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An Johann Kaspar Lavater

Ostheim vor der Rhön [etwa 20. September.]

Erst heut erhalt ich deine Briefe vom 2ten und 9ten dieses Monats, wir sind in einigen entfernten Ämtern des Fürstenthums Eisenach, und sehen verschiedene neue, gute und nüzliche Veranstaltungen in der Nähe, die seit vergangnem Frühiahr im Werck sind.

Es ist gut dass du die 60 Ldr behalten hast, Bertuchs Brief wird angelangt seyn, es soll dir nunmehr soviel noch aufgezahlt werben dass du 1000 rh. voll hast.

Deine Frage über die Schöne kan ich nicht beantworten. Ich habe mich gegen sie so betragen, als ich's gegen eine Fürstinn oder eine heilige thun würde. Und wenn es auch nur Wahn wäre, ich mögte mir solch ein Bild nicht durch die Gemeinschafft [298] einer flüchtigen Begierde besudlen. Und Gott bewahre uns für einem ernstlichen Band, an dem sie mir die Seele aus den Gliedern winden würde.

Das Tagewerck das mir aufgetragen ist, das mir täglich leichter und schweerer wird, erfordert wachend und träumend meine Gegenwart diese Pflicht wird mir täglich theurer, und darinn wünscht ich's den grössten Menschen gleich zu thun, und in nichts grösserm. Diese Begierde, die Pyramide meines Daseyns, deren Basis mir angegeben und gegründet ist, so hoch als möglich in die Lufft zu spizzen, überwiegt alles andre und lässt kaum Augenblickliches Vergessen zu. Ich darf mich nicht säumen, ich bin schon weit in Jahren vor, und vielleicht bricht mich das Schicksaal in der Mitte, und der Babilonische Thurn bleibt stumpf unvollendet. Wenigstens soll man sagen es war kühn entworfen und wenn ich lebe, sollen wills Gott die Kräffte bis hinauf reichen.

Auch thut der Talisman iener schönen Liebe womit die Stein mein Leben würzt sehr viel. Sie hat meine Mutter, Schwester und Geliebten nach und nach geerbt, und es hat sich ein Band geflochten wie die Bande der Natur sind.

Adieu Liebster, bleibe mir nah im Geist. Mit den Dürers die langsam gehen, wegen der Kosten, kommen Blumen und Kräuterbüschel die ich am Weeg sammle. Lass sie nur wenige sehn, und nur keinen prätendirenden Schrifftsteller, die Buben haben mich[299] von ieher aus- und nachgeschrieben und meine Manier vor dem Publiko stinckend gemacht.

Schicke mir was dich däucht.

Auf deine Offenbaarung wart ich, deine Veränderungen sollen mir Unterhaltung seyn mit dir und ein Studium ächter Kritick.

Herder fährt fort sich und andern das Leben sauer zu machen.

Der Herzog ist sehr gut und brav. Wenn ich nur noch einigen Raum für ihn von den Göttern erhalten kan. Die Fesseln an denen uns die Geister führen, liegen ihm an einigen Gliedern gar zu enge an, da er an andern die schönste Freyheit hat.

Seitdem ich keine Phisiognomische Prätension mehr mache wird mein Sinn sehr scharf und lieblich, ich weis fast in der ersten Minute wie ich mit den Leuten dran bin.

Wenn du mir meine Sachen hübsch zurückschickst und sie nicht propalirst, sollst du mehr haben. Es ist doch wohl einmal etwas für dich drunter.

Im Phisiognomischen sind mir einige Hauptpunckte deutlich geworden, die dir wohl nichts neues sind, mir aber von Wichtigkeit wegen der Folgen.

Hab ich dir das Wort

Individuum est ineffabile

woraus ich eine Welt ableite, schon geschrieben?
Wegen des Bodmerischen Manuscripts ist es gut.
Grüse Bäben und deine Frau.

G. [300]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F71-D