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An Ludwig Tieck

Gar wohl erinnere ich mich, theuerster Mann, der guten Abendstunden in welchen Sie mir die neuentstandene Genoveva vorlasen, die mich so sehr hinriß daß ich die nahertönende Thurmglocke überhörte und Mitternacht unvermuthet herbeykam. Die freundliche Theilnahme die Sie nachher dem Gelingen meiner Arbeiten gegönnt, wie Sie manche davon durch Vorlesen erst anschaulich und eindringlich gemacht, ist mir nicht unbemerkt geblieben; so daß ein endliches Wiedersehen die frühsten wohlwollenden Gesinnungen freundlichst erneuen mußte.

[80] Nunmehr erhalt ich durch die Aufführung von Faust und die demselben vorgeschickten gewogenen Worte die angenehmste Versicherung auf's neue.

Wenn ich nun zeither mich alles desjenigen zu erfreuen hatte, was Ihnen zum Aufbau und zur Ausbildung unsrer Literatur fortschreitend beyzutragen gelungen ist und ich mache Winke sehr gut zu verstehen glaubte um zu so löblichen Absichten mitzuwirken; so bleibt mir, einen reinen Dank zu entrichten, kaum mehr übrig als der Wunsch: es möge fernerhin ein so schönes und eignes Verhältniß, so früh gestattet und so viele Jahre erhalten und bewährt, mich auch noch meine übrigen Lebenstage begleiten.

Meine besten Empfehlungen an die lieben Ihrigen, deren Erinnerung ich immer gegenwärtig zu seyn wünsche.

Hochachtungsvoll

in treuer Anhänglichkeit

Weimar den 9. September 1829.

J. W. v. Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Ludwig Tieck. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9DC8-9