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An den Großherzog Carl August

[Concept.]

[Etwa 25. Juni 1824.]

Indem Höchst Dieselben in einer weiten und bedeutenden Welt, zu reicher Erfahrung neue Reichthümer gewinnen, seh ich nun schon seit sechs Wochen die Tulpen blühen und verblühen; nunmehr aber die Rosenknospen hervorbrechen. Auf das angenehmste wird dagegen meine Einsamkeit belebt durch gnädige Besuche meiner wohlwollenden Hoheiten, da [es] denn manches zu besprechen und vorzuzeigen gibt.

Die nach und nach angekommenen, von Canzler v. Müller mir eingehändigte Sendungen geben den schönsten Stoff zu manigfacher Unterhaltung. Durch die immer wachsende Thätigkeit des Steindrucks thun sich von Moment zu Moment bedeutende Mittheilungen hervor.

[166] Unter so vielen andern ist die bildliche Aufklärung von Rousseaus Botanischen Jugendfreuden höchst willkommen; ich denk nächstens seinen Aufsatz darüber, dessen Erinnerung mir noch von den frühsten Jahren vorschwebt, wieder durchzugehen.

Die Frankfurter Mineralien-Sendung hat Lenzen zum Bekenntniß genöthigt: daß, wenn er auch die Gegenstände schon besitze, er doch mit solchen Exemplaren keineswegs versehen sey.

Von hiesigen Thätigkeiten muß ich zuvörderst der Reise Schröns gedenken, unternommen um die bisher eingerichteten Beobachtungs-Puncte zu revidiren und einen neuen auf dem Rhöngebirge einzurichten. Er hat dabey abermals seine Kenntniß der Sache so wie die Genauigkeit in Behandlung derselben treulich erprobt, auch einiges dabey erlebtes Misgeschick thätig übertragen. Was an den Instrumenten nunmehr zu thun ist wird besorgt, indessen die Beobachter auf's neue belehrt und ermuntert worden sind. Eine erweiterte Instruction hat jeder erhalten.

Hier darf ich nicht übergehen daß im Gange dieses Geschäftes meine Einsicht in dieses wichtige Naturereigniß immer zunimmt. Auch hier wie bey allen Naturbetrachtungen ist das Hauptgeschäft, Gewisses vom Angewissen zu sondern, wodurch schon sehr viel gewonnen wird. Einen Abdruck der wundersam von Schrön erfundenen und ausgeführten Tabelle, wodurch die sämmtlichen Erscheinungen auf einmal vor den [167] Sinn des Augs gebracht werden, lege bey; die zwey ersten Rubriken erklären sich von selbst, die übrigen bedürfen einer Auslegung, welche nächstens in Druck erscheinen wird.

So interessant nun auch diese Anstalten und Bemühungen für sich selbst sind, so wird doch außer dem Hauptzweck noch eine Folge gewonnen, die gewiß nicht ohne Bedeutung bleibt. Indem an so vielen Puncten Ew. Königlichen Hoheit Lande die Aufmerksamkeit auf allgemeine Naturphänomene erregt, scharfe Beobachtung empfohlen, tabellarisches Bemerken zur Pflicht gemacht wird, so verfehlt der Einzelne gewiß nicht auch in seinem Kreise dergleichen zu verbreiten, und wäre es auch nur gesprächsweise, indem doch jeder die andern gern unterhält von dem was ihn interessirt. Wenn ich nun denke, daß ein solcher Punkt auf den höchsten Röhngipfel verpflanzt ist, so stelle ich mir gerne vor was ein einsamer Schulmeister von da aus mit der Zeit wirken werde, und meine Einbildungskraft setzt auf diese Mission ein besonderes Vertrauen.

Das Mineralienkabinett der naturforschenden Gesellschaft, zu Gunsten Naumanns, ohne Lenzens Mitwirkung zu erweitern, schien deswegen sehr wünschenswerth, da letzterer über diese Rivalität schon in einiger Apprehension befangen ist; auch gab sich Gelegenheit, bey jetziger Concurrenz des Mineralien-Handels, ohne weiteres auf einmal das Fehlende zu ergänzen und [168] die bedeutende Lücken ungesäumt auszufüllen. Und so ist vor Anfang der Collegien ein vollständiges Kabinett, nach dem Mohsischen System geordnet, in Naumanns Händen gewesen. Man hat diese Einrichtung um so lieber mit völliger Überzeugung getroffen als ein längst gefühltes Bedürfniß dadurch befriedigt wurde, nämlich Mineralogie mit ihren verwandten Fächern ohne Berührung des Hauptkabinetts lesen zu können, so daß dieses künftighin unangetastet bleiben, zur Nach- und Beyhülfe und größeren Übersicht, tieferem Studium für Lehrer und Schüler verwahrt werden kann. Noch mehrere Vortheile der Einrichtung werden sich in der Folge zeigen.

Die den Regierungs-Rath Quednow interessirende antiquarische Angelegenheit habe sogleich an Herrn Geh. Hofrath Eichstädt gelangen lassen, als den Verfasser der früheren Erläuterung einer alten Inschrift. Auch ist schon dessen meist beyfällige Erklärung und das Versprechen in einem nächsten Programm der Sache zu gedenken nach Trier abgegangen, wohin denn auch das Weitere sobald es erscheint ungesäumt gelangen soll.

Seit acht Tagen erfreuen wir uns der Gegenwart das Professor Rauch aus Berlin; Anregung und Zweck seines Hierseyns habe mit Bescheidenheit dankbar anzuerkennen, indessen reicht es keinem geringen Gewinn sich mit einem solchen meisterhaften Mann [169] bey der Arbeit zu unterhalten, und einen richtigen Gedanken sogleich durch die That verwirklicht zu sehen. Eine solche Erfahrung ist von großer Bedeutung in manchem Sinne, ist so fördernd als erfreulich. Leider naht seine Abreise nur allzubald.

Damit es aber auch an Sorgen und Hinderniß nicht fehle, so tritt die Krankheit des guten Vulpius ein; Sein Übel hat sich nicht vermehrt, ja er spürt eher Erleichterung und Bewegung. Allein es ist in jedem Betracht unerläßlich daß er ein Bad besuche, auch möchte Wiesbaden das räthlichste seyn. Dem durch seine Krankheit in ökonomischem Sinn schon sehr beschädigten Manne will sich jedoch eine kräftige Unterstützung nöthig machen. Des Herrn Erbgroßherzogs Königliche Hoheit wollen einen Beytrag thun, und Höchst Dieselben vergönnen gewiß daß man aus der Oberaufsichtskasse die reise facilitire um das Möglichste zu seiner Wiederherstellung zu thun.

Denn ob man gleich die Bibliotheksgeschäfte in ihrem ruhigen Gang erhält, so ist er doch für die Folge schwer zu entbehren; auch druckt ihn dieser Zustand auf's äußerste, da er immer auf mannichfaltige Weise rührig und thätig zu seyn gewohnt ist. In seinem gegenwärtigen Jammer sogar hat er einen recht hübschen Aufsatz über die Brakteaten und deren nächst zu veranstaltende Anordnung im großherzoglichen Münzkabinett geschrieben und eingereicht.

So eben meldet ein bey mir niedergelegter Brief[170] den Grafen Sternberg an; freylich wird Höchst Ihro Anwesenheit hier doppelt vermißt und im Ganzen findet der wackere Freund ein sehr einsames Weimar.

Ich habe mir schon die Freyheit genommen denselben in Dornburg anzumelden, auch schon Anstalt gemacht ihn alle hiesige und jenaische Merkwürdigkeiten sehen zu lassen.

In welcher Aussicht, an welcher Höchst Dieselben gewiß auch in der Ferne Antheil nehmen, ich mich zu ferneren Hulden und Gnaden angelegentlichst empfehle.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1824. An den Großherzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7BC3-9