1826, 2. October.
Mit Franz Grillparzer
Als ich mich des andern Vormittags einstellte, war der Maler noch nicht gekommen. Man wies mich daher zu Goethe, der in seinem Hausgärtchen auf und nieder ging. Nun wurde mir die Ursache seiner steifen Körperhaltung gegenüber von Fremden klar. Das Alter war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Wie er so im Gärtchen hinschritt, bemerkte man wohl ein gedrücktes Vorneigen des Oberleibes mit Kopf und[315] Nacken. Das wollte er nun vor Fremden verbergen, und daher jenes gezwungene Emporrichten, das eine unangenehme Wirkung machte. Sein Anblick in dieser natürlichen Stellung, mit einem langen Hausrock bekleidet, ein kleines Schirmkäppchen auf den weißen Haaren, hatte etwas unendlich Rührendes. Er sah halb wie ein König aus und halb wie ein Vater. Wir sprachen im Auf- und Niedergehen.
Er erwähnte meiner »Sappho«, die er zu billigen schien, worin er freilich sich selbst lobte; denn ich hatte so ziemlich mit seinem Kalbe gepflügt. Als ich meine vereinzelte Stellung in Wien beklagte, sagte er, was wir seitdem gedruckt von ihm gelesen haben, daß der Mensch nur in Gesellschaft Gleicher oder Ähnlicher wirken könne. Wenn Er und Schiller das geworden wären, als was die Welt sie anerkennt, verdankten sie es großentheils dieser fördernden und sich ergänzenden Wechselwirkung. Inzwischen kam der Maler. Wir gingen ins Haus, und ich wurde gezeichnet. Goethe war in sein Zimmer gegangen, von wo er von Zeit zu Zeit herauskam und sich von den Fortschritten des Bildes überzeugte, mit dem er nach der Vollendung zufrieden war. Nach Verabschiedung des Malers ließ Goethe durch seinen Sohn mehrere Schaustücke von seinen Schätzen herbeibringen.
Da war sein Briefwechsel mit Lord Byron; alles, was sich auf seine Bekanntschaft mit der Kaiserin und dem Kaiser von Österreich in Karlsbad bezog; endlich [316] das kaiserlich österreichische Privilegium gegen den Nachdruck für seine gesammelten Werke. Auf letzteres schien er große Stücke zu halten, entweder weil ihm die conservative Haltung Österreichs gefiel, oder, im Abstich der sonstigen literarischen Vorgänge in diesem Lande, als Curiosum. Diese Schätze waren halb orientalisch, jedes Zusammengehörige einzeln in ein seidnes Tuch eingeschlagen, und Goethe benahm sich ihnen gegenüber mit einer Art Ehrfurcht. Endlich wurde ich aufs Liebevollste entlassen.
Im Laufe des Tages forderte mich Kanzler Müller auf, gegen Abend Goethe zu besuchen. Ich würde ihn allein treffen und mein Besuch ihm durchaus nicht unangenehm sein. Erst später fiel mir auf, daß Müller das nicht ohne Goethes Vorwissen gesagt haben konnte.
Nun begab sich meine zweite Weimar'sche Dummheit. Ich fürchtete mich, mit Goethe einen ganzen Abend allein zu sein, und ging, nach manchem Wanken und Schwanken, nicht hin.
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