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An Carl Ludwig von Knebel

Rom d. 17. Nov.

Auch dich mein lieber muß ich aus Abrahams Schooße besonders begrüßen. Wie vielmal denck ich an dich und wie manches möcht ich dir mittheilen.

Ich bin wie zu Hause. Tischbeins Liebe und Vorsorge erleichtert und befördert mir alles, es ist ein gar guter und kluger Mensch.

Von dem Privat Leben der Alten sind wie bekannt wenig Spuren mehr übrig, desto größer sind die Reste die uns ihre Sorge fürs Volck, fürs allgemeine und ihre wahre weltherrliche Größe zeigen. Schon hab ich das merkwürdigste gesehn und wiedergesehn.

Wasserleitungen, Bäder, Theater, Amphitheater, Rennbahn, Tempel! Und dann die Palläste der Kayser, die Gräber der Großen – Mit diesen Bildern hab ich meinen Geist genährt und gestärckt. Ich leße den Vitruv, daß der Geist der Zeit mich anwehe wo das alles erst aus der Erde stieg, ich habe den Palladio, der zu seiner Zeit noch vieles ganzer sah, maß und mit seinem großen Verstand in Zeichnungen herstellte, und so steigt der alte Phönix Rom wie ein Geist aus seinem Grabe, doch ists Anstrengung statt Genußes und Trauer statt Freude.

Gewiß man muß sich einen eignen Sinn machen[57] Rom zu sehn, alles ist nur Trümmer, und doch, wer diese Trümmer nicht gesehn hat, kann sich von Größe keinen Begriff machen. So sind Musea und Gallerien auch nur Schädelstätten, Gebeinhäuser und Rumpfkammern; aber was für Schädel pp! Alle Kirchen geben uns nur die Begriffe von Martern und Verstümmlung. Alle neue Palläste sind auch nur geraubte und geplünderte Theilgen der Welt – Ich mag meinen Worten keine weitere Ausdehnung geben! Genug man kann alles hier suchen nur keine Einheit keine Übereinstimmung. und das ists was viele Fremde so irre macht. Ich bin nun drey Wochen da und ich sage selbst: wenn es einem Ernst ist kann man ein halb Jahr bleiben, um nur erst gewahr zu werden wo man ist.

Und solch ein Stückwerck ist mein Brief auch, sind alle meine Briefe die ich von hier aus schreibe. Wenn ich wiederkomme soll mein Mund etwas ganzeres bringen.

So spät die Jahrszeit ist, so freut mich doch mein bißchen Botanick erst recht, in diesen Landen, wo eine frohre weniger unterbrochene Vegetation zu Hause ist. Ich habe schon recht artige, in's allgemeine gehende Bemerckungen gemacht, die auch dir in der Folge angenehm seyn werden. Das Steinreich hat hier seinen Trohn, wo von allen Enden der Welt das kostbarste zusammengebracht worden. Wie ein Granit Freund die Obelisken und Säulen ansieht, [58] kannst du dencken. Tischbein, dem ich einmal Färbers Brief über die alten Steinarten in Abschrifft schickte, hat sich mit einem ächten sinnlichen Künstler Sinn auf diese Gegenstände geworfen, hat sich alles bekannt gemacht, und erleichtert mir auch wissenschafftlich das Studium.

Der Vesuv hat vor ohngefähr 14 Tagen eine Eruption gemacht. Die Lava ist starck gefloßen. Auf meinem Tische liegt schon ein ganz frisch gebacknes Stück vor mir das ein Reisender daher brachte.

Wie viel ich auf deinen Spuren durch Tyrol an dich gedacht habe sag ich dir nicht; auf dem Brenner bin ich einige Tage geblieben.

Kobeln in München traf ich nicht zu Hause. Alle diese vorliegenden Gegenden rollt ich nur durch und hatte keine Ruhe als hier, wo ich mich denn auch recht satt weide.

Ich schließe dies Blat ungesiegelt an Frau von Stein. Lebe wohl. Liebe mich und hilf die gute Stäte einer Rückkehr für mich bereiten.

G.


Von dem Bologneser Gypsspat, welcher nach der Calcination leuchtet, hab ich schöne Stücke aus dem Berge selbst genommen. Dieser Stein ist mir besonders wegen seiner auserordentlichen specifischen Schweere gegen den übrigen Gyps merckwürdig.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1786 [2]. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-77E1-3