1829, Herbst.


Mit Gustav Stickel

Im Herbste des Jahres 1829 wurde ich wieder von Goethe empfangen. Da ich imbegriff war, nach Paris abzureisen, um dort unter der Leitung eines der berühmtesten Orientalisten dieses Jahrhunderts, Sylvestre de Sacy, meine Studien für Arabisch und Persisch zu erweitern, und bei Chézy Sanskrit zu lernen, schien es mir geziemend, mich bei Goethe zu verabschieden. Im Laufe des Gesprächs erwähnte ich eines chinesischen Buchs, das ich mitnehmen würde, um mir über dessen Inhalt von dem Sinologen Abel Rémusat Auskunft zu erbitten, und ich fügte noch hinzu, daß es unter den Trümmern eines alten Hauses in Weimar aufgefunden worden. »Lassen Sie es mich doch einmal sehen!« hob er an. Solches Verlangen erregte mir zwar einige Besorgniß, ob ich das Buch noch rechtzeitig zurückerhalten werde, allein was war zu thun? Dem Verlangen wurde entsprochen, und ich fügte nur bei der Überreichung die Bemerkung hinzu: das Buch gehöre einem Studirenden, einem meiner Zuhörer, der es für jenen Zweck mit nach Paris gesendet haben wolle. Exzellenz schien zu ahnen, was [152] in mir vorging; ein »hm! hm!« drang leise aus ihm hervor; es wurde mir eine Stunde des folgenden Tages bestimmt für mein Wiederkommen.

Erwartungsvoll stand ich zur bestimmten Zeit im Empfangszimmer. Bald darauf trat Goethe herein, in der Hand die Papierrolle, in welche ich das chinesische Buch eingehüllt hatte. Er begann: »Aber mein Lieber, wie unbesonnen ist die Jugend! Da haben Sie ein so seltenes, merkwürdiges Werk bloß in einem Papierumschlag! Da müssen Sie zu einem Buchbinder gehen, zwei Pappdeckel nehmen, es sorgsam dazwischen legen und wohl verwahren.«

Noch hielt er ein Blättchen in Form und Größe eines Stammbuchblattes in der Hand; das reichte er mir dar mit den Worten: »Nehmen Sie es, und zeigen Sie es meinen Freunden in Paris; es wird Ihnen manche Thür öffnen.« – Von seiner Hand geschrieben, enthält es die Stelle des ›Westöstlichen Diwan‹ als meinen Talisman: ›Gottes ist der Orient etc.‹ – Dieses Blättchen, bis heute von mir als Kleinod bewahrt, hat das einzige Mal, als ich davon Gebrauch machte, wie ein Zauberschlüssel in Paris gewirkt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1829. 1829, Herbst. Mit Gustav Stickel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A1C7-0