1827, 18. Juli.
Mit Johann Peter Eckermann
»Ich habe Ihnen zu verkündigen,« war heute Goethes erstes Wort bei Tische, »daß Manzoni's Roman [I promessi sposi] alles überflügelt, was wir in dieser Art kennen. Ich brauche Ihnen nichts weiter zu sagen, als daß das Innere, alles was aus der Seele des Dichters kommt, durchaus vollkommen ist, und daß das Äußere, alle Zeichnung von Localitäten und dergleichen, gegen die großen innern Eigenschaften um kein Haar zurücksteht. Das will etwas heißen.« Ich war verwundert und erfreut, dieses zu hören. »Der Eindruck beim Lesen,« fuhr Goethe fort, »ist der Art, daß man immer von der Rührung in die Bewunderung fällt und von der Bewunderung wieder in die Rührung, sodaß man aus einer von diesen beiden großen Wirkungen gar nicht herauskommt. Ich dächte, höher könnte man es nicht treiben. In diesem Roman sieht man erst recht, was Manzoni ist. Hier kommt sein vollendetes Inneres zum Vorschein, welches er bei seinen dramatischen Sachen zu entwickeln keine Gelegenheit hatte. Ich will nun gleich hinterher den [165] besten Roman von Walter Scott lesen, etwa den ›Waverley‹, den ich noch nicht kenne, und ich werde sehen, wie Manzoni sich gegen diesen großen englischen Schriftsteller ausnehmen wird. Manzoni's innere Bildung erscheint hier auf einer solchen Höhe, daß ihm schwerlich etwas gleichkommen kann; sie beglückt uns als eine durchaus reife Frucht. Und eine Klarheit in der Behandlung und Darstellung des Einzelnen wie der italienische Himmel selber!« – »Sind auch Spuren von Sentimentalität in ihm?« fragte ich. – »Durchaus nicht,« antwortete Goethe. »Er hat Sentiment, aber er ist ohne alle Sentimentalität; die Zustände sind männlich und rein empfunden. Ich will heute nichts weiter sagen, ich bin noch im ersten Bande, bald aber sollen Sie mehr hören.«
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