1791, 8. (?) October.


Mit Christoph Martin Wieland

Ich habe Ihrem [Schiller's] Auftrage zufolge mit G[oethe] wegen Aufschub der Vorstellung Ihres »Don Carlos« gesprochen. So willig er sich aus Achtung gegen Sie bezeigte, so verbarg er mir doch nicht, daß er sehr ungern daran gehe. Er war gesonnen gewesen, »D. Carlos« künftigen Sonnabend zu geben, und gegen [123] seine rationes decidendi, die sich ganz auf den Gesichtspunkt eines Theaterdirectors gründeten, war in dieser Rücksicht nicht viel einzuwenden. Das Interesse der Cassa und der Umstand, daß das Stück den Schauspielern noch frisch im Gedächtniß ist, vereinigten sich, ihn zu determiniren, es um soviel balder zu geben, da die Erwartung des Publikums sehr darauf gespannt ist. Hierzu kommt noch der Umstand, daß den Schauspielern nichts beschwerlicher und beinahe unmöglicher ist, als ein Stück, das sie einmal memorirt haben, mit Veränderung des Textes von neuem einzustudiren. Sie entschließen sich nicht nur sehr ungern dazu, weil diese Operation für so mechanische Wesen sehr penibel ist, sondern die Erfahrung hat auch von jeher gezeigt, daß sobald sie im wirklichen Spiel begriffen sind, die alte habitude im Moment die Oberhand gewinnt, und die neu memorirte Veränderung ihnen erst auf die Zunge kommt, wenn sie die Stelle so, wie sie solche zum ersten Mal einstudirt hatten, hergesagt haben. Dessen allen ungeachtet hat sich G. doch erklärt, daß er aus Deferenz für Ihren Wunsch den »D. Carlos« bis in die letzte Woche dieses Monats, allenfalls bis zum letzten Tag desselben zurückbehalten wolle, und dies ist alles, was er glaubt, daß ihm billigerweise zugemuthet werden könne.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1791. 1791, 8. (?) October. Mit Christoph Martin Wieland. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A096-8