1813, 2. December.


Mit Friedrich de la Motte Fouqué

Zwei Tage darauf traf ich mit Goethe bei der verehrten Schriftstellerin Johanna Schopenhauer zusammen im heiter erlesenen Kreise, zum Abendessen eingeladen. Tags vorher hatte ich einer Aufführung des »Egmont« beigewohnt, ohne den Dichter dieses mir vorzüglich theuern Meisterwerkes unter den Zuschauern zu erblicken. Hatte er mir ja auch gleich am ersten Abend geäußert, er gedenke nicht hinzugehen, mir aber den Besuch sehr empfohlen mit dem Beisatze: »Sie werden viel Gutes sehn, wenn ich auch die Aufführung nicht unbedingt loben kann.«

– – – – – – – – – – – – – –

Ich begab mich in das Haus der Madame Schopenhauer.

[110] Wer die Anmuth und seine Gastlichkeit, welche dort unter der Leitung der edlen Herrin waltete, je erfuhr, mag sich von selbst denken, wie ein Abend, ganz nach Goethes Sinn eingerichtet, dort verfließen mochte: andren läßt es sich eben nicht eigentlich wiedergeben. Goethe bestand darauf, ich müder Kriegsmann müsse den Platz auf dem Sopha einnehmen, und setzte sich in einen bequemen Lehnstuhl neben mich. Der Meister zeigte sich in all seiner Milde und Huld. Bald kam das Gespräch auf die gestrige Aufführung des »Egmont«. Ich rühmte die Darstellung des Clärchen durch Madame Wolff in dem Sinne, wie ich es nachher durch ein in Weimar noch zurückgelassenes Gedicht also aussprach

Egmont's Liebchen, Egmont's Clärchen,
Wundersam gestaltet Kind:
Leicht und rosig wie ein Märchen,
Ach! und doch so tief gesinnt.
Egmont's Heldin, Egmont's Fahne,
Schürend heil'ge Freiheitsgluth,
Dann im Tonfall, gleich dem Schwane
Sinkend in die dunkle Fluth.
Egmont's Göttin, Egmont's Sonne!
Ja, auch mir nach heißer Schlacht
Ward zutheil die Heldenwonne,
Dich zu schau'n in Deiner Pracht.

Goethe hat sich späterhin über diese Verse sehr zufrieden geäußert, als richtig die drei Phasen seines Clärchens bezeichnend, und erwiederte mir auch meine damaligen Mittheilungen: allerdings könne jene Gestaltung [111] der Liebe, des Heroismus und der Verklärung nie schöner dargestellt werden, als durch die von mir mit so vielem Recht bewunderte Künstlerin.

Indem ich nun während des heitern Gespräches über »Egmont« vorzüglich auch die letzte Erscheinung Clärchens als tröstende Freiheitsgöttin hervorgehoben hatte, sagte Goethe lächelnd: »Ja, und stellen Sie sich vor, just das wollte man mir früher abdisputiren, wenigstens für die theatralische Darstellung. Und sogar mein lieber Schiller war mit dabei und ließ als damaliger Lenker der hiesigen Schauspiele die Erscheinung bei der Aufführung auch wirklich fort.«

»Wie war denn das möglich?« fragte ich staunend. »Konnte er denn irgend andres an die Stelle setzen? Denn so ganz im Hinabsinken erlöschen konnte doch nun einmal der Schluß nicht.« – »Ei nun!« entgegnete Goethe, »er ließ den Alba während der Publication des Urtheils verlarvt zugegen sein; Egmont aber riß ihm die Larve ab, sagte ihm viele harte Dinge, und dann erst ging es zum Tode.«

»Ew. Excellenz konnte das unmöglich mit ansehn –« sagte ich. – »Zufällig war ich damals just in Ilmenau,« erwiderte er; »aber Sie haben recht, mitangesehn hätte ich es auf keine Weise.« .....

Während andrer Gespräche kam der Meister auch auf seinen.. Elisabeths-Epilog zum »Essex« und sagte: »Den kann unser Gast noch nie vernommen haben, und ich fühle mich gestimmt, ihn zu sprechen.« .... Goethe [112] sprach seine Dichtung wie ein donnernder Jupiter aus .....

Als es zum Abendessen ging, sagte Goethe zu den jüngeren Damen, mit denen ich mich just unterhielt, lächelnd: »Ihr Mädchen, laßt mir für heute den Kriegsmann!« und führte mich freundlich neben sich an den Tisch. Unter manchem geistreich frohen Hin-und Hersprechen in dem edlen Kreise fragte mich endlich auch der Meister: was mir denn die Muse während des Feldzuges bescheert habe und ob ich nicht eins oder das andere davon mittheilen wolle; »denn allein sind Sie doch gewißlich nicht von ihr gelassen worden,« setzte er gütig hinzu.

Mir kamen zuerst einpaar Zeilen in den Sinn, welche mir nach der verlornen Schlacht bei Dresden Tröstung gebracht hatten, in dem schmerzlichen Augenblicke, wo ich erfuhr, es gehe mit uns nach Böhmen zurück, ja, wo sogar das Gerücht von einem geschlossenen Waffenstillstande raunen wollte. Meine Jäger hatten von beidem nichts vernommen und freuten sich in mannigfacher Jugendlustigkeit und Schäkerei des anmuthig bequemen Beiwachtplatzes auf grünendem Waldhügel, Holz reichlich darbietend für Koch- und Lagerfeuer, ein frischer Bach zur Erquickung nahe für Mann und Roß. Der Kriegsmann im Felde ist oft kindlich leicht erfreut, aber diesmal schnitt mir die Fröhlichkeit meiner Jünglinge tief elegisch durch die Seele. Sie wissen's nicht! Nur allzubald werden sie's erfahren, [113] die lieben, frischen, jetzt noch so keck schlagenden Herzen! Und ich stellte mich schlafend ...., meine wehmuthfeuchten Augen zu verbergen. Denn jetzt Waffenstillstand und Friede – was konnte das anders heißen, als Europa auf's Neue gekettet in Napoleon's Band und alle die schönen Opfer umsonst verblutet! – Ich schilderte das zum Eingange und sprach dann die folgenden Reime, vor denen sich damals mein Haupt wiederum kräftig emporgerichtet hatte.


Herr Gott, Dein Wille soll ergehn!
Ich armes Menschenkind,
Ich kann ihn leider nicht verstehn,
Ich bin zu blöd' und blind.
Doch heb' ich zu Dir auf in Müh'
Das schmerzgeschlag'ne Haupt
Und denke spat, und denke früh:
Dort schaut, wer diesseits glaubt.

Alle zeigten sich ergriffen und sprachen es aus; nur Goethe nicht. Der sah still und wortlos vor sich nieder. Darauf gedachte ich des raschen und frohen Kriegsumschwungs, zwei Tage nachher durch die Kulmer Schlacht in Verbindung der andern, von allwärts erwachenden Jubelkunden und sprach folgendes Lied hin:


Der Sieg schwang seine goldnen Flügel
Durch's Kampfesthal,
Und wie Altäre stehn die Hügel
In seinem Strahl.
[114] Der hohen Berge Gipfel wallen
Von Opferpracht,
Derweil noch einzle Donner schallen,
Echo der Schlacht.
Lang' habt Ihr, schwer und kühn gerungen
Manch heißen Tag;
Nun ist's, ihr Brüder, ist's gelungen,
Der Sieg ist wach.
Herüber tönt's von Schlesiens Höhen,
Her aus der Mark,
Wie Preußens, Schwedens Banner wehen
An Ehren stark;
Wie flüchtig scheue Franzosenhaufen
Von deutschem Herd
Entherzet zittern, wanken, laufen
Vor deutschem Schwert.
Könnt fassen Ihr den reichen Segen
Von nah und fern?
Bist Du nicht fast davor erlegen
Du Volk des Herrn?
Vor Dem durchbebt Dich heil'ges Zittern,
Der kann und will:
Knie nieder unter Fruchtgewittern,
Und bete still.

»Schön!« sagte der Meister diesmal tief ernst, »sehr schön!« worauf er dann sogleich ganz freundlich hinzusetzte: »Und um so erquicklicher, als das erstere beinah etwas penible zu nennen war.« – Ich ließ mir durch den Nachsatz den Vordersatz nicht verkümmern und dachte nur eben an seine Reliquien aus dem Delphischen Heidentempel.

[115]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Gespräche. 1813. 1813, 2. December. Mit Friedrich de la Motte Fouqué. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-A030-A