram bis ans Ende, wo sie dann feierlich hereingeholt ward. Alles dies ist nichts, aber man muß es sehen. Dieses kleine Intermezzo stimmte uns alle lustiger; es wurde viel den Abend gelacht. Zuletzt aber kam das Gespräch auf die Allemannischen Gedichte [von Hebel]. Meyer, als Schweizer, und Legationsrath Weyland, als Elsasser, sind der Sprache mächtig und lesen manches daraus sehr hübsch vor. Goethe ist die Sprache fremd, er las aber doch sein Lieblingsstück, »Das Gespenst an der Kanderer Straße«, und er las es, wie nur er lesen kann.

VII. Seit ein paar Abenden [vor dem 10. März 1807] liest Goethe selbst bei mir vor, und ihn dabei zu hören und zu sehen ist prächtig. Schlegel hat ihm ein übersetztes Schauspiel von Calderon [»Der standhafte Prinz«] im Manuscripte geschickt; es ist Klingklang [149] und Farbenspiel, aber er liest auch den Abend keine drei Seiten: sein eigner poetischer Geist wird gleich rege. Dann unterbricht er sich bei jeder Zeile, und tausend herrliche Ideen entstehen und strömen in üppiger Fülle, daß man alles vergißt und den Einzigen anhört.

VIII. Er hat jeden Abend seinen »standhaften Prinzen« standhaft gelesen bis gestern [22. März], wo er ihn zu Ende brachte. Es ist ein wundersames Wesen darum, und es sind wahrlich Dinge darin, die gerade ins Herz dringen, und wo es mir anfängt möglich zu erscheinen, daß man Calderon neben Shakespeare nennt. Aber wie viel Wust, Haupt- und Staatsactionen sind mit hineingewebt, und dann das ganze südliche Wesen, das Farbenspiel, das Spiel mit Bildern und Tönen, die unsere nördliche Naturen gar nicht ansprechen. Indessen ist es doch ein hoher Genuß, von Goethe dies lesen zu hören; mit seiner unbeschreiblichen Kraft, seinem Feuer, seiner plastischen Kunst reißt er uns alle mit, obgleich er eigentlich nicht kunstmäßig liest. Er ist viel zu lebhaft, er declamirt, und wenn etwa ein Streit oder gar eine Bataille vorkommt, macht er einen Lärm wie in Drurylane, wenn es dort eine Schlacht gab. Auch spielt er jede Rolle, die er liest, wenn sie ihm eben gefällt, so gut es sich im Sitzen thun läßt. Jede schöne Stelle macht auf sein Gemüth den lebhaftesten Eindruck: er erklärt sie, liest sie zwei-, dreimal, sagt tausend Dinge dabei, die noch schöner sind – kurz, es [150] ist ein eigenes Wesen, und wehe dem! der es ihm nachthun wollte. Aber es ist unmöglich, ihm nicht mit innigem Antheile, mit Bewunderung zuzuhören, noch mehr, ihm zuzusehen; denn wie schön dieses alles seinem Gesichte, seinem ganzen Wesen läßt, mit wie einer eigenen hohen Grazie er alles dies treibt, davon kann niemand einen Begriff sich machen. Er hat etwas so rein Einfaches, so Kindliches. Alles, was ihm gefällt, sieht er leibhaftig vor sich; bei jeder Scene denkt er sich gleich die Decoration und wie das Ganze aussehen muß.

IX. Zwischendurch singt die Bardua uns ein Lied von Goethe, von Zelter oder Himmel componirt. Er hat das gern und extert die gute Bardua nicht wenig, wenn sie undeutlich ausspricht oder gar die Verse verwechselt. Letzt habe ich entdeckt, daß sein Lied »Ich hab' mein' Sach' auf nichts gestellt« recht gut zur Melodie »Es gingen drei Bursche zum Thore hinaus« sich paßt. Darüber hatte er große Freude, und nun muß die Bardua es jeden Abend singen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1806. 1806, Winter auf 1807 und Späteres.: In Gesellschaft bei Johanna Schopenhauer. b. 1. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A629-C