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An Thomas (?) Holcroft

[Concept.]

Indem ich die mir mitgetheilte Übersetzung von Hermann und Dorothea mit Danck zurücksende erlauben Sie mir, wertgeschätzter Herr, einige Betrachtungen.

Man kann wie es mir scheint, nach zweyerley Maximen übersetzen, einmal wenn man seiner Nation den reinen Begriff eines fremden Autors überliefern, fremde Zustände derselben anschaulich machen will, wobey man sich denn genau an das Original bindet; man kann aber auch ein solches fremdes Werk als eine Art Stoff behandeln, indem man es, nach eignen Empfindungen und Überzeugungen, dergestalt verändert, daß es unserer Nation näher gebracht und von ihr gleichsam als ein Originalwerk aufgenommen werden könne.

In dem letzten Falle scheinen Sie sich zu befinden. Sie haben zwar im Ganzen den Gang meines Gedichtes beybehalten, aber durchaus, so viel ich beurtheilen kann, die Dramatisch charakteristischen, läßlichen Äußerungen meiner Personen strenger, auffallender, didacktischer überliefert, und die gemächliche Epische Bewegung in einen ernsteren gemeßnern Schritt verwandelt.

Nach meiner wenigen Einsicht in die englische Litteratur darf ich schließen daß Sie hierbey den [233] Charakter Ihrer Nation vor Augen gehabt, und es ist mir um so angenehmer eine völlige Aufklärung hierüber in der Vorrede und den Noten, welche Sie Ihrer Arbeit beyzufügen gedenken, nächstens zu erhalten.

Übrigens kann ich die meisten Abweichungen vom Original aus meinem gefaßten Standpuncte ziemlich beurtheilen, nur vermag ich nicht einzusehen warum Sie die Stelle, vom 126. Vers Ihrer Übersetzung an, bis zum 142., auf den ehemaligen Brand des Städtchens gedeutet, da, im Original, dieser längst vergangenen Begebenheit nur im Vorbeygehen erwähnt und eigentlich die Beschreibung des Zuges der Ausgewanderten durch diese Stelle fortgesetzt wird. Doch erhalte ich wohl auch hierüber einige Belehrung und ergreife vielleicht irgend eine Gelegenheit über die vier, nunmehr vor mir liegenden, Übersetzungen meines Gedichtes öffentlich meine Gedanken zu sagen.

Der ich recht wohl zu leben wünsche und mich zu geneigtem Andenken empfehle.

Jena am 29. Mai 1801.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1801. An Thomas (?) Holcroft. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-8158-6