Im Hause von Friedrich Sigismund Voigt
Einmal erzählte der alte Herr uns, er habe heute den Besuch eines recht hübschen Mädchens gehabt, das ihm ein gar sonderbares Anliegen vorgetragen habe. Dieses Mädchen und deren Schwester, die ich (Theodor Voigt) beide gut kannte,... waren die Töchter eines alten Sonderlings, Dr. Hogel (Philosoph). In den zwanziger Jahren starb ihr Vater,... bei welchem früher auch Studenten und unter diesen wohl auch Ungarn gewohnt hatten. Die Mädchen hatten wenig oder gar keinen Umgang in der Stadt. Eines Tages also, so erzählte uns Goethe, habe eine der beiden um Einlaß bei ihm gebeten, indem sie schüchtern einen Brief überreicht und um einen gütigen Rath vom gescheidtesten Mann des Landes gebeten habe. Der Brief wäre von einem ungarischen Geistlichen gekommen, welcher darin geschrieben: vor zwölf oder fünfzehn [359] Jahren habe er im Hause des Herrn Dr. Hogel gewohnt und schon damals Fräulein Hogel fest in sein Herz geschlossen, allein er habe ihr nicht eher näher treten wollen, bis er eine gute Stellung erlangt hätte. Jetzt sei er nun wohlbestallter Geistlicher, und wenn sie sich seiner noch erinnere, so hielte er hiermit um ihre Hand an. Fräulein Hogel konnte sich beim besten Willen nicht auf diesen Bewerber besinnen; er, Goethe, habe ihr aber gesagt: der Brief gefiele ihm wohl, und wenn sie jemand so viele Jahre in seinem Herzen herumgetragen habe, so würde sie sich sicher ganz behaglich darin finden. Sie sollte nur getrost zu den Verwandten nach Wien reisen, woselbst die Hochzeit stattfinden sollte.
Wirklich that sie, wie ihr gerathen und längere Zeit nachher soll ein Dankschreiben gekommen sein mit der Bemerkung, daß sie glücklich verheirathet und ihre Schwester bei ihr sei.
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