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An Carl Friedrich Zelter

Und so wäre es wohl das Beste, sich nicht zu bekümmern was andere thun, sondern immerfort zu suchen wieweit man es selbst bringen kann.

Deshalb wird dich denn gewiß erfreuen zu vernehmen: daß die Kaiserin Elisabeht auf Leinwand glücklich aufgezogen sey. Von Rissen, sonstigen Beschädigungen, von sehr beschnittenem Rande und dergleichen war ohnehin nicht die Rede, und nun, da das Ganze glatt und liebenswürdig dasteht, finden sich glücklicher Weise die Moderflecken nur in dem Rahmen sichtbar, im Bilde aber nur ganz lind, hie und da ganz leise. Die Klarheit und Unbegreiflichkeit des Stichs, der sich nach den gränzenlosen materiellen Gegenständigen zu schmiegen und nach den Eigenschaften der Unzählbaren Oberflächen zu bewegen und zu richten weiß, leuchtet im vollsten Glanze, wie sich von einem Probedruck, bey Lebzeiten des Künstlers selbst gefertigt, nur erwarten läßt. Bey deiner nächsten Anherkunft, welche so unvorgesehn als glücklich seyn möge, soll dir diese hohe, durch deine Gunst wieder erstandene Dame die grazioseste Audienz geben.

[117] Die Gebrüder Schlegel waren und sind bey soviel schönen Gaben unglückliche Menschen ihr Leben lang; sie wollten mehr vorstellten als ihnen von Natur gegönnt war und mehr wirken als sie vermochten; daher war und mehr wirken als sie vermochten; daher haben sie in Kunst und Literatur viel Untheil angerichtet. Von ihren falschen Lehren in der bildenden Kunst, welche den Egoismus, mit Schwäche verbunden, präconisirten, lehrten und ausbreiteten, haben sich die deutschen Künstler und Liebhabar noch nicht erholt; sogar muß man diesen den Irrthum auf eine weile gönnen, sie würden verzweifeln, wenn ihnen die Augen aufgingen. Indessen haben wir andern die Noth, die wir Künstlern forthelfen sollen, deren Werke doch am Ende niemand will, weil sie niemanden zusagen; deswegen haben die lobenswürdigen Vereine das Publicum redlich zum Besten, indem sie verlosen was niemand kaufen würde, und woran derjenige der's gewinnt sich kaum erfreuen kann.

Ich würde sogar das Falsche lieben und fördern, wenn es nur gesucht und gut bezahlt würde. Und da mag es denn so hingehen.

Um zu jenen Dioskuren zurückzukehren, so erstickte doch Friedlich Schlegel am Wiederkäuen sittlicher und religioser Absurditäten, die er auf seinem unbehaglichen Lebensgange gern mitgetheilt und ausgebreitet hätte; deshalb er sich in den Katholicismus flüchtete und bey seinem Unterhang ein recht hübsches, aber falsch gesteigertes Talent, Adam Müller, nach sich zog.

[118] Genau besehen war die Richtung nach dem Indischen auch nur pis-aller. Sie waren klug genug zu sehen, daß weder im deutschen noch im lateinischen und griechischen Felde etwas Brillantes für sie zu thun sey; nun warfen sie sich das Talent von August Wilhelm auf eine Ehrenvolle Weise. Alles das – und + wird die Folgezeit reiner in Evidenz setzen. Schiller liebte sie nicht, ja er haßte sie, und ich weiß nicht ob aus dem Briefwechsel hervorgeht, daß ich, in unserm engen Kreise wenigstens, sociale Verhältnisse zu vermitteln suchte. Sie ließen mich bey der großen Umwälzung, die sie wirklich durchsetzen, nothdürftig stehen, zum Verdrusse Hardenbergs, welcher mich auch wollte delirt (ausgelöscht) haben. Ich hatte mit mir selbst genug zu thun, was kümmerten mich andere.

Schiller war mit Recht auf sie erbos't; wie er ihnen im Wege stand, konnt er ihnen nicht in den Weg treten. Er sagte mir einmal, da ihm meine allgemeine Toleranz, sogar die Förderniß dessen was ich nicht mochte, nicht gefallen wollte: »Kotzebue ist mir respectabler in seiner Fruchtbarkeit als jenes unfruchtbare, im Grunde immer nachhinkende und den Raschfortschreitenden zurückrufende und hindernde Geschlecht.«

Daß August Schlegel so lange lebt, um jene Mißhelligkeiten wieder zur Sprache zu bringen, muß man ihm gönnen. Der Neid, so viele wirksamere Talente[119] auftauchen zu sehen, und der Verdruß, als junger Ehemann so schlecht bestanden zu haben, können unmöglich gelangen lassen.

Wir wollen das alles wie seit so vielen Jahren vorübergehen lassen und immer nur auf das hinarbeiten was wirksam ist und bleibt. Ich habe gar manche hübsche Faden fortzuspinnen, zu haspeln und zu zwirnen, die mir niemand abreißen kann.

Uns somit mag denn noch manches weiße Papier zu dir gelangen, manches bleibt für die nächste Mittheilung. Uns und euch dessen Anblick wir uns eine Weile ergötzen wollen.

Alles Gute, Schöne, Würdige!

Also sey und bleib es!

Weimar den 20. October 1831.

G.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1831. An Carl Friedrich Zelter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F0C-2