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An Carl Friedrich Zelter

Dein werthes Schreiben hat mir mehr als eine wichtige Gabe gebracht, und so vermelde ich denn zuerst, daß das Choralbuch mit der fahrenden Post so eben abgeht; sprich mir von dem Werthe desselben in Bezug auf die Epoche aus der es hervorgegangen.

Denn so hast du mir durch deine Ableitungen bey Gelegenheit von Händels Messias erhellende Lichter aufgestellt. So ist auch deine Ansicht von dem rhapsodischen Entstehen dieses Werks meiner Ansicht ganz gemäß: denn der Geist vermag aus fragmentarischen Elementen gar wohl einen Rogus aufzuschichten, den er denn zuletzt durch seine Flamme pyramidalisch gen Himmel zuzuspitzen weiß.

[91] Einen Abend schon hab ich am Messias gehört; zuletzt will ich auch ein Wort darüber verlauten lassen, indessen aber mich an deinem Leitfaden vorwärts bewegen. Der Anstoß durch Rochlitz ist mir dankenswerth, ob ich ihn gleich hier finde wie sonst auch, ein treues Wollen und ein gleiches Wirken, dem man nur die Kraft wünschte den Gegenstand sicherer zu fassen und das Erkannte entschiedener durchzusetzen.

Nun will ich aber vorzüglich dankend, daß du dem Ansuchen wegen Thaer ein freundliches Ohr geliehen und schon thätig eingegriffen hast; freylich wünschen sie die Mittheilungen bald möglichst, da sowohl Gedichte als Noten vor jenem Termin gedruckt werden sollen. Laß aber die Arbeit noch immer bey dir liegen, ich schicke dir eine Adresse, wo du sie in deiner Nähe und also noch früh genug abgeben kannst. Du schreibst unser beider Namen hinzu und so feyern wir abwesend doch auch das große Fest freundlich mit. Eine Abschrift sendest du mir.

Die chronikalischen Notizen von den Abenteuern der Schmeling-Mara haben freylich den wahrhaften Charakter einer empirischen Welt; daher ist's um alles Geschichtliche ein gar wunderliches unsicheres Wesen und es geht wirklich in's Komische wenn man überdenkt wie man von längst Vergangenem sich mit Gewißheit überzeugen will. Wir besitzen hier eine alte niedliche silberne Schaale, die sich, wie eingegrabenes Bild und Inschrift beweist, von Kaiser Friedrich [92] den Ersten herschreibt. Es ist unbestritten ein Pathengeschenk, und doch können sich die Gelehrten nicht vereinigen, wer eigentlich der Getaufte, wer der Taufzeuge sey. Hierüber existiren nun schon fünf Meynungen, die man als Muster des Scharfsinns und des Unsinns schätzen und halten kann; eine einzige ist gradsinnig und plausibel.

Nun will ich aber für dießmal schließend versichern daß ich mich leidlich befinde, und meine Thätigkeit auch von außen gefördert wird, so daß ich ohngefähr das Versäumte nachholen und auf weitere Schritte denken kann. Möge auch dir alles wohl gerathen, denn jemehr ich Ottilien erzählen höre, jemehr glaube ich einzusehn daß in Berlin ein wunderliches Leben, Thun und Treiben, wenn man zu seinen vernünftigen Zwecken gelangen will, vorwalten muß.

Das Choralbuch, wenn du's angesehen, laß nur bey dir liegen; ich frage nach Ostern schon wieder einmal an. Und somit allen guten Geistern empfohlen.

Treu angehörig

Weimar den 27. März 1824.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7EDA-A