Personen.
- Don Gonzalo, Herr von Villa Bella
- Donna Claudina, seine Tochter
- Sibylla,
- Camilla, seine Nichten
- Don Sebastian von Rovero, ein Freund des Hauses
- Don Pedro von Castelvecchio, ein Fremder
- Crugantino,
- Basko, Vagabunden
Personen.
Bastian, lieber Bastian, verdenke mir's nicht! Sieh das Mädchen an, und du wirst mir nicht verdenken, daß ich einen kleinen Abgott aus ihr mache. So manche Feierlichkeit, bei so manchem Anlaß, scheint mir nicht hinreichend, das Gefühl meines Innersten gegen sie an den Tag zu legen. Wie warm dank ich dem Schicksal, das, da es mir eine männliche Nachkommenschaft versagt hat, da es mit mir den alten herrlichen Stamm von Villa Bella ausgehen läßt, mir diese Tochter gibt. O ihr Wert entzückt mich mehr als die Aussicht über eine grenzenlose Nachkommenschaft!
Nein, ich sage dir, mich ergötzt das kleine Fest recht herzlich. Denn ob ich gleich kein Freund von Umständen bin, so bin ich doch den Zeremonien nicht feind. Ein feierlicher Aufzug von geputzten Leuten, ein Zusammenlauf des Volks; gejauchzt, die Glocken geläutet, gejauchzt und geschossen drein: es geht einem das Herz doch immer dabei auf, und ich verdenk's den Leuten nicht, wenn sie dadurch glauben, die Heiligen zu verehren und Gott selbst zu verherrlichen.
Und ich glaube, für Claudinen niemals genug zu tun. Wie kann ich genug ausdrücken, daß sie Königin ist über alle meine Besitztümer, über meine Untertanen, über mich selbst – Muß ich sie nicht den Vorzug fühlen lassen, den sie vor ändern Menschen hat, da sie ihn selbst nicht fühlt, nicht die geringste Ahndung davon zu haben scheint, daß ihresgleichen nicht in der Welt ist? Diese Ruhe des Geistes, dieses innere Gefühl ihrer selbst, diese[74] Teilnehmung an anderer Schicksale, diese Empfindlichkeit gegen alles Schöne und Gute – Sage nicht, ich sei Vater, ich bespiegle mich nur selbst in ihr – Höre! alle meine Leute, alles, was sie umgibt, sogar die neidischen Nichten müssen ihr huldigen.
Hab ich nicht Augen und ein Herz? Freilich seh ich sie weder als Vater noch als Liebhaber; aber soviel seh ich doch, daß es eine Gabe vom Himmel ist, Vater oder Liebhaber so eines Mädchens zu sein. Hast du bemerkt, daß all der Triumph, all die Herrlichkeit heute sie mehr in Verlegenheit setzte als erfreute? Ich hab mein Tage kein rührenders Bild der Demut gesehn als sie in dem Schmuck. Auch war noch jemand dabei, dem ein einsamer Busch weit mehr Wonne gegeben hätte; dessen Empfindung zu dem Rauschen des Wassers und dem Lispeln der Blätter besser stimmte als zu den Trompeten und Freudengesang.
Du wirst doch darüber nicht staunen? Pedro, der, seitdem er Claudinen zum erstenmal gesehen hat, kein Pfötchen mehr machen kann; den du schon hundertmal auf einem Seitenblick, einem Händereiben, einem Hutkneten mußt ertappt haben.
Ich trag das wachend und träumend herum. Aber alles will reif werden. Unterdessen hast du recht, daß du ein Aug zutust und mit dem ändern neben ausblickst.
Ich glaube auch, daß ihnen ganz wohl bei der [75] Sache ist. Wenn Pedro nur unser Hauptgeschäft nicht drüber vergäße!
Ihm? Das ist mir der rechte Spion! Er ist ja so verliebt, daß, wenn du nach der Stunde fragst, er nicht weiß, in welcher Tasche seine Uhr steckt. Bei Gott! wenn ich mich nicht abritte und abarbeitete, wir wären noch auf dem alten Flecke.
Es bleibt bei dir. Wenn nicht alle Umstände lügen, so hab ich den Vogel, dem wir so sehnlich nachstreben, hier im Städtchen nahbei, wo er lustig und guter Ding ist. Heut früh sagt ich's Pedro so halb und halb; wir wollen aber das Pest nicht verderben, sagt ich. Ach Claudine! seufzte der Arme aus tief er Brust, als wollt er sagen; den Bruder zum Teufel und dich mir in Arm!
Ich habe das Mädchen bemerkt, ich habe die keimende Leidenschaft in ihrer Seele beobachtet: es ist ein reizendes Schauspiel, das einem wieder ganz jung macht!
Hätten, wir nur erst unser Vorhaben ausgeführt, woran dem ganzen Hause Castelvecchio so viel gelegen, wovon Pedros Schicksal zum Teil mit abhängt! Ich sag ihm so oft: »Herr, seid verliebt; wer wehrt's Euch? Seid bei Claudinen; wer hindert Euch? Nur vergeßt nicht ganz, was Ihr Euch und Eurer Familie und der Welt schuldig seid.« Das hilft –!
Wie eine Arznei! Nicht wahr? Sei ruhig, Bastian! Haben wir's unsern Hofmeistern nicht ebenso gemacht?
Nein, Freund, so ist's nicht gemeint. Sollen wir umsonst die weite Reise von Madrid hierher gemacht haben, sollen wir beschämt nach Hause kehren? Und wer wird alsdenn die Schuldtragen müssen als ich? Ich rede ihm zu wie ein. Biedermann. Was! seinen Bruder länger in dem Luderleben verwildern zu lassen, der mit Spielern[76] und Buben im Lande herumschwadroniert, mehr Mädels betrügt, als ein anderer kennt, und öfter Händel anfängt, als ein Trunkenbold sein Wasser abschlägt!
Du hättest den Buben sehn sollen, wie er so heranwuchs; er war zum Fressen. Kein Tag verging, daß er uns nicht durch die lebhaftesten Streiche zu lachen machte; und wir alten Narren lachten über das, was künftig unser größter Verdruß werden sollte. Der Vater wurd nicht satt, von seinen Streichen, seinen kindischen Heldentaten erzählen zu hören. Immer hatt er's mit den Hunden zu tun; keine Scheibe der Nachbarn, keine Taube war vor ihm sicher; er kletterte wie eine Katze auf Bäumen und in der Scheuer herum. Einmal stürzt' er herab; er war acht Jahr alt; ich vergesse das nie; er fiel sich ein großes Loch in Kopf, ging ganz gelassen zum Entenpfuhl in Hof, wusch sich's aus und kam mit der Hand vor der Stirn herein und sagte mit so ganz lachendem Gesicht: »Papa! – Papa! – ich hab ein Loch in Kopf gefallen!« Eben als wollt er uns ein Glück notifizieren, das ihm zugestoßen wäre.
So ging's freilich fort; je älter er ward, je toller. Statt nun das Zeug zu lassen, statt sich zu fügen, statt seine Kräfte zu Ehren der Familie und seinem Nutz zu verwenden, trieb er einen unsinnigen Streich nach dem ändern; belog und betrog alle Mädchen und ging endlich gar auf und davon; begab sich, wie wir Nachricht haben, unter die schlechteste Gesellschaft, wo ich nicht begreife, wie er's aushält; denn er hatte immer einen Grund von Edelmut und Großheit im Herzen.
Nicht eben das! Umsonst soll er uns nicht genarrt haben. Krieg ich ihn nur einmal beim Kragen, ich [77] will schon in einem Kloster oder irgendeiner Festung ein Plätzchen für ihn finden, und Pedro soll mir die Rechte des Erstgebornen genießen. Der König hat schon seine Gesinnung hierüber blicken lassen. Wenn's wahr ist, daß mein Mann sich in der Gegend aufhält, so müßt es arg zugehn, wenn ich ihn nicht, zu Ehren des Fests, heute noch packe. Wir können's vor Gott und der Welt nicht verantworten; der alte Vater würde sich im Grab umwenden!
Auch immer der alte Bastian! Verzeih mir, du weißt keinen Unterschied zu machen. Das Mädchen, die Sorge meiner Seele, der Zweck all dieser achtzehnjährigen Erziehung, das feinste, delikateste weibliche Geschöpf, das vor dem geringsten Gedanken – nicht Gedanken, vor der geringsten Ahndung eines Gefühls erzittert, das ihrer unwürdig wäre.
Da kommt sie eben die Allee herauf. Sie hat sich von der Menge losgewunden, sie ist allein; und sieh den Gang, sieh das Köpfchen, wie sie's hängt! Komm, komm ihr aus dem Wege; Sünde wär's, durch unsere kalte Gegenwart die angenehmen Träume zu verjagen, in deren Gesellschaft sie daherwandelt! Beide ab.
Alle Freuden, alle Gaben,
Die mir heut gehuldigt haben,
Sind nicht dieser Blumen wert.
[78] Ehr und Lieb von allen Seiten,
Kleider, Schmuck und Kostbarkeiten,
Alles, was mein Herz begehrt!
Aber alle diese Gaben
Sind nicht dieser Blumen wert.
Liebes Herz, ich wollte dich noch einmal so liebhaben, wenn du nur nicht immer so pochtest. Sei ruhig, ich bitte dich, sei ruhig! Pedro von ferne. Pedro? Auch der? Ach, da soll ich nun gar verbergen, daß ich empfinde!
Wohl! wohl! als wie im Himmel in dieser englischen Gesellschaft! Ach! daß Sie meine armen Blumen so ehren, ihnen einen Platz an Ihrem Herzen gegönnt haben!
Weniger könnt ich nicht tun. Sie verwelken bis den Abend, und jedes Geschenk hat mir heut eine Herzensfreude gemacht.
Die Pferde sind gesattelt. Sebastian will mich mit aller Gewalt bei sich haben; er glaubt, mein Bruder sei in der Nähe, und denkt ihn noch heute zu fangen.
Und wenn Sie ihn erwischen, ihn wieder durch Liebe und Beispiel dem rechten Weg zuführen, wenn Sie ihn seiner Familie zurückbringen, Pedro, wie werden Sie empfangen werden, mit welchen Freuden!
[79]Nichts davon, um Gottes willen! Ich kenne mich selbst nicht; ich weiß nicht, wo ich bin; ich sehe kaum, wohin ich trete. Zurück nach Hause! zurück! Von Ihnen weg, mein Fräulein!
Der König, der Sie liebt, der so ein trefflicher Herr sein soll; der Hof, der Sie mit aller Herrlichkeit erwartet –
Ist das ein Leben? Und doch, sonst war mir's nicht ganz zuwider. Wenn ich meine Tage den Geschäften des Vaterlands gewidmet hatte, könnt ich wohl meine Abende und Nächte in dem Schwärme zubringen, der um die Majestät wie Mücken ums Licht summt. Jetzt würde mir das eine Hölle sein! Ich weiß nicht, wo meine Arbeitsamkeit, meine Geschäftigkeit hin ist. Es ekelt mir, einen Brief zu schreiben, der ich sonst allein zwei, drei Sekretäre beschäftigen konnte. Ich gehe aus und ein, träumend und wähnend; aber selig, selig ist mein Herz!
Ja, Pedro; je näher wir der Natur sind, je näher fühlen wir uns der Gottheit, und unser Herz fließt unaussprechlich in Freuden über.
Ach, diesen Morgen, als ich die Blümchen brach am Bach herauf, der hinter dem Wald herfließt, und die Morgennebel um mich dufteten, und die Spitze des Bergs drüben mir den Aufgang der Sonne verkündigte, und ich ihr entgegenrief: das ist der Tag! – das ist ihr Tag! – Claudine! – Ich bin ein Tor, daß ich auszusprechen wage, was ich empfinde!
Ach ja, Pedro, ich wüßte nichts für mein Herz, so volle, warme Fülle, als die Herrlichkeit der Natur um uns her.
O wer dafür keine Seele hätte, zu fühlen, wie um diese himmlische Güte, um diesen heiligen Reiz alles, alles schöner, herrlicher wird; wer nicht in dieser Gegend lieber sein Leben in einer stillen Hütte verbärge, um nur Zeuge sein zu dürfen! –
So ganz ungleich Ihrem Bruder, den ich doch [80] auch kennen möchte! Es muß ein wunderlicher Mensch sein, der allen Stand, Güter, Freund verläßt und in tollen Streichen, schwärmender Abwechselung seine schönsten Tage verdirbt.
Der Unglückliche! Ich erschröcke über seine Verhärtung. Nicht zu fühlen, daß das unstete, flüchtige Leben ein Fluch ist, der auf dem Verbrecher ruht, verbannt er sich selbst aus der menschlichen Gesellschaft. Es ist unglaublich! Und dann – mit Zittern sag ich's – wie manche Träne von ihm verführter, verlassener Mädchen hab ich fließen sehn! Oh, das war's, was uns am meisten aufbrachte, seiner Freiheit nachzustellen. Ich hätte mit den armen Geschöpfen vergehen mögen! Wie wird ihm sein, wenn er, von seiner Verblendung dereinst geheilt, mit Zittern sehn muß, daß er das Innerste Heiligtum der Menschheit entweihte, da er Liebe und Treue so schändlich mit Füßen trat?
Habt ihr meinen Vater nicht gesehn? Ach, ich muß zu ihm; seit unserer Feierlichkeit hab ich ihn nicht [82] allein gesprochen. Auch euch dank ich, lieben Kinder, daß ihr den Tag habt wollen verherrlichen helfen, an dem das Geschöpf zur Welt kam, das – ihr kennt mich ja? Leben Sie wohl, Pedro!
Ich möchte bersten vor Bosheit! »Bleiben Sie! Bleiben Sie!« Ich glaub, sie tat's, uns zu spotten. Sie ist übermütig, daß ihr der Mensch nachläuft wie ein Hündchen. »Bleiben Sie! Bleiben Sie!« Ich komm schier aus der Fassung. Und er! macht er nicht ein Hängmaul wie ein Schulknabe? Der Affe!
Sie meint, weil sie ein rund Köpfchen hat, ein Stumpfnäschen, und über ein Gräschen und Gänsblümchen gleich weinen kann, so war was mit ihr.
Unsereins ist auch keine Katz, und den Pedro möcht ich nit einmal. Es ist ein langweiliger, träumiger Mensch. Übel ist er nicht gemacht.
Und war auch artig, eh ihn die Närrin verwirrt hat. Denn meintwegen eigentlich hat er hier ins Haus Bekanntschaft gesucht und dem Don Sebastian in den Ohren gelegen, ihn hereinzubringen. Seit ich ihn drüben beim Gouverneur auf Salanka kennenlernte, da war er galant, freundlich, artig. Ich weiß wohl noch, wie mich Sebastian vexierte. Jetzt ist er unerträglich.
Ich dächte, du weißt, daß du dich auf mich verlassen [83] kannst; und wahrhaftig, ich weiß auch, du hilfst mir Rache an Pedro nehmen und an seiner zärtlichen Dulzinee.
Hör nur, in der Nachbarschaft hält sich ein Kavalier auf. Siehst du, ich sage nichts; aber es ist der Ausbund vom ganzen Geschlecht. Reich muß er sein und vornehm; das sieht man ihm an. Und ein Bürschchen wie ein Hirschchen!
Er verbirgt seinen Stand und Namen. Sie heißen ihn Don Crugantino. Heiß er, wie er will, es gibt nicht seinesgleichen.
Noch eins, Camille! Du weißt, wenn Don Pedro des Abends fort muß, wie sie da einander mit langen Atemzügen und Blicken eine gute Nacht geben, als sollten sie auf ewig getrennt werden, und wie's bei Tisch so still hergeht, und wie bald abgössen ist, und wie mein Claudinchen, sobald der Vater im Lehnsessel zu nicken anfängt, weg und in Garten schleicht und dem Mond was vorsingt. Camille, ich wollt schwören, es ist nicht der Mond! Wenn nicht hinter der Sach was stickt.
Närrchen! dahinten die Terrasse mit dem eisernen Gatter kennst du. Das müßt ein schlechter Liebhaber sein, der nicht da herüber wollte wie ein Steinwurf, um seiner Scharmanten die Tränen abzutrocknen, die ihr der keusche Mond abgelockt hat.
Und ich stell mich auch immer so schläfrig, um sie sicher zu machen. Nun aber muß es heraus. Pedro reit' schon jetzt weg; dahinter stickt was. Das Nachtessen ist so früh bestellt! Ganz gewiß!
[84]Das ist nichts. Sah auch unfreundlich aus. Nein, dem Alten wollen wir's erzählen, der wird rasend; wie er auf seine Tochter und Ehre hält. Der soll sich hintenhin schleichen.
Servitor! Wenn ich mich wollte brauchen lassen, ging' in honette Gesellschaft und gab mich mit Lumpen nicht ab, wie ihr seid.
Wett, ich rat's! Zur Camilla, die aufm letzten Jahrmark ihm mit ihren schwarzen Augen stracks durch die Leber geschossen hat.
Der Pfarrer hat heut ein Hirschkalb geschenkt kriegt; das hängt bunten in der Küchenkammer. Das wird ihm weggeputzt.
Und die Hörner ihm auf den Perückenstock genagelt. Sein Perückenstock mit der Festperücke steht in der Ecke; verlaßt euch auf mich! – Ich hätte sie neulich bald übern Haufen geworfen, als mich die Köchin in dem Kämmerchen konsultierte.
Für das übrige laßt mich sorgen! Auf [86] der Perücke muß das herrlich stehn, und ein Zettelchen dran: – der neue Moses! –
Bös über dich? Bild dir's nit ein! Basko ist kein Kerl, das nachzutragen. Er hätt dir ins Gesicht geschmissen und ein Schrämmchen über die Nase gehauen, und da wär's gut gewest.
Lernst du noch Lebensart, alter Bock! Gelt, du spürst in allen Gliedern, daß dich ehstens der Teufel holen wird, und da wirst du kirre?
Die ich doch am Ende wieder bezahlen muß – O Basko, das Leben wird mir unter den Kerls unerträglich! Eine Langeweile, ein ewig Einerlei. Wenn unsere Streiche nicht wären! – Was bringst du, Basko? Was bringst du von Villa Bella?
[87]Camillchen, das liebe Camillchen hat mir Winke gegeben, hat mir zugeflüstert: »Dem edlen Crugantino meinen Gruß!«
Ich, der ich sonst herumschwärme den ganzen Tag und plane wie ein Raubvogel, muß heut den ganzen Nachmittag hier auf der Bärenhaut liegen.
Und drüben, ich hätte mir die Augen ausschlagen mögen, drüben in Villa Bella – Ich hab in Gonzalos Hofe bei Claudinen gestanden, von hier an den Tisch, und wer's eh gewußt hätte –
Heut ist Claudinens Geburtstag. Ihr Vater, der sie wie ein Narr liebt, hat ein Fest angestellt. Sie haben einen Umgang gehalten, sie im Triumph getragen –
Ich kam zu spät. Aber im Hof unter den großen Linden waren fürs ganze Dorf Tische gedeckt. Alt und Junge, alles geputzt! Und heisa oben aus! Fässer mit Bier, ungeheure Töpfe mit Brei und ein Gesumm und Gedräng! Da kam ich eben auch hinein.
Geduld! Geduld! Eins hab ich erfahren. Sie pflegt alle Nacht, besonders bei so schönem Mondenscheine, allein im Garten zu spazieren. Du kennst die Kastanienbäume, die davorstehen auf dem Wege nach Salanka?
Lehr mich das! Die Terrasse geht da heraus und die eiserne Türe. Oh, ich will hin, gleich hin, und dort sein, eh der Mond noch aufgeht. Komm, Basko!
Noch eins! Nimm dich doch in acht. Serpillo, der Häscher, der mein Herzensfreund ist, hat mir vertraut: man frage nach dir, erkundige sich nach dir.
Ist mir nit bang. Und nach Villa Bella muß ich. Komm, wir wollen unsern Operationsplan so einrichten: ich' steck mich in die Allee; hör ich sie, bin ich gleich am Garten, überm Gitter, im Garten. Und du, klettre auf einen Kastanienbaum. Wenn jemand kommt, so mach deine Nachtigall.
Und vergiß die Maske nicht. Und wie ich dir sage, schlag und zwitsere und kümmere dich um nichts, bis ich dich rufe. Ich zieh mich schon heraus. Zwei verderben immer so einen Handel. Komm! Ich halt dich doch von nichts ab die Nacht, Basko?
Das Gitter will nichts bedeuten. Sie hat mich so lange angehört. O wenn ich sie hasche! Er fängt an aufzusteigen; wie er bald droben ist, schlägt die Nachtigall. Nachtigall und der Teufel!Er springt herab. Ich höre wahrlich jemand! Gingst du feurig! Die Terrasse herunter und hinter die Bäume. Die Nachtigall schlägt zuweilen.
Mein Herz zieht mich unwiderstehlich hierher. Da droben wandelt sie oft in stillem Gefühl ihrer selbst. Himmlischer Ort! Alles schwebt um dich voll Liebegefühl! Die Nachtigallen singen noch, als war hier ein ewiger Frühling. Oh, rings umher in allen Gebüschen hat sie der Sommer schon schweigen gemacht. Liebe Nachtigall! Freundin meines Herzens!
Noch so spät, ihr Nachtigallen!
Laßt ihr Liebesklagen schallen,
Zärtlich noch wie meine Brust?
Auch ich bin in Liebestagen,
Seufze, klage; doch mein Klagen
Ist die wärmste Herzenslust!
Wollt Ihr mein Leben? Wollt Ihr meinen Beutel? Redt! Den Beutel könnt Ihr haben; mein Leben sollt Ihr noch teuer bezahlen.
Pedro! Claudinens Pedro! Bring ihn hinüber nach Sarossa! in unser Wirtshaus, Basko! leg ihn auf mein Bett, Basko!
Nun, und was soll's? Der Teufel hol die Pratzen! Armer Pedro! Aber ich weiß, Degen! du sollst mir stecken bleiben! Ich will dich zu Haus lassen, ich will dich ins Wasser werfen! – Mußt er denn auch just: »Wer da!« rufen, und »Wer da!« mit einem so gebietenden Ton? Ich kann den gebietenden Ton nicht leiden – Und darüber alles zugrunde, die schönste, herrlichste Gelegenheit! Wärst du nur vorhin übers Gitter und hättst den Amoroso mit der Nachtigall duettieren lassen. Daß einen die Resolution just da verläßt, wo man sie am meisten braucht! Vielleicht – Nach der Treppe zugehend. Ein dummes Vielleicht! Sie ist lang nach dem Haus zurück und liegt im Bett bis über die Ohren. Horch!
Wo sie sein mag! Bleib einer bei mir. Und ihr, durchsucht den Garten, ihr! Gebt acht, am End ist's Lug und Trug von Schandmäulern.
[92]Haben wir den Vogel? Wart, Pedro, wart! Er schließt das Gitter auf und kommt auf die Treppe. Wer ist da unten? Wer, holla, wer?
Hol der Teufel den guten Freund, der einem des Nachts ums Haus herumschleicht, den Leuten zu Nachreden Gelegenheit gibt und alle Lieb und Freundschaft so belohnt.
Das ist zuviel. Die Maske wegwerfend. Seid Ihr Herr von Villa Bella oder nicht; Euer Betragen ist unanständig.
Genug, mein Herr, genug! Ich kann zufrieden sein, daß ein Mann von Ihrem Alter, Ihrer bekannten Tapferkeit, Stand und Würde, die Spitze seines Degens gegen mich gekehrt hat. Dadurch würden größere Beleidigungen vergütet werden.
Niemanden. Ich ging hier auf und ab, wie ich denn die Einsamkeit liebe, und hing meinen stillen Betrachtungen nach, als Sie mich zu unterbrechen beliebten.
Nichts mehr davon. Ich danke dem Zufall und meiner Hitze, daß sie mir die Bekanntschaft eines so wackern Mannes verschafft haben. Sie halten sich auf, wenn man fragen darf?
Das ist meine Tochter. Crugantino bückt sich ehrfurchtsvoll. Das meine Nichten. Liebe Nichten, ein Glas Wein, einen Bissen Brot! Ich muß einen Bissen Brot haben, sonst schmeckt mir der Wein nicht. Sibylle und Camille ab. Letztere gibt Crugantino verstohlene Blicke, die er erwidert. Claudinchen, du warst bald aus dem Garten?
Noch ein bißchen; wach noch ein bißchen! Ich sagt's gleich, die Leute sind Lügenmäuler, Schandzungen.
Seine Stimme, seine Zither! Sollt er es gewesen sein? Pedro war es nicht, mein Herz sagte mir' s; er war's nicht!
Sollten Sie verkennen, daß eben der glückliche Sterbliche neben Ihnen, Götter! neben Ihnen steht, der vor wenigen Augenblicken –
Nun gebt uns einmal was zur Zither! Ein Bursche, der eine Zither und Stimme hat, schlägt sich überall durch.
Kannst du mir's sagen! – das ist was auf deinen Zustand, Claudinchen. Ja, ein Lied war immer ihre Sache. Und sie fühlt darin wie ich; je freier, je wahrer, je treuer so ein Stückchen vom Herzen geht, desto werter ist mir's. – Setzt Euch, mein Herr! – setzt Euch – Noch eins! – Ich sage immer: Zu meiner Zeit war's noch anders; da ging's dem Bauern wohl, und da hatt er immer ein Liedchen, das von der Leber wegging und einem 's Herz ergötzte; und der Herr schämte sich nicht und sang's auch, wenn's ihm gefiel. Das natürlichste, das beste!
Und wo ist die Natur als bei meinem Bauer? Der ißt, trinkt, arbeitet, schläft und liebt so simpel weg; und kümmert sich den Henker drum, in was für Firlfanzereien man all das in den Städten und am Hof vermaskeriert hat.
Und die Lieder? Da waren die alten Lieder, die Liebeslieder, die Mordgeschichten, die Gespenstergeschichten, jedes nach seiner eigenen Weise, und immer so herzlich, besonders die Gespensterlieder. Da erinnere ich mich einiger; aber heutzutage lacht man einen mit aus.
Nicht so sehr, als Sie denken. Der allerneuste Ton ist's wieder, solche Lieder zu singen und zu machen.
Alle Balladen, Romanzen, Bänkelgesänge werden jetzt eifrig aufgesucht, aus allen Sprachen übersetzt. [97] Unsere schönen Geister beeifern sich darin um die Wette.
Das ist doch einmal ein gescheuter Einfall von ihnen; etwas Unglaubliches, daß sie wieder zur Natur kehren; denn sonst pflegen sie immer das Gekämmte zu frisieren, das Frisierte zu kräuseln und das Gekräuselte am Ende zu verwirren, und bilden sich Wunderstreiche drauf ein.
Nur noch eins, ich bitt Euch. Ich bin sehr gestimmt; wir alle sind gestimmt, denk ich; es ist uns wohlgegangen, und unsere Geister sind in Bewegung.
Wer kommt? O Teufel! wer kommt? Einen zu stören in der schaurigen schönen Empfindung! Lieber eine Ohrfeige. Sebastian?
So? Sich herumwendend, ergötzt vor sich. Hab ich dich, Vogel? Hab ich dich? Nun, Pedro, sei, wo du willst, den muß ich erst in Sicherheit bringen. Laut. Adieu!
Der uns wieder einmal nach langer Abwesenheit besucht. Ein bißchen geradezu, aber brav. Nun weiter unser Liedchen, weiter. Mich dünkt, ich seh ihn, wie ihn der böse Geist vom Herrn ängstiget, den Meineidigen, wie er zu Pferde in die Welt hinein haust und wütet.
Bleibt mir vom Leibe! Ich möchte nicht gern einem was zuleide tun. Sebastian auf ihn losgehend. Damit ihr seht, daß sie geladen sind! Er schießt eine nach der Decke, Sebastian weicht. Crugantino zieht den Degen, in der andern Hand die Terzerole. Die für den, der mir nachfolgt! Er springt über den Stuhl weg und schwadroniert sich durch die Kerls durch, hinaus.
Tot! tot! Hast du's gehört? Sie haben ihn erschossen. Springt auf. Erschossen. Mein Vater! Weinend. Und Sie haben's gelitten! Wo haben sie ihn hin? Wo sind sie hin? Wo bin ich? Pedro! Sie fällt wieder in den Sessel.
Mein Kind! Mein Kind! Zu Camillen und Sibyllen. Steht ihr da! Guckt ihr zu! Hier, Sibylle, hier meine Schlüssel, hol meinen Balsam droben. Camille, geschwind in Keller, vom, stärksten Wein! Claudine! mein Kind!
Er hat sich durchgeschlagen, wütend wie der Teufel! Du sollst uns nicht müde machen. Gonzalo, ich bitte dich.
Es ist der Schröck. Sie erholt sich wie der. Willst du mir deine Bedienten erlauben, deine Pferde? Ich will ihm nach.
Er geht. Und sagt mir nicht: ist er tot, lebt er? Ach, meine Knie, meine armen Knie! Mein Herz wird brechen.
Ach, daß man nicht von Sinnen kommt über den Lärm und das Gewirre. Heiliger Gott! Da kommt Bastians Diener gesprengt, fragt nach seinem Herrn, und da er ihn nicht antrifft, hinterläßt er: Pedro sei gefährlich verwundet, in Sarossa im Wirtshaus, und fort! Und gleich drauf Sebastian mit Wache, unsern Gast zu fangen, der sich durchschießt und -schlägt. Und Nichtchen in Ohnmacht. Mir wird's blau vor den Augen. Setzt sich. Mir wird's weh.
Du machst dir's zu fürchterlich vor. Ein Stich in den Arm, ein Ritzchen, liebes Kind, einem Manne was ist das? Sei ruhig! Ich will einen nach Sarossa sprengen.
Laßt mich noch einen Augenblick, bis sich das Blut gesetzt hat. Ich könnte jetzt nicht schlafen. Aber die Augen fallen Euch zu! Sorgt für Eure Gesundheit.
Nun denn! Nichten, ihr wacht mir aber bei ihr. Ich bitt euch, verlaßt sie nicht. Morgen mit dem frühsten sollst du Nachricht von Pedro haben. Weckt mich, Nichten, gegen Morgen. Gute Nacht. Lieb Mädchen, leg dich bald. Leucht mir, Camille. Gute Nacht. Mit Camille ab.
Der Kopf möchte mir zerspringen. Die Knie sind mir wie geradbrecht. Auf solch einen Tag solch eine Nacht!
Laßt; der soll nichts erfahren. Geht hinauf, legt euch wenigstens auf die Betten. Nur in Kleidern, es ist doch immer Ruh. Ihr seid alle wach, eh mein Vater, und dann – Laßt mich nur!
Gute Nacht. Sibylle und Camille ab. Bin ich euch los? Darf ich dem Tumult meines Herzens Freiheit lassen? Pedro! Pedro! wie fühl ich in diesen Augenblicken, daß ich dich liebe! Ha, wie das all drängt und tobt, die verborgne, mir selbst bisher verborgne Leidenschaft! – – Wo bist du? – und was bist du mir? – Tot, Pedro! – Nein! verwundet! – Ohne Hülfe! – Verwundet? – Zu dir – zu dir! – Mein Schimmel, der du mich so treu auf die Falkenjagd trugst, was wärst du mir jetzt! Mein Kopf! Mein Herz! – Es ist nicht kühn, es ist nichts. – Auf dem Tisch die Gartenschlüssel findend. Und diese Schlüssel? Eine Gottheit sandte mir sie! – Durchs kleine Pförtchen in Garten, hinten die Terrasse hinunter; und in einer halben Stunde bin ich in Sarossa! – Die Herberge? – Ich werde sie finden! – Und diese Kleider? Die Nacht? – Hab ich nicht meines Vettern Garderobe noch da? Paßt mir nicht sein blaues Wams wie angegossen? – Ha, und seinen Degen! – Die Liebe geleitet mich; da sind keine Gefahren! – Und auf dem Wege? – Nein, ich wag's nicht! So allein! Und wenn deine Nichten erwachen und dein Vater? – – Und du, Pedro, liegst in deinem Blute! Dein letzter Atemzug ruft noch Claudinen! – Ich komme, ich komme! – Fühle, wie meine Seele zu dir hinüberreicht! – An deinem Bette liegen, um dich weinen, wehklagen möcht ich, Pedro! – Nur daß ich dich sehe, deine Hand fühle, daß dein Puls noch schlägt; daß ein schwacher Druck mir sage, er lebt noch, er liebt dich noch! – Ist niemand, der ihn verbinde, der das Blut stille? –
So hatte Basko recht? Man stellt mir nach? Wo er nur stickt? Sie sind an mir vorbeigesprengt und -gelaufen. Hai ich kenn die Büsche besser als ihr, und ihr habt keine sonderlichen Spürhunde; und die besten beißen uns nicht. Klopft an die Türe der Herberge.
Ja, gnädiger Herr, mit einem Blessierten; der liegt in Ihrer Stube. Hernach ist er gleich fort und hat mir befohlen zu wachen, wenn etwa der Fremde schellte. Und Ihnen soll ich sagen, er sei nach Mirmolo. Ich kenn zwar so keinen Ort; ich glaubte, er spaßte.
Gut! Geh hinein und halt dich munter. Junge ab. Mirmolo! Unsre Losung für Villa Bella! Nach Villa Bella, Basko! Ich versteh! – Sebastian! Wer ist der Sebastian? Was hat er gegen mich? Das wird sich all entwickeln; das wird all zu verbeißen sein; hättst du nur deine Zither nicht im Stich gelassen! Das ist ein schurkischer [106] Streich, darüber du Ohrfeigen verdient hättest von einem Hundsfutt! Deine Zither! Ich möchte rasend wer den. Was sollte man von dem Kerl sagen, der in ein Gedränge kam mit seinem Freund, und sich durchschlug und seinen Freund im Stich ließ? Pfui! über den Kerl! Pfui! Und deine Zither, mehr wert als zehn Freunde; deine Gesellin, Gespielin, Buhlerin; die noch all deine Liebsten ausgehalten hat! Wie wär's, ich kehrte zurück? denn die Spürhunde sind fort! Wohl! kein Mensch vermutet mich dort! Wohl! ich weiß die Schliche! Das war ein Streich! In der Verwirrung, in der das Haus ist – Ach, und die arme Claudine! Dies Abenteuer sieht windig aus. Doch, allons! erst die Zither befreit, und das übrige gibt sich!
Da bin ich! Götter, das ist Sarossa! Und nun die Herberge! Mir zittern meine Knie; ich kann nicht mehr. Auf eine Hausbank sich setzend, der Herberge gegenüber.
Eine Erscheinung! Was will der geputzte Bube die Nacht hier? Abenteuer über Abenteuer! Wollen's doch besehn.
Ich hatte eine kleine Rencontre, ward in dem Arm verwundt und hierher gebracht. Gegen Tag ging's; ich lag in der Herberge auf einem Bette und schlummerte; da hört ich Claudinens Stimme, hörte sie um Hülfe rufen; sprang herunter und fände sie mit einem Wagehals ringen; ich wollte sie befreien und ward mit ihr eingesperrt.
[112]Dich sucht ich nicht; ich suchte deinen Bruder, den ich die ganze Nacht verfolgte; und nun hör ich, er sei hier eingesperrt.
Wir wollten ihm verzeihen. Ach, Pedro; wenn nicht – wenn ich was anders fühlen könnte als meinen Schmerz! –
So? Unterdessen ist mir's immer viel Ehre, Señor Crugantino hier zu sehn. Darf man fragen, ist das der einzige Name, den Sie führen?
Ich bin ein Gefangener; also laßt Euer Point d'honneur stecken. Zu Pedro. Mit Euch, Herr, bin ich übler dran. Erst verwundt ich Euch um nichts und wieder nichts, dann bin ich an Eurer Haft schuld. Vergebt mir!
Gern, gern! Und für mich warum nicht tausendmal, da dieser Engel dir vergibt, den du geängstet? Ich will dir's vergeben: denn büßen könntst du's nie.
Vergrößert meine Schuld nicht; ich will sie tragen, wie sie ist. Aber gesteht mir: ein Mensch, der halbwege Abenteuer zu bestehen weiß, soll der eine Schöne, eine gewünschte, geliebte Schöne, die sich allein nachts dem Schutze des Himmels anvertraut, um so wohlfeilen Preis aus seinen Händen lassen?
Und glaubt Ihr dann, das putzte man alles so ab, wie ein Bauer die Nase am Ärmel? Ihr müßt ein Gewissen haben.
Stünd's bei mir, ich machte auch den Medikus und ließ Euch ein bißchen zur Ader; nur aus Kuriosität, das edle Blut zu sehn.
Edles Blut, Herr? Edles Blut? Eure Habichtsnase [114] sieht freilich in eine alte Familie; aber mein Blut darf sich gegen dem Eurigen nicht schämen. Edles Blut?
Kennst du Sebastian von Rovero nicht? Bist du nicht der Alonzo mehr, der auf meinen Knien saß; der die Hoffnung seines Vaters, seines Hauses war? Kennst du mich nicht mehr?
Nichts vom Vergangenen, Elender! was vor dir steht! Hast du nicht diesen Edlen verwundet; seine Liebste, seine Braut aus den Armen ihres Vaters gesprengt, der ihr diesen Schritt nie verzeihen wird? Und nun bringst du sie als Mitgenossen deiner Bosheit in diesen Kerker! Ihn, den Besten, Freisten, Gütigsten! – Deinen Bruder!
Laßt mich, ich bitt euch, laßt mich! Ich hab ein Herz, das empfindet; und was euch bestürmt, greift mich auch an. – Mein Bruder! der unerträglichste Gedanke! Weg! Ich will nur fühlen, daß ich dich habe, daß du mein Bruder bist. Hier, Pedro? mein Bruder hier?
Auch um deinetwillen! Als wir endlich dir ohngefähr auf die Spur gekommen, und er hörte, daß ich Anstalten machte, dich zu kapern, verließ er Madrid.
Ihr seid ausgezogen, mich zu fangen? Nun, was hättet ihr an mit? Was habt ihr an mir? Wollt ihr mich in Turm sperren, um der Welt den unbedeutenden Ärger und meiner Familie die eingebildete Schande zu sparen? Nehmt mich! – Und was habt ihr getan? und seid ihr mir nichts schuldig?
Mit Eurer Erlaubnis, mein Herr! davon versteht Ihr nichts! Was heißt das: aufführen? Wißt Ihr die Bedürfnisse eines jungen Herzens, wie meins ist? Ein junger toller Kopf? Wo habt Ihr einen Schauplatz des Lebens für mich? Eure bürgerliche Gesellschaft ist mir unerträglich! Will ich arbeiten, muß ich Knecht sein; will ich mich lustig machen, muß ich Knecht sein. Muß nicht einer, der halbweg was wert ist, lieber in die weite Welt gehn? Verzeiht! Ich höre nicht gern anderer Leute Meinung; verzeiht, daß ich Euch die meinige sage. Dafür will ich Euch auch zugeben, daß, wer sich einmal ins Vagieren einläßt, dann kein Ziel mehr hat und keine Grenzen; denn unser Herz – ach! das ist unendlich, solang ihm Kräfte zureichen!
Ich bin's willig; nur überlaßt mich mir selbst. – Wenn ich je euch zur Freude leben kann, so müßt ihr mir das schuldig sein.
In diesen edlen, zärtlichen Empfindungen find ich das Ungeheuer nicht mehr, das Claudinens Blut zu vergießen drohte.
Claudinens Blut zu vergießen? Du hättest mir den Degen durch den Leib rennen können, [116] ohne daß ich mich unterstanden hätte, dem Engel ein Haar zu krümmen.
Und habt ihr nicht gehört, daß alle brave Leute in ihrer Jugend gute Jungens waren, auch wohl etwas mehr sogar?
Nun, allons, auf! daß wir aus dem Rauchloch kommen. Claudine, Mädchen, wo bist du? Armes Kind, was für Freud und Schmerz hast du ausgestanden! Du sollst dich erholen, sollst Ruhe haben, sollst – alles haben; komm! Wir kriegen hier wohl einen Tragsessel; und so auf Villa Bella!
Nimmer, nimmermehr! In ein Kloster, Bastian! oder ich sterbe hier. Meinem Vater unter die Augen treten? Das Licht der Sonne sehn? Sie will aufstehn und fällt zurück.
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