h.

»Da sitzt das Ungethüm mit langen Ärmeln da und bohrt mir Esel, daß ich noch so ein alter Narr bin und mich über die Welt ärgere, als ob ich nicht wüßte, wie es mit ihr bestellt, und daß alles in und auf ihr mit D – versiegelt ist!« Mit diesen Worten empfing mich Goethe, als ich eines Nachmittags in seinen Garten trat und ihn in einer weißen Sommerweste unter den grünen Bäumen auf einem schattigen Rasenplätzchen sitzen fand. Es war Freitag; Sonnabend sollte Theater sein, und eben hatte ein Schauspieler, der spielen sollte, abgesagt, wodurch denn freilich das ganze morgende Stück zerrissen wurde. Die späte Meldung war's besonders, die Goethe verdroß, dem nun freilich die Sache mit derselben Hast über den Hals kam, wie sie sich der Schauspieler von dem seinen herunterschaffte. Wie bekannt, muß nämlich jede Direction dafür sorgen, erstlich, daß regelmäßig gespielt, und sodann, daß das Publicum womöglich mit lauter vortrefflichen Sachen unterhalten wird.

»Solche Avanien« – hub Goethe an, indem er noch immer grimmig ein Glas rothen Wein einschenkte und mich zugleich nöthigte, neben ihm auf einem Gartensitze [349] Platz zu nehmen, »muß ich mir nun von Leuten gefallen lassen, die, wenn sie zu dem einen Thore von Weimar hereinkommen, sich schon wieder nach dem andern umsehen, wo sie wieder herauswollen. Dafür bin ich nun funfzig Jahr 1 ein beliebter Schriftsteller der Nation gewesen, die Ihr die deutsche zu nennen beliebt, habe zwanzig oder dreißig Jahre als Geheimerath zu Weimar Sitz und Stimme gehabt 2, um mir amende solche Gesellen über den Kopf wachsen zu lassen. Zum Teufel auch! Daß ich noch in meinem Alter eine solche Tragikomödie spielen und darin die Hauptperson abgeben sollte, hätte ich mir zeitlebens nicht träumen lassen. Ihr werdet mir freilich sagen, daß es mit dem ganzen Theaterwesen imgrunde nichts als D-ck ist; denn Ihr habt tief genug hinter den Vorhang geguckt, und daß ich daher wohl thun würde, den ganzen Bettel sobald als möglich fahren zu lassen; aber ich werde Euch zur Antwort geben: die Schanze, die ein tüchtiger General vertheidigt, ist auch D-ck, aber er darf sie doch nicht schimpflich im Stiche lassen, wenn er nicht seine eigne Ehre in den D-ck treten will. Deshalb wollen wir ihm keine besondere Prädilection für den D-ck beilegen und so hoff' ich denn, werdet Ihr mich auch in diesem Punkte freisprechen.«

»Die gerechtere Nachwelt –« nahm ich das [350] Wort, aber Goethe, ohne abzuwarten, was ich eigentlich von der Nachwelt sagen wollte, entgegnete mir mit ungemeiner Hastigkeit: »Ich will nichts davon hören, weder von dem Publicum, noch von der Nachwelt, noch von der Gerechtigkeit, wie sie es nennen, die sie einst meinem Bestreben widerfahren lassen. Ich verwünsche den ›Tasso‹ blos deshalb, weil man sagt, daß er auf die Nachwelt kommen wird; ich verwünsche die ›Iphigenie‹, mit einem Worte, ich verwünsche alles, was diesem Publicum irgend an mir gefällt. Ich weiß, daß es dem Tag, und daß der Tag ihm angehört; aber ich will nun einmal nicht für den Tag leben. Eben deshalb soll mir auch dieser Kotzebue vom Leibe bleiben 3, weil ich fest entschlossen bin, auch nicht eine Stunde mit Menschen zu verlieren, von denen ich weiß, daß sie nicht zu mir, und daß ich nicht zu ihnen gehöre. Ja, wenn ich es nur je dahin noch bringen könnte, daß ich ein Werk verfaßte – aber ich bin zu alt dazu – daß die Deutschen mich so ein funfzig, oder hundert Jahre hintereinander recht gründlich verwünschten und aller Orten und Enden mir nichts als Übels nachsagten; das sollte mich außermaßen ergötzen. Es müßte ein prächtiges Product sein, was solche Effecte bei einem von Natur völlig gleichgültigen Publicum wie das unsere hervorbrächte. Es ist doch wenigstens Charakter im Haß, und wenn wir nur erst [351] wieder anfingen und in irgend etwas, sei es, was es wolle, einen gründlichen Charakter bezeigten, so wären wir auch wieder halb auf dem Wege ein Volk zu werden. Im Grunde verstehen die meisten unter uns weder zu hassen, noch zu lieben. Sie mögen mich nicht! Das matte Wort! Ich mag sie auch nicht! Ich habe es ihnen nie recht zudanke gemacht! Vollends, wenn mein Walpurgissack nach meinem Tode sich einmal eröffnen und alle bis dahin verschlossenen stygischen Plagegeister, wie sie mich geplagt, so auch zur Plage für andere wieder loslassen sollte; oder wenn sie in der Fortsetzung von ›Faust‹ etwa zufällig an die Stelle kämen, wo der Teufel selbst Gnad' und Erbarmen vor Gott findet; das, denke ich doch, vergeben sie mir sobald nicht! Dreißig Jahre haben sie sich nun fast mit den Besenstielen des Blocksberges und den Katzengesprächen in der Hexenküche, die im ›Faust‹ vorkommen, herumgeplagt 4, und es hat mit dem Interpretiren und dem Allegorisiren dieses dramatisch-humoristischen Unsinns nie so recht fortgewollt. Wahrlich, man sollte sich in seiner Jugend öfter den Spaß machen und ihnen solche Brocken, wie den Brocken, hinwerfen! Nahm doch selbst die geistreiche Frau v. Stael es übel, daß ich in dem Engelgesang Gott-Vater gegenüber den Teufel so gutmüthig gehalten hätte! sie wollte ihn durchaus [352] grimmiger. Was soll es nun werden, wenn sie ihm auf einer noch höhern Staffel und vielleicht gar einmal im Himmel wiederbegegnet!«

»Um Verzeihung!« nahm ich hier das Wort: »Sie sprachen vorhin von einem Walpurgissacke; es ist das erste Wort, was ich heute darüber aus Ihrem Munde höre. Darf ich wissen, was es mit demselben eigentlich für ein Bewenden hat?« – »Der Walpurgissack« – gab mir Goethe mit dem angenommenen feierlichen Ernste eines Höllenrichters zur Antwort – »ist eine Art von infernalischem Schlauch, Behältniß, Sack, oder wie Ihr's sonst nennen wollt, ursprünglich zur Aufnahme einiger Gedichte bestimmt, die auf Hexenscenen im ›Faust‹, wo nicht auf dem Blocksberg selbst einen nähern Bezug hatten. Nach diesem, wie es zu gehen pflegt, erweiterte sich diese Bestimmung ungefähr so, wie die Hölle auch von Anfang herein nur Einen Aufenthalt hatte, späterhin aber die Limbusse und das Fegefeuer als Unterabtheilungen in sich aufnahm. Jedes Papier, daß in meinen Walpur gissack herunterfällt, fällt in die Hölle; und aus der Hölle, wie Ihr wißt, giebt's keine Erlösung. Ja, wenn es mir einmal einfällt, wozu ich eben heute nicht übel gelaunt bin, und ich nehme mich selbst beim Schopf und werfe mich in den Walpurgissack. Bei meinem Eid! was da unten steckt, das steckt unten und kommt nicht wieder an den Tag, und wenn ich es selbst wäre! So streng, sollt Ihr wissen, halte ich über meinen Walpurgissack und die höllische [353] Constitution, die ich ihm gegeben habe. Es brennt da unten ein unverlöschliches Fegefeuer, was, wenn es um sich greift, weder Freund noch Feind verschont. Ich wenigstens will niemand rathen, ihm allzunahe zu kommen: ich fürchte mich selbst davor.«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. Zeitlich ungewiß. 915. * : Erzählungen von Johann Daniel Falk. h.. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A486-A