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An den Freundeskreis in Weimar

Rom d. 7. Nov. 86.

Ich bin nun zehen Tage hier und nach und nach thut sich vor mir der allgemeine Begriff dieser Stadt auf. Wir gehen fleißig auf und ab, ich mache mir den Plan des alten und des neuen Roms bekannt, betrachte die Ruinen, die Gebäude, besuche ein und die andre Ville, alsdann nehmen wir die größten Merckwürdigkeiten ganz langsam, ich thue nur die Augen auf und sehe und gehe und komme wieder. Der Menschen wird auch nicht vergeßen und so macht sich's nach und nach. Denn gewiß man kann sich nur in Rom auf Rom bereiten.

Das menschlich interessanteste was ich auf der Reise fand, war die Republick Venedig, nicht mit[44] Augen des Leibs sondern des Geists gesehen. Das größte Werck der innern Großheit nach die Rotonde, das größte dem Maase nach, die Peterskirche (wie denn wohl nun kein größer Gebäude in der Welt steht) und das genialischte, daß man sagen muß es scheint unmöglich, ist der Apoll von Belvedere. Denn so viel ich auch Abgüße gesehen habe, selbst ein gutes Bruststück besitze; so glaubt man doch die Statue nie gesehn zu haben. Des übrigen vielen Guten und Herrlichen nicht zu gedencken.

Die Logen von Raphael und die großen Gemählde der Schule von Athen pp hab ich nur erst einmal gesehn und da ists als wenn man den Homer aus einer zum Theil verloschnen, beschädigten Handschrifft herausstudiren sollte. Das Vergnügen des ersten Eindrucks ist unvollkommen. Nur wenn man nach und nach alles recht durchgesehn und studirt hat wird der Genuß ganz. Am erhaltensten sind die Deckenstücke der Logen, die Biblische Geschichten vorstellen, so frisch wie gestern gemahlt, zwar die wenigsten von Raphaels eigner Hand doch gar trefflich nach seinen Zeichnungen und unter seiner Aufsicht. Tischbein der immer an mich gedacht und für mich gesorgt hat, hat mir ein Paar durch einen jungen geschickten Künstler kopiren laßen, die ich schon hier fand und mir viel Freude machen. Auch hat er die Steine recht gründlich studirt, wobey ihm sein Künstler Auge und die Künstler Lust an sinnlichen Dingen sehr geholfen hat. Ich schrieb [45] ihm einmal darum und das bracht ihn darauf. Ich bin nun auf diesen Theil ziemlich vorbereitet und es vermehrt das Vergnügen, alle die Kostbarkeiten mit Unterscheidung und Kenntniß anzusehn.

Bey Angelika Kaufmann bin ich zweymal gewesen, sie ist gar angenehm und man bleibt gern bey ihr.

Hofrath Reifenstein erzeigt mir viel Gefälligkeit.

An Trippeln hab ich einen sehr braven Künstler kennen lernen.

Und nicht genug kann ich sagen was Tischbein ein guter und natürlich verständiger Mensch ist. Er giebt sich viel Mühe und ist gewiß auf einem guten Wege der Kunst.

Ein saures und trauriges Geschäfte ist es, das alte Rom aus dem neuen heraus zu suchen, und doch muß man es und es giebt die beste Freude. Man trifft Spuren einer Herrlichkeit und einer Zerstörung die beyde über unsre Begriffe gehn. Was die Barbaren stehen ließen, haben die Baumeister des neuen Roms verwüstet.

Zum Schluß nenn ich nur noch das Colisee und die Bäder des Diokletians als Gegenstände der stillen und ernstesten Bewunderung und das neue Museum als ein kostbares schönes Institut. Für diesmal das beste Lebe wohl.

G. [46]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An den Freundeskreis in Weimar. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-82A4-3