Über Literatur und Leben
Jede große Idee, die als ein Evangelium in die Welt tritt, wird dem stockenden pedantischen Volke ein Ärgernis und einem Viel-, aber Leichtgebildeten eine Torheit.
Eine jede Idee tritt als ein fremder Gast in die Erscheinung, und wie sie sich zu realisieren beginnt, ist sie kaum von Phantasie und Phantasterei zu unterscheiden.
Dies ist es, was man Ideologie im guten und bösen Sinne genannt hat und warum der Ideolog den lebhaft wirkenden praktischen Tagesmenschen so sehr zuwider war.
Alle unmittelbare Aufforderung zum Ideellen ist bedenklich, besonders an die Weiblein. Wie es auch sei, umgibt sich der einzelne bedeutende Mann mit einem mehr oder weniger religios-moralisch-ästhetischen Serail.
Alle Empiriker streben nach der Idee und können sie in der Mannigfaltigkeit nicht entdecken; alle Theoretiker suchen sie im Mannigfaltigen und können sie darinne nicht auffinden.
Beide jedoch finden sich im Leben, in der Tat, in der Kunst zusammen, und das ist so oft gesagt; wenige aber verstehen, es zu nutzen.
Man kann die Nützlichkeit einer Idee anerkennen und doch nicht recht verstehen, sie vollkommen zu nutzen.
Jedem Alter des Menschen antwortet eine gewisse Philosophie. Das Kind erscheint als Realist; denn es findet sich so [602] überzeugt von dem Dasein der Birnen und Äpfel als von dem seinigen. Der Jüngling, von innern Leidenschaften bestürmt, muß auf sich selbst merken, sich vorfühlen: er wird zum Idealisten umgewandelt. Dagegen ein Skeptiker zu werden, hat der Mann alle Ursache; er tut wohl, zu zweifeln, ob das Mittel, das er zum Zwecke gewählt hat, auch das rechte sei. Vor dem Handeln, im Handeln hat er alle Ursache, den Verstand beweglich zu erhalten, damit er nicht nachher sich über eine falsche Wahl zu betrüben habe. Der Greis jedoch wird sich immer zum Mystizismus bekennen. Er sieht, daß so vieles vom Zufall abzuhängen scheint: das Unvernünftige gelingt, das Vernünftige schlägt fehl, Glück und Unglück stellen sich unerwartet ins gleiche; so ist es, so war es, und das hohe Alter beruhigt sich in dem, der da ist, der da war und der da sein wird.
Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten.
Den teleologischen Beweis vom Dasein Gottes hat die kritische Vernunft beseitigt; wir lassen es uns gefallen. Was aber nicht als Beweis gilt, soll uns als Gefühl gelten, und wir rufen daher von der Brontotheologie bis zur Niphotheologie alle dergleichen fromme Bemühungen wieder heran. Sollten wir im Blitz, Donner und Sturm nicht die Nähe einer übergewaltigen Macht, in Blütenduft und lauem Luftsäuseln nicht ein liebevoll sich annäherndes Wesen empfinden dürfen?
»Ich glaube einen Gott!« Dies ist ein schönes, löbliches Wort; aber Gott anerkennen, wo und wie er sich offenbare, das ist eigentlich die Seligkeit auf Erden.
Wer die Natur als göttliches Organ leugnen will, der leugne nur gleich alle Offenbarung.
[603] »Die Natur verbirgt Gott!« Aber nicht jedem!
Kepler sagte: »Mein höchster Wunsch ist, den Gott, den ich im Äußern überall finde, auch innerlich, innerhalb meiner gleichermaßen gewahr zu werden.« Der edle Mann fühlte, sich nicht bewußt, daß eben in dem Augenblicke das Göttliche in ihm mit dem Göttlichen des Universums in genauster Verbindung stand.
Gott, wenn wir hoch stehen, ist alles; stehen wir niedrig, so ist er ein Supplement unsrer Armseligkeit.
Die Kreatur ist sehr schwach; denn sucht sie etwas, findet sie's nicht. Stark aber ist Gott; denn sucht er die Kreatur, so hat er sie gleich in seiner Hand.
Glaube ist Liebe zum Unsichtbaren, Vertrauen aufs Unmögliche, Unwahrscheinliche.
Mythologie = Luxe de croyance.
Was ist Praedestinatio?
Antwort: Gott ist mächtiger und weiser als wir; drum macht er es mit uns nach seinem Gefallen.
Das Christentum steht mit dem Judentum in einem weit stärkern Gegensatz als mit dem Heidentum.
Die christliche Religion ist eine intentionierte politische Revolution, die, verfehlt, nachher moralisch geworden ist.
Es gibt Theologen, die wollten, daß es nur einen einzigen Menschen in der Welt gegeben hätte, den Gott erlöst hätte; denn da hätte es keine Ketzer geben können.
»Die Kirche schwächt alles, was sie anrührt.«
[604] Apokrypha: Wichtig wäre es, das hierüber historisch schon Bekannte nochmals zusammenzufassen und zu zeigen, daß gerade jene apokryphischen Schriften, mit denen die Gemeinden schon die ersten Jahrhunderte unserer Ära überschwemmt wurden und woran unser Kanon jetzt noch leidet, die eigentliche Ursache sind, warum das Christentum in keinem Momente der politischen und Kirchengeschichte in seiner ganzen Schönheit und Reinheit hervortreten konnte.
Die Ohrenbeichte im besten Sinne ist eine fortgesetzte Katechisation der Erwachsnen.
In Neuyork, sagt man, finden sich neunzig christliche Kirchen abweichender Konfession, und nun wird diese Stadt besonders seit Eröffnung des Eriekanals überschwenglich reich. Wahrscheinlich ist man der Überzeugung, daß religiose Gedanken und Gefühle, von welcher besondern Art sie auch seien, dem beruhigenden Sonntag angehören, angestrengte Tätigkeit, von frommen Gesinnungen begleitet, den Werkeltagen.
Wenn ein gutes Wort eine gute Statt findet, so findet ein frommes Wort gewiß noch eine bessere.
Alles kommt bei der Mission darauf an, daß der rohe, sinnliche Mensch gewahr wird, daß es eine Sitte gebe; daß der leidenschaftliche, ungebändigte merkt, daß er Fehler begangen hat, die er sich selbst nicht verzeihen kann. Die erste führt zur Annahme zarter Maximen, das letzte auf Glauben einer Versöhnung. Alles Mittlere von zufällig scheinenden Übeln wird einer weisen, unerforschlichen Führung anheimgegeben.
Wo Lampen brennen, gibt's Ölflecken, wo Kerzen brennen, gibt's Schnuppen; die Himmelslichter allein erleuchten rein und ohne Makel.
[605] »Vollkommenheit ist die Norm des Himmels, Vollkommenes wollen die Norm des Menschen.«
Pflicht: wo man liebt, was man sich selbst befiehlt.
Der rechtliche Mensch denkt immer, er sei vornehmer und mächtiger, als er ist.
Alle Gesetze sind Versuche, sich den Absichten der moralischen Weltordnung im Welt- und Lebenslaufe zu nähern.
Es ist besser, es geschehe dir Unrecht, als die Welt sei ohne Gesetz. Deshalb füge sich jeder dem Gesetze.
Es ist besser, daß Ungerechtigkeiten geschehn, als daß sie auf eine ungerechte Weise gehoben werden.
Nero hätte in den vier Jahren, die das Interregnum dauerte – so nenne ich die Regierungen des Galba, Otho, Vitellius –, nicht so viel Unheil stiften können, als nach seiner Ermordung über die Welt gekommen.
Wäre es Gott darum zu tun gewesen, daß die Menschen in der Wahrheit leben und handeln sollten, so hätte er seine Einrichtung anders machen müssen.
Man könnte zum Scherze sagen, der Mensch sei ganz aus Fehlern zusammengesetzt, wovon einige der Gesellschaft nützlich, andre schädlich, einige brauchbar, einige unbrauchbar gefunden werden. Von jenen spricht man Gutes: nennt sie Tugenden; von diesen Böses: nennt sie Fehler.
Nicht allein das Angeborene, sondern auch das Erworbene ist der Mensch.
Unsre Eigenschaften müssen wir kultivieren, nicht unsre Eigenheiten.
[606] Charakter im großen und kleinen ist, daß der Mensch demjenigen eine stete Folge gibt, dessen er sich fähig fühlt.
Man sieht gleich, wo die zwei notwendigsten Eigenschaften fehlen: Geist und Gewalt.
Unsre Meinungen sind nur Supplemente unsrer Existenz. Wie einer denkt, daran kann man sehn, was ihm fehlt. Die leersten Menschen halten sehr viel auf sich, treffliche sind mißtrauisch, der Lasterhafte ist frech, und der Gute ist ängstlich. So setzt sich alles ins Gleichgewicht; jeder will ganz sein oder es vor sich scheinen.
Historisch betrachtet, erscheint unser Gutes in mäßigem Lichte, und unsere Mängel entschuldigen sich.
Der liebt nicht, der die Fehler des Geliebten nicht für Tugenden hält.
Man kann niemand lieben, als dessen Gegenwart man sicher ist, wenn man sein bedarf.
Man kennt nur diejenigen, von denen man leidet.
Man beobachtet niemand als die Personen, von denen man leidet. Um unerkannt in der Welt umherzugehen, müßte man nur niemand wehe tun.
Mit jemand leben oder in jemand leben ist ein großer Unterschied. Es gibt Menschen, in denen man leben kann, ohne mit ihnen zu leben, und umgekehrt. Beides zu verbinden ist nur der reinsten Liebe und Freundschaft möglich.
Es ist besser, man betrügt sich an seinen Freunden, als daß man seine Freunde betrüge.
[607] Wenn ein paar Menschen recht miteinander zufrieden sind, kann man meistens versichert sein, daß sie sich irren.
Der Wolf im Schafpelze ist weniger gefährlich als das Schaf in irgendeinem Pelze, wo man es für mehr als einen Schöps nimmt.
Sage nicht, daß du geben willst, sondern gib! Die Hoffnung befriedigst du nie.
Man würde viel Almosen geben, wenn man Augen hätte zu sehen, was eine empfangende Hand für ein schönes Bild macht.
Zum Tun gehört Talent, zum Wohltun Vermögen.
Eine gefallene Schreibfeder muß man gleich aufheben, sonst wird sie zertreten.
Es ist keine Kunst, eine Göttin zur Hexe, eine Jungfrau zur Hure zu machen; aber zur umgekehrten Operation, Würde zu geben dem Verschmähten, wünschenswert zu machen das Verworfene, dazu gehört entweder Kunst oder Charakter.
Es gibt keine Lage, die man nicht veredlen könnte durch Leisten oder Dulden.
Dem Verzweiflenden verzeiht man alles, dem Verarmten gibt man jeden Erwerb zu.
Glaube, Liebe, Hoffnung fühlten einst in ruhiger, geselliger Stunde einen plastischen Trieb in ihrer Natur; sie befleißigten sich zusammen und schufen ein liebliches Gebild, eine Pandora im höhern Sinne: die Geduld.
[608] Lüsternheit: Spiel mit dem zu Genießenden, Spiel mit dem Genossenen.
Eitelkeit ist eine persönliche Ruhmsucht: man will nicht wegen seiner Eigenschaften, seiner Verdienste, Taten geschätzt, geehrt, gesucht werden, sondern um seines individuellen Daseins willen. Am besten kleidet die Eitelkeit deshalb eine frivole Schöne.
Dummheit, seinen Feind vor dem Tode, und Niederträchtigkeit, nach dem Siege zu verkleinern.
Die schwer zu lösende Aufgabe strebender Menschen ist, die Verdienste älterer Mitlebenden anzuerkennen und sich von ihren Mängeln nicht hindern zu lassen.
Das radikale Übel: daß jeder gern sein möchte, was er sein könnte, und die übrigen nichts, ja nicht wären.
Ein Mensch zeigt nicht eher seinen Charakter, als wenn er von einem großen Menschen oder irgend von etwas Außerordentlichem spricht. Es ist der rechte Probierstein aufs Kupfer.
Nur solchen Menschen, die nichts hervorzubringen wissen, denen ist nichts da.
Warum man doch ewige Mißreden hört? Sie glauben sich alle etwas zu vergeben, wenn sie das kleinste Verdienst anerkennen.
Vom Verdienste fordert man Bescheidenheit; aber diejenigen, die unbescheiden das Verdienst schmälern, werden mit Behagen angehört.
Dem Menschen ist verhaßt, was er nicht glaubt selbst getan zu haben; deswegen der Parteigeist so eifrig ist. Jeder [609] Alberne glaubt ins Beste einzugreifen, und alle Welt, die nichts ist, wird zu was.
Egoistische Kleinstädterei, die sich Zentrum deucht.
Es ist niemand fähig zu denken, daß jemand etwas konstruieren und protegieren möchte, als um Partei zu machen.
Im Laufe des frischen Lebens erduldet man viel, es sei nun vom Veralteten oder Überneuen.
Wie haben sich die Deutschen nicht gebärdet, um das jenige abzuwehren, was ich allenfalls getan und geleistet habe, und tun sie's nicht noch? Hätten sie alles gelten lassen und wären weitergegangen, hätten sie mit meinem Erwerb gewuchert, so wären sie weiter, wie sie sind.
Daß die Naturforscher nicht durchaus mit mir einig werden, ist bei der Stellung so verschiedener Denkweisen ganz natürlich; die meinige werde ich gleichfalls künftig zu behaupten suchen. Aber auch im ästhetischen und moralischen Felde wird es Mode, gegen mich zu streiten und zu wirken. Ich weiß recht gut woher und wohin, warum und wozu, erkläre mich aber weiter nicht darüber. Die Freunde, mit denen ich gelebt, für die ich gelebt, werden sich und mein Andenken aufrecht zu erhalten wissen.
Das Urteil können sie verwehren, aber die Wirkung nicht hindern.
Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.
Die wahre Liberalität ist Anerkennung.
[610] Mit wahrhaft Gleichgesinnten kann man sich auf die Länge nicht entzweien, man findet sich immer wieder einmal zusammen; mit eigentlich Widergesinnten versucht man umsonst, Einigkeit zu halten, es bricht immer wieder einmal auseinander.
Ich bin mit allen Menschen einig, die mich zunächst angehen, und von den übrigen laß ich mir nichts mehr gefallen, und da ist die Sache aus.
Ich höre das ganze Jahr jedermann anders reden, als ich's meine; warum sollt ich denn auch nicht einmal sagen, wie ich gesinnt bin?
Eine nachgesprochne Wahrheit verliert schon ihre Grazie, aber ein nachgesprochner Irrtum ist ganz ekelhaft.
Das Absurde, Falsche läßt sich jedermann gefallen: denn es schleicht sich ein; das Wahre, Derbe nicht: denn es schließt aus.
Es gibt Menschen, die auf die Mängel ihrer Freunde sinnen; dabei ist nichts zu gewinnen. Ich habe immer auf die Verdienste meiner Widersacher achtgehabt und davon Vorteil gezogen.
Vernünftiges und Unvernünftiges haben gleichen Widerspruch zu erleiden.
Es ist ganz einerlei, ob man das Wahre oder das Falsche sagt: beidem wird widersprochen.
Gegner glauben uns zu widerlegen, wenn sie ihre Meinung wiederholen und auf die unsrige nicht achten.
Diejenigen, welche widersprechen und streiten, sollten mitunter bedenken, daß nicht jede Sprache jedem verständlich sei.
[611] Es hört doch jeder nur, was er versteht.
Eine richtige Antwort ist wie ein lieblicher Kuß.
Es gibt viele Menschen, die sich einbilden, was sie erfahren, das verstünden sie auch.
Wer kann sagen, er erfahre was, wenn er nicht ein Erfahrender ist?
Über die wichtigsten Angelegenheiten des Gefühls wie der Vernunft, der Erfahrung wie des Nachdenkens soll man nur mündlich verhandeln. Das ausgesprochene Wort ist sogleich tot, wenn es nicht durch ein folgendes, dem Hörer gemäßes am Leben erhalten wird. Man merke nur auf ein geselliges Gespräch! Gelangt das Wort nicht schon tot zu dem Hörer, so ermordet er es alsogleich durch Widerspruch, Bestimmen, Bedingen, Ablenken, Abspringen, und wie die tausendfältigen Unarten des Unterhaltens auch heißen mögen. Mit dem Geschriebenen ist es noch schlimmer. Niemand mag lesen als das, woran er schon einigermaßen gewöhnt ist; das Bekannte, das Gewohnte verlangt er unter veränderter Form. Doch hat das Geschriebene den Vorteil, daß es dauert und die Zeit abwarten kann, wo ihm zu wirken gegönnt ist.
Was man mündlich ausspricht, muß der Gegenwart, dem Augenblick gewidmet sein; was man schreibt, widme man der Ferne, der Folge.
Man frage nicht, ob man durchaus übereinstimmt, sondern ob man in einem Sinne verfährt.
Nichts Peinlichers habe gefunden, als mit jemand in widerwärtigem Verhältnis zu stehen, mit dem ich übrigens aus einem Sinne gern gehandelt hätte.
[612] Beim Zerstören gelten alle falschen Argumente, beim Aufbauen keineswegs. Was nicht wahr ist, baut nicht.
Die gegenwärtige Welt ist nicht wert, daß wir etwas für sie tun; denn die bestehende kann in dem Augenblick abscheiden. Für die vergangne und künftige müssen wir arbeiten: für jene, daß wir ihr Verdienst anerkennen, für diese, daß wir ihren Wert zu erhöhen suchen.
Wie viele Jahre muß man nicht tun, um nur einigermaßen zu wissen, was und wie es zu tun sei!
Es ist nichts furchtbarer anzuschauen als grenzenlose Tätigkeit ohne Fundament. Glücklich diejenigen, die im Praktischen gegründet sind und sich zu gründen wissen! Hiezu bedarf's aber einer ganz eigenen Doppelgabe.
Es ist nichts inkonsequenter als die höchste Konsequenz, weil sie unnatürliche Phänomene hervorbringt, die zuletzt umschlagen.
Wer das erste Knopfloch verfehlt, kommt mit dem Zuknöpfen nicht zu Rande.
Man geht nie weiter, als wenn man nicht mehr weiß, wohin man geht.
Wer sein Leben mit einem Geschäft zubringt, dessen Undankbarkeit er zuletzt einsieht, der haßt es und kann es doch nicht loswerden.
Frage sich doch jeder, mit welchem Organ er allenfalls in seine Zeit einwirken kann und wild!
Ein schäbiges Kamel trägt immer noch die Lasten vieler Esel.
[613] Derjenige, der's allen andern zuvortun will, betrügt sich meist selbst; er tut nur alles, was er kann, und bildet sich dann gefällig vor, das sei so viel und mehr als das, was alle können.
Versuche, die eigne Autorität zu fundieren: sie ist überall begründet, wo Meisterschaft ist.
Denke nur niemand, daß man auf ihn als den Heiland gewartet habe!
Wer tätig sein will und muß, hat nur das Gehörige des Augenblicks zu bedenken, und so kommt er ohne Weitläufigkeit durch. Das ist der Vorteil der Frauen, wenn sie ihn verstehen.
Der Augenblick ist eine Art von Publikum: man muß ihn betrügen, daß er glaube, man tue was; dann läßt er uns gewähren und im geheimen fortführen, worüber seine Enkel erstaunen müssen.
Der Tag an und für sich ist gar zu miserabel; wenn man nicht ein Lustrum anpackt, so gibt's keine Garbe.
Der Tag gehört dem Irrtum und dem Fehler, die Zeitreihe dem Erfolg und dem Gelingen.
Wer vorsieht, ist Herr des Tags.
Ich verwünsche das Tägliche, weil es immer absurd ist. Nur was wir durch mögliche Anstrengung ihm übergewinnen, läßt sich wohl einmal summieren.
Indes wir, dem Ungeheuren unterworfen, kaum auf-und umschauen, was zu tun sei und wohin wir unser Bestes von Kräften, Tätigkeiten hinwenden sollen, und des höchsten [614] Enthusiasmus bedürftig sind, der nur nachhalten kann, wenn er nicht empirisch ist, nagen zwar keine Lind-, aber Lumpwürme an unsern Täglichkeiten.
Das ganze Leben besteht aus
Wollen und Nicht-Vollbringen,
Vollbringen und Nicht-Wollen.
Wollen und Vollbringen ist nicht der Mühe wert oder verdrießlich, davon zu sprechen.
Das Leben vieler Menschen besteht aus Klatschigkeiten, Tägigkeiten, Intrige zu momentaner Wirkung.
Wenn die Affen es dahin bringen könnten, Langeweile zu haben, so könnten sie Menschen werden.
Dem Klugen kommt das Leben leicht vor, wenn dem Toren schwer, und oft dem Klugen schwer, dem Toren leicht.
Es ist besser, eine Torheit pure geschehen zu lassen, als ihr mit einiger Vernunft nachhelfen zu wollen. Die Vernunft verliert ihre Kraft, indem sie sich mit der Torheit vermischt, und die Torheit ihr Naturell, das ihr oft forthilft.
Mit Gedanken, die nicht aus der tätigen Natur entsprungen sind und nicht wieder aufs tätige Leben wohltätig hinwirken und so in einem mit dem jedesmaligen Lebenszustand übereinstimmenden mannigfaltigen Wechsel unaufhörlich entstehen und sich auflösen, ist der Welt wenig geholfen.
In Rücksicht aufs Praktische ist der unerbittliche Verstand Vernunft, weil der Vernunft Höchstes ist, vis-à-vis des Verstands nämlich, den Verstand unerbittlich zu machen.
[615] Falsche Tendenzen sind eine Art realer Sehnsucht, immer noch vorteilhafter als die falsche Tendenz, die sich als ideelle Sehnsucht ausdrückt.
Alle praktische Menschen suchen sich die Welt handrecht zu machen; alle Denker wollen sie kopfrecht haben. Wieweit es jedem gelingt, mögen sie zusehen.
Die Realen: Was nicht geleistet wird, wird nicht verlangt.
Die Idealen: Was verlangt wird, ist nicht gleich zu leisten.
Im Idealen kommt alles auf die élans, im Realen auf die Beharrlichkeit an.
Das Wunderlichste im Leben ist das Vertrauen, daß andre uns führen werden. Haben wir's nicht, so tappen und tolpen wir unsern eignen Weg hin; haben wir's, so sind wir auch, eh wir's uns versehen, auf das schlechteste geführt.
Die ungeheuerste Kultur, die der Mensch sich geben kann, ist die Überzeugung, daß die andern nicht nach ihm fragen.
Wer hätte mit mir Geduld haben sollen, wenn ich's nicht gehabt hätte?
Die Menschen glauben, daß man sich mit ihnen abgeben müsse, da man sich mit sich selbst nicht abgibt.
Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, ein oft versengter Greis scheut, sich zu wärmen.
Wie viel vermag nicht die Übung! Die Zuschauer schreien, und der Geschlagne schweigt.
Welcher Gewinn wäre es fürs Leben, wenn man dies früher gewahr würde, zeitig erführe, daß man mit seiner [616] Schönen nie besser steht, als wenn man seinen Rivalen lobt. Alsdann geht ihr das Herz auf, jede Sorge, euch zu verletzen, die Furcht, euch zu verlieren, ist verschwunden; sie macht euch zum Vertrauten, und ihr überzeugt euch mit Freuden, daß ihr es seid, dem die Frucht des Baumes gehört, wenn ihr guten Humor genug habt, anderen die abfallenden Blätter zu überlassen.
Wenn mir eine Sache mißfällt, so laß ich sie liegen oder mache sie besser.
Wer in sich recht ernstlich hinabsteigt, wird sich immer nur als Hälfte finden; er fasse nachher ein Mädchen oder eine Welt, um sich zum Ganzen zu konstituieren, das ist einerlei.
Weiß denn der Sperling, wie dem Storch zumute sei?
Der Tiger, der dem Hirsch begreiflich machen will, wie köstlich es ist, Blut zu schlürfen.
Gesunde Menschen sind die, in deren Leibes- und Geistesorganisation jeder Teil eine vita propria hat.
Daß man gerade nur denkt, wenn man das, worüber man denkt, nicht ausdenken kann!
Wenn weise Männer nicht irrten, müßten die Narren verzweifeln.
Manche sind auf das, was sie wissen, stolz, gegen das, was sie nicht wissen, hoffärtig.
Wer sich in ein Wissen einlassen soll, muß betrogen werden oder sich selbst betrügen, wenn äußere Nötigungen ihn nicht unwiderstehlich bestimmen. Wer würde ein Arzt [617] werden, wenn er alle Unbilden auf einmal vor sich sähe, die seiner warten?
Der Historiker kann und braucht nicht alles aufs Gewisse zu führen; wissen doch die Mathematiker auch nicht zu erklären, warum der Komet von 1770, der in fünf oder eilf Jahren wiederkommen sollte, sich zur bestimmten Zeit noch nicht wieder hat sehen lassen.
Es ist mit der Geschichte wie mit der Natur, wie mit allem Profunden, es sei vergangen, gegenwärtig oder zukünftig: je tiefer man ernstlich eindringt, desto schwierigere Probleme tun sich hervor. Wer sie nicht fürchtet, sondern kühn darauf losgeht, fühlt sich, indem er weiter gedeiht, höher gebildet und behaglicher.
Die Geschichte wie das Universum, das sie repräsentieren soll, hat einen realen und idealen Teil.
Zum idealen Teile gehört der Kredit, zum realen Besitztum, physische Macht pp.
Der Kredit ist eine durch reale Leistungen erzeugte Idee der Zuverlässigkeit.
Jeder Besitz ist eine plumpe Sache, und es ist gut, daß darüber abgesprochen werde, ne incerta sint rerum dominia.
Jeder Mensch fühlt sich privilegiert.
Diesem Gefühl widerspricht
1. die Naturnotwendigkeit,
2. die Gesellschaft.
ad 1. Der Mensch kann ihr nicht entgehen, nicht ausweichen, nichts abgewinnen. Nur kann er durch Diät sich fügen und ihr nicht vorgreifen.
[618] ad 2. Der Mensch kann ihr nicht entgehen, nicht ausweichen; aber er kann ihr abgewinnen, daß sie ihn ihre Vorteile mitgenießen läßt, wenn er seinem Privilegiengefühl entsagt.
Der höchste Zweck der Gesellschaft ist Konsequenz der Vorteile, jedem gesichert. Jeder einzelne Vernünftige opfert schon der Konsequenz vieles auf, geschweige die Gesellschaft. Über diese Konsequenz geht fast der momentane Vorteil der Glieder zugrunde.
In der Gesellschaft sind alle gleich. Es kann keine Gesellschaft anders als auf den Begriff der Gleichheit gegründet sein, keineswegs aber auf den Begriff der Freiheit. Die Gleichheit will ich in der Gesellschaft finden; die Freiheit, nämlich die sittliche, daß ich mich subordinieren mag, bringe ich mit.
Die Gesellschaft, in die ich trete, muß also zu mir sagen: »Du sollst allen uns andern gleich sein.« Sie kann aber nur hinzufügen: »Wir wünschen, daß du auch frei sein mögest«, das heißt: Wir wünschen, daß du dich mit Überzeugung, aus freiem, vernünftigem Willen deiner Privilegien begibst.
Gesetzgeber oder Revolutionärs, die Gleichsein und Freiheit zugleich versprechen, sind Phantasten oder Charlatans.
Eingebildete Gleichheit: das erste Mittel, die Ungleichheit zu zeigen.
Jede Revolution geht auf Naturzustand hinaus, Gesetz- und Schamlosigkeit. (Pikarden, Wiedertäufer, Sansculotten.)
Sobald die Tyrannei aufgehoben ist, geht der Konflikt zwischen Aristokratie und Demokratie unmittelbar an.
[619] Die Menschen sind als Organe ihres Jahrhunderts anzusehen, die sich meist unbewußt bewegen.
Fehler der sogenannten Aufklärung: daß sie Menschen Vielseitigkeit gibt, deren einseitige Lage man nicht ändern kann.
Vor der Revolution war alles Bestreben; nachher verwandelte sich alles in Forderung.
In einigen Staaten ist infolge der erlebten heftigen Bewegungen fast in allen Richtungen eine gewisse Übertreibung im Unterrichtswesen eingetreten, dessen Schädlichkeit in der Folge allgemeiner eingesehen, aber jetzt schon von tüchtigen, redlichen Vorstehern solcher Anstalten vollkommen anerkannt ist. Treffliche Männer leben in einer Art von Verzweiflung, daß sie dasjenige, was sie amts- und vorschriftsgemäß lehren und überliefern müssen, für unnütz und schädlich halten.
Es ist nichts trauriger anzusehn als das unvermittelte Streben ins Unbedingte in dieser durchaus bedingten Welt; es erscheint im Jahre 1830 vielleicht ungehöriger als je.
Einen gerüsteten, auf die Defensive berechneten Zustand kann kein Staat aushalten.
Ob eine Nation reif werden könne, ist eine wunderliche Frage. Ich beantworte sie mit Ja, wenn alle Männer als dreißigjährig geboren werden könnten; da aber die Jugend vorlaut, das Alter aber kleinlaut ewig sein wird, so ist der eigentlich reife Mann immer zwischen beiden geklemmt und wird sich auf eine wunderliche Weise behelfen und durchhelfen müssen.
[620] Das große Recht, nicht etwa nur in seinen Privatangelegenheiten – denn das weiß ein jeder –, sondern auch in öffentlichen verständig, ja vernünftig zu sein.
Majestät ist das Vermögen, ohne Rücksicht auf Belohnung oder Bestrafung recht oder unrecht zu handlen.
Herrschen und genießen geht nicht zusammen. Genießen heißt, sich und andern in Fröhlichkeit angehören; herrschen heißt, sich und anderen im ernstlichsten Sinne wohltätig sein.
Herrschen lernt sich leicht, regieren schwer.
Wer klare Begriffe hat, kann befehlen.
Was von seiten der Monarchen in den Zeitungen gedruckt wird, nimmt sich nicht gut aus; denn die Macht soll handeln und nicht reden. Was die Liberalen vor bringen, läßt sich immer lesen; denn der Übermächtigte, weil er nicht handeln kann, mag sich wenigstens redend äußern. »Laßt sie singen, wenn sie nur bezahlen!« sagte Mazarin, als man ihm die Spottlieder auf eine neue Steuer vorlegte.
Wenn man einige Monate die Zeitungen nicht gelesen hat, und man liest sie alsdann zusammen, so zeigt sich erst, wieviel Zeit man mit diesen Papieren verdirbt. Die Welt war immer in Parteien geteilt, besonders ist sie es jetzt, und während jedes zweifelhaften Zustandes kirrt der Zeitungsschreiber eine oder die andere Partei mehr oder weniger und nährt die innere Neigung und Abneigung von Tag zu Tag, bis zuletzt Entscheidung eintritt und das Geschehene wie eine Gottheit angestaunt wird.
In den Zeitungen ist alles Offizielle geschraubt, das übrige platt.
[621] Nach Preßfreiheit schreit niemand, als wer sie mißbrauchen will.
Die Deutschen der neueren Zeit haben nichts anders für Denk- und Preßfreiheit gehalten, als daß sie sich einander öffentlich mißachten dürfen.
Die Deutschen der alten Zeit freute nichts, als daß keiner dem andern gehorchen durfte.
Gerechtigkeit: Eigenschaft und Phantom der Deutschen.
Der echte Deutsche bezeichnet sich durch mannigfaltige Bildung und Einheit des Charakters.
Die Engländer werden uns beschämen durch reinen Menschenverstand und guten Willen, die Franzosen durch geistreiche Umsicht und praktische Ausführung.
Der Deutsche soll alle Sprachen lernen, damit ihm zu Hause kein Fremder unbequem, er aber in der Fremde überall zu Hause sei.
Die Gewalt einer Sprache ist nicht, daß sie das Fremde abweist, sondern daß sie es verschlingt.
Ich verfluche allen negativen Purismus, daß man ein Wort nicht brauchen soll, in welchem eine andre Sprache Vieles oder Zarteres gefaßt hat.
Meine Sache ist der affirmative Purismus, der produktiv ist und nur davon ausgeht: Wo müssen wir um schreiben, und der Nachbar hat ein entscheidendes Wort?
Der pedantische Purismus ist ein absurdes Ablehnen weiterer Ausbreitung des Sinnes und Geistes. (Zum Beispiel das englische Wort grief.)
[622] Kein Wort steht still, sondern es rückt immer durch den Gebrauch von seinem anfänglichen Platz, eher hinab als hinauf, eher ins Schlechtere als ins Bessere, ins Engere als Weitere, und an der Wandelbarkeit des Worts läßt sich die Wandelbarkeit der Begriffe erkennen.
Philologen: Apollo Sauroktonos, immer mit dem spitzen Griffelchen in der Hand aufpassend, eine Eidechse zu spießen.
Es ist kein großer Unterschied, ob ich eine korrekte Stelle falsch verstehe oder ob ich einer korrupten irgendeinen Sinn unterlege. Das letzte ist für den Einzelnen vorteilhafter als das erste. Es wird eine Privatemendation, wodurch er für seinen Geist gewinnt, was jene für den Buchstaben gewonnen.
Was man Mode heißt, ist augenblickliche Überlieferung. Alle Überlieferung führt eine gewisse Notwendigkeit mit sich, sich ihr gleichzustellen.
Wenn man älter wird, muß man mit Bewußtsein auf einer gewissen Stufe stehenbleiben.
Es ziemt sich dem Bejahrten weder in der Denkweise noch in der Art, sich zu kleiden, der Mode nachzugehen.
Aber man muß wissen, wo man steht und wohin die andern wollen.
Es ist mit den Jahren wie mit den Sibyllinischen Büchern: je mehr man ihrer verbrennt, desto teurer werden sie.
Wenn die Jugend ein Fehler ist, so legt man ihn sehr bald ab.
[623] In der Jugend bald die Vorzüge des Alters gewahr zu werden, im Alter die Vorzüge der Jugend zu erhalten, beides ist nur ein Glück.
Es betrügt sich kein Mensch, der in seiner Jugend noch so viel erwartet. Aber wie er damals die Ahndung in seinem Herzen empfand, so muß er auch die Erfüllung in seinem Herzen suchen, nicht außer sich.
»Ich bin über die Wurzeln des Baums gestolpert, den ich gepflanzt hatte.« Das muß ein alter Forstmann gewesen sein, der dies gesagt hat.
Daß der Mensch zuletzt Epitomator von sich selbst wird! Und dahin zu gelangen ist schon Glück genug.
Eltern und Kindern bleibt nichts übrig, als entweder vor- oder hintereinander zu sterben, und man weiß am Ende nicht, was man vorziehen sollte.
Wenn ich an meinen Tod denke, darf ich, kann ich nicht denken, welche Organisation zerstört wird.
In jeder großen Trennung liegt ein Keim von Wahnsinn; man muß sich hüten, ihn nachdenklich auszubrüten und zu pflegen.
Höchst merkwürdig ist, daß von dem menschlichen Wesen das Entgegengesetzte übrigbleibt: Gehäus und Gerüst, worin und womit sich der Geist hienieden genügte, sodann aber die idealen Wirkungen, die in Wort und Tat von ihm ausgingen.
Ein ausgesprochnes Wort fordert sich selbst wieder.
[624]Mystik: eine unreife Poesie, eine unreife Philosophie;
Poesie: eine reife Natur;
Philosophie: eine reife Vernunft.
Poesie deutet auf die Geheimnisse der Natur und sucht sie durchs Bild zu lösen;
Philosophie deutet auf die Geheimnisse der Vernunft und sucht sie durchs Wort zu lösen (Naturphilosophie, Experimentalphilosophie);
Mystik deutet auf die Geheimnisse der Natur und Vernunft und sucht sie durch Wort und Bild zu lösen.
Bildliche Vorstellung: Reich der Poesie; hypothetische Erklärung: Reich der Philosophie.
Das Wahre (Allgemeine), das wir erkennen und festhalten;
das Leidenschaftliche (Besondere), das uns hindert und festhält;
das Dritte, Rednerische, schwankend zwischen Wahrheit und Leidenschaft.
Die Laune ist ein Bewußtloses und beruht auf der Sinnlichkeit. Es ist der Widerspruch der Sinnlichkeit mit sich selbst.
Der Humor entsteht, wenn die Vernunft nicht im Gleichgewicht mit den Dingen ist, sondern entweder sie zu beherrschen strebt und nicht damit zustande kommen kann: welches der ärgerliche oder üble Humor ist; oder sich ihnen gewissermaßen unterwirft und mit sich spielen läßt, salvo honore: welches der heitre Humor oder der gute ist. Sie läßt sich gut symbolisieren durch einen Vater, der sich herabläßt, mit seinen Kindern zu spielen, und mehr Spaß einnimmt als ausgibt. In diesem Falle spielt die Vernunft den Goffo, im ersten Falle den Moroso.
[625] Das Genie übt eine Art Ubiquität aus, ins Allgemeine vor, ins Besondere nach der Erfahrung.
Das Glück des Genies: wenn es zu Zeiten des Ernstes geboren wird.
Große Talente sind das schönste Versöhnungsmittel.
Das Genie mit Großsinn sucht seinem Jahrhundert vorzueilen; das Talent aus Eigensinn möchte es oft zurückhalten.
Der Scharfsinn verläßt geistreiche Männer am wenigsten, wenn sie unrecht haben.
Das Fürchterlichste ist, wenn platte, unfähige Menschen zu Phantasten sich gesellen.
Man kann sich nicht verleugnen, daß die deutsche Welt, mit vielen, guten, trefflichen Geistern geschmückt, immer uneiniger, unzusammenhängender in Kunst und Wissenschaft, sich auf historischem, theoretischem und praktischem Wege immer mehr verirrt und verwirrt.
Sähe man Kunst und Wissenschaft nicht als ein Ewiges, in sich selbst Lebendig-Fertiges verehrend an, das im Zeitverlaufe nur Vorzüge und Mängel durcheinandermischt, so würde man selbst irre werden und sich betrüben, daß Reichtum in eine solche Verlegenheit setzen kann.
Was ist das für eine Zeit, wo man die Begrabenen beneiden muß?
Was nicht originell ist, daran ist nichts gelegen, und was originell ist, trägt immer die Gebrechen des Individuums an sich.
[626] Wer's nicht besser machen kann, macht's wenigstens anders; Zuhörer und Leser, in herkömmlicher Gleichgültigkeit, lassen dergleichen am liebsten gelten.
Man spricht soviel von Geschmack: der Geschmack besteht in Euphemismen. Diese sind Schonungen des Ohrs mit Aufregung des Sinnes.
Das Publikum will wie Frauenzimmer behandelt sein: man soll ihnen durchaus nichts sagen, als was sie hören möchten.
Das Publikum beklagt sich lieber unaufhörlich, übel bedient worden zu sein, als daß es sich bemühte, besser bedient zu werden.
Es gibt empirische Enthusiasten, die, obgleich mit Recht, an neuen guten Produkten, aber mit einer Ekstase sich erweisen, als wenn sonst in der Welt nichts Vorzügliches zu sehen gewesen wäre.
Ein großes Unheil entspringt aus den falschen Begriffen der Menge, weil der Wert vorhandener Werke gleich verkannt wird, wenn sie nicht im kurrenten Vorurteil mit einbegriffen sind.
Innerhalb einer Epoche gibt es keinen Standpunkt, eine Epoche zu betrachten.
Keine Nation hat ein Urteil als über das, was bei ihr getan und geschrieben ist. Man könnte dies auch von jeder Zeit sagen.
Wahre, in alle Zeiten und Nationen eingreifende Urteile sind sehr selten.
[627]Keine Nation hat eine Kritik als in der Maße, wie sie vorzügliche, tüchtige und vortreffliche Werke besitzt.
Die Kritik erscheint wie Ate: sie verfolgt die Autoren, aber hinkend.
Das Wahre, Gute und Vortreffliche ist einfach und sich immer gleich, wie es auch erscheine. Das Irren aber, das den Tadel hervorruft, ist höchst mannigfaltig, in sich selbst verschieden und nicht allein gegen das Gute und Wahre, sondern auch gegen sich selbst kämpfend, mit sich selbst in Widerspruch. Daher müssen in jeder Literatur die Ausdrücke des Tadels die Worte des Lobes überwiegen.
Bei den Griechen, deren Poesie und Rhetorik einfach und positiv war, erscheint die Billigung öfter als die Mißbilligung; bei den Lateinern hingegen ist es umgekehrt, und je mehr sich Poesie und Redekunst verdirbt, desto mehr wird der Tadel wachsen und das Lob sich zusammenziehen.
Die Literatur verdirbt sich nur in dem Maße, als die Menschen verdorbener werden.
Klassisch ist das Gesunde, romantisch das Kranke.
Ovid blieb klassisch auch im Exil: er sucht sein Unglück nicht in sich, sondern in seiner Entfernung von der Hauptstadt der Welt.
Das Romantische ist schon in seinen Abgrund verlaufen; das Gräßlichste der neuern Produktionen ist kaum noch gesunkener zu denken.
Engländer und Franzosen haben uns darin überboten. Körper, die bei Leibesleben verfaulen und sich in detaillierter Betrachtung ihres Verwesens erbauen, Tote, die zum [628] Verderben anderer am Leben bleiben und ihren Tod am Lebendigen ernähren: dahin sind unsre Produzenten gelangt!
Im Altertum spuken dergleichen Erscheinungen nur vor wie seltene Krankheitsfälle; bei den Neuern sind sie endemisch und epidemisch geworden.
»Sakuntala«: Hier erscheint der Dichter in seiner höchsten Funktion. Als Repräsentant des natürlichsten Zustandes, der feinsten Lebensweise, des reinsten sittlichen Bestrebens, der würdigsten Majestät und der ernstesten Gottesverehrung wagt er sich in gemeine und lächerliche Gegensätze.
Jemand sagte: »Was bemüht ihr euch um den Homer? Ihr versteht ihn doch nicht.« Darauf antwortet ich: Versteh ich doch auch Sonne, Mond und Sterne nicht; aber sie gehen über meinem Haupt hin, und ich erkenne mich in ihnen, indem ich sie sehe und ihren regelmäßigen, wunderbaren Gang betrachte, und denke dabei, ob auch wohl etwas aus mir werden könnte.
Daß die bildende Kunst in der Ilias auf einer so hohen Stufe erscheint, möchte wohl ein Argument für die Modernität des Gedichtes abgeben.
Die Modernen sollen nur Lateinisch schreiben, wenn sie aus nichts etwas zu machen haben. Umgekehrt machen sie ihr weniges Etwas immer zu nichts.
Die lateinische Sprache hat eine Art von Imperativus der Autorschaft.
Zu den glücklichen Umständen, welche Shakespeares gebornes großes Talent frei und rein entwickelten, gehört [629] auch, daß er Protestant war; er hätte sonst wie Kalidasa und Calderón Absurditäten verherrlichen müssen.
»Heinrich der Vierte« von Shakespeare: Wenn alles verloren wäre, was je, dieser Art geschrieben, zu uns gekommen, so könnte man Poesie und Rhetorik daraus vollkommen wiederherstellen.
Um die alten, abgeschmacktesten locos communes der Menschheit durchzupeitschen, hat Klopstock Himmel und Hölle, Sonne, Mond und Sterne, Zeit und Ewigkeit, Gott und Teufel aufgeboten.
Schmidt von Werneuchen ist der wahre Charakter der Natürlichkeit. Jedermann hat sich über ihn lustig gemacht, und das mit Recht; und doch hätte man sich über ihn nicht lustig machen können, wenn er nicht als Poet wirkliches Verdienst hätte, das wir an ihm zu ehren haben.
»Eulenspiegel«: Alle Hauptspäße des Buchs beruhen darauf, daß alle Menschen figürlich sprechen und Eulenspiegel es eigentlich nimmt.
Märchen: das uns unmögliche Begebenheiten unter möglichen oder unmöglichen Bedingungen als möglich darstellt.
Roman: der uns mögliche Begebenheiten unter unmöglichen oder beinahe unmöglichen Bedingungen als wirklich darstellt.
Der Romanenheld assimiliert sich alles; der Theaterheld muß nichts Ähnliches in allem dem finden, was ihn umgibt.
Einen wundersamen Anblick geben des Aristoteles Fragmente des Traktats über Dichtkunst. Wenn man das Theater in- und auswendig kennt wie unsereiner, der einen [630] bedeutenden Teil des Lebens auf diese Kunst verwendet und selbst viel darin gearbeitet hat, so sieht man erst, daß man sich vor allen Dingen mit der philosophischen Denkart des Mannes bekannt machen müßte, um zu begreifen, wie er diese Kunsterscheinung angesehen habe; außerdem verwirrt unser Studium nur, wie denn die moderne Poetik das Alleräußerlichste seiner Lehre nur zu ihrem Verderben anwendet und angewendet hat.
Des tragischen Dichters Aufgabe und Tun ist nichts anders, als ein psychisch-sittliches Phänomen, in einem faßlichen Experiment dargestellt, in der Vergangenheit nachzuweisen.
Was man Motive nennt, sind also eigentlich Phänomene des Menschengeistes, die sich wiederholt haben und wiederholen werden und die der Dichter nur als historische nachweist.
Ein dramatisches Werk zu verfassen, dazu gehört Genie. Am Ende soll die Empfindung, in der Mitte die Vernunft, am Anfang der Verstand vorwalten und alles gleichmäßig durch eine lebhaft-klare Einbildungskraft vorgetragen werden.
Es ist nichts theatralisch, was nicht für die Augen symbolisch wäre.
Die gewöhnlichen Theaterkritiken sind unbarmherzige Sündenregister, die ein böser Geist vorwurfsweise den armen Schächern vorhält ohne hülfreiche Hand zu einem bessern Wege.
Eine Romanze ist kein Prozeß, wo ein Definitivurteil sein muß.
[631] Beim Übersetzen muß man bis ans Unübersetzliche herangehen; alsdann wird man aber erst die fremde Nation und die fremde Sprache gewahr.
Es ist ein großer Unterschied, ob ich lese zu Genuß und Belebung oder zu Erkenntnis und Belehrung.
Es gibt Bücher, durch welche man alles erfährt und doch zuletzt von der Sache nichts begreift.
Wenn einem Autor ein Lexikon nachkommen kann, so taugt er nichts.
Ich denke immer, wenn ich einen Druckfehler sehe, es sei etwas Neues erfunden.
Verleger haben die Autoren und sich selbst für vogelfrei erklärt; wie wollen sie untereinander, wer will mit ihnen rechten?
Die Sehnsucht, die nach außen, in die Ferne strebt, sich aber melodisch in sich selbst beschränkt, erzeugt den Minor.
Kantilene: die Fülle der Liebe und jedes leidenschaftlichen Glücks verewigend.