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An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha

Durchlauchtigster Herzog,
Gnädigster Herr

Daß ich nach so vieler Zeit und mancherlei Bemühungen nur so wenig in allem Sinne überschicken kann, würde mich beschämt machen, wenn ich nicht[20] von Ew. Durchl. Nachsicht ganz gewiß wäre, worauf ich bei einem solchen Unternehmen vorzüglich Rechnung machen muß. Nur Einiges unterstehe ich mich hier anzuführen, auf was für Anlässe und in welcher Ordnung die Bemerkungen entstanden sind, die ich Ew. Durchl. unterthänig überreiche, alsdann scheinen die darauf gebauten Risse und Meinungen weniger abenteuerlich und gewagt.

Als ich den Einfall hatte, durch den Bergverständigen Voigt in Ermangelung praktischer Arbeit die thüringischen Gegenden untersuchen zu lassen, fingen wir bei dem Ettersberge als unserm nächsten Punkte an, bemerkten sorgfältig die Oberfläche der Berge sowohl als die zu Tage ausgehenden Lagen an den Abhängen und breiteten uns auf diese Weise weiter aus, wo wir in einer Gegend, deren Tiefen unerforscht sind, nur genau Acht haben konnten, wie in einer Folge vom Erdstriche ganz fremde Lagen unter einander einschießen oder auf einander liegen. Das Ilm-und Saalthal waren uns hier im Großen, was die Wasserrisse auf jedem Berge im Kleinen sind. Wir entdeckten aber hier nur das obere Tuffsteinlager N, das Kalchgebirge M, die Lettenstreifen L, das schwache Gipslager K und das mächtige Sandlager J. Wir wußten, daß dieses letzte auch bei Ilmenau sichtbar war und suchten es daselbst um so mehr wieder auf, als wir ohnedies das Grundgebirge dort vermutheten, und fanden uns in unsern Erwartungen nicht betrogen.

[21] Aus den Nachrichten des vorigen Bergbaues sowohl als aus dem, was theils über Tage, theils in den tiefen Stollen sichtbar ist, wußten wir, daß unter dem Sande der Stinkstein H, unter selbigem der Gips G, noch tiefer das Dachgestein F und endlich das mit Gold angelegte Kupferflöz E folgte, worunter das Todeliegende D ansteht. Da wir nun bei näherer Untersuchung, wo sich das Flöz an den Thüringerwald anlegt, es mit seinem sandigen Untergesteine an der Sturmhaide auf dem Porphyr B ruhen fanden, und aus diesem wieder an sehr vielen Stellen der Granit A hervorstach, so glaubten wir nun nicht mehr fehlen zu können, wenn wir die Lagen des diesseitigen Thüringens auf solche Weise angäben.

Weil uns bekannt war, daß die Flöze bei Eisleben und Bottendorf mit wenigen Abänderungen eben so lägen, so unterstunden wir uns, das Flöz als einen allgemeinen Niederschlag der alten Wasser unter Thüringen fortzusetzen, und weil der Gibichenstein und der Petersberg bei Halle wirklich auf ihren Gipfeln denselben Porphyr wie der Schneekopf haben, so wagten wir auch dieses Gestein unter allen Lagen, und tiefer den Granit unsichtbar fortlaufen zu lassen. Eben so wurde aus gleichen Erfahrungen die südwestliche Gegend von Thüringen nach der Rhön zu bestimmt. Vielleicht wird es nach dieser Vorarbeit in wenigen Jahren möglich, den unterirdischen Zusammenhang des Harzes mit unserm Thüringerwalde [22] auf das Wahrscheinlichste anzugeben, zu welcher fortzusetzenden Betrachtung mich der Antheil, den Ew. Durchl. an diesen Bemühungen nehmen, vorzüglich ermuntern wird. Vorausgesetzt, daß die Betrachtungen der Erdoberfläche so sorgfältig als möglich angestellt werden, habe ich, um den großen Riß nicht gar zu hypothetisch und abenteuerlich scheinen zu machen, in die weiße Linie, die ihn umgiebt, zwei kleine Sternchen angebracht. Wenn Ew. Durchl. an beiden einen Faden quer über's Blatt anschlagen, so wird, ich will nicht sagen durchgängig, aber doch meistentheils, was über dem Faden ist, durch bergmännische Erfahrungen bewiesen werden können, was drunter ist, läßt sich freilich nur schließen. Ich nehme hiervon die schornsteinförmige Gestalt des Tolmars und die da zwischen liegenden untern Flözschichten gegen die Rhön zu aus, die ganz willkührlich angegeben sind.

Es sei mir erlaubt, noch etwas Weniges über die Basaltberge dieser südwestlichen Seite und die vulcanischen Producte der Rhön anzufügen. Auf der nordöstlichen Seite des Thüringerwaldes und in denen ganzen nach uns gekehrten Gegenden findet sich nicht die mindeste Spur von Basalt oder irgend einem andern vulcanischen Producte. Vielleicht sind die Basaltberge bei Stolpen die ersten, die auf diesem Striche wieder vorkommen, dagegen sich drüben der Tolmar, die Gleichberg und sodann die ganze Rhön unwidersprechlich basaltisch zeigen, auch hinter der[23] Rhön bei Hersfeld und weiterhin in's Fuldische, offenbare Craters mit allen vulcanischen Producten, deren nur einige hier beiliegen, von dem diesen Sommer dahin abgeschickten Voigt entdeckt worden. Wenn man nun nimmt, daß die Vulcane sodann rechts bis Cassel hinauf und weiter links bis Frankfurt, ja bis Andernach fortgehen, so würde es eine in der Folge höchst interessante Untersuchung werden, ob und wie sich die ungeheure vulcanische Wuth des gedachten großen Erdstriches an dem unerschütterlichen Grundgebirge des Thüringerwaldes gebrochen und dieses ihm gleichsam wie ein ungeheurer Damm widerstanden. Verzeihen mir Ew. Durchl. diesen vielleicht etwas zu kühnen und schnellen Flug. Aber wie der Hirsch und der Vogel sich an kein Territorium kehrt, sondern sich da äst und dahin fliegt, wo es ihn gelüstet, so, halt' ich davon, muß der Beobachter auch sein. Kein Berg sei ihm zu hoch, kein Meer zu tief. Da er die ganze Erde umschweben will, so sei er frei gesinnt wie die Luft, die Alles umgiebt. Weder Fabel noch Geschichte, weder Lehre noch Meinung halte ihn ab zu schauen. Er sondere sorgfältig das, was er gesehen hat, von dem, was er vermuthet oder schließt. Jede richtig aufgezeichnete Bemerkung ist unschätzbar für den Nachfolger, indem sie ihm von entfernten Dingen anschauende Begriffe gibt, die Summe seiner eigenen Erfahrungen vermehrt und aus mehreren Menschen endlich gleichsam ein Ganzes macht. Was[24] die Wissenschaft, von der hier die Rede ist, unendlich erschwert, ist die unbestimmte Terminologie. Einmal thut die poetisch-figürliche an sich sehr lebhafte und interessante Bergmannssprache dem reinen Ausdrucke in solchen Sachen sehr vielen Eintrag, sie ist theils von den bergmännischen Begriffen unzertrennlich geworden, theils ist sie wieder höchst uneigentlich und macht, wenn man in wissenschaftlicher Verbindung sie unter andern eigentlichen Worten braucht, nothwendig Verwirrung. Ein anderes Übel entstehet aus den trivialen Namen, die Bergleute, ja sogar Bergverständige verschiedener Gegenden den Gesteinarten aufgehängt haben. Doch sehe ich die beste Hoffnung vor mir, daß durch die Bemühung der freiberger Akademie und durch die Ausbreitung so vieler Schüler daher ein großer Theil dieser Beschwerde gehoben werden wird.

Ew. Durchl. werden durch das Ganze finden, daß wir uns über die Entstehung unserer Gebirge kein Wort erlaubt haben. Es ist dies meist die Thorheit derjenigen, die ein Paar Berge beschrieben, daß sie zugleich etwas zur Erschaffung der Welt mit beitragen wollen. Noch eins muß ich freilich mit beifügen. Bei dieser Sache, wie bei tausend ähnlichen, ist der anschauende Begriff dem wissenschaftlichen unendlich vorzuziehen. Wenn ich auf, vor oder in einem Berge stehe, die Gestalt, die Art, die Mächtigkeit seiner Schichten und Gänge betrachte und mir [25] Bestandtheile und Form in ihrer natürlichen Gestalt und Lage gleichsam noch lebendig entgegenrufe, und man mit dem lebhaften Anschauen so ist's einen dunkeln Wink in der Seele fühlt so ist's erstanden! wie wenig kann ich freilich davon mit den abgebrochenen Musterstückchen und den wieder auf der andern Seite zu generalisirten Durchschnitten überschicken. Doch ich eile mich ohne Bedenken meiner Pflicht zu entledigen, und bitte um Ew. Durchl. Schutz und Erlaubniß auch in Ihren Landen diese allgemeinen Begriffe durch Erfahrung noch nähre bestimmen zu dürfen. Vielleicht findet sich bei solch einer Untersuchung etwas den Menschen näher Nützliches und Einträgliches. Wenigstens erfährt man gewiß, was man besitzt, und die dunkeln Seiten der Dinge, an die sich Projectmacher und Schatzgräber anhängen, werden lichter.

Wie Vieles und Merkwürdiges hätt' ich noch hinzuzufügen, das ich bis auf die Stunde verspare, wenn ich des Glücks, Ew. Durchl. unterthänigst aufzuwarten, wieder theilhaftig werde. Doch finde ich es billig, Ew. Durchl. noch auf eine Schrift aufmerksam zu machen, die für mich nicht ohne Nutzen gewesen; sie stehet in dem ersten Theil der ältern erfurtischen Akademieacten und führt den Titel: Historia terrae et maris ex historia Thuringiae per montium deseriptionem eruta a Georgio Christiano Fuechsel. Diese Schrift war, wie mir von einem seiner überbliebenen[26] Freunde erzählt worden, erst deutsch aufgesetzt, hatte nachher das Unglück, weil in jenen Acten die deutsche Sprache nicht erscheinen sollte, von einem Andern ins Lateinische übersetzt zu werden; dadurch ist sie so verunstaltet und schwer zu verstehen geworden, daß, so genau ich mit den Sachen bekannt bin und so sehr sie mich interessiren, doch gestehen muß sie noch nicht ganz gelesen zu haben. Doch habe ich soviel daraus gesehen, daß er bis auf Weniges eben die Erfahrungen, worauf wir uns gründen, auch gemacht hat und seine Erdschichten eben so über einander herlegt. Das Wenige, worin wir von einander abgehen, hoff' ich in der Folge auch noch zu berichtigen. Wie ich denn alle Aufsätze hiervon an Trebra'n zu communiziren im Begriff stehe, mit der inständigen Bitte, daß er auf eben die Weise vom Gipfel des Brocken, der aus Granitfelsen besteht, bis in die tiefsten Schachten der Harzer Bergwerke, wie ich es gethan, die Schichten stufenweise verfolgen möge. Wenn wir nun also gegen einander zurücken, uns über die Namen der Gesteinarten vergleichen und so verschiedene Gebirge mit einerlei Augen sehen, können wir wohl ein hübsches Stück Land für die Naturgeschichte erobern. – Die kleine Sammlung ist so eingerichtet, daß man sie nach und nach in jedem Fache complettiren kann. Indessen ist sie hinreichend zum nähern Verständniße der Risse sowohl als der Anmerkungen.

Ew. Durchl. werden verzeihen, daß dieser Brief[27] nicht von meiner eigenen Hand ist. Die so lang aufgehaltene Kiste hätte noch einen Posttag warten müssen und es war mir schon verdrießlich, daß sie nicht vor den Feiertagen abging. Ich empfehle mich zu fortdauernden Gnaden und unterzeichne mich mit aufrichtiger Verehrung

Ew. Durchl.

Weimar, den 27. Dec.

unterthänigster

1780.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An den Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8AEF-1