Siebenter Auftritt
Peter. Albert. Die Vorigen.
BREME.
Willkommen! – Ist Jakob nicht bei euch?
PETER.
Wir haben uns bei den drei Linden bestellt; aber er blieb uns zu lang' aus, nun sind wir allein da.
ALBERT.
Was habt Ihr uns Neues zu sagen, Meister Breme? Ist was von Wetzlar gekommen, geht der Prozeß vorwärts?
BREME.
Eben weil nichts gekommen ist, und weil, wenn was gekommen wäre, es auch nicht viel heißen würde, so wollt' ich euch eben einmal meine Gedanken sagen: denn ihr wißt wohl, ich nehme mich der Sachen aller, aber nicht [178] öffentlich an, bis jetzt nicht öffentlich; denn ich darf's mit der gnädigen Herrschaft nicht ganz verderben.
PETER.
Ja, wir verdürben's auch nicht gern mit ihr, wenn sie's nur halbweg leidlich machte.
BREME.
Ich wollte euch sagen – wenn nur Jakob da wäre, daß wir alle zusammen wären, und daß ich nichts wiederholen müßte und wir einig würden.
ALBERT.
Jakob? Es ist fast besser, daß er nicht dabei ist. Ich traue ihm nicht recht; er hat das Freigütchen, und wenn er auch wegen der Zinsen mit uns gleiches Interesse hat, so geht ihn doch die Straße nichts an, und er hat sich im ganzen Prozeß gar zu lässig bewiesen.
BREME.
Nun so laßt's gut sein. Setzt euch und hört mich an. Sie setzen sich.
MARTIN.
Ich bin recht neugierig, zu hören.
BREME.
Ihr wißt, daß die Gemeinden schon vierzig Jahre lang mit der Herrschaft einen Prozeß führen, der auf langen Umwegen endlich nach Wetzlar gelangt ist und von dort den Weg nicht zurück finden kann. Der Gutsherr verlangt Fronen und andere Dienste, die ihr verweigert, und mit Recht verweigert: denn es ist ein Rezeß geschlossen worden mit dem Großvater unsers jungen Grafen – Gott erhalt' ihn! –, der sich diese Nacht eine erschreckliche Brausche gefallen hat.
MARTIN.
Eine Brausche?
PETER.
Gerade diese Nacht!
ALBERT.
Wie ist das zugegangen?
MARTIN.
Das arme liebe Kind!
BREME.
Das will ich euch nachher erzählen. Nun hört mich weiter an. Nach diesem geschlossenen Rezeß überließen die Gemeinden an die Herrschaft ein paar Fleckchen Holz, einige Wiesen, einige Triften und sonst noch Kleinigkeiten, die euch von keiner Bedeutung waren und der Herrschaft viel nutzten; denn man sieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber auch ein guter Herr. Leben und leben lassen, war sein Spruch. Er erließ den Gemeinden dagegen einige zu entbehrende Fronen und –
ALBERT.
Und das sind die, die wir noch immer leisten müssen.
[179]BREME.
Und machte ihnen einige Konvenienzen –
MARTIN.
Die wir noch nicht genießen.
BREME.
Richtig, weil der Graf starb, die Herrschaft sich in Besitz dessen setzte, was ihr zugestanden war, der Krieg einfiel und die Untertanen noch mehr tun mußten, als sie vorher getan hatten.
PETER.
Es ist akkurat so; so hab' ich's mehr als einmal aus des Advokaten Munde gehört.
BREME.
Und ich weiß es besser als der Advokat, denn ich sehe weiter. Der Sohn des Grafen, der verstorbene gnädige Herr, wurde eben um die Zeit volljährig. Das war, bei Gott! ein wilder böser Teufel, der wollte nichts herausgeben und mißhandelte euch ganz erbärmlich. Er war im Besitz, der Rezeß war fort und nirgends zu finden.
ALBERT.
Wäre nicht noch die Abschrift da, die unser verstorbener Pfarrer gemacht hat, wir wüßten kaum etwas davon.
BREME.
Diese Abschrift ist euer Glück und euer Unglück. Diese Abschrift gilt alles vor jedem billigen Menschen, vor Gericht gilt sie nichts. Hättet ihr diese Abschrift nicht, so wäret ihr ungewiß in dieser Sache. Hätte man diese Abschrift der Herrschaft nicht vorgelegt, so wüßte man nicht, wie ungerecht sie denkt.
MARTIN.
Da müßt Ihr auch wieder billig sein. Die Gräfin leugnet nicht, daß vieles für uns spricht; nur weigert sie sich, den Vergleich einzugehen, weil sie, in Vormundschaft ihres Sohnes, sich nicht getraut, so etwas abzuschließen.
ALBERT.
In Vormundschaft ihres Sohnes! Hat sie nicht den neuen Schloßflügel bauen lassen, den er vielleicht sein Lebtage nicht bewohnt, denn er ist nicht gern in dieser Gegend.
PETER.
Und besonders, da er nun eine Brausche gefallen hat.
ALBERT.
Hat sie nicht den großen Garten und die Wasserfälle anlegen lassen, worüber ein paar Mühlen haben müssen weggekauft werden? Das getraut sie sich alles in Vormundschaft zu tun, aber das Rechte, das Billige, das getraut sie sich nicht.
BREME.
Albert, du bist ein wackrer Mann; so hör' ich gern [180] reden, und ich gestehe wohl, wenn ich von unserer gnädigen Gräfin manches Gute genieße und deshalb mich für ihren untertänigen Diener bekenne, so möcht' ich doch auch darin meinem König nachahmen und euer Sachwalter sein.
PETER.
Das wäre recht schön. Macht nur, daß unser Prozeß bald aus wird.
BREME.
Das kann ich nicht, das müßt ihr.
PETER.
Wie wäre denn das anzugreifen?
BREME.
Ihr guten Leute wißt nicht, daß alles in der Welt vorwärts geht, daß heute möglich ist, was vor zehn Jahren nicht möglich war. Ihr wißt nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeführt wird.
MARTIN.
O ja, wir wissen, daß in Frankreich jetzt wunderliches Zeug geschieht.
PETER.
Wunderliches und abscheuliches!
ALBERT.
Wunderliches und gutes.
BREME.
So recht, Albert, man muß das Beste wählen! Da sag' ich nun: Was man in Güte nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen.
MARTIN.
Sollte das gerade das Beste sein?
ALBERT.
Ohne Zweifel.
PETER.
Ich dächte nicht.
BREME.
Ich muß euch sagen, Kinder: jetzt oder niemals!
ALBERT.
Da dürft Ihr uns in Wiesengruben nicht viel vorschwatzen; dazu sind wir fix und fertig. Unsere Leute wollten längst rebellern; ich habe nur immer abgewehrt weil mir Herr Breme immer sagte, es sei noch nicht Zeit, und das ist ein gescheiter Mann, auf den ich Vertrauen habe.
BREME.
Gratias, Gevatter, und ich sage euch: jetzt ist es Zeit.
ALBERT.
Ich glaub's auch.
PETER.
Nehmt mir's nicht übel, das kann ich nicht einsehen; denn wenn's gut aderlassen ist, gut purgieren, gut schröpfen, das steht im Kalender, und darnach weiß ich mich zu richten; aber wenn's just gut rebellern sei, das, glaub' ich, ist viel schwerer zu sagen.
BREME.
Das muß unsereiner verstehen.
[181]ALBERT.
Freilich versteht Ihr's.
PETER.
Aber sagt mir nur, woher's eigentlich kommt, daß Ihr's besser versteht als andere gescheite Leute?
BREME
gravitätisch.
Erstlich, mein Freund, weil schon vom Großvater an meine Familie die größten politischen Einsichten erwiesen. Hier dieses Bildnis zeigt euch meinen Großvater Hermann Breme von Bremenfeld, der, wegen großer und vorzüglicher Verdienste zum Burgemeister seiner Vaterstadt erhoben, ihr die größten und wichtigsten Dienste geleistet hat. Dort schwebt sein Andenken noch in Ehren und Segen, wenngleich boshafte, pasquillantische Schauspieldichter seine großen Talente und gewisse Eigenheiten, die er an sich haben mochte, nicht sehr glimpflich behandelten. Seine tiefe Einsicht in die ganze politische und militärische Lage von Europa wird ihm selbst von seinen Feinden nicht abgesprochen.
PETER.
Es war ein hübscher Mann, er sieht recht wohlgenährt aus.
BREME.
Freilich genoß er ruhigere Tage als sein Enkel.
MARTIN.
Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters?
BREME.
Leider, nein! Doch muß ich euch sagen: die Natur, indem sie meinen Vater Jost Breme von Bremenfeld hervorbrachte, hielt ihre Kräfte zusammen, um euren Freund mit solchen Gaben auszurüsten, durch die er euch nützlich zu werden wünscht. Doch behüte der Himmel, daß ich mich über meine Vorfahren erheben sollte; es wird uns jetzt viel leichter gemacht, und wir können mit geringern natürlichen Vorzügen eine große Rolle spielen.
MARTIN.
Nicht zu bescheiden, Gevatter!
BREME.
Es ist lautre Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zeitungen, der Monatsschriften, der fliegenden Blätter so viel, aus denen wir uns unterrichten, an denen wir unsern Verstand üben können! Hätte mein seliger Großvater nur den tausendsten Teil dieser Hilfsmittel gehabt, er wäre ein ganz anderer Mann geworden. Doch Kinder, was rede ich von mir! Die Zeit vergeht, und ich fürchte, der Tag bricht an. Der Hahn macht uns aufmerksam, daß wir uns kurz fassen sollen. Habt ihr Mut?
ALBERT.
An mir und den Meinigen soll's nicht fehlen.
[182]PETER.
Unter den Meinigen findet sich wohl einer, der sich an die Spitze stellt; ich verbitte mir den Auftrag.
MARTIN.
Seit den paar letzten Predigten, die der Magister hielt, weil der alte Pfarrer so krank liegt, ist das ganze große Dorf hier in Bewegung.
BREME.
Gut! so kann was werden. Ich habe ausgerechnet, daß wir über sechshundert Mann stellen können. Wollt ihr, so ist in der nächsten Nacht alles getan.
MARTIN.
In der nächsten Nacht?
BREME.
Es soll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr sollt wieder haben alles, was euch gebührt, und mehr dazu.
PETER.
So geschwind? wie wäre das möglich?
ALBERT.
Geschwind oder gar nicht.
BREME.
Die Gräfin kommt heute an, sie darf sich kaum besinnen. Rückt nur bei einbrechender Nacht vor das Schloß und fordert eure Rechte, fordert eine neue Ausfertigung des alten Reverses, macht euch noch einige kleine Bedingungen, die ich euch schon angeben will, laßt sie unterschreiben, laßt sie schwören, und so ist alles getan.
PETER.
Vor einer solchen Gewalttätigkeit zittern mir Arm und Beine.
ALBERT.
Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern.
MARTIN.
Wie leicht können sie uns aber ein Regiment Dragoner über den Hals ziehen. So arg dürfen wir's doch nicht machen. Das Militär, der Fürst, die Regierung würden uns schön zusammenarbeiten.
BREME.
Gerade umgekehrt. Das ist's eben, worauf ich fuße. Der Fürst ist unterrichtet, wie sehr das Volk bedrückt sei. Er hat sich über die Unbilligkeit des Adels, über die Langweiligkeit der Prozesse, über die Schikane der Gerichtshalter und Advokaten oft genug deutlich und stark erklärt, so daß man voraussetzen kann: er wird nicht zürnen, wenn man sich Recht verschafft, da er es selbst zu tun gehindert ist.
PETER.
Sollte das gewiß sein?
ALBERT.
Es wird im ganzen Lande davon gesprochen.
PETER.
Da wäre noch allenfalls was zu wagen.
BREME.
Wie ihr zu Werke gehen müßt, wie vor allen Dingen der abscheuliche Gerichtshalter beiseite muß, und auf wen [183] noch mehr genau zu sehen ist, das sollt ihr alles noch vor Abend erfahren. Bereitet eure Sachen vor, regt eure Leute an und seid mir um sechse beim Herrenbrunnen. Daß Jakob nicht kommt, macht ihn verdächtig; ja es ist besser, daß er nicht gekommen ist. Gebt auf ihn acht, daß er uns wenigstens nicht schade; an dem Vorteil, den wir uns erwerben, wird er schon teilnehmen wollen. Es wird Tag; lebt wohl und bedenkt nur, daß, was geschehen soll, schon geschehen ist. Die Gräfin kommt eben erst von Paris zurück, wo sie das alles gesehn und gehört hat, was wir mit so vieler Verwunderung lesen; vielleicht bringt sie schon selbst mildere Gesinnungen mit, wenn sie gelernt hat, was Menschen, die zu sehr gedrückt werden, endlich für ihre Rechte tun können und müssen.
MARTIN.
Lebt wohl, Gevatter, lebt wohl! Punkt sechse bin ich am Herrenbrunnen.
ALBERT.
Ihr seid ein tüchtiger Mann! Lebt wohl.
PETER.
Ich will Euch recht loben, wenn's gut abläuft.
MARTIN.
Wir wissen nicht, wie wir's Euch danken sollen.
BREME
mit Würde.
Ihr habt Gelegenheit genug, mich zu verbinden. Das kleine Kapital zum Exempel von zweihundert Talern, das ich der Kirche schuldig bin, erlaßt ihr mir ja wohl.
MARTIN.
Das soll uns nicht reuen.
ALBERT.
Unsere Gemeine ist wohlhabend und wird auch gern was für Euch tun.
BREME.
Das wird sich finden. Das schöne Fleck, das Gemeindegut war und das der Gerichtshalter zum Garten einzäunen und umarbeiten lassen, das nehmt ihr wieder in Besitz und überlaßt mir's.
ALBERT.
Das wollen wir nicht ansehen, das ist schon verschmerzt.
PETER.
Wir wollen auch nicht zurückbleiben.
BREME.
Ihr habt selbst einen hübschen Sohn und ein schönes Gut; dem könnt' ich meine Tochter geben. Ich bin nicht stolz, glaubt mir, ich bin nicht stolz. Ich will Euch gern meinen Schwäger heißen.
PETER.
Das Mamsellchen ist hübsch genug; nur ist sie schon zu vornehm erzogen.
[184]BREME.
Nicht vornehm, aber gescheit. Sie wird sich in jeden Stand zu finden wissen. Doch darüber läßt sich noch vieles reden. Lebt jetzt wohl, meine Freunde, lebt wohl!
ALLE.
So lebt denn wohl!