1806, 30. November (?).


Mit Karl Ludwig Fernow

Am Abend desselben Tages, wo ich meinen Brief an Sie [Böttiger] absandte, hatte ich eine sehr interessante Unterhaltung mit Goethe ..... Ich kam zufällig mit G. über das Journal- und Zeitungswesen unsers Vaterlandes zu sprechen. Sie wissen, wie G. von jeher [116] über die Neuigkeitskrämereien der Journale gedacht hat, und er war auch jetzt indignirt über so manche Nachrichten, welche in den letzten Zeiten über Weimar besonders in der »Allgemeinen Zeitung« gestanden haben, z.B. die Notiz, unsere verwittwete Herzogin und ihre Flucht von Weimar vor der Schlacht, welche hier allgemein gemißbilligt worden, umsomehr, da die Beweggründe zu ihrer Abreise dort völlig falsch angegeben worden, und die andere, daß die Herzogin von Weimar dem gefallenen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen einen Lorbeerkranz geweihet habe, woran, wie Sie leicht denken können, kein wahres Wort ist, und andere Indiscretionen mehr, die Ihnen bekannt sind. Er sagte mir, er habe deshalb auch sehr ernstlich an Cotta geschrieben, daß er jetzt besonders, wo Deutschland nur Eine große und heilige Sache habe – die, im Geiste zusammenzuhalten, um in dem allgemeinen Ruin wenigstens das bis jetzt noch unangetastete Palladium unserer Literatur auf's Eifersüchtigste zu bewahren – dergleichen Frivolitäten, welche nur zum Gespött der Schadenfrohen und zum Geklatsche der Müßiggänger dienen, nicht in seinen Blättern hegen und pflegen müsse. Er sagte, nach dem 14. October müsse kein »Freimüthiger« mehr existiren; besonders müsse man in Sachsen, welches vor vielen andern geschont worden und so günstige Bedingungen für seine fernere Existenz erhalten, jetzt mehr als je zusammenhalten, da Dresden, Leipzig, Jena und Weimar künftig leicht der Hauptsitz [117] der germanischen Cultur im nördlichen Deutschland bleiben dürften, sowie sie es auch schon früher größtentheils gewesen seien. Alle die Neckereien, welche ehemals in Zeiten der Ruhe und friedlicher Verhältnisse, wenn auch unanständig, doch im Wesentlichen unschädlich gewesen, würden jetzt höchst nachtheilig werden, wenn sie dazu beitragen könnten, daß die Franzosen die einzige Achtung, die sie jetzt noch für die Deutschen haben konnten, verlieren müßten. Es sei also jetzt, wo alles auf der Spitze stehe, eine wahre Verrätherei, mit dem alten Leichtsinne fortzufahren, Orte, welche als ein Sitz der Cultur, und Männer, welche als thätige Beförderer derselben einige Ansprüche auf öffentliche Achtung haben können, unwürdig zu behandeln, und daß der Feind uns um so weniger ehren werde, wenn wir uns selbst so wenig ehren und achten, daß wir nicht besseres zu thun wissen, als vor seinen Augen unsere Blößen aufzudecken. Besonders müsse Weimar und diejenigen in W., welche z. Th. dazu beigetragen, auch selbst in den Augen der Franzosen unsere Literatur achtungswürdig zu machen, jetzt mit gebührender Rücksicht behandelt werden, umsomehr, da der Kaiser Napoleon selbst auf Weimar aufmerksam geworden, sodaß er den berühmten Johannes Müller in einer Unterredung gefragt hat, ob denn W. auch in Deutschland selbst wegen seiner höhern Bildung in demselben Ansehen stehe, wie bei den französischen Gelehrten. Man müsse also auf alle Weise verhüten, daß der, in dessen [118] Hand jetzt das Schicksal liege, die Achtung, die wir ihm durch ein höheres geistiges Übergewicht abgenöthigt haben, nicht verliere u.s.w.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1806. 1806, 30. November (?). Mit Karl Ludwig Fernow. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A260-0