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An Johann Gottfried und Caroline Herder

d. 10. [und 11.] Nov. Rom.

Vierzehn Tage bin ich hier, und habe mich schon recht umgesehn. Ein Paar Blätter die ich dem Herzog und Fr. v. Stein schickte, werden Euch im allgemeinen mehr sagen, nun auch ein besondres Wort an Euch, meine besten, das zur guten Stunde zu euch kommen möge. Ich habe endlich das Ziel meiner Wünsche erreicht und lebe hier mit einer Klarheit und Ruhe, die Ihr Euch denckt weil ihr mich kennt. Meine Übung alle Dinge wie sie sind zu sehen und zu lesen, meine Treue das Auge Licht seyn zu laßen, meine völlige Entäusserung von aller Prätention, machen[50] mich hier höchst im Stillen glücklich. Alle Tage ein neuer merckwürdiger Gegenstand, täglich neue, grose, seltsame Bilder und ein Ganzes, das man sich lange denckt und träumt, nie mit der Einbildungskrafft erreicht.

Heute war ich bey der Pyramide des Cestius und Abends auf dem Palatin, oben auf den Ruinen der Kayser Palläste, die wie Felsenwände dastehn.

Von allem diesem mag und kann ich nichts sagen, das sey zur Wiederkunft aufgespaart. Was ich aber sagen kann und was mich am tiefsten freut ist die Würckung, die ich schon in meiner Seele fühle: es ist eine innre Solidität mit der der Geist gleichsam gestempelt wird; Ernst ohne Trockenheit und ein gesetztes Wesen mit Freude. Ich dencke die gesegneten Folgen auf mein ganzes Leben zu fühlen.

Wenn man so eine Existenz ansieht die 2000 Jahr und drüber alt ist, durch die Wechsel der Zeiten so manigfaltig und von Grund aus verändert, und doch noch derselbe Boden, derselbe Berg, ia oft, dieselbe Säule und Mauer, und im Volcke noch die Spuren des alten Carackters; so wird man ein Mitgenoße der großen Rathschlüße des Schicksals.

Und dann ist nichts Kleines hier, wenn auch Scheltenswerthes und Abgeschmacktes alles hat Theil an der Grosheit des Ganzen genommen.

Was ich da sage raff ich nur so auf das bessre soll in Gesprächen ausgelegt werden. Ich bin fleißig [51] und bin nicht hier um nur nach meiner Art zu genießen, ich will lernen und mich ausbilden eh ich 40 Jahr alt werde.

Das seltsamste und schwerste in der Betrachtung ist: wie Rom auf Rom folgt und nicht allein das neue aufs alte, sondern die verschiednen Epochen des alten selbst aufeinander. Man müßte Jahre hier bleiben um den Begriff recht lebendig zu haben, ich fühle nur die verborgnen und halbsichtbaren Punckte.

Wie vieles hätt ich zu sagen. Auf der Reise und schon hier hab ich unmäsig aufgepackt.

An der Iphigenie wird immer fort gearbeitet. Ich habe mich mit diesem Stücke selbst betrogen indem ich mir die Arbeit leichter vorgebildet. Was ich gethan habe darf ich nicht sagen du wirst es sehn.

Grüßt mir die Kinder. Wie oft wünsch ich mir Gusteln. besonders neulich auf den Ruinen des Neronischen Pallasts wo man jetzt auf den Artischocken Ländern sich Marmorn, Porphyrn, Graniten immer die Taschen voll steckt, die von der alten Herlichkeit noch unerschöpfliche Zeugen sind. Lebt wohl und schreibt mir bald und verzeiht meiner Eile, schreibt mir nur recht viel und ausführlich und den Brief nur mit Oblaten gesiegelt, schliest in einen Umschlag

a Mr Tischbein, Peintre Allemand al Corso

incontro al Palazzo Rondanini.

Lebt wohl. Liebt mich ich bleibe Euch und sehne mich herzlich euch wiederzusehn.

[52] Da ich das Couvert mache verdrießt michs soviel weiß Papir fortzuschicken und doch ists schon späte. Heut hab ich die Nymphe Egerie besucht, dann die Rennbahn des Caracalla, die zerstörten Grabstäten längst der Via Appia und das Grab der Metella, das einem erst einen Begriff von solidem Mauerwerck giebt. Diese Menschen arbeiteten für die Ewigkeit, es war auf alles kalkulirt, nur auf den Unsinn der Verwüster nicht, dem alles weichen mußte.

Recht sehnlich hab ich dich herzugewünscht. Die Reste der grosen Wasserleitung sind höchst ehrwürdig. Der schöne große Zweck ein Volck zu träncken, durch eine so ungeheure Anstalt.

Abends kamen wir ans Colisee da es schon dämmrig war, wenn man das ansieht, scheint wieder alles andre klein, es ist so gros daß man das Bild nicht in der Seele behalten kann, man erinnert sich dessen nur kleiner wieder und kommt man dahin zurück; kommt es einem aufs neue größer vor. Lebt wohl.

Ich könnte so immer fortschreiben. Das Papier schließt, nicht ich. d. 11. Nov.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Johann Gottfried und Caroline Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-95C0-E