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An Carl Friedrich Zelter

Die Schlegelischen Vorlesung, wie sie im Auszuge bey mir anlangen, sind alles Dankes werth; man recapitulirt mit einem verständigen unterrichteten Mann dasjenige, woran man sich selbst heraufgebildet hat und woran man glücklich mit heranlebte. Das jüngere Publicum besonders kann gar wohl damit zufrieden seyn, wenn es die nächste Vorzeit vernünftig anzusehen Lust hat. Er ist seine guten 60 Jahr alt und weiß die Mühe zu schätzen, die es ihm und andern gekostet hat auf diesen Punct zu gelangen.

Hie und da müßte man derber aufstoßen, wenn das Ey stehen sollte. Auch sind in der Geschichte der Kunst zwey Betrachtungen nie außer Augen zu lassen: 1) daß alle Anfänge nicht kindlich und kindisch genug angesehen werden können, und 2) daß in der Folge die Wircklichkeitsforderung immer mit Sinn und Geschmack im Streit liegt.

Du erwähntest neulich der Basreliefe; ihre Entstehung ist ganz einfach: Ein Bild soll nicht allein [27] durch Linien begränzt, sondern auch auf irgend eine Weise vom Grund ab- und dem Auge entgegengehoben werden. Zeichnet man eine Figur auf roth zu brennenden Thon, so füllt man das Körperliche mit schwarzer Farbe aus; umreißt man eine Figur mit dem Griffel auf weichen Thon, so nimmt man den Grund weg. Auf diesem Wege sind sie ältesten noch übrigen Basreliefen entstanden. Das war nicht genug, man färbte den Grund sowohl hinter Figuren als Zierrathen, wie uns die neuesten Entdeckungen an den Tempeln von Selinunt Zeugniß geben.

Vorstehende, sogleich bey Lesung der ersten Schlegelischen Blättern in dem Berliner Conversationsblatte mir zugegangene Bemerkungen sollten nach weiteren Vorschritten fortgesetzt werden; da mich aber der Tag schon unterbricht und fortreißt, so mag das Blatt lieber alsogleich seinen Weg zu dir antreten.

Die Gegenwart deines Bildnisses hat mir so wohl gethan, daß ich nunmehr den 28. August ungeduldig erwarte, um es wieder eröffnen zu können. Einige in dieser Zeit darüber gehegte Betrachtungen werden auch dir und dem wackern Künstlern willkommen seyn.

Gruß und Dank!

Weimar den 17. August 1827.

Goethe. [28]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-94E6-2