126) Die Quelle in Templin. 1

In dem Dorfe Kaput lebte einmal ein munteres kleines Mädchen, mit Namen Else, die ging einst mit ihrer Mutter nach Potsdam auf den Wochenmarkt und ward von dieser, die verschiedene Geschäfte in der Stadt zu besorgen hatte, angewiesen, voraus bis ans Teltower Thor zu gehen und dort auf die Mutter zu warten. Allein das kleine Ding vergaß den Befehl der Mutter, sondern fing an auf der Wiese vor dem Thore nach Blumen zu suchen, und kam so, ohne daß sie es gewahr ward, ein großes Stück weit auf den Weg zur Heimath vorwärts. Da fiel es ihr auf einmal ein, daß sie auf ihre Mutter hätte warten sollen, und sie fing an sich gewaltig nach ihr zu sehnen. Dabei aber begann sie schrecklich an zu dursten, denn es war im Hochsommer um Mittag herum, in der Heide war es glühend heiß, kein Lüftchen regte sich und in dem Kieferwalde war es unerträglich dunstig und schwül. Da fiel ihr die klare, kühle Quelle ein, welche unter den dichten, schattigen Bäumen der Templiner Wiese rieselt. Gedacht, gethan, mit schnellen Schritten eilte sie den Berg hinab zum Quell. Da sah sie eine alte Frau auf den Steinen knieen, die mit einem kleinen Maße das Wasser in einen großen Eimer schöpfte und der, wie es schien, das Bücken große Mühe verursachte. Mitleidig eilte sie ihr beizustehen, schöpfte ihr auch den Krug erst ganz voll, ehe sie selbst ans Trinken dachte, und da gab ihr die Alte aus dem Quell drei grüne Wasserlinsen und hieß sie dieselben wohl aufheben, »denn«, sagte sie, »wenn Du eine derselben ins Wasser wirfst und dabei einen Wunsch aussprichst, so wird er Dir alsbald erfüllt werden.«

Nun machte sie sich wieder auf den Weg, aber sie war kaum hundert Schritte weit gegangen, als sie die Worte der guten Alten vergessen hatte. Allein ihr Durst war nicht gestillt, sondern nur noch brennender geworden; sie kehrte also noch einmal nach der Quelle zurück und fing an mit der hohlen Hand Wasser zu schöpfen und so zu trinken. Natürlich bekam sie aber so nur sehr wenig in den Mund, und so sah sie sich nach einem Gefäß um, das sie zu diesem Zwecke benutzen könnte. Als sie aber natürlich keins fand, erinnerte sie sich an das Maß, welches die Alte gebraucht hatte und gleichzeitig an das sonderbare Geschenk derselben. Schnell warf sie eine der grünen Linsen in die Quelle und wünschte sich das Maß, welches auch gleich auf dem Wasser schwamm. Kaum hatte sie getrunken, da fand sie, daß der Kranz von Wiesenblumen, den sie vorher geflochten hatte, verwelkt war, alsobald warf sie eine zweite Linse ins Wasser und wünschte, derselbe möge wieder frisch sein, und siehe, dabei fiel ihr der Kranz aus der Hand in den Quell, und als sie ihn wieder herauszog, waren alle Blüthen wieder frisch. Nun warf sie aber auch die dritte Linse ins Wasser und wünschte, ihre Mutter[122] möge nun bald kommen, und siehe, da kam dieselbe den Berg herab und freute sich, ihr Kind, um welches sie sich schon geängstigt hatte, wieder zu haben.

Mittlerweile ward nun aber Else größer und älter, da trug es sich zu, daß, als sie als ein schon recht großes Mädchen von zwölf Jahren wieder einmal in der Stadt gewesen war, sie am Abend zu der Quelle von Templin kam und dort die graue Alte von damals sitzen fand, an die sie gar nicht wieder gedacht hatte. Dieselbe rief sie zu sich und ließ sich mit ihr in ein Gespräch ein und von ihren Verhältnissen erzählen. Beim Abschied ermahnte sie jene, ja recht fromm und fleißig zu sein, und schenkte ihr drei Fischschuppen, die solle sie sorgsam aufbewahren, bis sie groß geworden sei; hätte sie dann einen Wunsch und würfe eine derselben ins Wasser, so werde derselbe auch erfüllt werden. Else band die glänzenden Schuppen fest in ihr Tuch und begab sich auf den Heimweg; als sie aber aus dem Walde vor Kaput heraustrat, da wo die tiefe lockere Sandschelle ist, da sah sie einen alten Mann aus ihrem Dorfe mit Mühe einen schweren, mit Gänsen beladenen Karren durch den Sand ziehen. Sofort sprang sie hinzu und half den Karren schieben, allein sie war zu schwach und der Sand zu tief und trotz aller Mühe kamen sie nur wenig weiter. Da sprang Else schnell entschlossen nach der Havel hinab, warf eine der Fischschuppen ins Wasser und wünschte, der Wagen möge leichter werden, damit er sich besser ziehen lasse. Da hörte sie den alten Mann hinter sich herschreien, der Wagen war umgefallen und die Gänse herausgeflogen, die nun mit den Flügeln schlagend nach allen Seiten schnatternd davon liefen. Erschrocken warf sie nun auch die zweite Schuppe ins Wasser und wünschte, der alte Mann möge seine Gänse wieder bekommen, und siehe, dieselben liefen flatternd nach einer ebenen Stelle auf dem Wege zusammen, und als nun Else mit dem leicht gewordenen Wagen bis dahin gekommen war, ließen sie sich mit den Händen greifen und ohne alle Mühe fangen. Freilich hatte nun aber Else zwei ihrer kostbaren Schuppen geopfert, allein sie beschloß nun dafür die dritte desto sorgsamer aufzubewahren, legte sie, zu Hause angelangt, in eine kleine Kapsel und trug diese von nun an beständig an einer Schnur um den Hals.

So verging abermals eine Reihe von Jahren und aus der kleinen Else war ein hochaufgeschossenes schlankes hübsches Mädchen von 18 Jahren geworden, der alle jungen Burschen nachliefen. Ihr aber gefiel von allen nur einer, das war der Fischer Conrad. Allein sie hatte eine Nebenbuhlerin, die Tochter des Dorfschulzen, die auch recht hübsch war und dazu noch wohlhabend, was ihr vielen Kummer machte. Da trug es sich zu, daß Kirchweih im Dorfe war und natürlich an demselben Tage Tanz in der Schenke, da fühlte die Else eine solche Eifersucht, daß sie vom Tanzplatze, ehe noch die Musik begann, nach dem Wasser lief, die Schuppe ins Wasser warf und den Wunsch ihres Herzens aussprach, ihr Conrad solle nicht mit der Schulzentochter tanzen. Siehe da, ihr Liebster kam aber den ganzen Abend nicht in die Schenke und auf ihr Befragen, wo er sei, erfuhr sie, er sei vor zwei Tagen mit einer Ladung Fische nach Berlin gefahren, aber noch nicht zurückgekehrt. Da erfaßte sie namenlose Angst, denn sie glaubte, ihr Geliebter sei verunglückt, und als sie bei anbrechendem Morgen am Ufer vergeblich nach seinem Kahn spähete, lief sie in Verzweiflung nach der Quelle zu Templin [123] und schüttete vor der Alten, die wie zufällig dort saß, ihr Herz aus. Allein dieselbe beruhigte sie und scheint ihr abermals ein Geschenk gegeben zu haben, denn sie ging mit freudiger Miene nach Hause, und in einem Jahre war sie ihres Conrads Frau.

Fußnoten

1 Nach Reinhard S. 82 etc.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Die Marken. 126. Die Quelle in Templin. 126. Die Quelle in Templin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-5B3F-C