475) Der nach seinem Tode Banquettirende. 1

In Halberstadt wohnte einst ein reicher Mann, der eine prächtige Tafel hielt und sich in allen weltlichen Wollüsten wälzte. Er achtete die himmlische Glückseligkeit so wenig, daß er einmal sich nicht scheute, zu einigen seiner Freß- und Saufbrüder folgende gottlose Worte auszusprechen: »Wenn ich doch allezeit ein solches Leben, wie ich jetzt habe, behalten könnte, wollte ich niemals ein anderes begehren!« Oder, wie Andere wollen (vielleicht hat er Beides gesagt): Wenn Gott ihm die Erde lassen wolle, wie er nun darauf lebe, so wolle er ihm gern seinen Himmel für sich behalten lassen. Kurz hernach ward er, ganz wider seine Rechnung, von einer sehr schweren Krankheit angegriffen und also gezwungen, die Erde zu verlassen, ohne, wie ganz leicht zu vermuthen ist, in den Himmel zu kommen. Nach seinem Begräbniß sah man aber in seinem prächtig gebauten Hause alle Abende Gespenster erscheinen, also daß das Hausgesinde die Wohnung zu räumen und sich in eine andere zu begeben gezwungen ward. Dieser unglückliche reiche Mann oder sein Geist erschien mit einem Theile seiner Gesellen in dem Saal, den er in seinem Leben zu seinen Gastereien und Banquetten gebraucht, und um ihn her gingen Knechte mit Lichtern in den Händen, diese warteten auf bei der Tafel, welche reichlich versehen war mit goldenen Bechern, Krügen und Schalen. Viele Schüsseln wurden auf-und abgetragen, über dieses hörte man Clavicymbeln, Violen, Flöten, Lauten und andere Spielwerke klingen, und um es kurz zu sagen, alle Pracht, welche dieser reiche Narr in seinem Leben gezeigt hatte, äffte der Teufel nach seinem Tode in seinem Hause nach. Alle diese Gespenster verschwanden aber mit gewaltig ausbrechenden und viele Funken von sich werfenden Feuerflammen.

Fußnoten

1 S. Remigius Bd. II. S. 392.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Sagenbuch des Preußischen Staats. Erster Band. Provinz Sachsen und Thüringen. 475. Der nach seinem Tode Banquettirende. 475. Der nach seinem Tode Banquettirende. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4BFD-E