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An Georg Sartorius

[Concept.]

[19. Juli]

Durch den theilnehmenden Freund in Ihrer Nachbarschaft hatte ich schon im Allgemeinen das glückliche Ereigniß vernommen, welches Sie sich so wohl verdient haben, und mich herzlich darüber gefreut, als [351] Ihr lieber Brief mich mit dem Näheren, mit dem Gegenstande Ihrer Arbeit, bekannt machte. Mich verlangt sehr darauf, um mich über einen so wichtigen Geschichtspunkt zu unterrichten. Die Frage über das Verhältniß des Siegers zu den Besiegten ist freylich jetzt bedeutend genug.

Jede Auszeichnung muß in diesen trüben und stürmischen Zeiten willkommen seyn, und besonders in Ihrer Lage eine von außen. Ja ich möchte dieses Ereigniß als einen Wink ansehen, daß Sie wohl in Ihrem Zustande noch verharrend ausdauern sollten. Ich bin zwar weit entfernt, Jemanden bey einem so wichtigen Schritte zu rathen; aber wie die Dinge stehen, so glaube ich kann man Jedermann mit gutem Gewissen abrathen, an den gegenwärtigen Berliner Verhältnissen Theil zu nehmen. Wer einmal darinn steckt, mag schwimmen und waten wie es gehen will. Aber einen solchen Zustand zu wählen, würde frevelhaft seyn. Ich habe hier Gelegenheit durch mehr oder weniger offene Erzählung und Mittheilung, mir einen allgemeinen Begriff zu machen, wie es dort aussieht, und das Resultat davon ist, Sie recht dringend zu bitten, daß Sie sich ja nicht übereilen möchten, sich nicht möchten blenden lassen, durch scheinbar gute Bedingungen. Das Detail mag und kann ich dem Papier nicht anvertrauen. Vielleicht kommt das Mögliche und Wahrscheinliche nur zu bald an den Tag.

Hier in Carlsbad habe ich das Glück seit 8 Wochen [352] nichts von deutscher Literatur und überhaupt nichts von Wissen oder Wissenschaft zu vernehmen; so wie ich auch keine Zeitung angesehen habe und nicht ins Theater gekommen bin. Ich fühle mich dadurch gleichsam in einem goldenen Zeitalter, in einem Paradies der Unschuld und Unbefangenheit, welches blos dadurch einigermaßen gestört worden, daß ich den Nachdruck des Campischen Wörterbuchs für einen Ducaten gekauft habe, und vor allen Dingen bemüht bin, soviel daraus zu lernen, als dieses Geldstück werth ist. So bleibt denn das Übrige reiner Gewinn für die Zukunft.

Von meinem Farbenwesen ist mir hie und da ein Widerhall entgegen gekommen, wie ohngefähr die Gebirge wiederklingen wenn man darin schießt. Man erfährt dadurch weiter nichts als daß geschossen worden. Haben Sie die Güte, da Sie in der Mitte der Literatur sich befinden, einiger Maßen Acht zu geben, was sich Günstiges oder Ungünstiges ereignet; notiren Sie sichs auf ein Blättchen, wenn ich es auch erst spät erhalte, so bin ich dafür dankbar. Die große Arbeit, die ich gemacht und wovon ich doch noch einen Theil vor mir habe, soll mir wenigstens nützen, die Menschen, die Wissenschaften und mich selbst besser kennen zu lernen.

Zelter ist gegenwärtig hier und wahrscheinlich komm ich durch seine Gegenwart weiter in meinem alten Wunsch, der Tonlehre auch von meiner Seite[353] etwas abzugewinnen, um sie unmittelbar mit dem übrigen Physischen und auch mit der Farbenlehre zusammenzuknüpfen. Wenn ein paar große Formeln glücken, so muß das alles Eins werden, alles aus Einem entspringen und zu Einem zurückkehren. Geh. Rath Wolf ist gleichfalls hier. Seine metrische Übersetzung der Wolken des Aritophanes wird ein bedeutendes Meteor an unserm philologischen und rhythmischen Himmel seyn; wenn er sie nur bald zum Druck befördert.

Was mich betrifft; so habe ich mich indessen aufs Schlendern begeben; vielleicht sehen Sie noch zu Michael den ersten Theil von W. Meisters Wanderjahren.

'Ein kleines Heft von mir, unter dem Titel: Pandora, ein Taschenbuch, ist es der erste Theil eines wunderlichen Drama's. Mögen und können Sie sich hineinlesen, so werden Sie es nicht ganz umsonst gethan haben.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Georg Sartorius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9DC7-B