21/6013.

An Friedrich August Wolf

Höchst merkwürdiges und erfreuliches

Fragmentum epistolare

cum notis & animadversionibus

Justi Carlsbadensis et Aciduli Gishübelii.


Das Blatt, worauf dieses Fragment geschrieben, hat ungefähr die Größe eines ächten Papyrus, indem es nur drey bis vier Querfinger breit, zu Rechnungen liniirt und die Ausgabe von Gulden, Kreuzern und Hellern darauf zu notiren eingerichtet ist. Da nun beyde letztere Rubriken jetziger Zeit unnöthig seyn möchten, weil gegenwärtig alles nur in Gulden evaluirt wird: so scheint dasselbe auf eine ältere Epoche zu deuten. Dieser Umstand, so wie der Mangel eines Datums, setzt die Ausleger in nicht geringe Verlegenheit; welche aber eben deswegen mit desto ernsterm Beruf und größerm Vergnügen ans Werk schreiten.

[339] »In 10-14 Tagen bin ich in Carlsbad.«

Es würde sehr viele Seiten einnehmen, wenn man die Conjecturen alle aufzeichnen wollte, welche bey Ermanglung eines Grund- und Normaltages hier von den Critikern durchgearbeitet werden mußten. Nach sehr vielen Controversen und Überlegungen vereinigten sie sich endlich, die Epoche des Blattes zwischen das Ende des Juny und den Anfang des July zu setzen; wobey sie sich, wie man sieht, einen billigen Spielraum vorbehielten. Eine von den Hauptschwierigkeiten diese Stelle richtig zu erklären, entsprang daher, daß beyde Ausleger geneigt waren, das eigentliche Datum (Ort und Zeit) dieses Dati (Erlasses) früher zu setzen, damit das Datum der Ankunft um so viel näher rückte.

»Hätten Sie wohl die Güte«

Hier wurde eine Emendation gewagt, statt Güte, Freude zu setzen; weil man aber auch das Verbum und alles übrige hätte ändern müssen; so hielt man es für besser, den Text stehen zu lassen, und jenes für eine rednerische Umschreibung dessen zu halten, was sich von selbst versteht.

»Mir um die Zeit«

Die Verlegenheit wegen der Epoche und des Termins sowohl a quo als ad quem ging bey dieser Stelle von neuem an. Nach dem Vorgange Petavs und andrer Meister entschloß man sich die Hälfte Julys, welche eben ein so ungewisser Termin ist, als fest anzunehmen.

[340] »Auf acht Tage«

Wir machen hier ein Comma, welches im Original fehlt, ob es uns gleich viel angenehmer gewesen wäre, das folgende unterstrichene wenigstens, auf die Zeit zu deuten. Acht Tage vergehen gar zu bald und acht Tage wenigstens erlauben noch immer seine Hoffnung auf vierzehn Tage wenigstens, ja auf vier Wochen auszudehnen.

»wenigstens drey Zimmer«

Hier fängt nun aber erst die Qual an, da nicht nur vom Auslegen, sondern vom Ausrichten die Rede ist. Drey Zimmer wären vielleicht in dem Augenblick, wo dieses gegenwärtige geschrieben wird, irgendwo zu haben, aber, ob beysammen, ob getrennt, wie und wo, ist nicht einmal auszusprechen, geschweige ob es morgen oder übermorgen noch so seyn wird.

»Vorn heraus«

Auch sogar diese Bedingung ist gegenwärtig schwer zu erfüllen.

»Auf der Wiese«

Durch diesen Zusatz wird die Sache noch schwerer. Wir haben zwar gegenwärtig zwey Wiesen, die Wiese oder Lauka schlechtweg und die neue Wiese, nowa Lauka. (Hier ist wohl der Ort zu bemerken, daß es eines böhmischen Puristen Sache seyn möchte, ob man nicht statt nowa, welches doch offenbar ein ausländisches Wort ist, ein inländisches bedeutenderes finden könnte, welches ganz vollkommen seyn würde, wenn es [341] zugleich die Wirthshaus- Theater-, und Judenwiese ausdrückte.) Auf der kat' exochên so genannten und wahrscheinlich gemeinten Wiese, ist gegenwärtig keine Art von Zimmer, noch Kammer mehr zu haben. Die Häuser sind bis in die äußersten Giebel bewohnt, sodaß man Abends Sterne in der Luft zu sehen glaubt, und sogar Dachkämmerchen werden nur aus Gunst vergeben.

»Oder sonst«

Hier würden benannte Freunde zu jeder andern Zeit sich getröstet finden, wenn nicht auf eine ganz unglaubliche Weise die Hülfsbedürftigen, wie es jedoch scheint, meistens in guter gesunder Gesellschaft sich hier eingefunden und alle Räume weggenommen hätten.

»Auf jeden Fall bey guten Leuten zu besprechen«

Diese Bedingung würde am ersten zu erfüllen seyn. Die Carlsbader sind alle gut, nur haben sie dieß Jahr bemerkt, daß sie den Fremden noch einmal so viel abnehmen können, ohne deshalb an ihrer guten Renommée abzunehmen und es steht zu erwarten, daß sie in dieser Einsicht nicht zurückschreiten werden, wenn auch der Curs der Banknoten auf einen bessern Weg zurückkehren sollte.

Die Unmöglichkeit, etwas Gewisses zuzusagen, nöthigt also Unterzeichnete zu folgender bedenklichen Erklärung.

Ein anständiges Quartier in der Hälfte July auf [342] kurze Zeit zu versprechen, ist völlig unmöglich. Es könnte nur durch den wunderbarsten Zufall ein solches offen werden, der jedoch keineswegs wahrscheinlich ist. Auch selbst ein ungeräumiges, in der geringsten Lage, würde nicht vorzubereiten seyn. Das Städtchen ist schon bis hinter die Kirche und bis zum Hirschensprung hinauf besetzt, und wird rücken selbst in unserm Hause so zusammen, daß es beynahe unbequem wird. Indessen möchten wir wünschen, daß die Freunde, zu unserm Glücke, ihrem Glücke vertrauten und zu gedachter Zeit hieher kämen, um im schlimmsten Falle nur die Nacht unter Dach allenfalls unter dem Dache, den übrigen Tag aber unter freyem Himmel, unter Bäumen, in Sälen, auf Spaziergängen, Spazierfahrten, und was dergleichen Seligkeiten dieses irdischen Paradieses mehr erfreut seyn könnte, als die Unterzeichneten.

Carlsbad den 3. July 1810.

Justus Carlsbadensis. Acidulus Gishübelius.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1810. An Friedrich August Wolf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9D8A-6