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An Johann Friedrich Ludwig Wachler

[Concept.]

Wenn Ew. Wohlgeboren ich bezeugen kann, daß das Handbuch der Geschichte der Literatur seit seinem Erscheinen mir nie von der Seite gekommen und seit geraumer Zeit von größtem Nutzen gewesen, indem es mir nicht allein wo etwas in den literarischen Fächern zu suchen sey, andeutete, sondern auch wie das Gefundene zu beurtheilen sey, einen redlichen Fingerzeig gab: so werden Sie ermessen, wie angenehm mir das Lehrbuch der Literaturgeschichte geworden, welches ich sogleich an ruhigen Winterabenden mit Ungeduld durchlief. Da ist es mir denn wie einem, der nach Jahren in eine früher wohlgekannte Stadt zurückkehrt, wo indessen die Bürger in architektonischer und polizeylicher Hinsicht fortgefahren, zu Erweiterung, Verschönerung und Bequemlichkeit das Möglichste zu leisten.

Gerade das mit soviel Sorgfalt behandelte Mittelalter zog mich vorzüglich an, und ich finde mich wie früher so auch jetzt durch die gehaltvollen Urtheile gefördert und erbaut.

[170] Fürwahr, es muß ein Mann von großem Charakter seyn, der die Charaktere zugleich so scharf und liebevoll, so ernst als wohldenkend, so zwecksinnig und nachsichtig bezeichnen kann. Und da ich nun einmal in Gedanken, Worten und Werken auf den Kreis der Literatur angewiesen bin, so fühlen Sie, welchen Dank ich demjenigen entrichte, der mich in dem unentwirrbaren Labyrinthe diejenigen Stellen mit Leichtigkeit auffinden läßt, wohin ich Aufmerksamkeit und Thätigkeit eigentlich zu wenden habe.

Möge die edle Genüge, aus dem Anschaun eines anerkannten Verdienstes entspringend. Sie in höheren Jahren erquicken und das Nachgefühl der Wunden auslöschen, die uns der Wechsel einer bewegten Zeit zu schlagen so manche Gelegenheit fand.

Wünschend und hoffend.

Weimar den [14.?] November 1827.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1827. An Johann Friedrich Ludwig Wachler. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-780E-A