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An Anna Katharina Schönkopf

Franckf. am 30. Dec. 68.

Meine beste, ängstliche
Freundinn

Sie werden ohne Zweifel zum neuen Jahre, durch Hornen die Nachricht von meiner Genesung erhalten haben; und ich eile es zu bestättigen. Ja meine Liebe, es ist wieder vorbey, und inskünftige müssen Sie Sichberuhigen wenn es ja heissen sollte: Er liegt wieder! Sie wissen meine Constitution macht manchmal einen Fehltritt, und in acht Tagen hat sie sich wieder zurechte geholfen; diesmal war's arg, und sah noch ärger aus als es war, und war mit schröcklichen Schmerzen verbunden. Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Kranckheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. Es ist vorbey, und ich binn wieder ganz munter, ob ich gleich drey volle Wochen nicht aus der Stube gekommen binn, und mich fast niemand besucht, als mein Docktor, der, Gott sey danck, ein liebenswürdiger Mann ist. Ein närrisch Ding um uns Menschen, wie ich in muntrer Gesellschafft war, war ich verdrüsslich, jetzt binn ich von aller Welt verlassen, und binn lustig; denn selbst meine Kranckheit über, hat meine Munterkeit meine Famielie getröstet, die gar nicht in einem Zustande war, sich, geschweige mich zu trösten. Das Neujahrslied, [183] das sie auch werden empfangen haben, habe ich in einem Anfall von groser Narrheit gemacht, und zum Zeitvertreibe drucken lassen. Uebrigens zeichne ich sehr viel, schreibe Mährgen, und binn mit mir selbst zufrieden. Gott gebe mir das neue Jahr was mir gut ist, das geb er uns allen, und wenn wir nichts mehr bitten als das; so können wir gewiß hoffen dass er's uns giebt. Wenn ich nur biss in Aprill komme, ich will mich gern hinein schicken lassen. Da wird's besser werden hoffe ich, besonders kann meine Gesundheit täglich zu nehmen, weil man nun eigentlich weiss was mir fehlt. Meine Lunge ist so gesund als möglich, aber am Magen sitzt was. Und im Vertrauen man hat mir zu einer angenehmen vergnüglichen Lebensart Hoffnung gemacht, so dass meine Seele sehr munter und ruhig ist. Sobald ich wieder besser binn, werde ich ausgehen in fremde Lande, und es soll nur auf Sie und noch jemand ankommen, wie bald ich Leipzig wiedersehen soll; Inzwischen dencke ich nach Franckreich zu gehen, und zu sehen wie sich das französische Leben lebt, und um französch zu lernen. Da können Sie Sich vorstellen was ich ein artiger Mensch seyn werde, wenn ich wieder zu Ihnen komme. Manchmal fällt mir's ein, dass es doch ein närrischer Streich wäre, wenn ich trutz meiner schönen Projeckten vor Ostern stürbe. Da verordente ich mir einen Grabstein, auf dem Leipziger Kirchhof, dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes, als meinem Nahmens [184] Tag, das Johannismänngen, und mein Denckmal besuchen möget. Wie meynen Sie?

Empfelen Sie mich Ihren Eltern zu beständiger Freundschafft; Küssen Sie Ihre lieb Freundinn, und dancken Sie ihr für den Anteil den Sie an mir nimmt; ich werde bald an sie schreiben.

Ihre Nachbarinn bedaur' ich; sollte das nicht den grösten Strich in die Rechnung, des verliebten Paars machen? Die armen Leute! Sie find in grosser Noth, und unser Herr Gott mag ihnen helfen oder nicht, so werden sie's ihm nicht dancken, das werden Sie erleben, und darnach sagen Sie: hat's Goethe nicht gesagt. Es ist gar zu ein gros Ding um den Ehstand heut zu Tage, und kein's von beyden, wenigstens gewiss, Eins von beyden, hat nicht für einen Sechser Ueberlegung. Heiliger Andres, komm, und tuh ein Wunder, oder es giebt eine Sau. NB. dass niemand den Artickel sieht als wem er nütz ist. Leben Sie wohl meine Liebe, ich binn, kranck wie Gesund

ganz der Ihrige Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1768. An Anna Katharina Schönkopf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-70C3-C