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An Carl Friedrich Zelter

Höchst erfreulich war es, den Abdruck des gewagten Siegels auf dem ersten deiner Briefe zu sehen. Wir hatten unser Mögliches gethan, ich und der gute Facius, und so war denn auch der Beyfall des Besitzers ausgesprochen. Möge ich es oft wiederholt erleben.

Den thörichten Aesthetiker hast du gut bedient. Einen solchen beschränkten und eigendünklichen Menschen möchte man sich nicht leicht imaginiren. Auch würde man gewiß in solcher Umgebung nach und nach wenn uns nicht die Nothwenigkeit eingeboren wäre, auf unsern Wegen unverrückt fortzuwandeln.

Ich habe über das Menschengeschlecht, besonders wie es jetzt nachwächst, allerlei Gedanken und werde sie wohl einmal in ruhiger Stunde dir auf das Papier sprechen.

[257] Auf alle Fälle ist man genöthigt weit in der Welt umherzusehen, um bedeutende Stimmen zu vernehmen. Das neuste Vierteljahr der Edinburger Revision der ausländischen Literatur ist so eben angekommen, und höchst merkwürdig, wie sie die Continental-Autoren betrachten. Sie sind sehr gewissenhaft gegen sich selbst und haben Respect vor ihrem Publicum. Ernst, Ausführlichkeit, Mäßigung und Offenheit ist durchaus ihr Charakter, und es ist unglaublich wie weit und tief ihr Blick trägt.

Vorstehendes hatte einige Tage gelegen, inzwischen las ich in dem siebenten Bande der Calderonschen Schauspiele, übersetzt von Gries, das merkwürdige Stück: die Locken Absalons. Vielleicht kommt es auch zu dir an gerechten Tagen und du findest Muße es zu lesen.

Bey mir ist die alte Wahrheit wieder aufgestanden: daß, wie Natur und Poesie sich in der neuern Zeit vielleicht niemals inniger zusammengefunden haben als bey Shakspeare, so die höchste Cultur und Poesie nie inniger als bey Calderon. Unsern Zeitgenossen ist ein klarer Begriff hievon nicht zuzumuthen.

Manches andere wunderbare Gelesene zeige nächstens an.

Herrn Director Klöden empfiehl mich bestens und danke ihm für sein willkommnes Heft. Eine gar klare geologische Umsicht leitet ihn durch die Labyrinthe jener nordischen Niederungen. Er ist aufmerksam und [258] genau, wobey er uns immer in's Ganze schauen läßt; sodann aber ist seine Gewerbschule bewundernswürdig. Er gehört unter die Männer, mit denen ich von Zeit zu Zeit conversiren möchte; sie werden immer seltener unter den Bekannten, und es gibt deren gewiß mehrere vorzügliche hie und da ausgesät.

Ein Franzose hat acht Stellen meines Faust componirt und mir die sehr schön gestochene Partitur zugeschickt; ich möchte dir sie wohl senden, um ein freundliches Wort darüber zu hören.

Hiebey fällt mir ein, daß du noch eine Partitur bey dir hast von meiner Cantate Rinaldo für Prinz August von Gotha, componirt von Winter. Ich besitze die Stimmen noch; und gar manche wundersame Erinnerungen knüpfen sich an diese Opus. Las es mir daher wieder zukommen, wenn du es finden kannst.

Die königlichen Gedichte sind mir noch nicht zugekommen; kein freundliches Exemplar von des Herrn Verlegers Seite ist bey mir erschienen, und unser Buchhändler, ob er gleich Commisionsrath heißt, besorgt seine Commisionen sehr langsam und nur, wie es auch dießmal heißt, mit Meßbequemlichkeit. Übrigens würde ich in diesem Falle erst abwarten, was dich selbst aufregte und anspräche; das Singbarste wirst du gewiß herausfinden; alsdann ist es immer noch Zeit zu sagen, was ich mir allenfalls noch ausbäte. Ob ich gleich an Geduld und Harren gewöhnt bin, so verlangt mich doch, dieses merkwürdige Werk näher [259] kennen zu lernen. Gewiß gibt es Aufschlüsse über einen Charakter, der uns immer problematisch vorkommen muß.

Hiemit sey denn für dießmal geschlossen, um bald wieder einige gute Erwiderung zu vernehmen und weiter fortzufahren.

und so fortan!

Weimar den 28. April 1829.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1829. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-98D7-6