1775, Mitte.
Mit Friedrich Arnold Hasenkamp u.a.
Eine Anekdote stehe hier noch, die Herr v. Goethe nicht angeführt hat, die wir uns aber erinnern, mehr als einmal aus Lavater's, als eines dabei gegenwärtig gewesenen Mannes, Munde gehört zu haben; die ipsissima verba können wir freilich nicht mehr angeben, aber das Wesentliche ist uns treu genug in dem Gedächtnisse geblieben.
Als Goethe mit Lavatern die kleinen Reisen machte, von welchen Goethe in der Schrift ›Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Von Goethe. Theil III.‹ erzählt, begegnete es, wenn Recensent nicht irrt, in Elberfeld, daß auch der Rector Hasenkamp der ältere zu Duisburg einmal in großer Gesellschaft mit Lavater und Goethe zu Mittag (oder Abend) aß und nicht weit [239] von Goethe zu sitzen kam; man war in der heitersten Stimmung und Goethe sowohl als Lavater erfreuten alles durch ihre heitere und belebende Unterhaltung. Auf einmal richtet Hasenkamp – ein gottesfürchtiger Mann, der aber aus Mangel an Sinn für das Schickliche nicht immer bedachte, was Zeit und Ort gestatten möchte – seine Rede an Goethe und fragt in feierlichem Tone: »Sind Sie der Herr Goethe?«... – »Ja!« – »Und haben Sie das berüchtigte Buch ›die Leiden des jungen Werther‹ geschrieben?« – »Ja.« – »So fühle ich mich in meinem Gewissen verpflichtet, Ihnen meinen Abscheu an dieser ruchlosen Schrift zu erkennen zu geben. Gott wolle Ihr verkehrtes Herz bessern! Denn wehe, wehe dem, der Ärgerniß giebt! u.s.f.« – Jedermann gerieth in die peinlichste Verlegenheit; jedermann war voll banger Erwartung, wie es dem ehrlichen, aber pedantisch-schulgerechten Hasenkamp ergehen würde. Aber Goethe versetzte alle in die heiterste Stimmung, als er erwiederte: »Ich sehe es ganz ein, daß Sie aus Ihrem Gesichtspunkt mich so beurtheilen müssen, und ich ehre Ihre Redlichkeit, mit der Sie mich bestrafen. Beten Sie für mich!« – Das Wohlgefallen an der edeln Art, mit der Goethe sich benahm, war allgemein; der Rector ward auf eine Weise, wie er sich nicht hatte träumen lassen, entwaffnet, und die Unterhaltung nahm wieder ihren vorigen fröhlichen Gang.
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