1823, 23. August.
Mit Joseph Sebastian Grüner
Nach eingenommenem Gabelfrühstück und mitgenommenem Proviantfuhren wir früh neun Uhr nach Booden, um den Rehberg zu untersuchen. Goethe blieb auf der Höhe sitzen, und schlürfte aus einer vergoldeten Pilgrimschale von Silber den hineingegossenen Rheinwein. Ich ging um den Rehberg herum, und weil ich auf der West-, der Ost- und der Nordseite Thonschiefer fand, so berichtete ich, daß der Berg aus Thonschiefer bestehe.
»Haben Sie ihn auch auf der Südseite untersucht?« fragte Goethe, und als ich mit Nein antwortete, sagte er: »Ihr jungen Leute laßt euch durch Leidenschaft öfters zu Fehlschlüssen verleiten. Kann denn gegen Süden und im Innern nicht etwas Anderes als Thonschiefer sein? Es kann nicht der Schluß gezogen werden, daß, weil am Fuße des Berges südlich dieses und nördlich jenes Gestein vorkömmt, die ganze Unterlage des Berges [250] daraus besteht; denn es mag etwas dazwischen liegen. Ebenfalls ist nicht richtig, daß weil mich das Mädchen den ersten und dritten Tag geküßt hat, sie den zweiten Tag nicht auch einen anderen geküßt haben kann. Die Leidenschaft verleitet gewöhnlich den Menschen zu solchen Schlüssen.«
Er trank aus der Pilgrimsschale, ich mußte mich zu ihm setzen und seinen Wein, seinen Proviant mit verzehren helfen. Verweilen Eure Excellenz, sagte ich, hier noch, ich werde den Berg auch gegen Süden untersuchen, eilte von ihm weg, und kam sofort mit schöneren Basalten als vom Kammerbühle zurück; denn der Olivin in den Basaltschlacken war viel frischer und größer.
»Woher, Freund, haben Sie diese schönen Schlacken?« fragte Goethe, erhob sich in diesem Momente rasch wie ein Jüngling und sagte: »das müssen wir an Ort und Stelle untersuchen.«
Im Dorfe Booden am Fahrwege sind große Klumpen dieses porösen Basalts entblößt. Ein kleiner Hügel ist mit verschiedenen Schlacken bedeckt; es wurde in der Mitte desselben eine Vertiefung wahrgenommen, die schon größtentheils ausgefüllt ist. Die Einwohner sagten uns, daß dort eine große Vertiefung und in ihr auf der Sohle Wasser sich befunden habe. Nach und nach wäre sie durch das Hineinwerfen der Schlacken ausgefüllt worden.
Goethe war eifrig, dem großen Klumpen Basalt[251] etwas abzugewinnen; ich zerschlug, sammelte verschiedene Schlacken, die alle vorsichtig eingepackt und von mir und dem Diener nach der Höhe hinaufgetragen wurden.
»Wir haben«, sagte Goethe, »eine wichtige Entdeckung in dieser Gegend gemacht, die zu weiteren Nachforschungen dienen wird.«
Dann gingen wir in nördlicher Richtung den Berg abwärts auf das Dorf Albenreuth zu, wo auf den Feldern glänzende zertrümmerte Basalthornblende, nahe am Dorfe hohe Schichten von vulkanischem Sande mit porösen Basaltstückchen und Hornblende entdeckt wurden.
Als wir den schönen Fund nach der Heimkunft auspackten, sagte Goethe: »Morgen gibt es zu ordnen und zu verzeichnen. Sie bleiben doch noch bei mir, wir wollen noch Manches besprechen.«
Nachdem er das Oberkleid mit dem Schlafrock vertauscht hatte, mußte ich mich zu ihm setzen, und er sprach: »Wir haben heute unser Tagewerk vollbracht, und wollen nun ausruhen; diese merkwürdige Gegend wünschte ich doch mit Ihnen noch einmal zu besuchen, wenn es Ihre Geschäfte zulassen. Wir haben den in der Nähe östlich liegenden Dillenberg, wo die edlen Granaten vorkommen, noch nicht besucht, und der südlich von uns gelegene Berg, Hochwald genannt, dürfte nebst den schönen Andalusiten noch andere Ausbeute liefern. Ihre Gebirgskarte hat mich zu dem abermaligen Besuche bestimmt; denn ich glaube, daß die [252] Gebirgsformation gegen Westen aus anderem Gestein, als jene gegen Süden bestehe; die Thäler dazwischen und die äußere Form dieser Gebirge dürften meine Meinung bestärken. Finden wir bei der Trennung derselben Spalten Wasserrisse, so kommen wir bald ins Reine, auch den Bach dürfen wir nicht unbeachtet lassen, denn Regengüsse führen manches hinab, was wir brauchen, und uns daran erfreuen können.«
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