1807, 9. Mai.


Mit Georg Reinbeck

Ich machte ... meinen Abschiedsbesuch bei Goethe, den ich so gar liebgewonnen hatte. Er war allein. Ich mußte auf dem Sopha Platz nehmen, und er setzte sich auf einen Stuhl, mir gegenüber. Es war eine gewisse Feierlichkeit, nicht Vornehmigkeit, die ich auch wohl kannte, in seinem Benehmen und mir war's recht schwer um's Herz. Unser Gespräch betraf meine Reise und meinen Aufenthalt in Heidelberg. »Die Natur und die Vergangenheit bieten Ihnen dort viel,« sagte er, »ob aber das Leben? Ich weiß nicht, ob Sie mit dem deutschen Universitätswesen bekannt sind? Es ist nicht eben das angenehmste, und in Heidelberg besonders scheint viel Parteiwuth zu herrschen, und die Wissenschaft trennt statt zu vereinigen. Es ist wie mit der Kirche dort. Protestanten und Katholiken sind in einem [165] Gebäude unter dem nämlichen Dache vereinigt, allein in der Mitte ist zwischen beiden eine dicke Mauer. Haben Sie dort Bekannte?« Ich sagte ihm, daß ich von Dresden aus an Professor Fries und von dem guten Generalsuperintendenten (Voigt) an Heinrich Voß Briefe hätte. »Da sind Sie gut versehen,« erwiderte er, »grüßen Sie mir den Heinrich, das ist ein lieber kindlicher Mensch, und grüßen Sie auch den Alten von mir!« Unser Gespräch verbreitete sich über mehreres und auch mit Wehmuth von meiner Seite über meinen achtmonatlichen Aufenthalt in Weimar und das darin Erlebte, wobei ich es für ein wahres Glück schätzte, zu einem so langen Aufenthalt gleichsam gezwungen worden zu sein. »Was Sie an Ihrem Aufenthalt hier etwa zu tadeln finden,« versetzte er, »wird Ihnen in der Erinnerung vielleicht noch mehr Genuß gewähren, als was Sie jetzt zu loben haben. Überstandenes Ungemach hat einen eigenthümlichen Reiz.« Ich konnte das aus einer reichen Erfahrung nur bestätigen. Endlich mußte doch aber an den Aufbruch gedacht werden und ich konnte den Entschluß dazu nicht finden. Als ich zuletzt fast gewaltsam aufbrach, versagte mir das Wort. Ich stammelte einiges – ich weiß selbst nicht was. Goethe war sichtbar bewegt. Er reichte mir die Hand. »Reisen Sie glücklich,« sagte er, »und vergessen Sie uns nicht!« Nie, nie! rief ich, und man wird's natürlich finden, daß ich Wort hielt, und ich habe auch die Freude, daß ich in Weimar nicht ganz vergessen wurde.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1807. 1807, 9. Mai. Mit Georg Reinbeck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A280-8