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An Carl Friedrich Zelter

[6. Juni 1825?]

Nur mit wenigen Worten begleite Beykommendes. Habe Dank und sage desgleichen deinem jungen frischen Architekten.

Von unsern theatralischen Abenteuern, die eine wunderliche Wendung genommen haben, hörst du nächstens.

Die glücklich angelangten Briefe sind schon in Arbeit, ich lasse sie, mit den meinigen in einander geschaltet, von der bekannten Hand abschreiben. Es werden Codices an denen wir unsere Freude haben[214] wollen. Halte gleich die zweyte Sendung bereit, damit der Abschreiber nicht pausire.

So eben kommt dein werther Brief; wie ist alles so wahr daß sich nicht leicht jemand gegen sein Zeitalter retten kann!

Von den Geschichten nach denen du fragst wird in meinen Annalen unter dem Jahr 1802 das Nöthige und Schickliche zu lesen seyn. Ich schrieb es auf deine neuliche Anregung. Auf alle Fälle verdient das Nähere erhalten zu werden; auch Riemers Wunsch war es; denn die Folgen jener Widerwärtigkeiten ziehen in die folgenden Jahre hinüber. – Der Schlaf war richtig getroffen.

Begegnet dir The Last Days of Lord Byron. By William Parry, in Übersetzung, so greife hastig darnach, man wird nicht leicht auf einen so hohen und klaren Standort gehoben; alles bisher über ihn Gesagte sinkt und verschwindet wie Thalnebel.

Auch die Volkslieder der Serben sind so eben, in einem hübschen Octavband zu Halle herausgekommen. Die Einleitung, ein kurzer Abriß der Geschichte des untergegangenen serbischen Reichs, ist eine höchst brav und kenntnißreich gearbeitete, genügende, aber unvergnügliche Schilderung. Daß man, wie ich wünschte, die Nationallieder gleich in Masse vor sich hat ist höchst ergötzlich und unterrichtend; man weiß sogleich was es ist und was es heißen soll.

Ich kann nicht schließen ohne jener überfüllten Musik nochmals zu gedenken; alles aber, mein Theuerster, [215] ist jetzt ultra, alles transcendirt unaufhaltsam, im Denken wie im Thun. Niemand kennt sich mehr, niemand begreift das Element worin er schwebt und wirkt, niemand den Stoff den er bearbeitet. Von reiner Einfalt kann die Rede nicht seyn; einfältiges Zeug gibt es genug.

Junge Leute werden viel zu früh aufgeregt und dann im Zeitstrudel fortgerissen; Reichthum und Schnelligkeit ist was die Welt bewundert und wor nach jeder strebt; Eisenbahnen, Schnellposten, Dampfschiffe und alle mögliche Facilitäten der Communication sind es worauf die gebildete Welt ausgeht, sich zu überbieten, zu überbilden und dadurch in der Mittelmäßigkeit zu verharren. Und das ist ja auch das Resultat der Allgemeinheit, daß eine mittlere Cultur gemein werde, dahin streben die Bibelgesellschaften, die Lancasterische Lehrmethode, und was nicht alles.

Eigentlich ist es das Jahrhundert für die fähigen Köpfe, für leichtfassende praktische Menschen, die, mit einer gewissen Gewandtheit ausgestattet, ihre Superiorität über die Menge fühlen, wenn sie gleich selbst nicht zum Höchsten begabt sind. Laß uns soviel als möglich an der Gesinnung halten in der wir herankamen, wir werden, mit vielleicht noch wenigen, die Letzten seyn einer Epoche die sobald nicht wiederkehrt.

Und so allem Guten und ächten empfohlen!

treu beharrlich Goethe. [216]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9475-2