1831, Ende August.
Mit Johann Christian Mahr
Da er mir die Versicherung gegeben hatte, mein Besuch werde ihm angenehm sein, sooft es meine Geschäfte erlaubten, auch könne ich mit dem Frühesten kommen, da er früh um 4 Uhr aufstehe, so besuchte ich ihn während seines sechstägigen Aufenthalts jeden Morgen und fand ihn fast jedesmal, auch um 5 Uhr, am Arbeitstisch entweder mit der Bleifeder schreibend oder lesend. Als ich ihn am 29. August in gleicher Beschäftigung antraf, bemerkte er, daß ihm sein Freund v. Knebel aus Jena die Übersetzung eines älteren römischen Geschichtsschreibers zugeschickt habe, aus welcher er sehe, daß sich die Gesinnungen der lebenden Menschheit stets wiederholen; er habe gefunden, daß vor sechshundert Jahren fast derselbe Geist unter dem Volke geherrscht habe, wie jetzt – mit Beziehung auf die kurz vorher erfolgten revolutionären Bewegungen. Als ich mir darauf die Frage erlaubte, was er von diesen Bewegungen halte, gab er mir die Frage zurück: »Ist's dadurch besser geworden?« Besser glaubte ich nicht, aber manches anders, worauf er erwiederte: »Durch Stolpern kommt man bisweilen weiter, man muß nur nicht fallen und liegen bleiben.«
Auch fragte mich Goethe: ob das kleine Haus auf dem Schwalbenstein noch stände. Leider mußte ich ihm [112] bemerken, daß solches nicht mehr existire, doch konnte ich ihm eine Zeichnung davon vorlegen. Er bemerkte darauf, daß ihm in diesem kleinen Hause, in welchem er sich sonst oft aufgehalten habe, die erste Idee zur ›Iphigenie auf Tauris‹ gekommen sei. Das kleine Jagdhaus stand am Hangeberg zwischen Ilmenau und Manebach und gewährte auf seinem hohen Felsen in der düstern Fichtenwaldung die herrlichste Aussicht in das Manebacher Gebirgsthal.
Goethe verließ darauf Ilmenau mit der Versicherung, im künftigen Jahre seinen Geburtstag womöglich wieder hier feiern zu wollen.
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