1804.


Allgemeines über Goethes Gespräche

Wenn ich [Voß] sagte, daß Goethe's Gesprächen so viel Allgemeines zugrunde läge, so ist das nicht so zu verstehen, als ob er abstractes Zeug, wie im Athenäum, in Sentenzen spräche; ich meine nur das Ideenreiche [35] dieses so geistreichen Mannes, das aus jeder Hülle und Einkleidung so klar hervorleuchtet. Ich möchte Goethen den populärsten Philosophen nennen, der uns auch bei den geringfügigsten Gegenständen wahre Weisheit in die Seele redet. Seine Weise, die Menschen zu betrachten, ist ganz die eines contemplativen Naturforschers im edleren Sinne des Worts. Kein Mensch ärgert ihn, wenn er einen bestimmten Charakter hat, selbst ein Kotzebue, sogar ein – – [Böttiger?] nicht. Er denkt: so hat ihn einmal der liebe Gott, der von allen Arten etwas giebt, geschaffen, und ist er nicht positiv, so ist er doch negativ zum allgemeinen Heile nothwendig. Freilich, wenn er zum Wohle des Allgemeinen wirken soll, so hat diese Toleranz auch bei ihm ihre Gränzen; wenn ein Klotz im Wege steht, da wird er beiseite geschafft, damit die Bahn frei werde, und je hartnäckiger der Widerstand, je heftiger die Gewalt, ihn fortzuschaffen. Ich habe ihn zornig gesehen über Eseleien und Teufeleien, aber es war der Zorn des Gerechten, ein schneidender, kraftvoller Unwille, nicht zügellose Leidenschaft und Ereiferung. Nie sind Goethe's Forderungen an die einzelnen Menschen unbillig, sie richten sich nach der Fähigkeit jedes Subjectes, aber was einer leisten kann, das fordert er ganz und ungetheilt. So ehrt und schätzt er jedes Talent, jede noch so kleine mechanische Fertigkeit. Aber kein Charakterloser fand. Gnade vor seinen Augen. Die Losung: es ist doch ein guter Mensch! ist ihm unausstehlich. Und wehe dem, der[36] seine Erwartungen und sein Zutrauen durch träges, hartnäckiges Stillstehen, durch Schlaffheit oder gar Scheinsucht statt des reellen Werthes zu täuschen anfängt. Anfangs ist er noch milde und sucht schonend zum Guten zurückzulenken; hilft es nichts, so wird er zornig und wendet sein Antlitz auf ewig.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1804. 1804. Allgemeines über Goethes Gespräche. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A3C1-C