951. Der Schwerttanz zu Weißenstein.

(S. Winkelmann Bd. III. S. 373 etc.)


Schon zur Zeit des römischen Geschichtschreibers Tacitus 1 wird von den alten Katten, den Ureinwohnern des Hessenlandes erzählt, daß sie aus Kurzweil Schwerttänze aufführten, also daß die jungen Gesellen in weißen [801] Hemden zwischen spitzigen Schwertern und Spießen unverletzt 2 sich zu überschlagen und Purzelbäume zu machen sich befleißigten. Diese Schwerttänze sind nun aber namentlich bei Hochzeiten fernerhin noch geübt worden. Es waren solcher Schwerttänzer etwa 16 bis 20 an der Zahl, deren Hüte mit allerhand farbigem Band und weißem Tuch verziert waren, sie selbst sind mit einem weißen Hemde bedeckt, mit einem Feldzeichen umgürtet gewesen. Ihre Arme waren mit lang herabhängendem Bande umwunden, an den Kniescheiben hatten sie Schellen gebunden und der Führer dieser Schwerttänzer redete nach alter hergebrachter Sitte die Zuschauer also reimenweis an: »Ehrenveste, Vorachtbare, Fürsichtige, Wohlweise Herrn Schultheißen, Bürgermeister und Rath, ich und meine Gesellen wünschen den Herrn einen guten Tag.


Hier sind wir herkommen auf diesen Platz und Plan,

Einen ehrlichen Schwert-Tanz wollen wir fangen an,

Nicht aus freiem Muth,

Sondern erlaubt von der Obrigkeit gut.

Also sollen meine Gesellen ihre Schellen lassen klingen

Wie die Engel im Himmel singen.

Mancher spricht solchen Tanz habe ich nie gesehen,

Ich sage aber, was Plinius schreibt, daß es vor 100

Jahren ist auch geschehen.

Einer der da singt

Einer der da springt

Und der dritte, der auf die Trommel klingt.

Trommelschläger schlag auf die Trommen

Daß wir zu dem Tanzen kommen!«


Hierauf fangen sie an zu tanzen, darunter die Schellen, nach ihrem Tritt, den Klang von sich geben, bald verwirren sie sich mit den in der Hand getragenen Degen fast kunstverwunderlich und kommen in geschwinder Eile hernieder zu ihrem ordentlichen Tanze. Nach vollendetem Tanz legt der Führer abermals seine Rede durch die vermeinten wohlklingenden Reime gegen die Zuschauer in folgender Weise ab:


Dieser Tanz ist nun aus

Den wir den Herrn haben bracht zu Haus,

Die Herrn werden sich auch bedenken

Und werden uns ein Trinkgeld schenken,

Ein Kopfstück oder vier

So komm ich mit meinen Gesellen zum Bier.

Ein Kopfstück oder neun

So komm ich mit meinen Gesellen zum kühlen Wein,

Nicht daß wir Euch setzen Maaß oder Ziel,

Ihr möget uns verehren mehr oder viel,

Da ich war wie ein Krug,

Da mich mein Vater zum Haus hinausschlug,

Er gab mir einen weißen Stecken in meine rechte Hand

Und weist mich in das drey- und dreyßigste Land.

Ich zog das drey- und dreyßigste Land auf und nieder,

Ich bettelte mein Brod und verkaufte es wieder,

Da meint mein Vater, ich wär verdorben,

Da war ich zu einem Kaufmann worden,

[802]

Ich hab verthan mein Gut

Bis auf einen alten Filzhut,

Der liegt zu Speier auf dem Keller

Und ist versetzt für drei Heller.

Guter Gesell wiltu ihn haben,

Ihn will ich Dir schenken,

Darbei soltu meiner gedenken,

Ihr Weiber auf der Reyh

Zieht hin, holt uns ein Steig Eier oder drey

Oder schneid' ein Stück aus der Seiten

Und schabt darmit den Spahn

Und sagt dem Hausvater, die Katz hab es gethan,

So wird die Katz belogen

Und der Hausvater betrogen,

Damit daß wir den Schwerttanz vollbringen,

Es möchte uns sonsten mißlingen.

Darnach sollen meine Gesellen ihre Schellen lassen klingen

Wie die Engel im Himmel singen

Und lassen mich frisch und fröhlich zu der Erde springen.

Hab ich aber mein Wort nicht recht gesprochen,

So gebt uns das Fleisch und den Hunden die Knochen.


Nach diesem bringen ihnen die Zuschauer freiwillig Geld, Speck, Eier und Bratwürste, welches alles sie nachher in gewöhnlicher Lust mit einander verzehren. Der letzte Schwerttanz ist zu Hessen im Anfange des Jahres 1651 aufgeführt worden, und es hat diesen das Landvolk bei der Heimführung der hochfürstl. Gemahlin aus Holstein-Gottorf dem Herrn Landgraf Ludwig VI. kurz vor Lollar im Felde eine halbe Meile von Gießen mit aller zierlichen Geschwindigkeit vorgestellt, allein das einfallende Schneewetter verkürzte den hochansehnlichen Zuschauern die Lust.

Nun hat, nach der Sage, auf dem spitzen Berge bei dem Dorfe Wehre unfern Marburg ein festes Raubschloß, der Weißenstein, dessen Trümmer noch zu sehen sind, gestanden, von wo aus der umliegenden Gegend vor Alters großer Schaden zugefügt worden ist. Weil man nun demselben wegen der Festigkeit und Höhe nicht beikommen können, haben die Einwohner zu Wehre den darauf wohnenden Edelleuten einen Schwerttanz gebracht, sich zuvor mit allerhand Wehr und Waffen heimlich versehen gehabt, und wie sie nun unter diesem Vorwand in das Schloß gelassen wurden, haben sie durch tapfern Kampf die Besatzung niedergemacht und die Edelleute mit dem Schlosse in ihres Landesfürsten Hand geliefert.

Fußnoten

1 S. Germania c. 24.

2 Gleichwohl ward im Jahre 1571 zu Iba bei Rotenburg einer der Tänzer aus Versehen erstochen.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Zweiter Band. Hessen. 951. Der Schwerttanz zu Weißenstein. 951. Der Schwerttanz zu Weißenstein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5B73-5