43/82.

An Christian Daniel Rauch

Daß Sie, theurer verehrter Mann, im Augenblick eines herben Schmerzens Ihre Gedanken mir zuwenden und, mit mir sich unterhaltend, einige Erleichterung [114] fühlen, dieß gibt die schönste Überzeugung eines innig geneigten Wohlwollens, eines zarten traulichen Verhältnisses, wie ich von je auch gegen Sie empfinde. Sie beweisen dadurch, daß Sie gewiß seyen meines treusten Mitgefühls, einer wahren Theilnahme an jenem Unheil, das eine geistreiche Thätigkeit, ein schönes edles Ausüben des glücklichsten Talents in seinen werthesten Bezügen verletzt und in seinem tiefsten Grunde beschädigt. Auch mir, bey dem schmerzlichsten Mitempfinden Ihres Kummers, will es eine Linderung scheinen, wenn ich sogleich erwidernd Gegenwärtiges an Sie abgehen lasse.

Auch mir in einem langen Leben sind Ereignisse begegnet, die, aus glänzenden Zuständen, eine Reihe von Unglück mir in andern entwickelten; ja es gibt so grausame Augenblicke, in welchen man die Kürze des Lebens für die höchste Wohlthat halten möchte, um eine unerträgliche Qual nicht übermäßig lange zu empfinden.

Viele Leidende sind vor mir hingegangen, mir aber war die Pflicht auferlegt, auszudauern und eine Folge von Freude und Schmerz zu ertragen, wovon das Einzelne wohl schon hätte tödtlich seyn können.

In solchen Fällen blieb nichts weiter übrig als alles, was mir jedesmal von Thätigkeit übrig blieb, abermals auf das regsamste hervorzurufen und, gleich einem, der in einen verderblichen Krieg verwickelt ist, den Kampf so im Nachtheil als im Vortheil kräftig fortzusetzen.

Und so hab ich mich bis auf den heutigen Tag[115] durchgeschlagen, wo dem höchsten Glück, das den Menschen über sich selbst erheben möchte, immer noch soviel Mäßigendes beygemischt ist, welches mich von Stund zu Stunde mir selbst angehörig zu seyn ermahnt und nöthigt. Und wenn ich für mich selbst, um gegen das, was man Tücke des Schicksals zu nennen berechtigt ist, im Gleichgewicht zu bleiben, kein ander Mittel zu finden wußte, so wird es gewiß jedem heilsam werden, der, von der Natur zu edler, freyschaffender Thätigkeit bestimmt, das widerwärtige Gefühl unvorgesehener Hemmung durch eine frisch sich erprobende Kraft zu beseitigen und, insofern es dem Menschen gegeben ist, sich wieder herzustellen trachtet.

Vorstehendes, aus eigensten Erfahrnissen Hergeflossenes möge bezeugen, daß bey dem traurigen Fall, der Sie betroffen, das Andenken früherer Leiden durchaus in meiner Seele rege geworden und daß zugleich alles, was mir hülfreich gewesen, mein Geist wieder hervorrief. Möge diese herzlichste Theilnahme Ihren Schmerz, den sie nicht heilen kann, wenigstens augenblicklich zu lindern das Glück haben. Mit Erwiderung aller freundlichen höchst willkommenen Grüße.

Von Künstlern und Kunstwerken, von Meistern, Gesellen und Schülern lassen Sie mich nächstens reden, und in manchen Anfragen, Wünschen und Hoffnungen meine Theilnahme aussprechen.

treulichst

Weimar den 21. October 1827.

J. W. v. Goethe. [116]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Christian Daniel Rauch. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-9403-F